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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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Vor vierzig Jahren

des Bundesrcchts, denn das hilft uns nichts mehr, mögen sie sich vor dem
Konflikt verständigen, nur keinen Bürgerkrieg!"

Der Konflikt wurde damals vermieden, denn schon am 1. Dezember nahm
der Bundestag den preußisch-österreichischen Antrag an, die Exekution in Holstein
für beendet zu erklären und die Bundestruppen abzurufen. Mau erzählte sich
dabei (in Dresden), nur die Königin von Preußen habe den Einmarsch "Bis-
marckischer Legionen" in Sachsen verhütet. Meinen Standpunkt in dieser Sache
lehnte mein Vater im ganzen ab. "Einer Politik gegenüber, von deren Auf¬
treten mau nicht weiß, ob sie als Poltronerie oder als Brutalität zu bezeichnen
ist, sind alle Schwächer" täglich in Gefahr. Die Bitterkeit übrigens, die dnrch
die neusten Ereignisse in vieler Herzen gekommen ist, wird in Jahrzehnten noch
fortwirken." Durfte doch in Zittau beim Festessen am Geburtstag des Königs
Johann (12. Dezember) der höchste dortige königliche Beamte in seinem offi¬
ziellen Trinkspruch u. a. von dem "räuberischen Aar" sprechen, wohl ohne sich
im Augenblick daran zu erinnern, daß dieser bösartige Raubvogel soeben
Schleswig-Holstein von den Dänen befreit hatte. Damals schien man in der
Tat im "reinen Deutschland" das Wort: "Was Preußen erwirbt, hat Deutschland
gewonnen" umzukehren und sagte lieber: "Was Preußen erwirbt, hat Deutschland
verloren." Auch ich beklagte den klaffenden Riß, aber noch viel tiefer bedauerte
us, "daß nun in Sachsen der alte Preußenhaß wieder aufgewacht ist, daß man
lieber den Rheinbund will l>n übrigens niemand weniger wollte als König
Johann! als eine Verständigung, lieber den Fremden im Lande haben will,
als einem unerträglichen und unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen. Mit
Illusionen über Bundestreue und Bundesrecht können wir uns nicht mehr
täuschen." Die Mittelstaaten treffe jetzt nur die Nemesis für 1848/49. Auch
der bevorstehenden Rückkehr unsrer beklagenswerten Truppen sah ich mit Teil¬
nahme, aber ohne Freude entgegen. "Haß bringen sie mit, und Haß werden sie
säen." In weitem Bogen wurden sie über Harburg, Hannover, Kassel, Eisennch,
Lichtenfels und Hof um preußisches Gebiet herumgeführt, als ob es darauf
angekommen wäre, ihnen und aller Welt zu zeigen, wie feindlich wir zu Preußen
stünden. Am Mittag des 18. Dezembers kamen die Leipziger Bataillone ans dem
Bayrischen Bahnhof an und rückten unter den Klängen des "Schleswig-Holstein
meerumschlimgen" durch eine Ehrenpforte, von der dichtgedrängten Menschen¬
menge herzlich begrüßt und begleitet, in die Stadt ein, feldmäßig ausgerüstet,
in abgeschabten Uniformen, mit gebräuntem Gesicht und oft mit langem Barte.
Sie hatten den Versuch der Mittelstaaten zu einer selbständigen Politik in einer
großen, halbeuropäischen Frage am schwersten zu büßen.

Die jüngere Generation macht sich kaum eine Vorstellung davon, wie
schwer wir damals auch in unserm Gemüt unter dem Zwiespalt gelitten haben,
der Deutschland bis ins Innerste zerriß. Denn auch die Wege der verschednen
Lebensalter gingen oft genug auseinander und fanden sich erst nach wahren
wieder zusammen.




Grenzboten II 190429
Vor vierzig Jahren

des Bundesrcchts, denn das hilft uns nichts mehr, mögen sie sich vor dem
Konflikt verständigen, nur keinen Bürgerkrieg!"

Der Konflikt wurde damals vermieden, denn schon am 1. Dezember nahm
der Bundestag den preußisch-österreichischen Antrag an, die Exekution in Holstein
für beendet zu erklären und die Bundestruppen abzurufen. Mau erzählte sich
dabei (in Dresden), nur die Königin von Preußen habe den Einmarsch „Bis-
marckischer Legionen" in Sachsen verhütet. Meinen Standpunkt in dieser Sache
lehnte mein Vater im ganzen ab. „Einer Politik gegenüber, von deren Auf¬
treten mau nicht weiß, ob sie als Poltronerie oder als Brutalität zu bezeichnen
ist, sind alle Schwächer» täglich in Gefahr. Die Bitterkeit übrigens, die dnrch
die neusten Ereignisse in vieler Herzen gekommen ist, wird in Jahrzehnten noch
fortwirken." Durfte doch in Zittau beim Festessen am Geburtstag des Königs
Johann (12. Dezember) der höchste dortige königliche Beamte in seinem offi¬
ziellen Trinkspruch u. a. von dem „räuberischen Aar" sprechen, wohl ohne sich
im Augenblick daran zu erinnern, daß dieser bösartige Raubvogel soeben
Schleswig-Holstein von den Dänen befreit hatte. Damals schien man in der
Tat im „reinen Deutschland" das Wort: „Was Preußen erwirbt, hat Deutschland
gewonnen" umzukehren und sagte lieber: „Was Preußen erwirbt, hat Deutschland
verloren." Auch ich beklagte den klaffenden Riß, aber noch viel tiefer bedauerte
us, „daß nun in Sachsen der alte Preußenhaß wieder aufgewacht ist, daß man
lieber den Rheinbund will l>n übrigens niemand weniger wollte als König
Johann! als eine Verständigung, lieber den Fremden im Lande haben will,
als einem unerträglichen und unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen. Mit
Illusionen über Bundestreue und Bundesrecht können wir uns nicht mehr
täuschen." Die Mittelstaaten treffe jetzt nur die Nemesis für 1848/49. Auch
der bevorstehenden Rückkehr unsrer beklagenswerten Truppen sah ich mit Teil¬
nahme, aber ohne Freude entgegen. „Haß bringen sie mit, und Haß werden sie
säen." In weitem Bogen wurden sie über Harburg, Hannover, Kassel, Eisennch,
Lichtenfels und Hof um preußisches Gebiet herumgeführt, als ob es darauf
angekommen wäre, ihnen und aller Welt zu zeigen, wie feindlich wir zu Preußen
stünden. Am Mittag des 18. Dezembers kamen die Leipziger Bataillone ans dem
Bayrischen Bahnhof an und rückten unter den Klängen des „Schleswig-Holstein
meerumschlimgen" durch eine Ehrenpforte, von der dichtgedrängten Menschen¬
menge herzlich begrüßt und begleitet, in die Stadt ein, feldmäßig ausgerüstet,
in abgeschabten Uniformen, mit gebräuntem Gesicht und oft mit langem Barte.
Sie hatten den Versuch der Mittelstaaten zu einer selbständigen Politik in einer
großen, halbeuropäischen Frage am schwersten zu büßen.

Die jüngere Generation macht sich kaum eine Vorstellung davon, wie
schwer wir damals auch in unserm Gemüt unter dem Zwiespalt gelitten haben,
der Deutschland bis ins Innerste zerriß. Denn auch die Wege der verschednen
Lebensalter gingen oft genug auseinander und fanden sich erst nach wahren
wieder zusammen.




Grenzboten II 190429
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[0223] Vor vierzig Jahren des Bundesrcchts, denn das hilft uns nichts mehr, mögen sie sich vor dem Konflikt verständigen, nur keinen Bürgerkrieg!" Der Konflikt wurde damals vermieden, denn schon am 1. Dezember nahm der Bundestag den preußisch-österreichischen Antrag an, die Exekution in Holstein für beendet zu erklären und die Bundestruppen abzurufen. Mau erzählte sich dabei (in Dresden), nur die Königin von Preußen habe den Einmarsch „Bis- marckischer Legionen" in Sachsen verhütet. Meinen Standpunkt in dieser Sache lehnte mein Vater im ganzen ab. „Einer Politik gegenüber, von deren Auf¬ treten mau nicht weiß, ob sie als Poltronerie oder als Brutalität zu bezeichnen ist, sind alle Schwächer» täglich in Gefahr. Die Bitterkeit übrigens, die dnrch die neusten Ereignisse in vieler Herzen gekommen ist, wird in Jahrzehnten noch fortwirken." Durfte doch in Zittau beim Festessen am Geburtstag des Königs Johann (12. Dezember) der höchste dortige königliche Beamte in seinem offi¬ ziellen Trinkspruch u. a. von dem „räuberischen Aar" sprechen, wohl ohne sich im Augenblick daran zu erinnern, daß dieser bösartige Raubvogel soeben Schleswig-Holstein von den Dänen befreit hatte. Damals schien man in der Tat im „reinen Deutschland" das Wort: „Was Preußen erwirbt, hat Deutschland gewonnen" umzukehren und sagte lieber: „Was Preußen erwirbt, hat Deutschland verloren." Auch ich beklagte den klaffenden Riß, aber noch viel tiefer bedauerte us, „daß nun in Sachsen der alte Preußenhaß wieder aufgewacht ist, daß man lieber den Rheinbund will l>n übrigens niemand weniger wollte als König Johann! als eine Verständigung, lieber den Fremden im Lande haben will, als einem unerträglichen und unhaltbaren Zustande ein Ende zu machen. Mit Illusionen über Bundestreue und Bundesrecht können wir uns nicht mehr täuschen." Die Mittelstaaten treffe jetzt nur die Nemesis für 1848/49. Auch der bevorstehenden Rückkehr unsrer beklagenswerten Truppen sah ich mit Teil¬ nahme, aber ohne Freude entgegen. „Haß bringen sie mit, und Haß werden sie säen." In weitem Bogen wurden sie über Harburg, Hannover, Kassel, Eisennch, Lichtenfels und Hof um preußisches Gebiet herumgeführt, als ob es darauf angekommen wäre, ihnen und aller Welt zu zeigen, wie feindlich wir zu Preußen stünden. Am Mittag des 18. Dezembers kamen die Leipziger Bataillone ans dem Bayrischen Bahnhof an und rückten unter den Klängen des „Schleswig-Holstein meerumschlimgen" durch eine Ehrenpforte, von der dichtgedrängten Menschen¬ menge herzlich begrüßt und begleitet, in die Stadt ein, feldmäßig ausgerüstet, in abgeschabten Uniformen, mit gebräuntem Gesicht und oft mit langem Barte. Sie hatten den Versuch der Mittelstaaten zu einer selbständigen Politik in einer großen, halbeuropäischen Frage am schwersten zu büßen. Die jüngere Generation macht sich kaum eine Vorstellung davon, wie schwer wir damals auch in unserm Gemüt unter dem Zwiespalt gelitten haben, der Deutschland bis ins Innerste zerriß. Denn auch die Wege der verschednen Lebensalter gingen oft genug auseinander und fanden sich erst nach wahren wieder zusammen. Grenzboten II 190429

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/223>, abgerufen am 30.06.2024.