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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Rindersparkasse

wo ich dieses niederschreibe, beträgt der Kasseubestcmd 13257 Mark und
72 Pfennige.

Natürlich werden wir nicht immer gleich stark in Anspruch genommen. Es
hat schon Zeiten gegeben, wo die Flut etwas beängstigendes hatte, und andre,
wo eine nahende Ebbe drohte. Daß die Bewegung aber niemals ganz ruhte,
möge man daraus ersehen, daß im letzten Halbjahr, dem flciuesten, das wir
bis jetzt verzeichnet haben, also vom 1. Januar bis zum 1. Juli 1903, ein¬
gelegt wurden: auf zweihundertundzehn Sparhefte 1805 Mark, abgehoben auf
dreißig Hefte 1340 Mark. Die Kündigung größerer Summen ist der Ver¬
waltung immer sehr willkommen. Weshalb? Nun, weil wir, bei einem Be¬
züge von 31/2 Prozent, doch lebhaft wünschen, unsern Klienten aus eigner
Kraft 4 Prozent zuwenden zu können. Das läßt sich aber nur erzwingen,
wenn die kleine Einlage stark überwiegt. Denn zehn Kinder mit allwöchentlich
zehn Pfennigen haben am Ende des Monats vier Mark gespart, die uns ver¬
zinst werden, während wir in solchem Falle erst für die volle Mark des
einzelnen Sparers, also frühestens nach zehn Wochen, zinspflichtig sind.
Bleiben demnach zehn, fünfzig, hundert Mark Jahr um Jahr stehn, so be¬
deutet das ein schlechtes Geschüft.

Es sind ja alles kleine Zahlen, von denen hier die Rede ist, und kleine
Verhältnisse; aber kleine Zahlen können in kleinen Verhältnissen von großer
Bedeutung sein. Die zusammengetragnett Pfennige, sonst vielleicht für un¬
gesunde Näscherei, für Tändelei, für ein Nichts verflogen, sind schon manchem
Kinde zum Segen und mancher Familie ein wahrer Helfer in der Not ge¬
worden. Und dazu kommt die hohe moralische Bedeutung dieser Selbsthilfe.

Auch sonst legen wir auf den erzieherischen Einfluß unsrer Kasse be¬
sondres Gewicht. Wir hoffen, daß das Kind, das sieht, wie sich das Kupfer
gleichsam in Nickel oder in Silber verwandelt, auch erwachsen die Sparsam¬
keit nicht als die herbe, verachtete, von den Genossen geschmähte, sondern als
die glückbringende Tugend betrachtet, zu der es das Verhältnis niemals ganz
lösen wird.

Wir wünschen, unsrer Jugend die Wahrheit so recht ins Herz zu prägen,
daß Fleiß und Ordnung nicht nur Brot bringen, sondern daß auch der Ar¬
beiter in seiner oft so schweren und anstrengenden Tätigkeit, sogar in unter¬
geordneter Stellung, doch ein wichtigeres, stärkeres und deshalb geschätzteres
Glied der großen Menschenkette ist, als der Bursche, der im bessern Rock
müßig durch die Straßen schlendert, weil ihm das Geld mühelos in den Schoß
gefallen ist.

Und wenn dazu die Ansicht auf Wahrheit beruht, daß von unsern stän¬
digen Klienten schwerlich einer der sozialdemokratischen Verhetzung, dem wüsten
Klassenhaß verfallen wird, so freuen wir uns, in bescheidner Weise freilich,
an dem großen sozialen Werk mitarbeiten zu dürfen.




Rindersparkasse

wo ich dieses niederschreibe, beträgt der Kasseubestcmd 13257 Mark und
72 Pfennige.

Natürlich werden wir nicht immer gleich stark in Anspruch genommen. Es
hat schon Zeiten gegeben, wo die Flut etwas beängstigendes hatte, und andre,
wo eine nahende Ebbe drohte. Daß die Bewegung aber niemals ganz ruhte,
möge man daraus ersehen, daß im letzten Halbjahr, dem flciuesten, das wir
bis jetzt verzeichnet haben, also vom 1. Januar bis zum 1. Juli 1903, ein¬
gelegt wurden: auf zweihundertundzehn Sparhefte 1805 Mark, abgehoben auf
dreißig Hefte 1340 Mark. Die Kündigung größerer Summen ist der Ver¬
waltung immer sehr willkommen. Weshalb? Nun, weil wir, bei einem Be¬
züge von 31/2 Prozent, doch lebhaft wünschen, unsern Klienten aus eigner
Kraft 4 Prozent zuwenden zu können. Das läßt sich aber nur erzwingen,
wenn die kleine Einlage stark überwiegt. Denn zehn Kinder mit allwöchentlich
zehn Pfennigen haben am Ende des Monats vier Mark gespart, die uns ver¬
zinst werden, während wir in solchem Falle erst für die volle Mark des
einzelnen Sparers, also frühestens nach zehn Wochen, zinspflichtig sind.
Bleiben demnach zehn, fünfzig, hundert Mark Jahr um Jahr stehn, so be¬
deutet das ein schlechtes Geschüft.

Es sind ja alles kleine Zahlen, von denen hier die Rede ist, und kleine
Verhältnisse; aber kleine Zahlen können in kleinen Verhältnissen von großer
Bedeutung sein. Die zusammengetragnett Pfennige, sonst vielleicht für un¬
gesunde Näscherei, für Tändelei, für ein Nichts verflogen, sind schon manchem
Kinde zum Segen und mancher Familie ein wahrer Helfer in der Not ge¬
worden. Und dazu kommt die hohe moralische Bedeutung dieser Selbsthilfe.

Auch sonst legen wir auf den erzieherischen Einfluß unsrer Kasse be¬
sondres Gewicht. Wir hoffen, daß das Kind, das sieht, wie sich das Kupfer
gleichsam in Nickel oder in Silber verwandelt, auch erwachsen die Sparsam¬
keit nicht als die herbe, verachtete, von den Genossen geschmähte, sondern als
die glückbringende Tugend betrachtet, zu der es das Verhältnis niemals ganz
lösen wird.

Wir wünschen, unsrer Jugend die Wahrheit so recht ins Herz zu prägen,
daß Fleiß und Ordnung nicht nur Brot bringen, sondern daß auch der Ar¬
beiter in seiner oft so schweren und anstrengenden Tätigkeit, sogar in unter¬
geordneter Stellung, doch ein wichtigeres, stärkeres und deshalb geschätzteres
Glied der großen Menschenkette ist, als der Bursche, der im bessern Rock
müßig durch die Straßen schlendert, weil ihm das Geld mühelos in den Schoß
gefallen ist.

Und wenn dazu die Ansicht auf Wahrheit beruht, daß von unsern stän¬
digen Klienten schwerlich einer der sozialdemokratischen Verhetzung, dem wüsten
Klassenhaß verfallen wird, so freuen wir uns, in bescheidner Weise freilich,
an dem großen sozialen Werk mitarbeiten zu dürfen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/387>, abgerufen am 30.06.2024.