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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Johann Friedrich Reichardt

religiösen und die politischen Ideale der Romantik trotz aller nahen Be¬
ziehungen zu ihren Vertretern in sich aufgenommen hat. Aber eins hat er
mit der Romantik gemein: die entschlossene Rückkehr zum Vaterländischen, die
ernste, nationale Gesinnung. In einer Zeit, wo man den Berliner Gebildeten
mit Recht Lauheit für die Interessen des Vaterlands, franzosenfreundliche und
napoleonische Gesinnung vorwarf, in dem kritischen Jahre vor dem Zusammen¬
bruche bei Jena, wo ein unbefangner Beobachter einmal zweifelt,") ob er in
Berlin fünf Gegner Napoleons auffinden könne, hat Reichardt stolz und kühn
dem Korsen sein Spiegelbild vorgehalten. Und während der angesehene Ber¬
liner Schriftsteller Friedrich Buchholz in seinen geistreich schillernden Schriften,
wie dem Neuen Leviathan, Napoleon als den Vollender des aufgeklärten Ab¬
solutismus vergötterte und in seiner Universalherrschaft die Rettung Europas
von der britischen Knechtschaft sah, während er seinen Freunden verkündigte,
die Idee Preußen müsse zum Heile der Welt untergehn, und seine zahlreichen
Anhänger dieses Evangelium begierig verbreiteten und den preußischen Staat
mit giftigen Schmähungen überhäuften, schrieb Reichardt seine Flugschriften
gegen Napoleon, folgte nach der Katastrophe dem Königspaare nach Ost-
Preußen und bekundete auch als gezwungen westfälischer Untertan offen seine
Anhänglichkeit an das Hans der Hohenzollern. So ist er unter den Literaten,
die in schwerster Zeit dem preußischen Staate Treue gehalten und die Ehre
Berlins gerettet haben, als der erste zu nennen.

Ein Mann, der so vielseitig auf dem Gebiete der Kunst, der Literatur,
der Politik tütig gewesen ist und unserm Volke eine bessere Zukunft hat vor¬
bereiten helfen, verdient es nicht, von den Enkeln ganz vergessen zu werden.
Und so will ich versuchen, aus weit verstreuten, gedruckten und handschrift¬
lichen Quellen ein Bild des merkwürdigen Mannes zu zeichnen.




Johann Friedrich Reichardt ist am 25. November 1752 in Königsberg
in Preußen als der Sohn eines aus Rheinhessen stammenden talentvollen
Musikers geboren. Der Vater war schon als Knabe mit dem Grafen Truchseß
von Waldburg und in dessen Diensten nach Preußen gekommen, hatte trotz
aller Hindernisse in der Lehre bei dem Königsberger Stadtmusikus das musi¬
kalische Handwerk gelernt und sich eifrig weiter gebildet. Seine Gattin wurde
ein ehemaliges Kammermädchen der Schwester seines Herrn und Beschützers,
der Gräfin Kaiserling, eine schlichte und sanfte Frau von tiefer herrnhutisch
gefärbter Frömmigkeit und echter Herzensreinheit. Vater und Mutter er¬
scheinen so in enger Verbindung mit einer aristokratischen Familie, die die
Musik sehr liebte und pflegte, und auch der heranwachsende talentvolle Knabe
wurde wegen seiner reichen musikalischen Gaben bald in das glanzvolle Leben
im gräflichen Hause Kaiserling eingeführt, wo er das verzärtelte Schoßkind
der Gräfin war und sich schon früh in der großen Welt frei und ungezwungen



*) Hauptmann von Luck an Joh. von Müller (1805) in den Beiträgen zur vater¬
ländischen Geschichte, herausgegeben vom Historisch-antiquarischen Verein des Kantons Schaff¬
hausen. 6. Heft. Schaffhausen, 1894.
Johann Friedrich Reichardt

religiösen und die politischen Ideale der Romantik trotz aller nahen Be¬
ziehungen zu ihren Vertretern in sich aufgenommen hat. Aber eins hat er
mit der Romantik gemein: die entschlossene Rückkehr zum Vaterländischen, die
ernste, nationale Gesinnung. In einer Zeit, wo man den Berliner Gebildeten
mit Recht Lauheit für die Interessen des Vaterlands, franzosenfreundliche und
napoleonische Gesinnung vorwarf, in dem kritischen Jahre vor dem Zusammen¬
bruche bei Jena, wo ein unbefangner Beobachter einmal zweifelt,") ob er in
Berlin fünf Gegner Napoleons auffinden könne, hat Reichardt stolz und kühn
dem Korsen sein Spiegelbild vorgehalten. Und während der angesehene Ber¬
liner Schriftsteller Friedrich Buchholz in seinen geistreich schillernden Schriften,
wie dem Neuen Leviathan, Napoleon als den Vollender des aufgeklärten Ab¬
solutismus vergötterte und in seiner Universalherrschaft die Rettung Europas
von der britischen Knechtschaft sah, während er seinen Freunden verkündigte,
die Idee Preußen müsse zum Heile der Welt untergehn, und seine zahlreichen
Anhänger dieses Evangelium begierig verbreiteten und den preußischen Staat
mit giftigen Schmähungen überhäuften, schrieb Reichardt seine Flugschriften
gegen Napoleon, folgte nach der Katastrophe dem Königspaare nach Ost-
Preußen und bekundete auch als gezwungen westfälischer Untertan offen seine
Anhänglichkeit an das Hans der Hohenzollern. So ist er unter den Literaten,
die in schwerster Zeit dem preußischen Staate Treue gehalten und die Ehre
Berlins gerettet haben, als der erste zu nennen.

Ein Mann, der so vielseitig auf dem Gebiete der Kunst, der Literatur,
der Politik tütig gewesen ist und unserm Volke eine bessere Zukunft hat vor¬
bereiten helfen, verdient es nicht, von den Enkeln ganz vergessen zu werden.
Und so will ich versuchen, aus weit verstreuten, gedruckten und handschrift¬
lichen Quellen ein Bild des merkwürdigen Mannes zu zeichnen.




Johann Friedrich Reichardt ist am 25. November 1752 in Königsberg
in Preußen als der Sohn eines aus Rheinhessen stammenden talentvollen
Musikers geboren. Der Vater war schon als Knabe mit dem Grafen Truchseß
von Waldburg und in dessen Diensten nach Preußen gekommen, hatte trotz
aller Hindernisse in der Lehre bei dem Königsberger Stadtmusikus das musi¬
kalische Handwerk gelernt und sich eifrig weiter gebildet. Seine Gattin wurde
ein ehemaliges Kammermädchen der Schwester seines Herrn und Beschützers,
der Gräfin Kaiserling, eine schlichte und sanfte Frau von tiefer herrnhutisch
gefärbter Frömmigkeit und echter Herzensreinheit. Vater und Mutter er¬
scheinen so in enger Verbindung mit einer aristokratischen Familie, die die
Musik sehr liebte und pflegte, und auch der heranwachsende talentvolle Knabe
wurde wegen seiner reichen musikalischen Gaben bald in das glanzvolle Leben
im gräflichen Hause Kaiserling eingeführt, wo er das verzärtelte Schoßkind
der Gräfin war und sich schon früh in der großen Welt frei und ungezwungen



*) Hauptmann von Luck an Joh. von Müller (1805) in den Beiträgen zur vater¬
ländischen Geschichte, herausgegeben vom Historisch-antiquarischen Verein des Kantons Schaff¬
hausen. 6. Heft. Schaffhausen, 1894.
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[0031] Johann Friedrich Reichardt religiösen und die politischen Ideale der Romantik trotz aller nahen Be¬ ziehungen zu ihren Vertretern in sich aufgenommen hat. Aber eins hat er mit der Romantik gemein: die entschlossene Rückkehr zum Vaterländischen, die ernste, nationale Gesinnung. In einer Zeit, wo man den Berliner Gebildeten mit Recht Lauheit für die Interessen des Vaterlands, franzosenfreundliche und napoleonische Gesinnung vorwarf, in dem kritischen Jahre vor dem Zusammen¬ bruche bei Jena, wo ein unbefangner Beobachter einmal zweifelt,") ob er in Berlin fünf Gegner Napoleons auffinden könne, hat Reichardt stolz und kühn dem Korsen sein Spiegelbild vorgehalten. Und während der angesehene Ber¬ liner Schriftsteller Friedrich Buchholz in seinen geistreich schillernden Schriften, wie dem Neuen Leviathan, Napoleon als den Vollender des aufgeklärten Ab¬ solutismus vergötterte und in seiner Universalherrschaft die Rettung Europas von der britischen Knechtschaft sah, während er seinen Freunden verkündigte, die Idee Preußen müsse zum Heile der Welt untergehn, und seine zahlreichen Anhänger dieses Evangelium begierig verbreiteten und den preußischen Staat mit giftigen Schmähungen überhäuften, schrieb Reichardt seine Flugschriften gegen Napoleon, folgte nach der Katastrophe dem Königspaare nach Ost- Preußen und bekundete auch als gezwungen westfälischer Untertan offen seine Anhänglichkeit an das Hans der Hohenzollern. So ist er unter den Literaten, die in schwerster Zeit dem preußischen Staate Treue gehalten und die Ehre Berlins gerettet haben, als der erste zu nennen. Ein Mann, der so vielseitig auf dem Gebiete der Kunst, der Literatur, der Politik tütig gewesen ist und unserm Volke eine bessere Zukunft hat vor¬ bereiten helfen, verdient es nicht, von den Enkeln ganz vergessen zu werden. Und so will ich versuchen, aus weit verstreuten, gedruckten und handschrift¬ lichen Quellen ein Bild des merkwürdigen Mannes zu zeichnen. Johann Friedrich Reichardt ist am 25. November 1752 in Königsberg in Preußen als der Sohn eines aus Rheinhessen stammenden talentvollen Musikers geboren. Der Vater war schon als Knabe mit dem Grafen Truchseß von Waldburg und in dessen Diensten nach Preußen gekommen, hatte trotz aller Hindernisse in der Lehre bei dem Königsberger Stadtmusikus das musi¬ kalische Handwerk gelernt und sich eifrig weiter gebildet. Seine Gattin wurde ein ehemaliges Kammermädchen der Schwester seines Herrn und Beschützers, der Gräfin Kaiserling, eine schlichte und sanfte Frau von tiefer herrnhutisch gefärbter Frömmigkeit und echter Herzensreinheit. Vater und Mutter er¬ scheinen so in enger Verbindung mit einer aristokratischen Familie, die die Musik sehr liebte und pflegte, und auch der heranwachsende talentvolle Knabe wurde wegen seiner reichen musikalischen Gaben bald in das glanzvolle Leben im gräflichen Hause Kaiserling eingeführt, wo er das verzärtelte Schoßkind der Gräfin war und sich schon früh in der großen Welt frei und ungezwungen *) Hauptmann von Luck an Joh. von Müller (1805) in den Beiträgen zur vater¬ ländischen Geschichte, herausgegeben vom Historisch-antiquarischen Verein des Kantons Schaff¬ hausen. 6. Heft. Schaffhausen, 1894.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/31>, abgerufen am 25.07.2024.