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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kollegen des Herrn von Jagemnnn, haben hiergegen Stellung genommen. In
gewissem Sinne mit Recht, denn der Bund ist ausdrücklich als ein "ewiger"
geschlossen worden. Der Bundesvertrag ist mithin so wenig auflösbar wie das
Deutsche Reich, folglich hört auch nicht der Kaiser auf. Kaiser zu sein. Denn der
Kaiser besteht ursprünglich nicht kraft der Reichsverfassung, sondern kraft der freien
Willensbestimmung der deutschen Fürsten. Es steht auch keiner einzelnen Bundes¬
regierung frei, "Sezession zu treiben und aufzutreten," denn das Reich ist unauf¬
lösbar. Aber seine Verfassung ist nicht unabänderlich, das beweist gerade der
Reichstag mit seinem Diätenverlangen am handgreiflichsten. Ebensowenig kann es
einem Zweifel unterliegen, daß, wenn die heutigen verfassungsmäßigen Lebensbe-
dingungen des Reiches nicht mehr ausreichen, die Erfüllung seiner Staatszwecke zu
sichern die Bundesregierungen berechtigt und durch den Bundesvertrag verpflichtet
sein würden, andre Verfassungsbedingungen vorzuschlagen. Der Reichstag hätte
selbstverständlich das Recht, eiuen solchen Vorschlag anzunehmen, abzulehnen oder
zu modifizieren, die Regierungen aber würden sich darüber klar sein müssen, was
sie im Falle der Ablehnung oder der Modifikation zu tun gedenken. Denn selbst¬
verständlich könnte eine solche Aktion nur unternommen werden, wenn man ent¬
schlossen wäre, sie auf alle Konsequenzen hin durchzuführen.

Das sind nur akademische Betrachtungen, und auch Herr von Jagemann hat
inzwischen durch eine von ihm veröffentlichte Erklärung ausgesprochen, daß er seiner
Studie keine andre Bedeutung beimißt und beigemessen sehen will. Aber es ist
immerhin ein Zeichen der Lage, daß sich ernste Politiker mit solchen Erwägungen
befassen. Ohne die Veranlassungen, die unsre innere Lage bietet, würde niemand
solchen Sorgen zugänglich sein. Deswegen hat denn auch der Reichskanzler den
bekannten Reden der Herren von Manteuffel und Graf Mirbach im Herrenhause
die Bedeutung geschenkt, die sie als Zeichen einer wachsenden Beunruhigung über die
mangelnde Pflichterfüllung des Reichstags gegenüber dem Reich bei dem wachsenden
Terrorismus und der wachsenden Massenherrschaft der Sozialdemokratie unbe¬
dingt haben.

Unsre im vorigen Heft bekundete Auffassung der Kanzlerkrisengerüchte hat
seitdem auch eine offiziöse Bestätigung erfahren. Man darf sich fast wundern,
daß eine solche für die Logik des gesunden Menschenverstandes noch nötig war,
aber es mag von Nutzen gewesen sein, festzustellen, daß die von einigen Blättern
aufgezählten Differenzpunkte zwischen Kaiser und Kanzler nicht vorhanden sind.

Auch die Konservativen haben sich gegen die Unterstellung verwahrt, daß die
im Herrenhause zum Ausdruck gebrachten Klagen über die Sozialdemokratie der
Beginn eines Feldzugs gegen den Kanzler gewesen seien; tatsächlich haben diese
Reden doch nur die Bedeutung einer stärkern Annäherung an die Krone auf dem
Boden der allgemeinen Reichs- und Staatsinteressen. Die Entfremdung, die sich
im Laufe dieser letzten vierzehn Jahre mehrfach wiederholt und zuletzt stark ver¬
größert hatte, sehr zum Schaden unsrer gesamten innern Entwicklung, beginnt da¬
mit rückläufig zu werdeu. Es liegt wohl auch hierin ein Anzeichen dafür, daß die
konservativen Parteien des Abgeordnetenhauses den Widerstand in der Kanalfrage
aufgeben und langsam vielleicht, aber bestimmt ihre seitherige Oppositionsstellung
Erlassen werden. Für Preußen sowohl als für das Reich ist das -- wir wieder¬
holen es -- eine Staatsnotwendigkeit ersten Ranges, Deutschland braucht einen
starker" konservative" Einfluß zumal in der Reichsgesetzgebung und auch sonst un
Reichstage. Der Reichstag bekundet von Session zu Session mehr die Neigung,
U'it Anträgen und Resolutionen in die Intern" des Herrenhauses wie überhaupt
der Dienstpragmatik einzugreifen; eins der letzten Beispiele dieser Art war die
Resolution Groeber wegen des Militärstrafgcsetzes. Nun kann man ja der Ansicht
Mu, daß es besser sei, die nichtsozialdemokratischen Parteien legten den Finger auf
ersichtliche Mängel, als wenn das immer nur deu Sozialdemokraten überlassen
bliebe. So haben wir es immer als einen Fehler der Konservativen erachtet, daß


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kollegen des Herrn von Jagemnnn, haben hiergegen Stellung genommen. In
gewissem Sinne mit Recht, denn der Bund ist ausdrücklich als ein „ewiger"
geschlossen worden. Der Bundesvertrag ist mithin so wenig auflösbar wie das
Deutsche Reich, folglich hört auch nicht der Kaiser auf. Kaiser zu sein. Denn der
Kaiser besteht ursprünglich nicht kraft der Reichsverfassung, sondern kraft der freien
Willensbestimmung der deutschen Fürsten. Es steht auch keiner einzelnen Bundes¬
regierung frei, „Sezession zu treiben und aufzutreten," denn das Reich ist unauf¬
lösbar. Aber seine Verfassung ist nicht unabänderlich, das beweist gerade der
Reichstag mit seinem Diätenverlangen am handgreiflichsten. Ebensowenig kann es
einem Zweifel unterliegen, daß, wenn die heutigen verfassungsmäßigen Lebensbe-
dingungen des Reiches nicht mehr ausreichen, die Erfüllung seiner Staatszwecke zu
sichern die Bundesregierungen berechtigt und durch den Bundesvertrag verpflichtet
sein würden, andre Verfassungsbedingungen vorzuschlagen. Der Reichstag hätte
selbstverständlich das Recht, eiuen solchen Vorschlag anzunehmen, abzulehnen oder
zu modifizieren, die Regierungen aber würden sich darüber klar sein müssen, was
sie im Falle der Ablehnung oder der Modifikation zu tun gedenken. Denn selbst¬
verständlich könnte eine solche Aktion nur unternommen werden, wenn man ent¬
schlossen wäre, sie auf alle Konsequenzen hin durchzuführen.

Das sind nur akademische Betrachtungen, und auch Herr von Jagemann hat
inzwischen durch eine von ihm veröffentlichte Erklärung ausgesprochen, daß er seiner
Studie keine andre Bedeutung beimißt und beigemessen sehen will. Aber es ist
immerhin ein Zeichen der Lage, daß sich ernste Politiker mit solchen Erwägungen
befassen. Ohne die Veranlassungen, die unsre innere Lage bietet, würde niemand
solchen Sorgen zugänglich sein. Deswegen hat denn auch der Reichskanzler den
bekannten Reden der Herren von Manteuffel und Graf Mirbach im Herrenhause
die Bedeutung geschenkt, die sie als Zeichen einer wachsenden Beunruhigung über die
mangelnde Pflichterfüllung des Reichstags gegenüber dem Reich bei dem wachsenden
Terrorismus und der wachsenden Massenherrschaft der Sozialdemokratie unbe¬
dingt haben.

Unsre im vorigen Heft bekundete Auffassung der Kanzlerkrisengerüchte hat
seitdem auch eine offiziöse Bestätigung erfahren. Man darf sich fast wundern,
daß eine solche für die Logik des gesunden Menschenverstandes noch nötig war,
aber es mag von Nutzen gewesen sein, festzustellen, daß die von einigen Blättern
aufgezählten Differenzpunkte zwischen Kaiser und Kanzler nicht vorhanden sind.

Auch die Konservativen haben sich gegen die Unterstellung verwahrt, daß die
im Herrenhause zum Ausdruck gebrachten Klagen über die Sozialdemokratie der
Beginn eines Feldzugs gegen den Kanzler gewesen seien; tatsächlich haben diese
Reden doch nur die Bedeutung einer stärkern Annäherung an die Krone auf dem
Boden der allgemeinen Reichs- und Staatsinteressen. Die Entfremdung, die sich
im Laufe dieser letzten vierzehn Jahre mehrfach wiederholt und zuletzt stark ver¬
größert hatte, sehr zum Schaden unsrer gesamten innern Entwicklung, beginnt da¬
mit rückläufig zu werdeu. Es liegt wohl auch hierin ein Anzeichen dafür, daß die
konservativen Parteien des Abgeordnetenhauses den Widerstand in der Kanalfrage
aufgeben und langsam vielleicht, aber bestimmt ihre seitherige Oppositionsstellung
Erlassen werden. Für Preußen sowohl als für das Reich ist das — wir wieder¬
holen es — eine Staatsnotwendigkeit ersten Ranges, Deutschland braucht einen
starker» konservative» Einfluß zumal in der Reichsgesetzgebung und auch sonst un
Reichstage. Der Reichstag bekundet von Session zu Session mehr die Neigung,
U'it Anträgen und Resolutionen in die Intern« des Herrenhauses wie überhaupt
der Dienstpragmatik einzugreifen; eins der letzten Beispiele dieser Art war die
Resolution Groeber wegen des Militärstrafgcsetzes. Nun kann man ja der Ansicht
Mu, daß es besser sei, die nichtsozialdemokratischen Parteien legten den Finger auf
ersichtliche Mängel, als wenn das immer nur deu Sozialdemokraten überlassen
bliebe. So haben wir es immer als einen Fehler der Konservativen erachtet, daß


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[0487] Maßgebliches und Unmaßgebliches Kollegen des Herrn von Jagemnnn, haben hiergegen Stellung genommen. In gewissem Sinne mit Recht, denn der Bund ist ausdrücklich als ein „ewiger" geschlossen worden. Der Bundesvertrag ist mithin so wenig auflösbar wie das Deutsche Reich, folglich hört auch nicht der Kaiser auf. Kaiser zu sein. Denn der Kaiser besteht ursprünglich nicht kraft der Reichsverfassung, sondern kraft der freien Willensbestimmung der deutschen Fürsten. Es steht auch keiner einzelnen Bundes¬ regierung frei, „Sezession zu treiben und aufzutreten," denn das Reich ist unauf¬ lösbar. Aber seine Verfassung ist nicht unabänderlich, das beweist gerade der Reichstag mit seinem Diätenverlangen am handgreiflichsten. Ebensowenig kann es einem Zweifel unterliegen, daß, wenn die heutigen verfassungsmäßigen Lebensbe- dingungen des Reiches nicht mehr ausreichen, die Erfüllung seiner Staatszwecke zu sichern die Bundesregierungen berechtigt und durch den Bundesvertrag verpflichtet sein würden, andre Verfassungsbedingungen vorzuschlagen. Der Reichstag hätte selbstverständlich das Recht, eiuen solchen Vorschlag anzunehmen, abzulehnen oder zu modifizieren, die Regierungen aber würden sich darüber klar sein müssen, was sie im Falle der Ablehnung oder der Modifikation zu tun gedenken. Denn selbst¬ verständlich könnte eine solche Aktion nur unternommen werden, wenn man ent¬ schlossen wäre, sie auf alle Konsequenzen hin durchzuführen. Das sind nur akademische Betrachtungen, und auch Herr von Jagemann hat inzwischen durch eine von ihm veröffentlichte Erklärung ausgesprochen, daß er seiner Studie keine andre Bedeutung beimißt und beigemessen sehen will. Aber es ist immerhin ein Zeichen der Lage, daß sich ernste Politiker mit solchen Erwägungen befassen. Ohne die Veranlassungen, die unsre innere Lage bietet, würde niemand solchen Sorgen zugänglich sein. Deswegen hat denn auch der Reichskanzler den bekannten Reden der Herren von Manteuffel und Graf Mirbach im Herrenhause die Bedeutung geschenkt, die sie als Zeichen einer wachsenden Beunruhigung über die mangelnde Pflichterfüllung des Reichstags gegenüber dem Reich bei dem wachsenden Terrorismus und der wachsenden Massenherrschaft der Sozialdemokratie unbe¬ dingt haben. Unsre im vorigen Heft bekundete Auffassung der Kanzlerkrisengerüchte hat seitdem auch eine offiziöse Bestätigung erfahren. Man darf sich fast wundern, daß eine solche für die Logik des gesunden Menschenverstandes noch nötig war, aber es mag von Nutzen gewesen sein, festzustellen, daß die von einigen Blättern aufgezählten Differenzpunkte zwischen Kaiser und Kanzler nicht vorhanden sind. Auch die Konservativen haben sich gegen die Unterstellung verwahrt, daß die im Herrenhause zum Ausdruck gebrachten Klagen über die Sozialdemokratie der Beginn eines Feldzugs gegen den Kanzler gewesen seien; tatsächlich haben diese Reden doch nur die Bedeutung einer stärkern Annäherung an die Krone auf dem Boden der allgemeinen Reichs- und Staatsinteressen. Die Entfremdung, die sich im Laufe dieser letzten vierzehn Jahre mehrfach wiederholt und zuletzt stark ver¬ größert hatte, sehr zum Schaden unsrer gesamten innern Entwicklung, beginnt da¬ mit rückläufig zu werdeu. Es liegt wohl auch hierin ein Anzeichen dafür, daß die konservativen Parteien des Abgeordnetenhauses den Widerstand in der Kanalfrage aufgeben und langsam vielleicht, aber bestimmt ihre seitherige Oppositionsstellung Erlassen werden. Für Preußen sowohl als für das Reich ist das — wir wieder¬ holen es — eine Staatsnotwendigkeit ersten Ranges, Deutschland braucht einen starker» konservative» Einfluß zumal in der Reichsgesetzgebung und auch sonst un Reichstage. Der Reichstag bekundet von Session zu Session mehr die Neigung, U'it Anträgen und Resolutionen in die Intern« des Herrenhauses wie überhaupt der Dienstpragmatik einzugreifen; eins der letzten Beispiele dieser Art war die Resolution Groeber wegen des Militärstrafgcsetzes. Nun kann man ja der Ansicht Mu, daß es besser sei, die nichtsozialdemokratischen Parteien legten den Finger auf ersichtliche Mängel, als wenn das immer nur deu Sozialdemokraten überlassen bliebe. So haben wir es immer als einen Fehler der Konservativen erachtet, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/487>, abgerufen am 02.07.2024.