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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

falls sie günstig ausfällt, seine Anerkennung aus, obwohl dieses Verfahren, die
einen auf Kosten der andern loben, allen Grundsätzen der Bundesfreundlichkeit
widerstreitet, wie das erst jüngst der General Endres bei einer andern Gelegenheit
im Reichtsage unter allgemeinem Beifall ausgeführt hat. Soll das etwa bei jeden:
Beschluß des Bundesrath, der einer Partei nicht gefällt, Mode werden? Man
ruft in einem Atem das Gewissen des deutsch-protestantischen Volkes und die viel¬
geplagten "Imponderabilien der Volksseele" auf und klagt doch über seine kirchliche
Gleichgiltigkeit, und man sieht nicht ein, daß man mit dem allen, mit dieser aber¬
gläubischen Angst vor ein paar Dutzend Jesuiten dem Protestantismus ein Armuts¬
zeugnis sondergleichen ausstellt, das er wahrhaftig nicht verdient. Kein Mensch
bedroht die Glaubens- und Gewissensfreiheit in Deutschland, die Grundlage unsrer
ganzen geistigen Kultur für Protestanten wie für Katholiken, die wir uns niemals
nehmen lassen sollen und werden; aber wenn das so weiter gehn sollte, so würden
wir in einer Lage, wo die schwersten Machtfragen am politischen Horizonte stehn,
in einen widerwärtigen konfessionellen Hader hineintreiben. Dafür träfe dann auch
die katholische Presse und das Zentrum die Verantwortung, da sie immer und immer
wieder die Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes verlangen, das eben kein Aus¬
nahmegesetz ist, denn diese Aufhebung ist -- darüber kann kein Zweifel bestehn --
bei der jetzigen Stimmung der deutscheu Protestanten unmöglich. Nicht die Durch¬
führung irgend welches Kirchenideals ist für uns die Hauptsache, sondern der Friede
und die Eintracht innerhalb der deutschen Nation. Diesem Zwecke haben sich alle
Ki rchengemeinschaften zu beugen.


Unser jetziges Heerwesen.

Es ist kaum glaublich, welche Menge von
Büchern und Schriften der Bilsesche Roman "Aus einer kleinen Garnison" und die
Beyerleinschen Erzeugnisse "Jena oder Sedan" und "Der Zapfenstreich" in kurzer
Zeit hervorgerufen und auf den Markt gebracht haben. Wir Deutschen haben bannt
wieder einmal den Beweis geliefert, daß wir selbst immer unser größter Feind sind.
Weder der Franzose noch der Engländer wird einzelne und vereinzelt dastehende
Ereignisse, die in allen Ständen und Berufsarten vorgekommen sind, vorkommen
und immer wieder vorkommen werden, in die Welt posaunen und damit ihre Wehr¬
kraft als auf dem absteigenden Ast stehend darstellen. Wir tun das, denn der
Deutsche kann glückliche Zustände nicht lange ertragen. Die oben erwähnten Werke
werden in Paris und in allen französischen Garnisonen mit wahrem Heißhunger
gelesen. Das auch von den Franzosen so hoch geschätzte und als für ganz einwand¬
frei betrachtete deutsche Heerwesen soll solche Mißstände aufweisen? Ein höherer
französischer Offizier, der unsre letzten Kaisermanöver in dienstlichen Auftrage mit¬
gemacht hat, ist ganz begeistert nach Frankreich zurückgekehrt und des Lobes voll
für unsre Leistungen. Und in Deutschland selbst solche Schriften?! Eine Schrift
"Weder Jena noch Sedan" von Alfred H. Fried schließt aus dem Umstände, daß wir
seit dreiunddreißig Jahren keinen Krieg in Europa gehabt haben, darauf, daß überhaupt
ein Krieg kaum mehr zu erwarten sei. Er nennt es eine Tatsache, daß ein langer
Friede die beste Armee kriegsuntauglich mache. Hat man denn ganz vergessen, daß
Preußen von 1815 bis 1864, also fast fünfzig Jahre lang, abgesehen von den
Kämpfen der Revolutionsjahre 1848/49, Frieden gehabt hat? Trotz alledem war
Preußen 1864 1866 und 1870/71 überall Sieger. Wodurch kamen die Erfolge?
Doch einfach dadurch, daß man in Preußen verstand, die Friedensarbeit richtig aus¬
zunutzen und in den Manövern alles für den Krieg zu lehren, was man überhaupt
im Frieden lehren kann. Wenn also der Verfasser der zuletzt genannten Schrift
behauptet, die alljährlichen Manöver glichen großen Generalproben, böten aber be,
den großen technischen Veränderungen, die seit dem letzten Kriege eingeführt worden
seien, nicht den geringsten Anhalt für die Wirklichkeit, so hat er Unrecht. So gut
die preußischen Manöver in den fünfzig Jahren vor 1864 ihren Zweck wirklich kriegs¬
mäßiger Ausbildung der Mannschaft und der Führer erfüllten, ebensogut werden


Grenzboten I 1904 9?
Maßgebliches und Unmaßgebliches

falls sie günstig ausfällt, seine Anerkennung aus, obwohl dieses Verfahren, die
einen auf Kosten der andern loben, allen Grundsätzen der Bundesfreundlichkeit
widerstreitet, wie das erst jüngst der General Endres bei einer andern Gelegenheit
im Reichtsage unter allgemeinem Beifall ausgeführt hat. Soll das etwa bei jeden:
Beschluß des Bundesrath, der einer Partei nicht gefällt, Mode werden? Man
ruft in einem Atem das Gewissen des deutsch-protestantischen Volkes und die viel¬
geplagten „Imponderabilien der Volksseele" auf und klagt doch über seine kirchliche
Gleichgiltigkeit, und man sieht nicht ein, daß man mit dem allen, mit dieser aber¬
gläubischen Angst vor ein paar Dutzend Jesuiten dem Protestantismus ein Armuts¬
zeugnis sondergleichen ausstellt, das er wahrhaftig nicht verdient. Kein Mensch
bedroht die Glaubens- und Gewissensfreiheit in Deutschland, die Grundlage unsrer
ganzen geistigen Kultur für Protestanten wie für Katholiken, die wir uns niemals
nehmen lassen sollen und werden; aber wenn das so weiter gehn sollte, so würden
wir in einer Lage, wo die schwersten Machtfragen am politischen Horizonte stehn,
in einen widerwärtigen konfessionellen Hader hineintreiben. Dafür träfe dann auch
die katholische Presse und das Zentrum die Verantwortung, da sie immer und immer
wieder die Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes verlangen, das eben kein Aus¬
nahmegesetz ist, denn diese Aufhebung ist — darüber kann kein Zweifel bestehn —
bei der jetzigen Stimmung der deutscheu Protestanten unmöglich. Nicht die Durch¬
führung irgend welches Kirchenideals ist für uns die Hauptsache, sondern der Friede
und die Eintracht innerhalb der deutschen Nation. Diesem Zwecke haben sich alle
Ki rchengemeinschaften zu beugen.


Unser jetziges Heerwesen.

Es ist kaum glaublich, welche Menge von
Büchern und Schriften der Bilsesche Roman „Aus einer kleinen Garnison" und die
Beyerleinschen Erzeugnisse „Jena oder Sedan" und „Der Zapfenstreich" in kurzer
Zeit hervorgerufen und auf den Markt gebracht haben. Wir Deutschen haben bannt
wieder einmal den Beweis geliefert, daß wir selbst immer unser größter Feind sind.
Weder der Franzose noch der Engländer wird einzelne und vereinzelt dastehende
Ereignisse, die in allen Ständen und Berufsarten vorgekommen sind, vorkommen
und immer wieder vorkommen werden, in die Welt posaunen und damit ihre Wehr¬
kraft als auf dem absteigenden Ast stehend darstellen. Wir tun das, denn der
Deutsche kann glückliche Zustände nicht lange ertragen. Die oben erwähnten Werke
werden in Paris und in allen französischen Garnisonen mit wahrem Heißhunger
gelesen. Das auch von den Franzosen so hoch geschätzte und als für ganz einwand¬
frei betrachtete deutsche Heerwesen soll solche Mißstände aufweisen? Ein höherer
französischer Offizier, der unsre letzten Kaisermanöver in dienstlichen Auftrage mit¬
gemacht hat, ist ganz begeistert nach Frankreich zurückgekehrt und des Lobes voll
für unsre Leistungen. Und in Deutschland selbst solche Schriften?! Eine Schrift
»Weder Jena noch Sedan" von Alfred H. Fried schließt aus dem Umstände, daß wir
seit dreiunddreißig Jahren keinen Krieg in Europa gehabt haben, darauf, daß überhaupt
ein Krieg kaum mehr zu erwarten sei. Er nennt es eine Tatsache, daß ein langer
Friede die beste Armee kriegsuntauglich mache. Hat man denn ganz vergessen, daß
Preußen von 1815 bis 1864, also fast fünfzig Jahre lang, abgesehen von den
Kämpfen der Revolutionsjahre 1848/49, Frieden gehabt hat? Trotz alledem war
Preußen 1864 1866 und 1870/71 überall Sieger. Wodurch kamen die Erfolge?
Doch einfach dadurch, daß man in Preußen verstand, die Friedensarbeit richtig aus¬
zunutzen und in den Manövern alles für den Krieg zu lehren, was man überhaupt
im Frieden lehren kann. Wenn also der Verfasser der zuletzt genannten Schrift
behauptet, die alljährlichen Manöver glichen großen Generalproben, böten aber be,
den großen technischen Veränderungen, die seit dem letzten Kriege eingeführt worden
seien, nicht den geringsten Anhalt für die Wirklichkeit, so hat er Unrecht. So gut
die preußischen Manöver in den fünfzig Jahren vor 1864 ihren Zweck wirklich kriegs¬
mäßiger Ausbildung der Mannschaft und der Führer erfüllten, ebensogut werden


Grenzboten I 1904 9?
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[0755] Maßgebliches und Unmaßgebliches falls sie günstig ausfällt, seine Anerkennung aus, obwohl dieses Verfahren, die einen auf Kosten der andern loben, allen Grundsätzen der Bundesfreundlichkeit widerstreitet, wie das erst jüngst der General Endres bei einer andern Gelegenheit im Reichtsage unter allgemeinem Beifall ausgeführt hat. Soll das etwa bei jeden: Beschluß des Bundesrath, der einer Partei nicht gefällt, Mode werden? Man ruft in einem Atem das Gewissen des deutsch-protestantischen Volkes und die viel¬ geplagten „Imponderabilien der Volksseele" auf und klagt doch über seine kirchliche Gleichgiltigkeit, und man sieht nicht ein, daß man mit dem allen, mit dieser aber¬ gläubischen Angst vor ein paar Dutzend Jesuiten dem Protestantismus ein Armuts¬ zeugnis sondergleichen ausstellt, das er wahrhaftig nicht verdient. Kein Mensch bedroht die Glaubens- und Gewissensfreiheit in Deutschland, die Grundlage unsrer ganzen geistigen Kultur für Protestanten wie für Katholiken, die wir uns niemals nehmen lassen sollen und werden; aber wenn das so weiter gehn sollte, so würden wir in einer Lage, wo die schwersten Machtfragen am politischen Horizonte stehn, in einen widerwärtigen konfessionellen Hader hineintreiben. Dafür träfe dann auch die katholische Presse und das Zentrum die Verantwortung, da sie immer und immer wieder die Aufhebung des ganzen Jesuitengesetzes verlangen, das eben kein Aus¬ nahmegesetz ist, denn diese Aufhebung ist — darüber kann kein Zweifel bestehn — bei der jetzigen Stimmung der deutscheu Protestanten unmöglich. Nicht die Durch¬ führung irgend welches Kirchenideals ist für uns die Hauptsache, sondern der Friede und die Eintracht innerhalb der deutschen Nation. Diesem Zwecke haben sich alle Ki rchengemeinschaften zu beugen. Unser jetziges Heerwesen. Es ist kaum glaublich, welche Menge von Büchern und Schriften der Bilsesche Roman „Aus einer kleinen Garnison" und die Beyerleinschen Erzeugnisse „Jena oder Sedan" und „Der Zapfenstreich" in kurzer Zeit hervorgerufen und auf den Markt gebracht haben. Wir Deutschen haben bannt wieder einmal den Beweis geliefert, daß wir selbst immer unser größter Feind sind. Weder der Franzose noch der Engländer wird einzelne und vereinzelt dastehende Ereignisse, die in allen Ständen und Berufsarten vorgekommen sind, vorkommen und immer wieder vorkommen werden, in die Welt posaunen und damit ihre Wehr¬ kraft als auf dem absteigenden Ast stehend darstellen. Wir tun das, denn der Deutsche kann glückliche Zustände nicht lange ertragen. Die oben erwähnten Werke werden in Paris und in allen französischen Garnisonen mit wahrem Heißhunger gelesen. Das auch von den Franzosen so hoch geschätzte und als für ganz einwand¬ frei betrachtete deutsche Heerwesen soll solche Mißstände aufweisen? Ein höherer französischer Offizier, der unsre letzten Kaisermanöver in dienstlichen Auftrage mit¬ gemacht hat, ist ganz begeistert nach Frankreich zurückgekehrt und des Lobes voll für unsre Leistungen. Und in Deutschland selbst solche Schriften?! Eine Schrift »Weder Jena noch Sedan" von Alfred H. Fried schließt aus dem Umstände, daß wir seit dreiunddreißig Jahren keinen Krieg in Europa gehabt haben, darauf, daß überhaupt ein Krieg kaum mehr zu erwarten sei. Er nennt es eine Tatsache, daß ein langer Friede die beste Armee kriegsuntauglich mache. Hat man denn ganz vergessen, daß Preußen von 1815 bis 1864, also fast fünfzig Jahre lang, abgesehen von den Kämpfen der Revolutionsjahre 1848/49, Frieden gehabt hat? Trotz alledem war Preußen 1864 1866 und 1870/71 überall Sieger. Wodurch kamen die Erfolge? Doch einfach dadurch, daß man in Preußen verstand, die Friedensarbeit richtig aus¬ zunutzen und in den Manövern alles für den Krieg zu lehren, was man überhaupt im Frieden lehren kann. Wenn also der Verfasser der zuletzt genannten Schrift behauptet, die alljährlichen Manöver glichen großen Generalproben, böten aber be, den großen technischen Veränderungen, die seit dem letzten Kriege eingeführt worden seien, nicht den geringsten Anhalt für die Wirklichkeit, so hat er Unrecht. So gut die preußischen Manöver in den fünfzig Jahren vor 1864 ihren Zweck wirklich kriegs¬ mäßiger Ausbildung der Mannschaft und der Führer erfüllten, ebensogut werden Grenzboten I 1904 9?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/755>, abgerufen am 26.06.2024.