Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Zweites Vierteljahr.Aonfessionalismus und nationale Politik Standes, die ein Volk niemals auf die Dauer ertragen hat. Die verschiednen Nun ist es freilich leicht, zu sagen: Warum appelliert denn die Neichs- Aber vor einer Erwartung muß freilich sofort nachdrücklich gewarnt werden, Aonfessionalismus und nationale Politik Standes, die ein Volk niemals auf die Dauer ertragen hat. Die verschiednen Nun ist es freilich leicht, zu sagen: Warum appelliert denn die Neichs- Aber vor einer Erwartung muß freilich sofort nachdrücklich gewarnt werden, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293631"/> <fw type="header" place="top"> Aonfessionalismus und nationale Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_15" prev="#ID_14"> Standes, die ein Volk niemals auf die Dauer ertragen hat. Die verschiednen<lb/> Fraktionen der Konservativen und der Liberalen sind untereinander uneinig und<lb/> würden, auch wenn sie einmal einig wären, im Reichstage keine Mehrheit<lb/> bilden können. Also kann die Reichsregierimg nur mit dem Zentrum regieren,<lb/> denn nur mit ihm hat sie eine Mehrheit. Daß es ein unnatürlicher Zustand<lb/> ist, wenn in einem zu zwei Dritteln protestantischen Volke das letzte, das<lb/> katholische Drittel, das Heft in der Hand hat, bedarf keines Beweises. Der<lb/> Zustand ist um so bedenklicher, als zwar zahlreiche Zentrumsmänner gewiß in<lb/> ihrer Art gute deutsche Patrioten sind, aber die römische Kirche vor allem in<lb/> ihrer heutigen ultramontanen Gestalt grundsätzlich und eingestandnermaßen jedem<lb/> Staat und jeder Staatsform gleichgiltig gegenübersteht und es immer verstanden<lb/> hat, sich mit jeder abzufinden. Denn ihr Ziel ist und bleibt ihre geistige Herr¬<lb/> schaft über die Völker, d. h. die Herrschaft des Klerus über die Völker, und<lb/> diese ist nicht an eine bestimmte Staatsform gebunden. Hat sich doch Rom<lb/> in Frankreich mit jeder der wechselnden Staatsformen zu stellen verstanden,<lb/> wenn auch nicht gerade mit jedem Ministerium; aber was bedeutet für den<lb/> Vatikan eine Dynastie, geschweige denn ein Ministerium! Diesem Universa¬<lb/> lismus gegenüber ist die nationale Gesinnung des Zentrums nicht stark genug;<lb/> es treibt grundsätzlich konfessionelle Politik und mißt das nationale Interesse<lb/> an diesem Maßstabe.</p><lb/> <p xml:id="ID_16"> Nun ist es freilich leicht, zu sagen: Warum appelliert denn die Neichs-<lb/> regieruug nicht an das protestantische Volksbewußtsein? Preußen und das<lb/> neue Deutsche Reich find doch auf dem Boden des Landesfürstentums er¬<lb/> wachsen, und dieses hat auf dem Boden der Reformation seine Selbständigkeit<lb/> und die weite Ausdehnung seiner staatlichen Aufgaben begründet. Sehr wahr, aber<lb/> solange sich das protestantische Volksbewußtsein nicht zu einer Reichstags¬<lb/> mehrheit verdichtet, so lange ist hier jedes Wort vergeblich, denn mit dem<lb/> bloßen Volksbewußtsein kann das Reich nicht regiert werden. Eins nur kann<lb/> dieses Volksbewußtsein schon jetzt leisten, wenn es sich kräftig regt: es kann<lb/> dem Zentrum beweisen, daß es den Bogen nicht mehr spannen darf, und der<lb/> Reichsregierung, daß sie weitere Zugeständnisse, die ihr das protestantische<lb/> Volk entfremdet, ablehnen kann und soll. In diesem Sinne sind die Stimmen<lb/> der ernsten Presse und die sich mehrenden Protestversammlungen gegen die<lb/> Aufhebung des Paragraphen 2 trotz so mancher leeren Deklamation nur will¬<lb/> kommen zu heißen.</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Aber vor einer Erwartung muß freilich sofort nachdrücklich gewarnt werden,<lb/> nämlich vor der jeder Art konfessioneller Politik. Eine solche würde die kon¬<lb/> fessionellen Gegensätze heillos verschärfen, das Zentrum wieder in die alte<lb/> lähmende Oppositionsstellung hineintreiben und doch der Regierung keine Neichs-<lb/> tagsmehrheit schaffen. Schon einmal, im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬<lb/> hundert, als sich der deutsche Protestantismus nur im Widerspruch mit dem<lb/> Kaisertum und der Habsburgischen Weltmacht durchzusetzen vermochte, ist von<lb/> beiden Seiten konfessionelle Politik getrieben, d. h. es sind alle politischen<lb/> Interessen dem Konfessivnalismus untergeordnet worden. Die Folgen waren<lb/> die völlige Zerrüttung der alten Reichsordnung, der Sieg der fiirstlichen Libcrtät,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Aonfessionalismus und nationale Politik
Standes, die ein Volk niemals auf die Dauer ertragen hat. Die verschiednen
Fraktionen der Konservativen und der Liberalen sind untereinander uneinig und
würden, auch wenn sie einmal einig wären, im Reichstage keine Mehrheit
bilden können. Also kann die Reichsregierimg nur mit dem Zentrum regieren,
denn nur mit ihm hat sie eine Mehrheit. Daß es ein unnatürlicher Zustand
ist, wenn in einem zu zwei Dritteln protestantischen Volke das letzte, das
katholische Drittel, das Heft in der Hand hat, bedarf keines Beweises. Der
Zustand ist um so bedenklicher, als zwar zahlreiche Zentrumsmänner gewiß in
ihrer Art gute deutsche Patrioten sind, aber die römische Kirche vor allem in
ihrer heutigen ultramontanen Gestalt grundsätzlich und eingestandnermaßen jedem
Staat und jeder Staatsform gleichgiltig gegenübersteht und es immer verstanden
hat, sich mit jeder abzufinden. Denn ihr Ziel ist und bleibt ihre geistige Herr¬
schaft über die Völker, d. h. die Herrschaft des Klerus über die Völker, und
diese ist nicht an eine bestimmte Staatsform gebunden. Hat sich doch Rom
in Frankreich mit jeder der wechselnden Staatsformen zu stellen verstanden,
wenn auch nicht gerade mit jedem Ministerium; aber was bedeutet für den
Vatikan eine Dynastie, geschweige denn ein Ministerium! Diesem Universa¬
lismus gegenüber ist die nationale Gesinnung des Zentrums nicht stark genug;
es treibt grundsätzlich konfessionelle Politik und mißt das nationale Interesse
an diesem Maßstabe.
Nun ist es freilich leicht, zu sagen: Warum appelliert denn die Neichs-
regieruug nicht an das protestantische Volksbewußtsein? Preußen und das
neue Deutsche Reich find doch auf dem Boden des Landesfürstentums er¬
wachsen, und dieses hat auf dem Boden der Reformation seine Selbständigkeit
und die weite Ausdehnung seiner staatlichen Aufgaben begründet. Sehr wahr, aber
solange sich das protestantische Volksbewußtsein nicht zu einer Reichstags¬
mehrheit verdichtet, so lange ist hier jedes Wort vergeblich, denn mit dem
bloßen Volksbewußtsein kann das Reich nicht regiert werden. Eins nur kann
dieses Volksbewußtsein schon jetzt leisten, wenn es sich kräftig regt: es kann
dem Zentrum beweisen, daß es den Bogen nicht mehr spannen darf, und der
Reichsregierung, daß sie weitere Zugeständnisse, die ihr das protestantische
Volk entfremdet, ablehnen kann und soll. In diesem Sinne sind die Stimmen
der ernsten Presse und die sich mehrenden Protestversammlungen gegen die
Aufhebung des Paragraphen 2 trotz so mancher leeren Deklamation nur will¬
kommen zu heißen.
Aber vor einer Erwartung muß freilich sofort nachdrücklich gewarnt werden,
nämlich vor der jeder Art konfessioneller Politik. Eine solche würde die kon¬
fessionellen Gegensätze heillos verschärfen, das Zentrum wieder in die alte
lähmende Oppositionsstellung hineintreiben und doch der Regierung keine Neichs-
tagsmehrheit schaffen. Schon einmal, im sechzehnten und siebzehnten Jahr¬
hundert, als sich der deutsche Protestantismus nur im Widerspruch mit dem
Kaisertum und der Habsburgischen Weltmacht durchzusetzen vermochte, ist von
beiden Seiten konfessionelle Politik getrieben, d. h. es sind alle politischen
Interessen dem Konfessivnalismus untergeordnet worden. Die Folgen waren
die völlige Zerrüttung der alten Reichsordnung, der Sieg der fiirstlichen Libcrtät,
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