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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Aleist und Notiere

Über die Religion lehrt, wenn er sagt: ". . . um des Weltgcists Leben in sich
aufzunehmen, und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit
gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und dnrch Liebe." Auch das
Motiv von der freien Wahl des Mittlers klingt an:


Soll ich zur weißen Wand des Marmors beten?
Ich brauche Züge nun, um ihn zu denken.

Nicht sehr begründet ist der immer Mieder erhobne Vorwurf, der Dichter
habe in seinem Werke Christliches und Heidnisches stillos durcheinander gemengt,
er habe das Mysterium von der unbefleckten Empfängnis im Gewände der alten
Fabel darstellen wollen. So liegt die Sache keinesfalls. Gewisse Beziehungen
bestehn ja zwischen dem christlichen und dem heidnischen Mythos, die beide ein
Symbol sind für die Menschwerdung des Göttlichen. Diese Beziehungen sind
schon vor Kleist gesehen und verwertet worden. Daß auch er sie gesehen und
seinen Hörern hat zum Bewußtsein bringen wollen, ist sicher; aber nirgend sind
sie von ihm verstärkt worden, noch auch läßt sich die Absicht nachweisen, daß
er den alten Mythos "zur Höhe einer christlichen Legende" habe "steigern"
wollen. Das eigentlich Christliche an dem Mysterium ist doch seine völlige
Unsinnlichkeit. Jeder Versuch einer sinnlichen Darstellung, oder gar einer sinnen-
frendigen, hätte nur das Christliche daran zerstören können. Nein, Kleist hat
mit voller Absichtlichkeit alles eigentlich Christliche vermieden. Die Reinheit
von Alkmcnens Empfinden war die notwendige Voraussetzung seines Problems.
Sie ist darin genau so christlich wie Goethes Iphigenie. Wenn Treitschke im
Tone des Vorwurfs äußert, Kleist habe sich erkühnt, der alten Heidenfabel
ihren religiösen Inhalt wiederzugeben, dann scheint er zu vergessen, daß das
für Kleist und seine Zeit kaum ein Erkühnen genannt werden kann. Hatte sie
doch Schleiermacher gelehrt, den Begriff der Religion von der Religionsform
ganz zu trennen, nur das allen Religionen Gemeinsame als Religion gelten zu
lassen. Gerade im Amphitryon liegt der Versuch vor, solche reine Religion zur
Darstellung zu bringen, denn Kleist hat aus einer polytheistischen und einer
monotheistischen Religion nur beiden gemeinsame Züge entnommen. Sogar
pantheistische Anklänge finden sich. Aber das alles nicht in stilwidriger Ver¬
mengung, sondern mit sorgfältiger Auswahl des Allgemeingiltigen. Sieht man
von einigen der Bibel entlehnten Wendungen ab, die mehr volkstümlich als
christlich klingen, so findet sich nichts, was als eigentlich christlich bezeichnet
werden könnte. Ebenso sind heidnisch nur die Götternamen und die Fabel.
Alles im eigentlichen Sinne Religiöse erscheint in der unbestimmten Empfin¬
dungsform, die Schleiermacher das Gefühl für das Unendliche nennt. Mir
scheint es ganz unzweifelhaft, daß wir es hier mit einer unmittelbaren oder
mittelbaren Nachwirkung der Reden über die Religion zu tun haben. Jeden¬
falls wird man den Amphitryon trotz seiner klassischen Vorlage und seines
antiken Grundmotivs das romantischste von allen Dramen Kleists nennen müssen.
Das Käthchen von Heilbronn mag äußerlich mehr Romantik an sich tragen,
der Amphitryon hat eine romantische Seele.

Aus MoliereZ satirischer Situationskomik entwickelt sich also bei Kleist ein
religiös-psychologisches Drama. Die äußere Ähnlichkeit und die übereinstimmende


Aleist und Notiere

Über die Religion lehrt, wenn er sagt: „. . . um des Weltgcists Leben in sich
aufzunehmen, und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit
gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und dnrch Liebe." Auch das
Motiv von der freien Wahl des Mittlers klingt an:


Soll ich zur weißen Wand des Marmors beten?
Ich brauche Züge nun, um ihn zu denken.

Nicht sehr begründet ist der immer Mieder erhobne Vorwurf, der Dichter
habe in seinem Werke Christliches und Heidnisches stillos durcheinander gemengt,
er habe das Mysterium von der unbefleckten Empfängnis im Gewände der alten
Fabel darstellen wollen. So liegt die Sache keinesfalls. Gewisse Beziehungen
bestehn ja zwischen dem christlichen und dem heidnischen Mythos, die beide ein
Symbol sind für die Menschwerdung des Göttlichen. Diese Beziehungen sind
schon vor Kleist gesehen und verwertet worden. Daß auch er sie gesehen und
seinen Hörern hat zum Bewußtsein bringen wollen, ist sicher; aber nirgend sind
sie von ihm verstärkt worden, noch auch läßt sich die Absicht nachweisen, daß
er den alten Mythos „zur Höhe einer christlichen Legende" habe „steigern"
wollen. Das eigentlich Christliche an dem Mysterium ist doch seine völlige
Unsinnlichkeit. Jeder Versuch einer sinnlichen Darstellung, oder gar einer sinnen-
frendigen, hätte nur das Christliche daran zerstören können. Nein, Kleist hat
mit voller Absichtlichkeit alles eigentlich Christliche vermieden. Die Reinheit
von Alkmcnens Empfinden war die notwendige Voraussetzung seines Problems.
Sie ist darin genau so christlich wie Goethes Iphigenie. Wenn Treitschke im
Tone des Vorwurfs äußert, Kleist habe sich erkühnt, der alten Heidenfabel
ihren religiösen Inhalt wiederzugeben, dann scheint er zu vergessen, daß das
für Kleist und seine Zeit kaum ein Erkühnen genannt werden kann. Hatte sie
doch Schleiermacher gelehrt, den Begriff der Religion von der Religionsform
ganz zu trennen, nur das allen Religionen Gemeinsame als Religion gelten zu
lassen. Gerade im Amphitryon liegt der Versuch vor, solche reine Religion zur
Darstellung zu bringen, denn Kleist hat aus einer polytheistischen und einer
monotheistischen Religion nur beiden gemeinsame Züge entnommen. Sogar
pantheistische Anklänge finden sich. Aber das alles nicht in stilwidriger Ver¬
mengung, sondern mit sorgfältiger Auswahl des Allgemeingiltigen. Sieht man
von einigen der Bibel entlehnten Wendungen ab, die mehr volkstümlich als
christlich klingen, so findet sich nichts, was als eigentlich christlich bezeichnet
werden könnte. Ebenso sind heidnisch nur die Götternamen und die Fabel.
Alles im eigentlichen Sinne Religiöse erscheint in der unbestimmten Empfin¬
dungsform, die Schleiermacher das Gefühl für das Unendliche nennt. Mir
scheint es ganz unzweifelhaft, daß wir es hier mit einer unmittelbaren oder
mittelbaren Nachwirkung der Reden über die Religion zu tun haben. Jeden¬
falls wird man den Amphitryon trotz seiner klassischen Vorlage und seines
antiken Grundmotivs das romantischste von allen Dramen Kleists nennen müssen.
Das Käthchen von Heilbronn mag äußerlich mehr Romantik an sich tragen,
der Amphitryon hat eine romantische Seele.

Aus MoliereZ satirischer Situationskomik entwickelt sich also bei Kleist ein
religiös-psychologisches Drama. Die äußere Ähnlichkeit und die übereinstimmende


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[0286] Aleist und Notiere Über die Religion lehrt, wenn er sagt: „. . . um des Weltgcists Leben in sich aufzunehmen, und um Religion zu haben, muß der Mensch erst die Menschheit gefunden haben, und er findet sie nur in Liebe und dnrch Liebe." Auch das Motiv von der freien Wahl des Mittlers klingt an: Soll ich zur weißen Wand des Marmors beten? Ich brauche Züge nun, um ihn zu denken. Nicht sehr begründet ist der immer Mieder erhobne Vorwurf, der Dichter habe in seinem Werke Christliches und Heidnisches stillos durcheinander gemengt, er habe das Mysterium von der unbefleckten Empfängnis im Gewände der alten Fabel darstellen wollen. So liegt die Sache keinesfalls. Gewisse Beziehungen bestehn ja zwischen dem christlichen und dem heidnischen Mythos, die beide ein Symbol sind für die Menschwerdung des Göttlichen. Diese Beziehungen sind schon vor Kleist gesehen und verwertet worden. Daß auch er sie gesehen und seinen Hörern hat zum Bewußtsein bringen wollen, ist sicher; aber nirgend sind sie von ihm verstärkt worden, noch auch läßt sich die Absicht nachweisen, daß er den alten Mythos „zur Höhe einer christlichen Legende" habe „steigern" wollen. Das eigentlich Christliche an dem Mysterium ist doch seine völlige Unsinnlichkeit. Jeder Versuch einer sinnlichen Darstellung, oder gar einer sinnen- frendigen, hätte nur das Christliche daran zerstören können. Nein, Kleist hat mit voller Absichtlichkeit alles eigentlich Christliche vermieden. Die Reinheit von Alkmcnens Empfinden war die notwendige Voraussetzung seines Problems. Sie ist darin genau so christlich wie Goethes Iphigenie. Wenn Treitschke im Tone des Vorwurfs äußert, Kleist habe sich erkühnt, der alten Heidenfabel ihren religiösen Inhalt wiederzugeben, dann scheint er zu vergessen, daß das für Kleist und seine Zeit kaum ein Erkühnen genannt werden kann. Hatte sie doch Schleiermacher gelehrt, den Begriff der Religion von der Religionsform ganz zu trennen, nur das allen Religionen Gemeinsame als Religion gelten zu lassen. Gerade im Amphitryon liegt der Versuch vor, solche reine Religion zur Darstellung zu bringen, denn Kleist hat aus einer polytheistischen und einer monotheistischen Religion nur beiden gemeinsame Züge entnommen. Sogar pantheistische Anklänge finden sich. Aber das alles nicht in stilwidriger Ver¬ mengung, sondern mit sorgfältiger Auswahl des Allgemeingiltigen. Sieht man von einigen der Bibel entlehnten Wendungen ab, die mehr volkstümlich als christlich klingen, so findet sich nichts, was als eigentlich christlich bezeichnet werden könnte. Ebenso sind heidnisch nur die Götternamen und die Fabel. Alles im eigentlichen Sinne Religiöse erscheint in der unbestimmten Empfin¬ dungsform, die Schleiermacher das Gefühl für das Unendliche nennt. Mir scheint es ganz unzweifelhaft, daß wir es hier mit einer unmittelbaren oder mittelbaren Nachwirkung der Reden über die Religion zu tun haben. Jeden¬ falls wird man den Amphitryon trotz seiner klassischen Vorlage und seines antiken Grundmotivs das romantischste von allen Dramen Kleists nennen müssen. Das Käthchen von Heilbronn mag äußerlich mehr Romantik an sich tragen, der Amphitryon hat eine romantische Seele. Aus MoliereZ satirischer Situationskomik entwickelt sich also bei Kleist ein religiös-psychologisches Drama. Die äußere Ähnlichkeit und die übereinstimmende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/286>, abgerufen am 05.07.2024.