Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Armeekonflikt in Ungarn

scheitert waren. Aber gerade das war ein Grund mehr für die liberale Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses gewesen, die Bildung eines Ministeriums Tisza
zu verhindern, in das Fejervary wieder mit eingeschlossen werden sollte. Sie
hoffte damals noch auf bedeutende nationale Zugeständnisse, bei denen die
Persönlichkeit des seitherigen Honvedministers nur hinderlich gewesen wäre.
Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unterschied sich in der Wehrfrage nur
in bezug auf die Taktik von der Opposition; diese sollte durch ihre Obstruktion
nationale Zugeständnisse ertrotzen, denen dann die Liberalen bereitwillig zu¬
gestimmt hätten, natürlich nicht, ohne durch ein leichtes Entgegenkommen gegen¬
über der Krone alles Verdienst ans sich zu ziehen. So hatte man es scholl
seit Jahrzehnten gemacht.

Es war doch ganz verwunderlich, wo während der Bemühungen Tiszas,
ein Kabinett zu bilden, die zahlreichen Mitglieder der Regierungspartei hin¬
gekommen waren, die sich, so lange Szell am Ruder gewesen war, mit seiner
Politik des passiven Widerstands gegen die Obstruktion so unzufrieden gezeigt
hatten. Noch mehr mußte man sich wundern, daß von all den Größen der
liberalen Regierungspartei keine einzige darüber Mitteilungen gemacht hatte,
daß sie in ihren Besprechungen mit dem Monarchen auf die unbedingteste
Ablehnung aller nationalen Forderungen gestoßen waren. Wochenlang schleppte
sich die Ungewißheit darüber iir der öffentlichen Meinung hin und wurde von
der dabei interessierten Presse sorgsam gehegt und gepflegt. Man täuschte
sich noch immer mit der Hoffnung auf ein Ministerium Wekerle, das aller¬
dings ein reiches Maß von nationalen Wünschen befriedigt hätte. Alles
das muß mit in Betracht gezogen werden, wenn man das allgemein ab¬
fällig beurteilte Auftreten des Grafen Khuen richtig beurteilen will. Die
Verwirrung und alle nachteiligen Folgen der früher begangnen Fehler traten
zutage, aber der einzige feste Punkt in dem wilden Schwanken und Wogen,
der feste Wille des Kaisers, in der Heeresfrage nicht nachzugeben, war ver¬
schwiegen geblieben.

Graf Khuen hatte nach allem Anschein sein Ziel erreicht und durch seine
Zurückziehung der Rekrutenvorlage die Obstruktion beseitigt. Der Abgeordnete
Barabas erklärte am 25. Juni in einer ausdrücklich ans Verlangen der
Opposition einberufnen Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses, sie Hütten
die Sitzung beantragt, um dem König die Bitte auszusprechen, er möge die
Lösung der Krisis in Budapest und nicht in Wien vornehmen und dabei nur
die Ratschläge ungarischer Politiker hören. Die Kossnthpartei sei aber jetzt
durch die Zurückziehung der Militärvorlage befriedigt, in Zukunft würde sie
jedoch ohne nationale Zngestündnisse nichts mehr wie bisher bewilligen. Ab¬
gesehen von der echt magyarischen Überhebung, dem Monarchen Vorschriften
über die Wahl seiner Ratgeber machen zu wollen, klang die Erklärung ganz
friedlich, und Graf Khuen reiste nach Wien, um dem Kaiser Meldung zu
machen und sich definitiv mit der Bildung des Kabinetts betrauen zu lassen.
Hineingefallen war bei der unerwarteten Wendung am meisten die große
liberale Partei. Sie hatte diese Strafe redlich verdient, weil sie mit den
nationalen Forderungen der Kossuthianer offen kokettiert und sie unterstützt


Der Armeekonflikt in Ungarn

scheitert waren. Aber gerade das war ein Grund mehr für die liberale Mehr¬
heit des Abgeordnetenhauses gewesen, die Bildung eines Ministeriums Tisza
zu verhindern, in das Fejervary wieder mit eingeschlossen werden sollte. Sie
hoffte damals noch auf bedeutende nationale Zugeständnisse, bei denen die
Persönlichkeit des seitherigen Honvedministers nur hinderlich gewesen wäre.
Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unterschied sich in der Wehrfrage nur
in bezug auf die Taktik von der Opposition; diese sollte durch ihre Obstruktion
nationale Zugeständnisse ertrotzen, denen dann die Liberalen bereitwillig zu¬
gestimmt hätten, natürlich nicht, ohne durch ein leichtes Entgegenkommen gegen¬
über der Krone alles Verdienst ans sich zu ziehen. So hatte man es scholl
seit Jahrzehnten gemacht.

Es war doch ganz verwunderlich, wo während der Bemühungen Tiszas,
ein Kabinett zu bilden, die zahlreichen Mitglieder der Regierungspartei hin¬
gekommen waren, die sich, so lange Szell am Ruder gewesen war, mit seiner
Politik des passiven Widerstands gegen die Obstruktion so unzufrieden gezeigt
hatten. Noch mehr mußte man sich wundern, daß von all den Größen der
liberalen Regierungspartei keine einzige darüber Mitteilungen gemacht hatte,
daß sie in ihren Besprechungen mit dem Monarchen auf die unbedingteste
Ablehnung aller nationalen Forderungen gestoßen waren. Wochenlang schleppte
sich die Ungewißheit darüber iir der öffentlichen Meinung hin und wurde von
der dabei interessierten Presse sorgsam gehegt und gepflegt. Man täuschte
sich noch immer mit der Hoffnung auf ein Ministerium Wekerle, das aller¬
dings ein reiches Maß von nationalen Wünschen befriedigt hätte. Alles
das muß mit in Betracht gezogen werden, wenn man das allgemein ab¬
fällig beurteilte Auftreten des Grafen Khuen richtig beurteilen will. Die
Verwirrung und alle nachteiligen Folgen der früher begangnen Fehler traten
zutage, aber der einzige feste Punkt in dem wilden Schwanken und Wogen,
der feste Wille des Kaisers, in der Heeresfrage nicht nachzugeben, war ver¬
schwiegen geblieben.

Graf Khuen hatte nach allem Anschein sein Ziel erreicht und durch seine
Zurückziehung der Rekrutenvorlage die Obstruktion beseitigt. Der Abgeordnete
Barabas erklärte am 25. Juni in einer ausdrücklich ans Verlangen der
Opposition einberufnen Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses, sie Hütten
die Sitzung beantragt, um dem König die Bitte auszusprechen, er möge die
Lösung der Krisis in Budapest und nicht in Wien vornehmen und dabei nur
die Ratschläge ungarischer Politiker hören. Die Kossnthpartei sei aber jetzt
durch die Zurückziehung der Militärvorlage befriedigt, in Zukunft würde sie
jedoch ohne nationale Zngestündnisse nichts mehr wie bisher bewilligen. Ab¬
gesehen von der echt magyarischen Überhebung, dem Monarchen Vorschriften
über die Wahl seiner Ratgeber machen zu wollen, klang die Erklärung ganz
friedlich, und Graf Khuen reiste nach Wien, um dem Kaiser Meldung zu
machen und sich definitiv mit der Bildung des Kabinetts betrauen zu lassen.
Hineingefallen war bei der unerwarteten Wendung am meisten die große
liberale Partei. Sie hatte diese Strafe redlich verdient, weil sie mit den
nationalen Forderungen der Kossuthianer offen kokettiert und sie unterstützt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/292873"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Armeekonflikt in Ungarn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_329" prev="#ID_328"> scheitert waren. Aber gerade das war ein Grund mehr für die liberale Mehr¬<lb/>
heit des Abgeordnetenhauses gewesen, die Bildung eines Ministeriums Tisza<lb/>
zu verhindern, in das Fejervary wieder mit eingeschlossen werden sollte. Sie<lb/>
hoffte damals noch auf bedeutende nationale Zugeständnisse, bei denen die<lb/>
Persönlichkeit des seitherigen Honvedministers nur hinderlich gewesen wäre.<lb/>
Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unterschied sich in der Wehrfrage nur<lb/>
in bezug auf die Taktik von der Opposition; diese sollte durch ihre Obstruktion<lb/>
nationale Zugeständnisse ertrotzen, denen dann die Liberalen bereitwillig zu¬<lb/>
gestimmt hätten, natürlich nicht, ohne durch ein leichtes Entgegenkommen gegen¬<lb/>
über der Krone alles Verdienst ans sich zu ziehen. So hatte man es scholl<lb/>
seit Jahrzehnten gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_330"> Es war doch ganz verwunderlich, wo während der Bemühungen Tiszas,<lb/>
ein Kabinett zu bilden, die zahlreichen Mitglieder der Regierungspartei hin¬<lb/>
gekommen waren, die sich, so lange Szell am Ruder gewesen war, mit seiner<lb/>
Politik des passiven Widerstands gegen die Obstruktion so unzufrieden gezeigt<lb/>
hatten. Noch mehr mußte man sich wundern, daß von all den Größen der<lb/>
liberalen Regierungspartei keine einzige darüber Mitteilungen gemacht hatte,<lb/>
daß sie in ihren Besprechungen mit dem Monarchen auf die unbedingteste<lb/>
Ablehnung aller nationalen Forderungen gestoßen waren. Wochenlang schleppte<lb/>
sich die Ungewißheit darüber iir der öffentlichen Meinung hin und wurde von<lb/>
der dabei interessierten Presse sorgsam gehegt und gepflegt. Man täuschte<lb/>
sich noch immer mit der Hoffnung auf ein Ministerium Wekerle, das aller¬<lb/>
dings ein reiches Maß von nationalen Wünschen befriedigt hätte. Alles<lb/>
das muß mit in Betracht gezogen werden, wenn man das allgemein ab¬<lb/>
fällig beurteilte Auftreten des Grafen Khuen richtig beurteilen will. Die<lb/>
Verwirrung und alle nachteiligen Folgen der früher begangnen Fehler traten<lb/>
zutage, aber der einzige feste Punkt in dem wilden Schwanken und Wogen,<lb/>
der feste Wille des Kaisers, in der Heeresfrage nicht nachzugeben, war ver¬<lb/>
schwiegen geblieben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_331" next="#ID_332"> Graf Khuen hatte nach allem Anschein sein Ziel erreicht und durch seine<lb/>
Zurückziehung der Rekrutenvorlage die Obstruktion beseitigt. Der Abgeordnete<lb/>
Barabas erklärte am 25. Juni in einer ausdrücklich ans Verlangen der<lb/>
Opposition einberufnen Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses, sie Hütten<lb/>
die Sitzung beantragt, um dem König die Bitte auszusprechen, er möge die<lb/>
Lösung der Krisis in Budapest und nicht in Wien vornehmen und dabei nur<lb/>
die Ratschläge ungarischer Politiker hören. Die Kossnthpartei sei aber jetzt<lb/>
durch die Zurückziehung der Militärvorlage befriedigt, in Zukunft würde sie<lb/>
jedoch ohne nationale Zngestündnisse nichts mehr wie bisher bewilligen. Ab¬<lb/>
gesehen von der echt magyarischen Überhebung, dem Monarchen Vorschriften<lb/>
über die Wahl seiner Ratgeber machen zu wollen, klang die Erklärung ganz<lb/>
friedlich, und Graf Khuen reiste nach Wien, um dem Kaiser Meldung zu<lb/>
machen und sich definitiv mit der Bildung des Kabinetts betrauen zu lassen.<lb/>
Hineingefallen war bei der unerwarteten Wendung am meisten die große<lb/>
liberale Partei. Sie hatte diese Strafe redlich verdient, weil sie mit den<lb/>
nationalen Forderungen der Kossuthianer offen kokettiert und sie unterstützt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] Der Armeekonflikt in Ungarn scheitert waren. Aber gerade das war ein Grund mehr für die liberale Mehr¬ heit des Abgeordnetenhauses gewesen, die Bildung eines Ministeriums Tisza zu verhindern, in das Fejervary wieder mit eingeschlossen werden sollte. Sie hoffte damals noch auf bedeutende nationale Zugeständnisse, bei denen die Persönlichkeit des seitherigen Honvedministers nur hinderlich gewesen wäre. Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses unterschied sich in der Wehrfrage nur in bezug auf die Taktik von der Opposition; diese sollte durch ihre Obstruktion nationale Zugeständnisse ertrotzen, denen dann die Liberalen bereitwillig zu¬ gestimmt hätten, natürlich nicht, ohne durch ein leichtes Entgegenkommen gegen¬ über der Krone alles Verdienst ans sich zu ziehen. So hatte man es scholl seit Jahrzehnten gemacht. Es war doch ganz verwunderlich, wo während der Bemühungen Tiszas, ein Kabinett zu bilden, die zahlreichen Mitglieder der Regierungspartei hin¬ gekommen waren, die sich, so lange Szell am Ruder gewesen war, mit seiner Politik des passiven Widerstands gegen die Obstruktion so unzufrieden gezeigt hatten. Noch mehr mußte man sich wundern, daß von all den Größen der liberalen Regierungspartei keine einzige darüber Mitteilungen gemacht hatte, daß sie in ihren Besprechungen mit dem Monarchen auf die unbedingteste Ablehnung aller nationalen Forderungen gestoßen waren. Wochenlang schleppte sich die Ungewißheit darüber iir der öffentlichen Meinung hin und wurde von der dabei interessierten Presse sorgsam gehegt und gepflegt. Man täuschte sich noch immer mit der Hoffnung auf ein Ministerium Wekerle, das aller¬ dings ein reiches Maß von nationalen Wünschen befriedigt hätte. Alles das muß mit in Betracht gezogen werden, wenn man das allgemein ab¬ fällig beurteilte Auftreten des Grafen Khuen richtig beurteilen will. Die Verwirrung und alle nachteiligen Folgen der früher begangnen Fehler traten zutage, aber der einzige feste Punkt in dem wilden Schwanken und Wogen, der feste Wille des Kaisers, in der Heeresfrage nicht nachzugeben, war ver¬ schwiegen geblieben. Graf Khuen hatte nach allem Anschein sein Ziel erreicht und durch seine Zurückziehung der Rekrutenvorlage die Obstruktion beseitigt. Der Abgeordnete Barabas erklärte am 25. Juni in einer ausdrücklich ans Verlangen der Opposition einberufnen Sitzung des ungarischen Abgeordnetenhauses, sie Hütten die Sitzung beantragt, um dem König die Bitte auszusprechen, er möge die Lösung der Krisis in Budapest und nicht in Wien vornehmen und dabei nur die Ratschläge ungarischer Politiker hören. Die Kossnthpartei sei aber jetzt durch die Zurückziehung der Militärvorlage befriedigt, in Zukunft würde sie jedoch ohne nationale Zngestündnisse nichts mehr wie bisher bewilligen. Ab¬ gesehen von der echt magyarischen Überhebung, dem Monarchen Vorschriften über die Wahl seiner Ratgeber machen zu wollen, klang die Erklärung ganz friedlich, und Graf Khuen reiste nach Wien, um dem Kaiser Meldung zu machen und sich definitiv mit der Bildung des Kabinetts betrauen zu lassen. Hineingefallen war bei der unerwarteten Wendung am meisten die große liberale Partei. Sie hatte diese Strafe redlich verdient, weil sie mit den nationalen Forderungen der Kossuthianer offen kokettiert und sie unterstützt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/76>, abgerufen am 22.07.2024.