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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

logisch merkwürdige Erscheinung, daß ein nicht geringer Teil der Mißhandlungen
von den "Kameraden" herrührt, und daß auch die mißhandelnden Unteroffiziere
erst wenige Jahre zuvor Rekruten gewesen sind, also wissen, "wie es tut."

Die Sozialdemokratie läßt es sich nun neuerdings angelegen sein, den Sol¬
daten die Lehre von der "Notwehr" einzuprägen, Bebel, Ledebour und andre
sind wiederholt darauf zurückgekommen. Diese Redner wissen sehr wohl, daß Fälle,
in denen das bürgerliche Strafgesetz die "Notwehr" überhaupt anerkennt und zu¬
läßt, sehr seltne sind, ja daß die meisten dieser Ausnahmen: Überfall, Einbruch usw.,
im Verhältnis der Vorgesetzten zu den Untergebnen völlig ausgeschlossen sind. Den
Sozialdemokraten kommt es nur darauf an, einzelne Soldaten zu dem Glauben
zu verleiten, daß sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber im Stande der Notwehr be¬
finden, demgemäß handeln und damit dem Heere Beispiele bewaffneter Auflehnung
und Empörung bieten. Daß jenen armen Verführten ihre vermeintliche "Notwehr" sehr
teuer zu stehn kommen würde, ficht die Hetzer nicht an. Im Gegenteil, die unver¬
meidliche strenge Bestrafung dieser Art Notwehr würde von ihnen mit Vergnügen
dazu benutzt werden, die "Märtyrer" und "Opfer des Militarismus" in un¬
zähligen Hetzreden und Hetzartikeln zu beklagen, freilich ohne das Eingeständnis,
daß die durch die parlamentarische Immunität leider gedeckten Hetzredner aus¬
schließlich die Schuld an diesem Martyrium tragen.

Es bekundet einen bedauerlichen Mangel an Staatssinn, daß die andern Par¬
teien der Sozialdemokratie die gröbsten rednerischen Ausschweifungen auf diesem
Gebiete nicht nur erlauben, sondern ihnen bis zum gewissen Grade sekundieren.
Jeder echte Liberale glaubt sein Scheit zu dem Haufen hinzulegen zu müssen, auf
dem die mißhandelnden Vorgesetzten vor aller Welt verbrannt werden. Anstatt mit
einer die Vorkommnisse bedauernden Resolution, die die Regierung um gründliche
Abhilfe ersucht, zur Tagesordnung überzugehn, duldet man tagelange Erörterungen
in behaglichster Breite, der Präsident beschränkt sich auf wenige Unterbrechungen
oder gelegentliches Schwingen der Glocke, weil er befürchten muß, daß die Sozial¬
demokraten auf ein strengeres Eingreifen mit einem Antrag auf Aufzählung des
Hauses antworten, und so nimmt denn die Miuiernrbeit, die nach Bebels offnem
Eingeständnis nur dazu bestimmt ist, das ganze heutige Staatsgebäude in die Lust
zu sprengen, ihren lustigen Fortgang.

Einen sehr eigentümlichen Beitrag hat aber das Zentrum mit seiner Reso¬
lution Grveber geleistet, die darauf hinausgeht, "das heutige Mißverhältnis der
Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuchs über Verfehlungen der Untergebnen gegen
Vorgesetzte im Vergleich zu dessen Bestimmungen über Verfehlungen der Vorge¬
setzten gegen Untergebne zu beseitigen." Die Sozialdemokratie hat sich diesen Antrag
flugs zu eigen gemacht und eine "authentische Interpretation" des Paragraphen 124
verlangt, d. h. der darin vorgesehenen Berechtigung des Vorgesetzten, im Not¬
fall zur Erzwingung des Gehorsams gegen die sich laeues widersetzenden Unter¬
gebnen von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Der Reichstag hat es ja durch¬
gesetzt, die Resolution Groeber einer Kommission von sieben Mitgliedern zu überweisen,
die ihr eine andre "redaktionelle" Fassung geben soll; immerhin aber bleibt die
Tatsache bestehn, daß das Zentrum mit seinem Antrage dem auf die Erschütterung
der Disziplin gerichteten Vorgehn der Sozialdemokratie die Wege ebnet. Denn
wenn das Militärstrafgesetzbuch Ungleichheiten in der Behandlung solcher Vor¬
gänge stipuliert, so ist das doch nur deshalb der Fall, weil der Grundgedanke
unsers gesamten Militärstrafgesetzes der Schutz der Disziplin ist und bleiben
muß. Wer dagegen mit gesetzgeberischen Akten angeht, muß sich über die Folgen
klar sein. Wir hoffen, daß der Reichstag diese Resolution Groeber in einer wohl¬
tätigen Versenkung verschwinden läßt; sollte sie aber in gleichviel welcher Form
dennoch zur Annahme gelangen, so darf die Nation wie die Armee ein rundes
"Nein" des Bundesrath erwarten. Schwerlich konnte ein preußischer Kriegsminister
für ein Vorgehn im Sinne solcher Resolution eine Verantwortlichkeit übernehmen.
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Maßgebliches und Unmaßgebliches

logisch merkwürdige Erscheinung, daß ein nicht geringer Teil der Mißhandlungen
von den „Kameraden" herrührt, und daß auch die mißhandelnden Unteroffiziere
erst wenige Jahre zuvor Rekruten gewesen sind, also wissen, „wie es tut."

Die Sozialdemokratie läßt es sich nun neuerdings angelegen sein, den Sol¬
daten die Lehre von der „Notwehr" einzuprägen, Bebel, Ledebour und andre
sind wiederholt darauf zurückgekommen. Diese Redner wissen sehr wohl, daß Fälle,
in denen das bürgerliche Strafgesetz die „Notwehr" überhaupt anerkennt und zu¬
läßt, sehr seltne sind, ja daß die meisten dieser Ausnahmen: Überfall, Einbruch usw.,
im Verhältnis der Vorgesetzten zu den Untergebnen völlig ausgeschlossen sind. Den
Sozialdemokraten kommt es nur darauf an, einzelne Soldaten zu dem Glauben
zu verleiten, daß sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber im Stande der Notwehr be¬
finden, demgemäß handeln und damit dem Heere Beispiele bewaffneter Auflehnung
und Empörung bieten. Daß jenen armen Verführten ihre vermeintliche „Notwehr" sehr
teuer zu stehn kommen würde, ficht die Hetzer nicht an. Im Gegenteil, die unver¬
meidliche strenge Bestrafung dieser Art Notwehr würde von ihnen mit Vergnügen
dazu benutzt werden, die „Märtyrer" und „Opfer des Militarismus" in un¬
zähligen Hetzreden und Hetzartikeln zu beklagen, freilich ohne das Eingeständnis,
daß die durch die parlamentarische Immunität leider gedeckten Hetzredner aus¬
schließlich die Schuld an diesem Martyrium tragen.

Es bekundet einen bedauerlichen Mangel an Staatssinn, daß die andern Par¬
teien der Sozialdemokratie die gröbsten rednerischen Ausschweifungen auf diesem
Gebiete nicht nur erlauben, sondern ihnen bis zum gewissen Grade sekundieren.
Jeder echte Liberale glaubt sein Scheit zu dem Haufen hinzulegen zu müssen, auf
dem die mißhandelnden Vorgesetzten vor aller Welt verbrannt werden. Anstatt mit
einer die Vorkommnisse bedauernden Resolution, die die Regierung um gründliche
Abhilfe ersucht, zur Tagesordnung überzugehn, duldet man tagelange Erörterungen
in behaglichster Breite, der Präsident beschränkt sich auf wenige Unterbrechungen
oder gelegentliches Schwingen der Glocke, weil er befürchten muß, daß die Sozial¬
demokraten auf ein strengeres Eingreifen mit einem Antrag auf Aufzählung des
Hauses antworten, und so nimmt denn die Miuiernrbeit, die nach Bebels offnem
Eingeständnis nur dazu bestimmt ist, das ganze heutige Staatsgebäude in die Lust
zu sprengen, ihren lustigen Fortgang.

Einen sehr eigentümlichen Beitrag hat aber das Zentrum mit seiner Reso¬
lution Grveber geleistet, die darauf hinausgeht, „das heutige Mißverhältnis der
Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuchs über Verfehlungen der Untergebnen gegen
Vorgesetzte im Vergleich zu dessen Bestimmungen über Verfehlungen der Vorge¬
setzten gegen Untergebne zu beseitigen." Die Sozialdemokratie hat sich diesen Antrag
flugs zu eigen gemacht und eine „authentische Interpretation" des Paragraphen 124
verlangt, d. h. der darin vorgesehenen Berechtigung des Vorgesetzten, im Not¬
fall zur Erzwingung des Gehorsams gegen die sich laeues widersetzenden Unter¬
gebnen von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Der Reichstag hat es ja durch¬
gesetzt, die Resolution Groeber einer Kommission von sieben Mitgliedern zu überweisen,
die ihr eine andre „redaktionelle" Fassung geben soll; immerhin aber bleibt die
Tatsache bestehn, daß das Zentrum mit seinem Antrage dem auf die Erschütterung
der Disziplin gerichteten Vorgehn der Sozialdemokratie die Wege ebnet. Denn
wenn das Militärstrafgesetzbuch Ungleichheiten in der Behandlung solcher Vor¬
gänge stipuliert, so ist das doch nur deshalb der Fall, weil der Grundgedanke
unsers gesamten Militärstrafgesetzes der Schutz der Disziplin ist und bleiben
muß. Wer dagegen mit gesetzgeberischen Akten angeht, muß sich über die Folgen
klar sein. Wir hoffen, daß der Reichstag diese Resolution Groeber in einer wohl¬
tätigen Versenkung verschwinden läßt; sollte sie aber in gleichviel welcher Form
dennoch zur Annahme gelangen, so darf die Nation wie die Armee ein rundes
"Nein" des Bundesrath erwarten. Schwerlich konnte ein preußischer Kriegsminister
für ein Vorgehn im Sinne solcher Resolution eine Verantwortlichkeit übernehmen.
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[0811] Maßgebliches und Unmaßgebliches logisch merkwürdige Erscheinung, daß ein nicht geringer Teil der Mißhandlungen von den „Kameraden" herrührt, und daß auch die mißhandelnden Unteroffiziere erst wenige Jahre zuvor Rekruten gewesen sind, also wissen, „wie es tut." Die Sozialdemokratie läßt es sich nun neuerdings angelegen sein, den Sol¬ daten die Lehre von der „Notwehr" einzuprägen, Bebel, Ledebour und andre sind wiederholt darauf zurückgekommen. Diese Redner wissen sehr wohl, daß Fälle, in denen das bürgerliche Strafgesetz die „Notwehr" überhaupt anerkennt und zu¬ läßt, sehr seltne sind, ja daß die meisten dieser Ausnahmen: Überfall, Einbruch usw., im Verhältnis der Vorgesetzten zu den Untergebnen völlig ausgeschlossen sind. Den Sozialdemokraten kommt es nur darauf an, einzelne Soldaten zu dem Glauben zu verleiten, daß sie sich ihren Vorgesetzten gegenüber im Stande der Notwehr be¬ finden, demgemäß handeln und damit dem Heere Beispiele bewaffneter Auflehnung und Empörung bieten. Daß jenen armen Verführten ihre vermeintliche „Notwehr" sehr teuer zu stehn kommen würde, ficht die Hetzer nicht an. Im Gegenteil, die unver¬ meidliche strenge Bestrafung dieser Art Notwehr würde von ihnen mit Vergnügen dazu benutzt werden, die „Märtyrer" und „Opfer des Militarismus" in un¬ zähligen Hetzreden und Hetzartikeln zu beklagen, freilich ohne das Eingeständnis, daß die durch die parlamentarische Immunität leider gedeckten Hetzredner aus¬ schließlich die Schuld an diesem Martyrium tragen. Es bekundet einen bedauerlichen Mangel an Staatssinn, daß die andern Par¬ teien der Sozialdemokratie die gröbsten rednerischen Ausschweifungen auf diesem Gebiete nicht nur erlauben, sondern ihnen bis zum gewissen Grade sekundieren. Jeder echte Liberale glaubt sein Scheit zu dem Haufen hinzulegen zu müssen, auf dem die mißhandelnden Vorgesetzten vor aller Welt verbrannt werden. Anstatt mit einer die Vorkommnisse bedauernden Resolution, die die Regierung um gründliche Abhilfe ersucht, zur Tagesordnung überzugehn, duldet man tagelange Erörterungen in behaglichster Breite, der Präsident beschränkt sich auf wenige Unterbrechungen oder gelegentliches Schwingen der Glocke, weil er befürchten muß, daß die Sozial¬ demokraten auf ein strengeres Eingreifen mit einem Antrag auf Aufzählung des Hauses antworten, und so nimmt denn die Miuiernrbeit, die nach Bebels offnem Eingeständnis nur dazu bestimmt ist, das ganze heutige Staatsgebäude in die Lust zu sprengen, ihren lustigen Fortgang. Einen sehr eigentümlichen Beitrag hat aber das Zentrum mit seiner Reso¬ lution Grveber geleistet, die darauf hinausgeht, „das heutige Mißverhältnis der Bestimmungen des Militärstrafgesetzbuchs über Verfehlungen der Untergebnen gegen Vorgesetzte im Vergleich zu dessen Bestimmungen über Verfehlungen der Vorge¬ setzten gegen Untergebne zu beseitigen." Die Sozialdemokratie hat sich diesen Antrag flugs zu eigen gemacht und eine „authentische Interpretation" des Paragraphen 124 verlangt, d. h. der darin vorgesehenen Berechtigung des Vorgesetzten, im Not¬ fall zur Erzwingung des Gehorsams gegen die sich laeues widersetzenden Unter¬ gebnen von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Der Reichstag hat es ja durch¬ gesetzt, die Resolution Groeber einer Kommission von sieben Mitgliedern zu überweisen, die ihr eine andre „redaktionelle" Fassung geben soll; immerhin aber bleibt die Tatsache bestehn, daß das Zentrum mit seinem Antrage dem auf die Erschütterung der Disziplin gerichteten Vorgehn der Sozialdemokratie die Wege ebnet. Denn wenn das Militärstrafgesetzbuch Ungleichheiten in der Behandlung solcher Vor¬ gänge stipuliert, so ist das doch nur deshalb der Fall, weil der Grundgedanke unsers gesamten Militärstrafgesetzes der Schutz der Disziplin ist und bleiben muß. Wer dagegen mit gesetzgeberischen Akten angeht, muß sich über die Folgen klar sein. Wir hoffen, daß der Reichstag diese Resolution Groeber in einer wohl¬ tätigen Versenkung verschwinden läßt; sollte sie aber in gleichviel welcher Form dennoch zur Annahme gelangen, so darf die Nation wie die Armee ein rundes "Nein" des Bundesrath erwarten. Schwerlich konnte ein preußischer Kriegsminister für ein Vorgehn im Sinne solcher Resolution eine Verantwortlichkeit übernehmen. »»- ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/811>, abgerufen am 26.06.2024.