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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Kolonialpolitik

Flagge eng verbunden, von allen Idealen, die einst die Bewegung des Jahres
1848 getragen haben, stand die deutsche Flotte als Symbol der deutschen
Einheit obenan.

Seit diesem vergeblichen Anlauf ist freilich ein halbes Jahrhundert und
mehr verflossen, aber daran kann doch kein Zweifel sein, daß wenn im Jahre
1849 das Deutsche Reich dnrch eine starke Hand aufgerichtet worden wäre,
wir uns noch ganz andre Plätze auf der damals noch unverteilten Erde ge¬
sichert haben würden. Auch "wenn das unglückliche Samoa nicht entdeckt
worden wäre," der deutsche überseeische Handel und die deutsche Schiffahrt
hätten doch eine Entwicklung genommen, die zu ihrem Schutze einer starken
Flotte bedürfte, und diese wiederum bedürfte der Stützpunkte. Ehedem haben
wir größern Wert auf die Kreuzer gelegt, die braven tüchtigen alten Kreuzer¬
fregatten, die als Geschwader vor Kamerun und vor Sansibar erschienen sind,
und die den wilden und den halbwilden Völkerschaften gegenüber genügten.
Seitdem aber haben sich die Verhältnisse auf den Weltmeeren völlig anders
entwickelt, Amerika und Japan sind mit Linienschiffsflotten erschienen, Rußland
hat einen großen Aufschwung zur See genommen, England und Frankreich
haben um die Wette Schiffe gebaut, die Welt ist um die Erfahrung zweier
Seekriege, des chinesisch-japanischen und des spanisch-amerikanischen, reicher ge¬
worden. Da hat sich bald herausgestellt, daß der Kreuzer nur so viel bedeutet
wie die Linienflotte, die hinter ihm steht. Angriffe auf die einzelnen Kolonien,
sogar deren vorübergehende Okkupation, sind nicht zu verhindern Die Ent¬
scheidung über den schließlichen Verbleib wird immer nur in einer großen
Schlacht fallen, und diese können wir mit einer zu Lande für uns nicht erreich¬
baren Seemacht doch nnr auf der See schlagen. Heute liegt die Verteidigung
der Heimatküstcn draußen auf dem Meere. Dazu brauchen wir die größere
Flotte, nicht der Kolonien wegen, die gegen einen erlisten Angriff einer starkell
feindlichen Macht doch vorläufig nicht verteidigt werden können. Ihr Schicksal
wird von der schließlichen großen Entscheidung in Enropa oder auf dem Meere
abhängen, für diese müssen wir stark genug sein. Das ist der Sinn und die Be¬
deutung aller Flottenvorlageu. Von den Kolonien nimmt zunächst nur Kiautschou
als großer Marinestützpunkt die Flotte mehr in Anspruch, später wird es auch
die Südsee (Samoa) tun, während für Afrika immer eine Anzahl Kreuzer ge¬
nügen wird. Die Kolonien aber brauchen wir als eine starke Zahl in der
Rechnung unsers Wirtschaftslebens und unsers wirtschaftlichen Gedeihens. Dazu
ist freilich nötig, daß sie sich reichlich entwickeln. Diese Entwicklung zu fördern
und zu Pflegen, ist der Reichstag berufen, und es steht zu hoffen, daß er sich
dieser Aufgabe nicht mehr entziehn wird, sobald man sie in großer planmäßiger
h. I. Arbeit von ihm fordert. Es ist endlich hohe Zeit dazu.




Kolonialpolitik

Flagge eng verbunden, von allen Idealen, die einst die Bewegung des Jahres
1848 getragen haben, stand die deutsche Flotte als Symbol der deutschen
Einheit obenan.

Seit diesem vergeblichen Anlauf ist freilich ein halbes Jahrhundert und
mehr verflossen, aber daran kann doch kein Zweifel sein, daß wenn im Jahre
1849 das Deutsche Reich dnrch eine starke Hand aufgerichtet worden wäre,
wir uns noch ganz andre Plätze auf der damals noch unverteilten Erde ge¬
sichert haben würden. Auch „wenn das unglückliche Samoa nicht entdeckt
worden wäre," der deutsche überseeische Handel und die deutsche Schiffahrt
hätten doch eine Entwicklung genommen, die zu ihrem Schutze einer starken
Flotte bedürfte, und diese wiederum bedürfte der Stützpunkte. Ehedem haben
wir größern Wert auf die Kreuzer gelegt, die braven tüchtigen alten Kreuzer¬
fregatten, die als Geschwader vor Kamerun und vor Sansibar erschienen sind,
und die den wilden und den halbwilden Völkerschaften gegenüber genügten.
Seitdem aber haben sich die Verhältnisse auf den Weltmeeren völlig anders
entwickelt, Amerika und Japan sind mit Linienschiffsflotten erschienen, Rußland
hat einen großen Aufschwung zur See genommen, England und Frankreich
haben um die Wette Schiffe gebaut, die Welt ist um die Erfahrung zweier
Seekriege, des chinesisch-japanischen und des spanisch-amerikanischen, reicher ge¬
worden. Da hat sich bald herausgestellt, daß der Kreuzer nur so viel bedeutet
wie die Linienflotte, die hinter ihm steht. Angriffe auf die einzelnen Kolonien,
sogar deren vorübergehende Okkupation, sind nicht zu verhindern Die Ent¬
scheidung über den schließlichen Verbleib wird immer nur in einer großen
Schlacht fallen, und diese können wir mit einer zu Lande für uns nicht erreich¬
baren Seemacht doch nnr auf der See schlagen. Heute liegt die Verteidigung
der Heimatküstcn draußen auf dem Meere. Dazu brauchen wir die größere
Flotte, nicht der Kolonien wegen, die gegen einen erlisten Angriff einer starkell
feindlichen Macht doch vorläufig nicht verteidigt werden können. Ihr Schicksal
wird von der schließlichen großen Entscheidung in Enropa oder auf dem Meere
abhängen, für diese müssen wir stark genug sein. Das ist der Sinn und die Be¬
deutung aller Flottenvorlageu. Von den Kolonien nimmt zunächst nur Kiautschou
als großer Marinestützpunkt die Flotte mehr in Anspruch, später wird es auch
die Südsee (Samoa) tun, während für Afrika immer eine Anzahl Kreuzer ge¬
nügen wird. Die Kolonien aber brauchen wir als eine starke Zahl in der
Rechnung unsers Wirtschaftslebens und unsers wirtschaftlichen Gedeihens. Dazu
ist freilich nötig, daß sie sich reichlich entwickeln. Diese Entwicklung zu fördern
und zu Pflegen, ist der Reichstag berufen, und es steht zu hoffen, daß er sich
dieser Aufgabe nicht mehr entziehn wird, sobald man sie in großer planmäßiger
h. I. Arbeit von ihm fordert. Es ist endlich hohe Zeit dazu.




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[0257] Kolonialpolitik Flagge eng verbunden, von allen Idealen, die einst die Bewegung des Jahres 1848 getragen haben, stand die deutsche Flotte als Symbol der deutschen Einheit obenan. Seit diesem vergeblichen Anlauf ist freilich ein halbes Jahrhundert und mehr verflossen, aber daran kann doch kein Zweifel sein, daß wenn im Jahre 1849 das Deutsche Reich dnrch eine starke Hand aufgerichtet worden wäre, wir uns noch ganz andre Plätze auf der damals noch unverteilten Erde ge¬ sichert haben würden. Auch „wenn das unglückliche Samoa nicht entdeckt worden wäre," der deutsche überseeische Handel und die deutsche Schiffahrt hätten doch eine Entwicklung genommen, die zu ihrem Schutze einer starken Flotte bedürfte, und diese wiederum bedürfte der Stützpunkte. Ehedem haben wir größern Wert auf die Kreuzer gelegt, die braven tüchtigen alten Kreuzer¬ fregatten, die als Geschwader vor Kamerun und vor Sansibar erschienen sind, und die den wilden und den halbwilden Völkerschaften gegenüber genügten. Seitdem aber haben sich die Verhältnisse auf den Weltmeeren völlig anders entwickelt, Amerika und Japan sind mit Linienschiffsflotten erschienen, Rußland hat einen großen Aufschwung zur See genommen, England und Frankreich haben um die Wette Schiffe gebaut, die Welt ist um die Erfahrung zweier Seekriege, des chinesisch-japanischen und des spanisch-amerikanischen, reicher ge¬ worden. Da hat sich bald herausgestellt, daß der Kreuzer nur so viel bedeutet wie die Linienflotte, die hinter ihm steht. Angriffe auf die einzelnen Kolonien, sogar deren vorübergehende Okkupation, sind nicht zu verhindern Die Ent¬ scheidung über den schließlichen Verbleib wird immer nur in einer großen Schlacht fallen, und diese können wir mit einer zu Lande für uns nicht erreich¬ baren Seemacht doch nnr auf der See schlagen. Heute liegt die Verteidigung der Heimatküstcn draußen auf dem Meere. Dazu brauchen wir die größere Flotte, nicht der Kolonien wegen, die gegen einen erlisten Angriff einer starkell feindlichen Macht doch vorläufig nicht verteidigt werden können. Ihr Schicksal wird von der schließlichen großen Entscheidung in Enropa oder auf dem Meere abhängen, für diese müssen wir stark genug sein. Das ist der Sinn und die Be¬ deutung aller Flottenvorlageu. Von den Kolonien nimmt zunächst nur Kiautschou als großer Marinestützpunkt die Flotte mehr in Anspruch, später wird es auch die Südsee (Samoa) tun, während für Afrika immer eine Anzahl Kreuzer ge¬ nügen wird. Die Kolonien aber brauchen wir als eine starke Zahl in der Rechnung unsers Wirtschaftslebens und unsers wirtschaftlichen Gedeihens. Dazu ist freilich nötig, daß sie sich reichlich entwickeln. Diese Entwicklung zu fördern und zu Pflegen, ist der Reichstag berufen, und es steht zu hoffen, daß er sich dieser Aufgabe nicht mehr entziehn wird, sobald man sie in großer planmäßiger h. I. Arbeit von ihm fordert. Es ist endlich hohe Zeit dazu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/257>, abgerufen am 30.06.2024.