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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Dante in der konfessionellen Polemik

Magdeburg zusammen, das nun nach einem bestimmten Plane von Flacius
und seinen Mitarbeitern, von den "Magdeburger Centuriatoren" verarbeitet
wurde.

Bei der Sichtung des Materials wurde zunächst ausgeschieden und zusammen¬
gestellt, was für das beabsichtigte Verzeichnis der Wahrheitszeugen brauchbar
schien. Die Verarbeitung dieses Stoffes übernahm Flacius selbst. Das Buch er¬
schien im Jahre 1556 bei dein genannten Verleger Oporinus in Basel, drei Jahre
bevor der erste Folioband der Kirchengeschichte bei ihm herauskam. Der Titel
ist LÄtaloKUS töstiuiu vsritatiL, yui links llostraro. ÄLtstsm poulilioi romitno
se Mpisrui srroribus rkLlalirarunt xuSng.nMv.8all6 8fut,Snell,8 8Lripssrmit>. Es
liegt ein feiner Humor darin, daß als erster Zeuge wider das Papsttum der
Apostel Petrus angeführt wird. Als letzter in der Reihe tritt Ernsmus von
Rotterdam auf den Plan.

Unter diesen Zeugen der Wahrheit erscheint denn auch Dante Alighieri.
Er ist der dreihundertste und steht zwischen zwei Waldenser Märtyrern
wenig bekannten Namens und dem deutschen Mystiker Johann Tauler. Es
ist dies das erstemal, daß Dantes Name in dem literarischen Deutschland
genannt wird.

Daß der Verfasser den Dante kannte, ist nicht verwunderlich. Matthias
Flacius Illyriens war der Abstammung nach ein Slawe, seiner Muttersprache
nach ein Italiener. Er war im italienisch redenden Jstrien geboren. Sein
Vaterland war der Freistaat Venedig. In Venedig hat er seine Studien
gemacht. Dort hat er auch seinen Dante gelesen.

Von Dantes Schriften werden drei genannt, zwei italienische, der Convitv
und die Comedia, und der lateinische Traktat as luormiolna.

Zuerst erwähnt Flacius den Traktat as inonaiodiii. In ihm habe Dante
nachgewiesen, daß der Papst nicht über dein Kaiser stehe und kein Recht über
das Reich habe. Er verwerfe die Schenkung des Konstantinus, sie sei nicht
geschehen und hätte auch gar uicht geschehe", dürfen. Deshalb sei Dante auch
von gewissen Leuten als Häretiker verdammt worden.

Hierauf kommt Flacius auf die Comedia zu sprechen. "Dante hat auch
in italienischer Sprache nicht weniges geschrieben, worin er am Papste und
seiner Religion vieles auszusetzen hat. Er klagt, daß die Predigt des gött¬
lichen Wortes unterbleibe, und daß statt dessen elende Mönchsfabeln gepredigt
und Mönchspossen geglaubt würden. Die Schafe würden anstatt mit der
Weide des Evangeliums mit Wind gefüttert. An einer andern Stelle sagt
er, der Papst sei aus einem Hirten ein Wolf geworden, der die Kirche ver¬
heere; es lüge ihm nichts an dem Worte Gottes. Es sei ihm nur um die
Giltigkeit seiner Dekrete zu tun." Endlich wird aus dem Convito erwähnt,
daß Dante die Ehe dem Cölibat gleichstelle.

Nach dieser Übersicht werden vier ziemlich umfangreiche Stellen wörtlich
angeführt, eine aus dem dritten Buch der Monarchia und drei aus dem
Paraoiso, und zwar aus dem 9., dem 18. und dem 29. Gesang. Dem
italienischen Texte ist eine lateinische Übersetzung beigefügt. Zum Schlüsse
wird die Vermutung aufgestellt, daß nach Dantes eigentlicher Gesinnung, wie


Dante in der konfessionellen Polemik

Magdeburg zusammen, das nun nach einem bestimmten Plane von Flacius
und seinen Mitarbeitern, von den „Magdeburger Centuriatoren" verarbeitet
wurde.

Bei der Sichtung des Materials wurde zunächst ausgeschieden und zusammen¬
gestellt, was für das beabsichtigte Verzeichnis der Wahrheitszeugen brauchbar
schien. Die Verarbeitung dieses Stoffes übernahm Flacius selbst. Das Buch er¬
schien im Jahre 1556 bei dein genannten Verleger Oporinus in Basel, drei Jahre
bevor der erste Folioband der Kirchengeschichte bei ihm herauskam. Der Titel
ist LÄtaloKUS töstiuiu vsritatiL, yui links llostraro. ÄLtstsm poulilioi romitno
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liegt ein feiner Humor darin, daß als erster Zeuge wider das Papsttum der
Apostel Petrus angeführt wird. Als letzter in der Reihe tritt Ernsmus von
Rotterdam auf den Plan.

Unter diesen Zeugen der Wahrheit erscheint denn auch Dante Alighieri.
Er ist der dreihundertste und steht zwischen zwei Waldenser Märtyrern
wenig bekannten Namens und dem deutschen Mystiker Johann Tauler. Es
ist dies das erstemal, daß Dantes Name in dem literarischen Deutschland
genannt wird.

Daß der Verfasser den Dante kannte, ist nicht verwunderlich. Matthias
Flacius Illyriens war der Abstammung nach ein Slawe, seiner Muttersprache
nach ein Italiener. Er war im italienisch redenden Jstrien geboren. Sein
Vaterland war der Freistaat Venedig. In Venedig hat er seine Studien
gemacht. Dort hat er auch seinen Dante gelesen.

Von Dantes Schriften werden drei genannt, zwei italienische, der Convitv
und die Comedia, und der lateinische Traktat as luormiolna.

Zuerst erwähnt Flacius den Traktat as inonaiodiii. In ihm habe Dante
nachgewiesen, daß der Papst nicht über dein Kaiser stehe und kein Recht über
das Reich habe. Er verwerfe die Schenkung des Konstantinus, sie sei nicht
geschehen und hätte auch gar uicht geschehe», dürfen. Deshalb sei Dante auch
von gewissen Leuten als Häretiker verdammt worden.

Hierauf kommt Flacius auf die Comedia zu sprechen. „Dante hat auch
in italienischer Sprache nicht weniges geschrieben, worin er am Papste und
seiner Religion vieles auszusetzen hat. Er klagt, daß die Predigt des gött¬
lichen Wortes unterbleibe, und daß statt dessen elende Mönchsfabeln gepredigt
und Mönchspossen geglaubt würden. Die Schafe würden anstatt mit der
Weide des Evangeliums mit Wind gefüttert. An einer andern Stelle sagt
er, der Papst sei aus einem Hirten ein Wolf geworden, der die Kirche ver¬
heere; es lüge ihm nichts an dem Worte Gottes. Es sei ihm nur um die
Giltigkeit seiner Dekrete zu tun." Endlich wird aus dem Convito erwähnt,
daß Dante die Ehe dem Cölibat gleichstelle.

Nach dieser Übersicht werden vier ziemlich umfangreiche Stellen wörtlich
angeführt, eine aus dem dritten Buch der Monarchia und drei aus dem
Paraoiso, und zwar aus dem 9., dem 18. und dem 29. Gesang. Dem
italienischen Texte ist eine lateinische Übersetzung beigefügt. Zum Schlüsse
wird die Vermutung aufgestellt, daß nach Dantes eigentlicher Gesinnung, wie


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[0098] Dante in der konfessionellen Polemik Magdeburg zusammen, das nun nach einem bestimmten Plane von Flacius und seinen Mitarbeitern, von den „Magdeburger Centuriatoren" verarbeitet wurde. Bei der Sichtung des Materials wurde zunächst ausgeschieden und zusammen¬ gestellt, was für das beabsichtigte Verzeichnis der Wahrheitszeugen brauchbar schien. Die Verarbeitung dieses Stoffes übernahm Flacius selbst. Das Buch er¬ schien im Jahre 1556 bei dein genannten Verleger Oporinus in Basel, drei Jahre bevor der erste Folioband der Kirchengeschichte bei ihm herauskam. Der Titel ist LÄtaloKUS töstiuiu vsritatiL, yui links llostraro. ÄLtstsm poulilioi romitno se Mpisrui srroribus rkLlalirarunt xuSng.nMv.8all6 8fut,Snell,8 8Lripssrmit>. Es liegt ein feiner Humor darin, daß als erster Zeuge wider das Papsttum der Apostel Petrus angeführt wird. Als letzter in der Reihe tritt Ernsmus von Rotterdam auf den Plan. Unter diesen Zeugen der Wahrheit erscheint denn auch Dante Alighieri. Er ist der dreihundertste und steht zwischen zwei Waldenser Märtyrern wenig bekannten Namens und dem deutschen Mystiker Johann Tauler. Es ist dies das erstemal, daß Dantes Name in dem literarischen Deutschland genannt wird. Daß der Verfasser den Dante kannte, ist nicht verwunderlich. Matthias Flacius Illyriens war der Abstammung nach ein Slawe, seiner Muttersprache nach ein Italiener. Er war im italienisch redenden Jstrien geboren. Sein Vaterland war der Freistaat Venedig. In Venedig hat er seine Studien gemacht. Dort hat er auch seinen Dante gelesen. Von Dantes Schriften werden drei genannt, zwei italienische, der Convitv und die Comedia, und der lateinische Traktat as luormiolna. Zuerst erwähnt Flacius den Traktat as inonaiodiii. In ihm habe Dante nachgewiesen, daß der Papst nicht über dein Kaiser stehe und kein Recht über das Reich habe. Er verwerfe die Schenkung des Konstantinus, sie sei nicht geschehen und hätte auch gar uicht geschehe», dürfen. Deshalb sei Dante auch von gewissen Leuten als Häretiker verdammt worden. Hierauf kommt Flacius auf die Comedia zu sprechen. „Dante hat auch in italienischer Sprache nicht weniges geschrieben, worin er am Papste und seiner Religion vieles auszusetzen hat. Er klagt, daß die Predigt des gött¬ lichen Wortes unterbleibe, und daß statt dessen elende Mönchsfabeln gepredigt und Mönchspossen geglaubt würden. Die Schafe würden anstatt mit der Weide des Evangeliums mit Wind gefüttert. An einer andern Stelle sagt er, der Papst sei aus einem Hirten ein Wolf geworden, der die Kirche ver¬ heere; es lüge ihm nichts an dem Worte Gottes. Es sei ihm nur um die Giltigkeit seiner Dekrete zu tun." Endlich wird aus dem Convito erwähnt, daß Dante die Ehe dem Cölibat gleichstelle. Nach dieser Übersicht werden vier ziemlich umfangreiche Stellen wörtlich angeführt, eine aus dem dritten Buch der Monarchia und drei aus dem Paraoiso, und zwar aus dem 9., dem 18. und dem 29. Gesang. Dem italienischen Texte ist eine lateinische Übersetzung beigefügt. Zum Schlüsse wird die Vermutung aufgestellt, daß nach Dantes eigentlicher Gesinnung, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/98>, abgerufen am 23.07.2024.