Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches dieser Schutz nicht zuteil geworden ist infolge einer verkehrten Eiugebornenpolitik, Diese vor zwanzig Jahren gehaltene Rede paßt auf die Haltung, die der Es kann vielleicht kaum einen größern Vertrauensbeweis geben, als wenn Maßgebliches und Unmaßgebliches dieser Schutz nicht zuteil geworden ist infolge einer verkehrten Eiugebornenpolitik, Diese vor zwanzig Jahren gehaltene Rede paßt auf die Haltung, die der Es kann vielleicht kaum einen größern Vertrauensbeweis geben, als wenn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293862"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035"> dieser Schutz nicht zuteil geworden ist infolge einer verkehrten Eiugebornenpolitik,<lb/> einer 'unzureichenden und unzweckmäßig verwandten Besatzung, des Abzugs der<lb/> Truppen nach dem selten, der sorglosen Versendung eines Teils der Geschütze nach<lb/> Deutschland, der ohnehin sehr mangelhaften Ausrüstung der Artillerie, kurzum einer<lb/> Menge von teils politischen, teils militärischen Fehlern, die, in einer preußischen<lb/> Festung begangen, den Kommandanten unfehlbar vor ein Kriegsgericht bringen<lb/> würden. Der Gouverneur Leutwein wird allerdings zu seiner Entschuldigung vor¬<lb/> bringen dürfen, daß er in frühern Jahren wiederholt mehr beantragt hat, aber<lb/> unter Hinweis auf den Reichstag immer damit abgewiesen worden ist, sich dann<lb/> schließlich so gut oder so schlecht beholfen hat, wie es eben ging, und daß der jetzige<lb/> Zusammenbruch eine unvermeidliche Folge dieses „Systems" ist. Unwillkürlich ge¬<lb/> denkt man dabei der vom Fürsten Bismarck am 1. Dezember 1884 im Reichstage<lb/> gesprochnen Worte: „Um eine überseeische Politik mit Erfolg treiben zu können,<lb/> muß jede Negierung in ihrem Parlament, soweit sie von ihm abhängig ist, soweit<lb/> sie eine konstitutionelle Regierung ist, eine im nationalen Sinne geschlossene Ma¬<lb/> jorität, eine Majorität, die nicht durch Parteien zerrissen und beeinträchtigt ist, die<lb/> nicht von der augenblicklichen Verstimmung einzelner Parteien abhängt, hinter sich<lb/> haben. Ohne eine solche Reserve im Hintergrunde können wir keine Kolonialpolitik<lb/> und keine überseeische Politik treiben. Die nationale Energie, wenn sie von Partei¬<lb/> kämpfen neutralisiert wird, ist gerade in unserm Volke nicht stark genug, um der<lb/> Regierung den Mut zu machen, solche Wege zu betreten."</p><lb/> <p xml:id="ID_1037"> Diese vor zwanzig Jahren gehaltene Rede paßt auf die Haltung, die der<lb/> Reichstag, wenigstens unsern afrikanischen Kolonien gegenüber, behauptet, noch heute;<lb/> für Südwestafrika speziell ist es typisch, daß die elende Eisenbahn von Swakopmuud<lb/> »ach Wiudhuk eigentlich nur einem durch die Rinderpest motivierten Gewaltakt der<lb/> Regierung ihr Dasein verdankt. Leider haben wir im Reichstage — kaum ist es<lb/> glaublich — keinen einzigen Abgeordneten, der die Kolonien aus eigner Anschauung<lb/> kennt, und auch in dem bescheidnen Kolonialrat sind die Leute, die sich draußen<lb/> umgetan haben, in verschwindender Minderzahl. Sicherlich herrscht an den leitenden<lb/> Stellen, was die Kolonien anlangt, der beste Wille, aber solange unser Kolouial-<lb/> amt — sit vonia, ohl'to — fast nur aus Männern besteht, die die Kolonien nnr<lb/> aus Berichten und nicht aus eigner längerer Dienstleistung draußen kennen, wird<lb/> nicht Lebenspraxis und Lebenserfahrung, sondern der grüne Tisch entscheiden. Die<lb/> seit 1890 so unglaublich gestiegne Ängstlichkeit vor dem Reichstage, die unser ganzes<lb/> Staatswesen nachgerade auf den Kopf zu stellen droht, tut das übrige. „Ich habe<lb/> im Widerspruch, im Kampf, von Anfang bis zu Eude gelebt, und wenn ich mich<lb/> jedesmal der Majorität des Landtags und des Reichstags hätte fügen wollen —<lb/> wo wären wir?" So hat Bismarck wenige Tage vor jener oben zitierten Rede<lb/> gesprochen. Das kaun selbstverständlich nicht mustergiltig und vorbildlich für alle<lb/> seine Nachfolger sein, aber mit etwas größerer Widerstandskraft und Widerstands¬<lb/> fähigkeit der einzelnen Ressorts könnte man doch wohl manches mehr erreiche».<lb/> Speziell in kolonialen Dingen sollten dem Reichstage Kommissare gegenübergestellt<lb/> werden, die die betreffenden Kolonien aus eigner Anschauung kennen und den An¬<lb/> spruch erheben können, als Sachverständige zu gelten. Sie werden dann auch<lb/> Vertrauen finden. Beriefe mau solche Männer in den Kolouinlrat, so bestünde<lb/> keine Schwierigkeit, sie als Kommissarien des Bundesrath vor den Reichstag treten<lb/> zu lassen, dem die Kolonien leider sämtlich Fabelland sind. Es steht ja nirgend<lb/> geschrieben, daß ein Kommissar des Bundesrath immer mindestens Geheimrat sein<lb/> muß. Wie ganz anders ist das Verhalten des Reichstags Kiautschou gegenüber.<lb/> Es wäre Unrecht, da einen Vorwurf der Knickrigkeit zu erheben. Der Reichstag<lb/> ist bei dieser Kolonie im Vertrauen auf die sachverständige Vertretung der Regieruugs-<lb/> fordcruugen viel bewilliguugsbereiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_1038" next="#ID_1039"> Es kann vielleicht kaum einen größern Vertrauensbeweis geben, als wenn<lb/> Eugen Richter in seiner Zeitung vorschlägt, die gesamten Kolonien der Marine zu.</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0243]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
dieser Schutz nicht zuteil geworden ist infolge einer verkehrten Eiugebornenpolitik,
einer 'unzureichenden und unzweckmäßig verwandten Besatzung, des Abzugs der
Truppen nach dem selten, der sorglosen Versendung eines Teils der Geschütze nach
Deutschland, der ohnehin sehr mangelhaften Ausrüstung der Artillerie, kurzum einer
Menge von teils politischen, teils militärischen Fehlern, die, in einer preußischen
Festung begangen, den Kommandanten unfehlbar vor ein Kriegsgericht bringen
würden. Der Gouverneur Leutwein wird allerdings zu seiner Entschuldigung vor¬
bringen dürfen, daß er in frühern Jahren wiederholt mehr beantragt hat, aber
unter Hinweis auf den Reichstag immer damit abgewiesen worden ist, sich dann
schließlich so gut oder so schlecht beholfen hat, wie es eben ging, und daß der jetzige
Zusammenbruch eine unvermeidliche Folge dieses „Systems" ist. Unwillkürlich ge¬
denkt man dabei der vom Fürsten Bismarck am 1. Dezember 1884 im Reichstage
gesprochnen Worte: „Um eine überseeische Politik mit Erfolg treiben zu können,
muß jede Negierung in ihrem Parlament, soweit sie von ihm abhängig ist, soweit
sie eine konstitutionelle Regierung ist, eine im nationalen Sinne geschlossene Ma¬
jorität, eine Majorität, die nicht durch Parteien zerrissen und beeinträchtigt ist, die
nicht von der augenblicklichen Verstimmung einzelner Parteien abhängt, hinter sich
haben. Ohne eine solche Reserve im Hintergrunde können wir keine Kolonialpolitik
und keine überseeische Politik treiben. Die nationale Energie, wenn sie von Partei¬
kämpfen neutralisiert wird, ist gerade in unserm Volke nicht stark genug, um der
Regierung den Mut zu machen, solche Wege zu betreten."
Diese vor zwanzig Jahren gehaltene Rede paßt auf die Haltung, die der
Reichstag, wenigstens unsern afrikanischen Kolonien gegenüber, behauptet, noch heute;
für Südwestafrika speziell ist es typisch, daß die elende Eisenbahn von Swakopmuud
»ach Wiudhuk eigentlich nur einem durch die Rinderpest motivierten Gewaltakt der
Regierung ihr Dasein verdankt. Leider haben wir im Reichstage — kaum ist es
glaublich — keinen einzigen Abgeordneten, der die Kolonien aus eigner Anschauung
kennt, und auch in dem bescheidnen Kolonialrat sind die Leute, die sich draußen
umgetan haben, in verschwindender Minderzahl. Sicherlich herrscht an den leitenden
Stellen, was die Kolonien anlangt, der beste Wille, aber solange unser Kolouial-
amt — sit vonia, ohl'to — fast nur aus Männern besteht, die die Kolonien nnr
aus Berichten und nicht aus eigner längerer Dienstleistung draußen kennen, wird
nicht Lebenspraxis und Lebenserfahrung, sondern der grüne Tisch entscheiden. Die
seit 1890 so unglaublich gestiegne Ängstlichkeit vor dem Reichstage, die unser ganzes
Staatswesen nachgerade auf den Kopf zu stellen droht, tut das übrige. „Ich habe
im Widerspruch, im Kampf, von Anfang bis zu Eude gelebt, und wenn ich mich
jedesmal der Majorität des Landtags und des Reichstags hätte fügen wollen —
wo wären wir?" So hat Bismarck wenige Tage vor jener oben zitierten Rede
gesprochen. Das kaun selbstverständlich nicht mustergiltig und vorbildlich für alle
seine Nachfolger sein, aber mit etwas größerer Widerstandskraft und Widerstands¬
fähigkeit der einzelnen Ressorts könnte man doch wohl manches mehr erreiche».
Speziell in kolonialen Dingen sollten dem Reichstage Kommissare gegenübergestellt
werden, die die betreffenden Kolonien aus eigner Anschauung kennen und den An¬
spruch erheben können, als Sachverständige zu gelten. Sie werden dann auch
Vertrauen finden. Beriefe mau solche Männer in den Kolouinlrat, so bestünde
keine Schwierigkeit, sie als Kommissarien des Bundesrath vor den Reichstag treten
zu lassen, dem die Kolonien leider sämtlich Fabelland sind. Es steht ja nirgend
geschrieben, daß ein Kommissar des Bundesrath immer mindestens Geheimrat sein
muß. Wie ganz anders ist das Verhalten des Reichstags Kiautschou gegenüber.
Es wäre Unrecht, da einen Vorwurf der Knickrigkeit zu erheben. Der Reichstag
ist bei dieser Kolonie im Vertrauen auf die sachverständige Vertretung der Regieruugs-
fordcruugen viel bewilliguugsbereiter.
Es kann vielleicht kaum einen größern Vertrauensbeweis geben, als wenn
Eugen Richter in seiner Zeitung vorschlägt, die gesamten Kolonien der Marine zu.
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