Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches und Interessen beherrscht als von Handelsverträgen, zumal da doch der Ausgang des Je mehr wir überzeugt sein dürfen, daß im Auslande alle Anzeichen einer Entweder rafft sich unser Volk auf und schafft sich eine andersgeartete Ver¬ Die Publikationen des frühern badischen Gesandten in Berlin, Jagemann, Maßgebliches und Unmaßgebliches und Interessen beherrscht als von Handelsverträgen, zumal da doch der Ausgang des Je mehr wir überzeugt sein dürfen, daß im Auslande alle Anzeichen einer Entweder rafft sich unser Volk auf und schafft sich eine andersgeartete Ver¬ Die Publikationen des frühern badischen Gesandten in Berlin, Jagemann, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294105"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2220" prev="#ID_2219"> und Interessen beherrscht als von Handelsverträgen, zumal da doch der Ausgang des<lb/> Krieges für die nächste wirtschaftliche Zukunft des Zarenreichs maßgebend bleiben<lb/> wird. Auch mit Rußland darf einem nicht unbefriedigender Abschluß mit berechtigter<lb/> Zuversicht entgegengesehen werden. Die Handelsverträge werden demnach, unge¬<lb/> achtet aller Schwierigkeiten, die in Deutschland selbst gemacht und in der deutschen<lb/> Presse vertreten werden, voraussichtlich „gelingen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2221"> Je mehr wir überzeugt sein dürfen, daß im Auslande alle Anzeichen einer<lb/> Schwäche Deutschlands sorgfältig registriert werden, und daß sie in der Politik der<lb/> einzelnen Mächte nicht ohne Einfluß bleiben, desto sorgfältiger sollte sich die deutsche<lb/> Publizistik vor der Propagierung eines angeblichen häuslichen Katzenjammers hüten.<lb/> Weit davon entfernt, in Abrede zu stellen, daß unsre innere Lage mancherlei Anlaß<lb/> zu recht ernsten Betrachtungen bietet, glauben wir doch, daß diese Anlässe zum Teil<lb/> ganz wo anders liegen, als wo sie in der Regel gesucht werden; sie sind in der<lb/> Presse überhaupt nicht, am wenigsten mit inhaltlosen Phrasen und aufgewärmten<lb/> Schlagwörtern, zu erschöpfen. Daß die Reichsmaschine zeitweise in einem Zustande<lb/> ist, der beinahe einem Versagen gleichkommt, kann man leider nicht in Abrede<lb/> stellen, ebensowenig aber auch, daß die Ursache zum größten Teile bei dem Reichs¬<lb/> tag und seiner heutigen Zusammensetzung liegt. Das vielgepriesene Abhilfemittel<lb/> der Diäten kann da nichts mehr bessern, es würde vielleicht das Übel nur ver¬<lb/> schlimmern. Das englische Unterhaus hat einen Diätencmtrag soeben abgelehnt, und<lb/> die große Mehrheit der deutschen Bundesregierungen ist für eine solche Abänderung<lb/> der der Reichsverfassung zugrunde liegenden Verträge überhaupt nicht zu haben.<lb/> Wenn die Reichsverfassung in so einschneidender Weise geändert werden soll, dann<lb/> darf es nicht durch eine so einseitige Maßnahme geschehen, die nicht die geringste<lb/> Bürgschaft des Erfolges bietet. Deutschland muß es noch durch eine oder zwei<lb/> Legislaturperioden mit dem jetzigen Wahlrecht ohne jede weitere Konzession an<lb/> die Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts versuchen. Akademische Betrachtungen<lb/> über dessen Wert oder Unwert werden sich ja immer wiederholen, aber zu einem<lb/> praktischen Ergebnis zunächst nicht führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2222"> Entweder rafft sich unser Volk auf und schafft sich eine andersgeartete Ver¬<lb/> tretung — und das wäre jedenfalls das erwünschtere —, oder diese Art von<lb/> Parlamentarismus erweist sich auf die Dauer als Unmöglichkeit, namentlich in Ver¬<lb/> bindung mit der nivellierenden und die Massen immer fester organisierenden<lb/> sozialpolitischen Gesetzgebung — dann, aber erst dann wird es an den Regierungen<lb/> sein, in Erwägungen über eine unabweisliche Abhilfe einzutreten und über die<lb/> dazu geeignetsten Mittel zu beraten. Bis dahin sind alle publizistischen und auch<lb/> alle parlamentarischen Erörterungen dieses Gegenstandes rein akademischer Natur.<lb/> Dann auch erst kann die Frage praktische Bedeutung haben, ob die Reichsver-<lb/> fassung die Bundesverträge, die ihr zugrunde liegen, ersetzt oder nur ergänzt und<lb/> nach der formalen Seite hin ausgebildet hat. Träte je der Fall ein, daß die<lb/> verbündeten Regierungen überzeugt wären, mit dem jetzigen Reichswahlrecht könne<lb/> ohne ernste Gefährdung des Reiches nicht weiter gewirtschaftet werden, so würden<lb/> sie ja die Abhilfe doch zunächst durch Vorlagen an den Reichstag versuchen. Erst<lb/> wenn dieser versagte, und auch von Neuwahlen auf Grund des bisherigen Systems<lb/> keine Besserung zu erwarten wäre, würden die Regierungen auf den Bundesvertrag,<lb/> als auf die Rechtsquelle des Deutschen Reiches, zurückgreifen müssen. Hoffentlich<lb/> kommt es dazu nie, aber der Gedanke selbst ist an sich unanfechtbar.</p><lb/> <p xml:id="ID_2223" next="#ID_2224"> Die Publikationen des frühern badischen Gesandten in Berlin, Jagemann,<lb/> der seine im letzten Winter als Professor in Heidelberg gehaltnen Vorlesungen über<lb/> die deutsche Verfassung und das deutsche Berfassungsrecht der Öffentlichkeit über^<lb/> geben hat, berühren ebenfalls den Punkt des Bundcsvertrags. Herr von Jage-<lb/> mann stellt fest, daß die Reichsverfassung aus dem Bundesvertrage hervorgegangen,<lb/> und daß der Bund ihre Voraussetzung sei, der Bund aber sei durch Vertrag der<lb/> Regierungen auflösbar. Die Professoren Jellincck und Anschütz, Heidelberger</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0486]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und Interessen beherrscht als von Handelsverträgen, zumal da doch der Ausgang des
Krieges für die nächste wirtschaftliche Zukunft des Zarenreichs maßgebend bleiben
wird. Auch mit Rußland darf einem nicht unbefriedigender Abschluß mit berechtigter
Zuversicht entgegengesehen werden. Die Handelsverträge werden demnach, unge¬
achtet aller Schwierigkeiten, die in Deutschland selbst gemacht und in der deutschen
Presse vertreten werden, voraussichtlich „gelingen."
Je mehr wir überzeugt sein dürfen, daß im Auslande alle Anzeichen einer
Schwäche Deutschlands sorgfältig registriert werden, und daß sie in der Politik der
einzelnen Mächte nicht ohne Einfluß bleiben, desto sorgfältiger sollte sich die deutsche
Publizistik vor der Propagierung eines angeblichen häuslichen Katzenjammers hüten.
Weit davon entfernt, in Abrede zu stellen, daß unsre innere Lage mancherlei Anlaß
zu recht ernsten Betrachtungen bietet, glauben wir doch, daß diese Anlässe zum Teil
ganz wo anders liegen, als wo sie in der Regel gesucht werden; sie sind in der
Presse überhaupt nicht, am wenigsten mit inhaltlosen Phrasen und aufgewärmten
Schlagwörtern, zu erschöpfen. Daß die Reichsmaschine zeitweise in einem Zustande
ist, der beinahe einem Versagen gleichkommt, kann man leider nicht in Abrede
stellen, ebensowenig aber auch, daß die Ursache zum größten Teile bei dem Reichs¬
tag und seiner heutigen Zusammensetzung liegt. Das vielgepriesene Abhilfemittel
der Diäten kann da nichts mehr bessern, es würde vielleicht das Übel nur ver¬
schlimmern. Das englische Unterhaus hat einen Diätencmtrag soeben abgelehnt, und
die große Mehrheit der deutschen Bundesregierungen ist für eine solche Abänderung
der der Reichsverfassung zugrunde liegenden Verträge überhaupt nicht zu haben.
Wenn die Reichsverfassung in so einschneidender Weise geändert werden soll, dann
darf es nicht durch eine so einseitige Maßnahme geschehen, die nicht die geringste
Bürgschaft des Erfolges bietet. Deutschland muß es noch durch eine oder zwei
Legislaturperioden mit dem jetzigen Wahlrecht ohne jede weitere Konzession an
die Herrschaft des allgemeinen Stimmrechts versuchen. Akademische Betrachtungen
über dessen Wert oder Unwert werden sich ja immer wiederholen, aber zu einem
praktischen Ergebnis zunächst nicht führen.
Entweder rafft sich unser Volk auf und schafft sich eine andersgeartete Ver¬
tretung — und das wäre jedenfalls das erwünschtere —, oder diese Art von
Parlamentarismus erweist sich auf die Dauer als Unmöglichkeit, namentlich in Ver¬
bindung mit der nivellierenden und die Massen immer fester organisierenden
sozialpolitischen Gesetzgebung — dann, aber erst dann wird es an den Regierungen
sein, in Erwägungen über eine unabweisliche Abhilfe einzutreten und über die
dazu geeignetsten Mittel zu beraten. Bis dahin sind alle publizistischen und auch
alle parlamentarischen Erörterungen dieses Gegenstandes rein akademischer Natur.
Dann auch erst kann die Frage praktische Bedeutung haben, ob die Reichsver-
fassung die Bundesverträge, die ihr zugrunde liegen, ersetzt oder nur ergänzt und
nach der formalen Seite hin ausgebildet hat. Träte je der Fall ein, daß die
verbündeten Regierungen überzeugt wären, mit dem jetzigen Reichswahlrecht könne
ohne ernste Gefährdung des Reiches nicht weiter gewirtschaftet werden, so würden
sie ja die Abhilfe doch zunächst durch Vorlagen an den Reichstag versuchen. Erst
wenn dieser versagte, und auch von Neuwahlen auf Grund des bisherigen Systems
keine Besserung zu erwarten wäre, würden die Regierungen auf den Bundesvertrag,
als auf die Rechtsquelle des Deutschen Reiches, zurückgreifen müssen. Hoffentlich
kommt es dazu nie, aber der Gedanke selbst ist an sich unanfechtbar.
Die Publikationen des frühern badischen Gesandten in Berlin, Jagemann,
der seine im letzten Winter als Professor in Heidelberg gehaltnen Vorlesungen über
die deutsche Verfassung und das deutsche Berfassungsrecht der Öffentlichkeit über^
geben hat, berühren ebenfalls den Punkt des Bundcsvertrags. Herr von Jage-
mann stellt fest, daß die Reichsverfassung aus dem Bundesvertrage hervorgegangen,
und daß der Bund ihre Voraussetzung sei, der Bund aber sei durch Vertrag der
Regierungen auflösbar. Die Professoren Jellincck und Anschütz, Heidelberger
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