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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

land die Tatsache beklagt, daß die Führer der Sozialdemokratie unter die Herr¬
schaft der Marxistischen Ideen geraten seien und demgemäß ihre Partei zu einer gegen
die staatliche Ordnung gerichteten revolutionären Partei gestaltet hätten. Aber
gerade weil diese Tatsache vorliegt, darf man nicht verlangen, daß man noch "ein
oder zwei Menschennlter" der Befestigung dieser Ideen ruhig zusehe im Ver¬
trauen ans einen Revisionismus, der schließlich doch nur einem verglimmenden
Dochte gleichen würde. Er wird der Sozialdemokratie Rekruten und Anhänger
aus den gebildeten Kreisen zuführen, deren Zahl wir ja ohnehin aus gewissen
Kategorien täglich zunehmen sehen, aber es wird ihm nicht gelingen, die Massen
zu führen und zu beherrschen. Andrerseits steht fest, daß die besitzenden Klassen
den Arbeitern in mancher Hinsicht entgegenkommender gegenüberstehn würden,
wenn diese nur eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage im Auge hätten und
nicht zugleich eine revolutionäre Massenherrschaft anstrebten. Diesen Zustand noch
auf zwei Menschenalter hinaus gleichsam zu verewigen, kann nicht die Aufgabe
einer weisen, vorschauenden Politik sein. Herr Professor Schmoller erinnert mit
seinen Deduktionen doch stark an den Professoreuidealismus der Frankfurter National¬
versammlung, der zwar ein nützlicher Vorkämpfer des deutschen Reichsgedankeus
gewesen ist, diesem aber nicht Leben und Gestalt verleihen konnte, "weil man sich
dnrch Hoffnungen und Erinnerungen über den Wert der Gegenwart, durch Ideale
über die Bedeutung der Tatsache" täuschen ließ."

Es liegt uns fern, Ausnahmegesetzen das Wort zu reden. "Ausnahmen"
kann man nicht verewigen, und solche Gesetze an bestimmte Ablauffristen zu knüpfen,
hieße den mit dem Sozialistengesetz begangnen Kardinalfehler wiederholen. Nach¬
dem man die Sozialdemokratie vierzehn Jahre lang geduldet und anerkannt hat,
wird man heute den Massen den Glauben, daß sie etwas nicht Erlaubtes sei,
nicht mehr beibringen können, es sei denn, daß eine tätliche Auflehnung zu einer
Unterdrückung nötigte. Was wir brauchen, ist eine Abänderung des Reichswahl¬
rechts und eine Verschärfung des Strafgesetzes gegen sozialdemokratische Aus¬
schreitungen, namentlich den stärkern Schutz Arbeitswilliger. Das Recht auf Arbeit
ist jedenfalls das erste aller Menschenrechte und steht höher als jedes Verfassungs-
recht. Nun ist aber die Abänderung des Reichswahlrechts, sofern sie durch Gesetz
und nicht durch Oktroyierung herbeigeführt werden soll, in der Hauptsache eine
Popularitätsfrage. Viele Politiker, die das heutige Reichswahlrecht gern geändert
sähen, gehn aus Popularitätsgründen der Sache möglichst aus dem Wege. Einst¬
weilen verschanzt man sich hinter die für die Sozinldemvkrcitie ungünstigen Ergebnisse
der Nachwahlen, deren Zahl durch die Wahl Bassermanns in Frankfurt a. O. hoffent¬
lich vermehrt werden wird.

Der Bund der Landwirte, der bei der Hauptwahl vielleicht unnötigerweise
sein Recht geltend machte, hat diesen Fehler durch ein offnes und entschiednes Ein¬
treten für den nationalliberalen Kandidaten wieder gut gemacht, zugleich beweist
das Zusnmmengehn der Nationalliberalen und der beiden konservativen Parteien
im preußische:/Landtage bei der Regelung der Schulunterhaltung, daß ein Zu¬
sammenschließen der alten Kartellparteien und damit eine wesentliche Stärkung des
Staatsgedankens sehr wohl möglich ist. Hoffentlich bleibt es nicht bei diesem
vereinzelten Fall. Wollten diese Parteien die gemeinsamen Interessen mehr in
den Vordergrund stellen, die trennenden Gegensätze mehr zurücktreten lassen und
namentlich alle unnötigen Kämpfe untereinander vermeiden, so würde dadurch der
Staatsgedanke eine große Verstärkung erfahren und die sozialdemokratische Ge-
h"hr. wenn auch selbstverständlich nicht beseitigt, so doch in größerm Umfange
niedergehalten werden. Aber ein wirkliches Brechen ihrer Herrschaftsbestrebungen
wird nur durch Abänderung des Wahlrechts und des Strafrechts sowie durch
Revision der sozialpolitischen Gesetzgebung zu erreichen sein, die vor allem die Er¬
haltung der staatlichen Ordnung und die Verhinderung weiterer Massenorganisationen
Zur Richtschnur haben muß.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

land die Tatsache beklagt, daß die Führer der Sozialdemokratie unter die Herr¬
schaft der Marxistischen Ideen geraten seien und demgemäß ihre Partei zu einer gegen
die staatliche Ordnung gerichteten revolutionären Partei gestaltet hätten. Aber
gerade weil diese Tatsache vorliegt, darf man nicht verlangen, daß man noch „ein
oder zwei Menschennlter" der Befestigung dieser Ideen ruhig zusehe im Ver¬
trauen ans einen Revisionismus, der schließlich doch nur einem verglimmenden
Dochte gleichen würde. Er wird der Sozialdemokratie Rekruten und Anhänger
aus den gebildeten Kreisen zuführen, deren Zahl wir ja ohnehin aus gewissen
Kategorien täglich zunehmen sehen, aber es wird ihm nicht gelingen, die Massen
zu führen und zu beherrschen. Andrerseits steht fest, daß die besitzenden Klassen
den Arbeitern in mancher Hinsicht entgegenkommender gegenüberstehn würden,
wenn diese nur eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage im Auge hätten und
nicht zugleich eine revolutionäre Massenherrschaft anstrebten. Diesen Zustand noch
auf zwei Menschenalter hinaus gleichsam zu verewigen, kann nicht die Aufgabe
einer weisen, vorschauenden Politik sein. Herr Professor Schmoller erinnert mit
seinen Deduktionen doch stark an den Professoreuidealismus der Frankfurter National¬
versammlung, der zwar ein nützlicher Vorkämpfer des deutschen Reichsgedankeus
gewesen ist, diesem aber nicht Leben und Gestalt verleihen konnte, „weil man sich
dnrch Hoffnungen und Erinnerungen über den Wert der Gegenwart, durch Ideale
über die Bedeutung der Tatsache» täuschen ließ."

Es liegt uns fern, Ausnahmegesetzen das Wort zu reden. „Ausnahmen"
kann man nicht verewigen, und solche Gesetze an bestimmte Ablauffristen zu knüpfen,
hieße den mit dem Sozialistengesetz begangnen Kardinalfehler wiederholen. Nach¬
dem man die Sozialdemokratie vierzehn Jahre lang geduldet und anerkannt hat,
wird man heute den Massen den Glauben, daß sie etwas nicht Erlaubtes sei,
nicht mehr beibringen können, es sei denn, daß eine tätliche Auflehnung zu einer
Unterdrückung nötigte. Was wir brauchen, ist eine Abänderung des Reichswahl¬
rechts und eine Verschärfung des Strafgesetzes gegen sozialdemokratische Aus¬
schreitungen, namentlich den stärkern Schutz Arbeitswilliger. Das Recht auf Arbeit
ist jedenfalls das erste aller Menschenrechte und steht höher als jedes Verfassungs-
recht. Nun ist aber die Abänderung des Reichswahlrechts, sofern sie durch Gesetz
und nicht durch Oktroyierung herbeigeführt werden soll, in der Hauptsache eine
Popularitätsfrage. Viele Politiker, die das heutige Reichswahlrecht gern geändert
sähen, gehn aus Popularitätsgründen der Sache möglichst aus dem Wege. Einst¬
weilen verschanzt man sich hinter die für die Sozinldemvkrcitie ungünstigen Ergebnisse
der Nachwahlen, deren Zahl durch die Wahl Bassermanns in Frankfurt a. O. hoffent¬
lich vermehrt werden wird.

Der Bund der Landwirte, der bei der Hauptwahl vielleicht unnötigerweise
sein Recht geltend machte, hat diesen Fehler durch ein offnes und entschiednes Ein¬
treten für den nationalliberalen Kandidaten wieder gut gemacht, zugleich beweist
das Zusnmmengehn der Nationalliberalen und der beiden konservativen Parteien
im preußische:/Landtage bei der Regelung der Schulunterhaltung, daß ein Zu¬
sammenschließen der alten Kartellparteien und damit eine wesentliche Stärkung des
Staatsgedankens sehr wohl möglich ist. Hoffentlich bleibt es nicht bei diesem
vereinzelten Fall. Wollten diese Parteien die gemeinsamen Interessen mehr in
den Vordergrund stellen, die trennenden Gegensätze mehr zurücktreten lassen und
namentlich alle unnötigen Kämpfe untereinander vermeiden, so würde dadurch der
Staatsgedanke eine große Verstärkung erfahren und die sozialdemokratische Ge-
h"hr. wenn auch selbstverständlich nicht beseitigt, so doch in größerm Umfange
niedergehalten werden. Aber ein wirkliches Brechen ihrer Herrschaftsbestrebungen
wird nur durch Abänderung des Wahlrechts und des Strafrechts sowie durch
Revision der sozialpolitischen Gesetzgebung zu erreichen sein, die vor allem die Er¬
haltung der staatlichen Ordnung und die Verhinderung weiterer Massenorganisationen
Zur Richtschnur haben muß.


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[0427] Maßgebliches und Unmaßgebliches land die Tatsache beklagt, daß die Führer der Sozialdemokratie unter die Herr¬ schaft der Marxistischen Ideen geraten seien und demgemäß ihre Partei zu einer gegen die staatliche Ordnung gerichteten revolutionären Partei gestaltet hätten. Aber gerade weil diese Tatsache vorliegt, darf man nicht verlangen, daß man noch „ein oder zwei Menschennlter" der Befestigung dieser Ideen ruhig zusehe im Ver¬ trauen ans einen Revisionismus, der schließlich doch nur einem verglimmenden Dochte gleichen würde. Er wird der Sozialdemokratie Rekruten und Anhänger aus den gebildeten Kreisen zuführen, deren Zahl wir ja ohnehin aus gewissen Kategorien täglich zunehmen sehen, aber es wird ihm nicht gelingen, die Massen zu führen und zu beherrschen. Andrerseits steht fest, daß die besitzenden Klassen den Arbeitern in mancher Hinsicht entgegenkommender gegenüberstehn würden, wenn diese nur eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage im Auge hätten und nicht zugleich eine revolutionäre Massenherrschaft anstrebten. Diesen Zustand noch auf zwei Menschenalter hinaus gleichsam zu verewigen, kann nicht die Aufgabe einer weisen, vorschauenden Politik sein. Herr Professor Schmoller erinnert mit seinen Deduktionen doch stark an den Professoreuidealismus der Frankfurter National¬ versammlung, der zwar ein nützlicher Vorkämpfer des deutschen Reichsgedankeus gewesen ist, diesem aber nicht Leben und Gestalt verleihen konnte, „weil man sich dnrch Hoffnungen und Erinnerungen über den Wert der Gegenwart, durch Ideale über die Bedeutung der Tatsache» täuschen ließ." Es liegt uns fern, Ausnahmegesetzen das Wort zu reden. „Ausnahmen" kann man nicht verewigen, und solche Gesetze an bestimmte Ablauffristen zu knüpfen, hieße den mit dem Sozialistengesetz begangnen Kardinalfehler wiederholen. Nach¬ dem man die Sozialdemokratie vierzehn Jahre lang geduldet und anerkannt hat, wird man heute den Massen den Glauben, daß sie etwas nicht Erlaubtes sei, nicht mehr beibringen können, es sei denn, daß eine tätliche Auflehnung zu einer Unterdrückung nötigte. Was wir brauchen, ist eine Abänderung des Reichswahl¬ rechts und eine Verschärfung des Strafgesetzes gegen sozialdemokratische Aus¬ schreitungen, namentlich den stärkern Schutz Arbeitswilliger. Das Recht auf Arbeit ist jedenfalls das erste aller Menschenrechte und steht höher als jedes Verfassungs- recht. Nun ist aber die Abänderung des Reichswahlrechts, sofern sie durch Gesetz und nicht durch Oktroyierung herbeigeführt werden soll, in der Hauptsache eine Popularitätsfrage. Viele Politiker, die das heutige Reichswahlrecht gern geändert sähen, gehn aus Popularitätsgründen der Sache möglichst aus dem Wege. Einst¬ weilen verschanzt man sich hinter die für die Sozinldemvkrcitie ungünstigen Ergebnisse der Nachwahlen, deren Zahl durch die Wahl Bassermanns in Frankfurt a. O. hoffent¬ lich vermehrt werden wird. Der Bund der Landwirte, der bei der Hauptwahl vielleicht unnötigerweise sein Recht geltend machte, hat diesen Fehler durch ein offnes und entschiednes Ein¬ treten für den nationalliberalen Kandidaten wieder gut gemacht, zugleich beweist das Zusnmmengehn der Nationalliberalen und der beiden konservativen Parteien im preußische:/Landtage bei der Regelung der Schulunterhaltung, daß ein Zu¬ sammenschließen der alten Kartellparteien und damit eine wesentliche Stärkung des Staatsgedankens sehr wohl möglich ist. Hoffentlich bleibt es nicht bei diesem vereinzelten Fall. Wollten diese Parteien die gemeinsamen Interessen mehr in den Vordergrund stellen, die trennenden Gegensätze mehr zurücktreten lassen und namentlich alle unnötigen Kämpfe untereinander vermeiden, so würde dadurch der Staatsgedanke eine große Verstärkung erfahren und die sozialdemokratische Ge- h"hr. wenn auch selbstverständlich nicht beseitigt, so doch in größerm Umfange niedergehalten werden. Aber ein wirkliches Brechen ihrer Herrschaftsbestrebungen wird nur durch Abänderung des Wahlrechts und des Strafrechts sowie durch Revision der sozialpolitischen Gesetzgebung zu erreichen sein, die vor allem die Er¬ haltung der staatlichen Ordnung und die Verhinderung weiterer Massenorganisationen Zur Richtschnur haben muß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/427>, abgerufen am 30.06.2024.