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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

Zitten wirklich sein Körnersche. Auch das Gymnasium sollte daran teilnehmen, sogar
unter einer neuen schwarzrotgoldnen Fahne, die auf mein besondres Drängen
an der Spitze den einköpfigen Adler erhielt, nicht den zweiköpfigen, da jener,
wie ich sachverständig auseinandersetzte, der echte alte Reichsadler sei. So
nahmen die Schüler an dem Festzuge teil. Alles hatte schwarzrotgoldne Schleifen
im Knopfloch, die Festjungfrauen, Töchter aus den ersten Familien der Stadt,
trugen einen schwarzrotgoldnen Gürtel um das weiße Kleid. In der Weinau,
dem anmutigen, seitdem sehr verschönerten Stadtpark, war am Tage vorher
eine "Köruereiche" gepflanzt worden, und ein junger Gymnasiallehrer hielt
dazu eine schwungvolle patriotische Ansprache zu Ehren Körners. Zum Schluß
legten die Festjungfrauen an der Eiche Kränze mit schwarzrotgoldner Schleife
nieder, jede mit einem Denksprüche, von denen mir zufällig einer im Gedächtnis
geblieben ist:

Der Schwur ist niemals gesprochen worden, er war überflüssig, aber ihre
Wirkung hat auch diese Körnerfeier gehabt, und das anmutige Bild der Eiche
im Kranze der blühenden Jungfrauen auf der grünen Waldwiese im dunkeln
Ringe des Festzuges mit seinen bunten Fahnen ist mir dauernd in der Er¬
innerung geblieben. Es soll nicht verschwiegen werden, daß eine der jungen
Damen den: begeisterten Redner bald danach als Hausfrau folgte.

Stärkere Gegensätze als die Körnerfeier rief die für den 13. Oktober ge¬
plante Feier der Völkerschlacht auf den Plan. Alle die schmerzlichen Er¬
innerungen, die sich für einen jeden Sachsen an diese Zeit knüpften, wo doch
eben Sachsen auf der Seite der Besiegten gestanden hatte und die große Hülste
seines Gebiets hatte hergeben müssen, wachten wieder auf, und es erschien viel¬
fach zweifelhaft, ob man in Sachsen diesen Tag als deutschen Siegestag feiern
dürfe. So unsicher war damals noch das historische Urteil, so schwach noch
die nationale Empfindung. Auch meinen Vater ergriff der Streit, denn er
hatte die Rede in dem großen, für alle Schulen der Stadt und ihre Einwohner
bestimmten Festaktus übernommen, der nach dem Festgottesdienst des Vormittags,
Nachmittags um drei Uhr in dem schönen Bürgersaale des Rathauses statt¬
finden sollte, und alles war gespannt, wie er die heikle Aufgabe lösen würde.
Er aber nahm als Thema geradeswegs die Frage des Tags: "Wie stellen wir
uns als Sachsen zur Jubelfeier der Völkerschlacht?" und er durfte, wie er dann
in seinem amtlichen Jahresberichte schrieb, glauben, daß er, indem er ein Sachsen-
Herz reden ließ, in vollem und lebendigem Zusammenhange mit den patriotischen
Gefühlen sich erhalten habe, welche weithin durch das deutsche Vaterland
Millionen bewegten," denn er schloß, nachdem er zuletzt den Übertritt der säch¬
sischen Truppen zu deu Verbündeten am Nachmittage des 18. Oktobers 1813
geschildert hatte, mit der Aufforderung, alle unsre schmerzlichen Erinnerungen
ins Grab zu senken und darauf unser weißgrünes Panier zu pflanzen, also
uns als Deutsche zu fühlen, ohne doch aufzuhören, Sachsen zu sein.


vor vierzig Jahren

Zitten wirklich sein Körnersche. Auch das Gymnasium sollte daran teilnehmen, sogar
unter einer neuen schwarzrotgoldnen Fahne, die auf mein besondres Drängen
an der Spitze den einköpfigen Adler erhielt, nicht den zweiköpfigen, da jener,
wie ich sachverständig auseinandersetzte, der echte alte Reichsadler sei. So
nahmen die Schüler an dem Festzuge teil. Alles hatte schwarzrotgoldne Schleifen
im Knopfloch, die Festjungfrauen, Töchter aus den ersten Familien der Stadt,
trugen einen schwarzrotgoldnen Gürtel um das weiße Kleid. In der Weinau,
dem anmutigen, seitdem sehr verschönerten Stadtpark, war am Tage vorher
eine „Köruereiche" gepflanzt worden, und ein junger Gymnasiallehrer hielt
dazu eine schwungvolle patriotische Ansprache zu Ehren Körners. Zum Schluß
legten die Festjungfrauen an der Eiche Kränze mit schwarzrotgoldner Schleife
nieder, jede mit einem Denksprüche, von denen mir zufällig einer im Gedächtnis
geblieben ist:

Der Schwur ist niemals gesprochen worden, er war überflüssig, aber ihre
Wirkung hat auch diese Körnerfeier gehabt, und das anmutige Bild der Eiche
im Kranze der blühenden Jungfrauen auf der grünen Waldwiese im dunkeln
Ringe des Festzuges mit seinen bunten Fahnen ist mir dauernd in der Er¬
innerung geblieben. Es soll nicht verschwiegen werden, daß eine der jungen
Damen den: begeisterten Redner bald danach als Hausfrau folgte.

Stärkere Gegensätze als die Körnerfeier rief die für den 13. Oktober ge¬
plante Feier der Völkerschlacht auf den Plan. Alle die schmerzlichen Er¬
innerungen, die sich für einen jeden Sachsen an diese Zeit knüpften, wo doch
eben Sachsen auf der Seite der Besiegten gestanden hatte und die große Hülste
seines Gebiets hatte hergeben müssen, wachten wieder auf, und es erschien viel¬
fach zweifelhaft, ob man in Sachsen diesen Tag als deutschen Siegestag feiern
dürfe. So unsicher war damals noch das historische Urteil, so schwach noch
die nationale Empfindung. Auch meinen Vater ergriff der Streit, denn er
hatte die Rede in dem großen, für alle Schulen der Stadt und ihre Einwohner
bestimmten Festaktus übernommen, der nach dem Festgottesdienst des Vormittags,
Nachmittags um drei Uhr in dem schönen Bürgersaale des Rathauses statt¬
finden sollte, und alles war gespannt, wie er die heikle Aufgabe lösen würde.
Er aber nahm als Thema geradeswegs die Frage des Tags: „Wie stellen wir
uns als Sachsen zur Jubelfeier der Völkerschlacht?" und er durfte, wie er dann
in seinem amtlichen Jahresberichte schrieb, glauben, daß er, indem er ein Sachsen-
Herz reden ließ, in vollem und lebendigem Zusammenhange mit den patriotischen
Gefühlen sich erhalten habe, welche weithin durch das deutsche Vaterland
Millionen bewegten," denn er schloß, nachdem er zuletzt den Übertritt der säch¬
sischen Truppen zu deu Verbündeten am Nachmittage des 18. Oktobers 1813
geschildert hatte, mit der Aufforderung, alle unsre schmerzlichen Erinnerungen
ins Grab zu senken und darauf unser weißgrünes Panier zu pflanzen, also
uns als Deutsche zu fühlen, ohne doch aufzuhören, Sachsen zu sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_293618/155>, abgerufen am 30.06.2024.