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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Der Mönch von lveinfelden

Gottesfrieden. Keiner der Bauern wagte offen oder heimlich etwas gegen den
Burgherrn zu unternehmen, dem die friedlose Seele des treuen Dieners als
Schutzgeist und Rächer zur Seite gestanden hätte. Das Wild des Waldes und
die Fische der Lieser blieben von den Weinfeldern unbehelligt, und so oft auch
Herr Gyllis das Revier durchstreifen mochte, er bemerkte nichts Verdächtiges.
Desto mehr Sorge machte ihm eine andre Entdeckung. An der Giebelwand des
Burghauses zeigte sich seit der Nacht, die dem Unglücksmorgen vorangegangen war,
ein langer Riß, der vom Dach bis zu den Fundamenten reichte und allem Anschein
nach mit einer Veränderung des Untergrundes zusammenhing. Damit war auch
die Erklärung für die Loslösung des Schwalbennestes gegeben, die den Alten kurz
vor seinem Tode mit so bangen Ahnungen erfüllt hatte. Gyllis stellte im Holz¬
keller von neuem Untersuchungen an und glaubte dabei wahrzunehmen, daß der
Bleiwirtel, den er wie gewöhnlich mit Hilfe einer Ratte durch den Spalt der
Felswand beförderte, in weit kürzerer Zeit als bisher den unterirdischen Wasser¬
spiegel erreichte. Einige Tage später bemerkte er, daß das Wasser im Abzuggraben
des Weihers keine Strömung aufwies, und als er dem Graben folgte, fand er den
Stolleneingang, durch den es sonst nach dem Schalkenmehrener Maar abfloß, mit
Geröll verschüttet. Kein Zweifel: hier waren Menschenhände in freventlicher Absicht
tätig gewesen! Gyllis machte sich daran, die stärksten Lavabrocken wegzuräumen,
und hatte die Genugtuung, zu sehen, wie das Wasser im Graben langsam wieder
zu fließen begann und sich den alten Weg in die Tiefe suchte. Er nahm sich vor,
die Reinigung des Stollens nun mit allem Eifer zu betreiben und von den Hofes¬
leuten, wenn sie auch jetzt noch bei ihrer Weigerung bleiben sollten, mit Hilfe seines
Dauner Vetters zu erzwingen.

Die dreißig Tage gingen zu Ende, und mit ihnen lief der Waffenstillstand
ab. Der Burgherr merkte schon bald darauf aus allerlei Anzeichen, daß die Bauern
den Wild- und Fischdiebstahl wieder aufgenommen hatten. Auch sonst machten sie
aus ihrer Übeln Gesinnung gegen ihn kein Hehl, grüßten ihn nicht mehr und
erdreisteten sich sogar, hinter seinem Rücken Drohungen auszustoßen. Zu einem
offnen tätlichen Augriff auf seine Person schien jedoch keiner den Mut zu haben.

Bisher hatte man noch das Besitzrecht des Burgherrn-an den Fischen des
Weihers respektiert und sich ans den Raubfang in der Lieser beschränkt. Nun fand
Herr Gyllis eines Morgens aber anch in seinem Teich eine Hechtangel, die kunst¬
gerecht mit einem Weißfisch beködert und an einem Weidenstumpf des Ufers befestigt
war. Um den Fischdieb auf frischer Tat zu ertappen, verbarg er sich in der nächsten
Nacht hinter den Schlehenbüschen, die das den Bongert begrenzende Ufer des
Weihers einfaßten. Von hier aus konnte er in guter Deckung den Teich übersehen.

Die Nacht war lau und sternenhell. Kein Laut war zu vernehmen als ab
und zu das klatschende Aufspringen eines Fisches und in der Ferne das klagende
Brüllen einer Kuh, der man das Kalb genommen haben mochte. Die schmale
Sichel des wachsenden Mondes war längst hinter dem Mäuseberg untergegangen,
und im Osten zeigte sich der erste schwache Lichtschein des neuen Tages. Da regte
sichs jenseits des Teiches. Schritte wurden laut und das Geräusch von rollenden
Steinchen, die sich von dem abschüssigen Ufer gelöst hatten und ins Wasser hüpften.
Dann blieb wieder eine Weile alles still. Die Ankömmlinge schienen Umschau zu
halten und sich zu vergewissern, daß die Luft rein sei.

Gyllis hatte die gespannte Armbrust ergriffen und lauschte mit angehaltnem
Atem. Jetzt kamen die Schritte näher, und bald darauf konnte der Burgherr
trotz der Dunkelheit drei Gestalten unterscheiden, die dicht am Wasser dahin-
schlichen. Es waren drei Männer, von denen zwei Armbrüste führten, der dritte
Fischgerät trug. Als sie den Weidenstamm erreicht hatten, woran die Angel be¬
festigt war, legten sie Waffen und Netze aus der Hand und zogen die Leine ein.
Dabei unterhielten sie sich mit leiser Stimme. Allem Anscheine nach hatte ein Hecht
angebissen, denn einer der Männer suchte einen Hamen hervor und kniete am Ufer


Der Mönch von lveinfelden

Gottesfrieden. Keiner der Bauern wagte offen oder heimlich etwas gegen den
Burgherrn zu unternehmen, dem die friedlose Seele des treuen Dieners als
Schutzgeist und Rächer zur Seite gestanden hätte. Das Wild des Waldes und
die Fische der Lieser blieben von den Weinfeldern unbehelligt, und so oft auch
Herr Gyllis das Revier durchstreifen mochte, er bemerkte nichts Verdächtiges.
Desto mehr Sorge machte ihm eine andre Entdeckung. An der Giebelwand des
Burghauses zeigte sich seit der Nacht, die dem Unglücksmorgen vorangegangen war,
ein langer Riß, der vom Dach bis zu den Fundamenten reichte und allem Anschein
nach mit einer Veränderung des Untergrundes zusammenhing. Damit war auch
die Erklärung für die Loslösung des Schwalbennestes gegeben, die den Alten kurz
vor seinem Tode mit so bangen Ahnungen erfüllt hatte. Gyllis stellte im Holz¬
keller von neuem Untersuchungen an und glaubte dabei wahrzunehmen, daß der
Bleiwirtel, den er wie gewöhnlich mit Hilfe einer Ratte durch den Spalt der
Felswand beförderte, in weit kürzerer Zeit als bisher den unterirdischen Wasser¬
spiegel erreichte. Einige Tage später bemerkte er, daß das Wasser im Abzuggraben
des Weihers keine Strömung aufwies, und als er dem Graben folgte, fand er den
Stolleneingang, durch den es sonst nach dem Schalkenmehrener Maar abfloß, mit
Geröll verschüttet. Kein Zweifel: hier waren Menschenhände in freventlicher Absicht
tätig gewesen! Gyllis machte sich daran, die stärksten Lavabrocken wegzuräumen,
und hatte die Genugtuung, zu sehen, wie das Wasser im Graben langsam wieder
zu fließen begann und sich den alten Weg in die Tiefe suchte. Er nahm sich vor,
die Reinigung des Stollens nun mit allem Eifer zu betreiben und von den Hofes¬
leuten, wenn sie auch jetzt noch bei ihrer Weigerung bleiben sollten, mit Hilfe seines
Dauner Vetters zu erzwingen.

Die dreißig Tage gingen zu Ende, und mit ihnen lief der Waffenstillstand
ab. Der Burgherr merkte schon bald darauf aus allerlei Anzeichen, daß die Bauern
den Wild- und Fischdiebstahl wieder aufgenommen hatten. Auch sonst machten sie
aus ihrer Übeln Gesinnung gegen ihn kein Hehl, grüßten ihn nicht mehr und
erdreisteten sich sogar, hinter seinem Rücken Drohungen auszustoßen. Zu einem
offnen tätlichen Augriff auf seine Person schien jedoch keiner den Mut zu haben.

Bisher hatte man noch das Besitzrecht des Burgherrn-an den Fischen des
Weihers respektiert und sich ans den Raubfang in der Lieser beschränkt. Nun fand
Herr Gyllis eines Morgens aber anch in seinem Teich eine Hechtangel, die kunst¬
gerecht mit einem Weißfisch beködert und an einem Weidenstumpf des Ufers befestigt
war. Um den Fischdieb auf frischer Tat zu ertappen, verbarg er sich in der nächsten
Nacht hinter den Schlehenbüschen, die das den Bongert begrenzende Ufer des
Weihers einfaßten. Von hier aus konnte er in guter Deckung den Teich übersehen.

Die Nacht war lau und sternenhell. Kein Laut war zu vernehmen als ab
und zu das klatschende Aufspringen eines Fisches und in der Ferne das klagende
Brüllen einer Kuh, der man das Kalb genommen haben mochte. Die schmale
Sichel des wachsenden Mondes war längst hinter dem Mäuseberg untergegangen,
und im Osten zeigte sich der erste schwache Lichtschein des neuen Tages. Da regte
sichs jenseits des Teiches. Schritte wurden laut und das Geräusch von rollenden
Steinchen, die sich von dem abschüssigen Ufer gelöst hatten und ins Wasser hüpften.
Dann blieb wieder eine Weile alles still. Die Ankömmlinge schienen Umschau zu
halten und sich zu vergewissern, daß die Luft rein sei.

Gyllis hatte die gespannte Armbrust ergriffen und lauschte mit angehaltnem
Atem. Jetzt kamen die Schritte näher, und bald darauf konnte der Burgherr
trotz der Dunkelheit drei Gestalten unterscheiden, die dicht am Wasser dahin-
schlichen. Es waren drei Männer, von denen zwei Armbrüste führten, der dritte
Fischgerät trug. Als sie den Weidenstamm erreicht hatten, woran die Angel be¬
festigt war, legten sie Waffen und Netze aus der Hand und zogen die Leine ein.
Dabei unterhielten sie sich mit leiser Stimme. Allem Anscheine nach hatte ein Hecht
angebissen, denn einer der Männer suchte einen Hamen hervor und kniete am Ufer


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[0418] Der Mönch von lveinfelden Gottesfrieden. Keiner der Bauern wagte offen oder heimlich etwas gegen den Burgherrn zu unternehmen, dem die friedlose Seele des treuen Dieners als Schutzgeist und Rächer zur Seite gestanden hätte. Das Wild des Waldes und die Fische der Lieser blieben von den Weinfeldern unbehelligt, und so oft auch Herr Gyllis das Revier durchstreifen mochte, er bemerkte nichts Verdächtiges. Desto mehr Sorge machte ihm eine andre Entdeckung. An der Giebelwand des Burghauses zeigte sich seit der Nacht, die dem Unglücksmorgen vorangegangen war, ein langer Riß, der vom Dach bis zu den Fundamenten reichte und allem Anschein nach mit einer Veränderung des Untergrundes zusammenhing. Damit war auch die Erklärung für die Loslösung des Schwalbennestes gegeben, die den Alten kurz vor seinem Tode mit so bangen Ahnungen erfüllt hatte. Gyllis stellte im Holz¬ keller von neuem Untersuchungen an und glaubte dabei wahrzunehmen, daß der Bleiwirtel, den er wie gewöhnlich mit Hilfe einer Ratte durch den Spalt der Felswand beförderte, in weit kürzerer Zeit als bisher den unterirdischen Wasser¬ spiegel erreichte. Einige Tage später bemerkte er, daß das Wasser im Abzuggraben des Weihers keine Strömung aufwies, und als er dem Graben folgte, fand er den Stolleneingang, durch den es sonst nach dem Schalkenmehrener Maar abfloß, mit Geröll verschüttet. Kein Zweifel: hier waren Menschenhände in freventlicher Absicht tätig gewesen! Gyllis machte sich daran, die stärksten Lavabrocken wegzuräumen, und hatte die Genugtuung, zu sehen, wie das Wasser im Graben langsam wieder zu fließen begann und sich den alten Weg in die Tiefe suchte. Er nahm sich vor, die Reinigung des Stollens nun mit allem Eifer zu betreiben und von den Hofes¬ leuten, wenn sie auch jetzt noch bei ihrer Weigerung bleiben sollten, mit Hilfe seines Dauner Vetters zu erzwingen. Die dreißig Tage gingen zu Ende, und mit ihnen lief der Waffenstillstand ab. Der Burgherr merkte schon bald darauf aus allerlei Anzeichen, daß die Bauern den Wild- und Fischdiebstahl wieder aufgenommen hatten. Auch sonst machten sie aus ihrer Übeln Gesinnung gegen ihn kein Hehl, grüßten ihn nicht mehr und erdreisteten sich sogar, hinter seinem Rücken Drohungen auszustoßen. Zu einem offnen tätlichen Augriff auf seine Person schien jedoch keiner den Mut zu haben. Bisher hatte man noch das Besitzrecht des Burgherrn-an den Fischen des Weihers respektiert und sich ans den Raubfang in der Lieser beschränkt. Nun fand Herr Gyllis eines Morgens aber anch in seinem Teich eine Hechtangel, die kunst¬ gerecht mit einem Weißfisch beködert und an einem Weidenstumpf des Ufers befestigt war. Um den Fischdieb auf frischer Tat zu ertappen, verbarg er sich in der nächsten Nacht hinter den Schlehenbüschen, die das den Bongert begrenzende Ufer des Weihers einfaßten. Von hier aus konnte er in guter Deckung den Teich übersehen. Die Nacht war lau und sternenhell. Kein Laut war zu vernehmen als ab und zu das klatschende Aufspringen eines Fisches und in der Ferne das klagende Brüllen einer Kuh, der man das Kalb genommen haben mochte. Die schmale Sichel des wachsenden Mondes war längst hinter dem Mäuseberg untergegangen, und im Osten zeigte sich der erste schwache Lichtschein des neuen Tages. Da regte sichs jenseits des Teiches. Schritte wurden laut und das Geräusch von rollenden Steinchen, die sich von dem abschüssigen Ufer gelöst hatten und ins Wasser hüpften. Dann blieb wieder eine Weile alles still. Die Ankömmlinge schienen Umschau zu halten und sich zu vergewissern, daß die Luft rein sei. Gyllis hatte die gespannte Armbrust ergriffen und lauschte mit angehaltnem Atem. Jetzt kamen die Schritte näher, und bald darauf konnte der Burgherr trotz der Dunkelheit drei Gestalten unterscheiden, die dicht am Wasser dahin- schlichen. Es waren drei Männer, von denen zwei Armbrüste führten, der dritte Fischgerät trug. Als sie den Weidenstamm erreicht hatten, woran die Angel be¬ festigt war, legten sie Waffen und Netze aus der Hand und zogen die Leine ein. Dabei unterhielten sie sich mit leiser Stimme. Allem Anscheine nach hatte ein Hecht angebissen, denn einer der Männer suchte einen Hamen hervor und kniete am Ufer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/418>, abgerufen am 04.07.2024.