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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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(Lhristus und die Gegenwart
I. Schiller Religiös" Gedankensplitter von
(Schluß)

DMM
iMH!aß die Kirche zur Pflege des religiösen Lebens nicht unbedingt
notwendig ist, das zeigt ihr Anfangsstadium. Das Christentum
war vorhanden und wirksam längst, ehe es eine Kirche gab.
Warum soll es denn nicht ohne Kirche weiterbestehn können?
> Wenn Dreydorff freilich an die Stelle der Kirche die von keiner
geistlichen und weltlichen Herrschaft abhängigen Gemeinden wünscht, deren
Vertreter sich hin und wieder versammeln könnten, um sich, im Austausch der
Meinungen und Erfahrungen, über religiöse Angelegenheiten zu beraten, so
erscheint es uns doch recht fraglich, ob das religiöse Leben bei einer solchen
Einrichtung besonders blühen und gedeihen würde. Wenn auch die Christen
bis um die Mitte des zweiten Jahrhunderts keine eigentliche Kirche kannten,
wenn auch die Gemeinden zu Rom, Korinth, Philippi und anderwärts frei
und selbständig nebeneinander standen, wenn es heute noch Gemeinden gibt,
die sich daran genügen lassen müssen -- so ganz ohne Verfassung waren doch
eben auch die ersten Gemeinden nicht. Wir finden dort schon Älteste, Aufseher
und andre Vertreter kirchlicher Obrigkeit. Ein plötzlicher Übergang der Kirche
in unabhängige Gemeinden brächte wieder andre und vielleicht noch größere
Gefahren mit sich.

Das Bild einer geistlich-sittlichen Republik hat etwas bestechendes. Aber
die Auflösung der Kirche in eine solche ist darum noch lange nicht wünschens¬
wert noch ein erstrebenswertes Gut für heute. Früher oder später wird sich
ja doch die Kirche auf ihre eignen Füße stellen müssen und den Staats¬
verband verlassen. Dann wird auch ihr äußeres Gewand vertauscht werden
müssen. Gerade in unsern Tagen fehlt es nicht an Zeichen aller Art, daß
Kirche und Staat mehr und mehr auseinander treten, und daß die ganze Ent¬
wicklung der Kirche auf Isolierung hindrängt. Die Gemeinde Gottes wird
durch ihre Verquickung mit dem Staat oft genug in ihren heiligsten Inter¬
essen geschädigt. Aber es gilt auch hier: Verdirb nicht, worin der Herr hat
einen Segen ruhen lassen! Halt es nicht mit solchen, die erfüllt von falschen
Freiheitsgelüsten sich dir als Gehilfen bei dein Trennungswerk anbieten! Ab¬
warten, stille sein und harren, so ist der Rat der Schrift, so das Vorbild der
Apostel.

Danach müssen sich auch die richten, die von Amts wegen darüber be¬
finden sollen, ob es statthaft ist, Geistliche freierer Richtung in ihren Stellungen
zu lasse", oder ob es das Wohl der Kirche erheischt, sie zu entfernen.




(Lhristus und die Gegenwart
I. Schiller Religiös» Gedankensplitter von
(Schluß)

DMM
iMH!aß die Kirche zur Pflege des religiösen Lebens nicht unbedingt
notwendig ist, das zeigt ihr Anfangsstadium. Das Christentum
war vorhanden und wirksam längst, ehe es eine Kirche gab.
Warum soll es denn nicht ohne Kirche weiterbestehn können?
> Wenn Dreydorff freilich an die Stelle der Kirche die von keiner
geistlichen und weltlichen Herrschaft abhängigen Gemeinden wünscht, deren
Vertreter sich hin und wieder versammeln könnten, um sich, im Austausch der
Meinungen und Erfahrungen, über religiöse Angelegenheiten zu beraten, so
erscheint es uns doch recht fraglich, ob das religiöse Leben bei einer solchen
Einrichtung besonders blühen und gedeihen würde. Wenn auch die Christen
bis um die Mitte des zweiten Jahrhunderts keine eigentliche Kirche kannten,
wenn auch die Gemeinden zu Rom, Korinth, Philippi und anderwärts frei
und selbständig nebeneinander standen, wenn es heute noch Gemeinden gibt,
die sich daran genügen lassen müssen — so ganz ohne Verfassung waren doch
eben auch die ersten Gemeinden nicht. Wir finden dort schon Älteste, Aufseher
und andre Vertreter kirchlicher Obrigkeit. Ein plötzlicher Übergang der Kirche
in unabhängige Gemeinden brächte wieder andre und vielleicht noch größere
Gefahren mit sich.

Das Bild einer geistlich-sittlichen Republik hat etwas bestechendes. Aber
die Auflösung der Kirche in eine solche ist darum noch lange nicht wünschens¬
wert noch ein erstrebenswertes Gut für heute. Früher oder später wird sich
ja doch die Kirche auf ihre eignen Füße stellen müssen und den Staats¬
verband verlassen. Dann wird auch ihr äußeres Gewand vertauscht werden
müssen. Gerade in unsern Tagen fehlt es nicht an Zeichen aller Art, daß
Kirche und Staat mehr und mehr auseinander treten, und daß die ganze Ent¬
wicklung der Kirche auf Isolierung hindrängt. Die Gemeinde Gottes wird
durch ihre Verquickung mit dem Staat oft genug in ihren heiligsten Inter¬
essen geschädigt. Aber es gilt auch hier: Verdirb nicht, worin der Herr hat
einen Segen ruhen lassen! Halt es nicht mit solchen, die erfüllt von falschen
Freiheitsgelüsten sich dir als Gehilfen bei dein Trennungswerk anbieten! Ab¬
warten, stille sein und harren, so ist der Rat der Schrift, so das Vorbild der
Apostel.

Danach müssen sich auch die richten, die von Amts wegen darüber be¬
finden sollen, ob es statthaft ist, Geistliche freierer Richtung in ihren Stellungen
zu lasse», oder ob es das Wohl der Kirche erheischt, sie zu entfernen.


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[0328] [Abbildung] (Lhristus und die Gegenwart I. Schiller Religiös» Gedankensplitter von (Schluß) DMM iMH!aß die Kirche zur Pflege des religiösen Lebens nicht unbedingt notwendig ist, das zeigt ihr Anfangsstadium. Das Christentum war vorhanden und wirksam längst, ehe es eine Kirche gab. Warum soll es denn nicht ohne Kirche weiterbestehn können? > Wenn Dreydorff freilich an die Stelle der Kirche die von keiner geistlichen und weltlichen Herrschaft abhängigen Gemeinden wünscht, deren Vertreter sich hin und wieder versammeln könnten, um sich, im Austausch der Meinungen und Erfahrungen, über religiöse Angelegenheiten zu beraten, so erscheint es uns doch recht fraglich, ob das religiöse Leben bei einer solchen Einrichtung besonders blühen und gedeihen würde. Wenn auch die Christen bis um die Mitte des zweiten Jahrhunderts keine eigentliche Kirche kannten, wenn auch die Gemeinden zu Rom, Korinth, Philippi und anderwärts frei und selbständig nebeneinander standen, wenn es heute noch Gemeinden gibt, die sich daran genügen lassen müssen — so ganz ohne Verfassung waren doch eben auch die ersten Gemeinden nicht. Wir finden dort schon Älteste, Aufseher und andre Vertreter kirchlicher Obrigkeit. Ein plötzlicher Übergang der Kirche in unabhängige Gemeinden brächte wieder andre und vielleicht noch größere Gefahren mit sich. Das Bild einer geistlich-sittlichen Republik hat etwas bestechendes. Aber die Auflösung der Kirche in eine solche ist darum noch lange nicht wünschens¬ wert noch ein erstrebenswertes Gut für heute. Früher oder später wird sich ja doch die Kirche auf ihre eignen Füße stellen müssen und den Staats¬ verband verlassen. Dann wird auch ihr äußeres Gewand vertauscht werden müssen. Gerade in unsern Tagen fehlt es nicht an Zeichen aller Art, daß Kirche und Staat mehr und mehr auseinander treten, und daß die ganze Ent¬ wicklung der Kirche auf Isolierung hindrängt. Die Gemeinde Gottes wird durch ihre Verquickung mit dem Staat oft genug in ihren heiligsten Inter¬ essen geschädigt. Aber es gilt auch hier: Verdirb nicht, worin der Herr hat einen Segen ruhen lassen! Halt es nicht mit solchen, die erfüllt von falschen Freiheitsgelüsten sich dir als Gehilfen bei dein Trennungswerk anbieten! Ab¬ warten, stille sein und harren, so ist der Rat der Schrift, so das Vorbild der Apostel. Danach müssen sich auch die richten, die von Amts wegen darüber be¬ finden sollen, ob es statthaft ist, Geistliche freierer Richtung in ihren Stellungen zu lasse», oder ob es das Wohl der Kirche erheischt, sie zu entfernen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/328>, abgerufen am 04.07.2024.