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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rechte verweigerte, keineswegs das ganze Gesetz, das den Orden als solchen vom
Reichsgebiet ausschließt und Niederlassungen verbietet. Denn es versteht sich von
selbst, daß jeder Staat kraft seiner Souveränität, seines Oberaufsichtsrechts über die
Kirche, des jus ciros, Wera, das Recht hat, Genossenschaften irgend welcher Art,
also auch geistliche Orden, zuzulassen oder zu verbieten (vergl. Treitschke, Politik I,
347 f.), wie bekanntlich zum Beispiel die sächsische Verfassung die Neugründung
von Ordensniederlassuugen schlechthin untersagt; der Kern des Jesuitengesetzes,
Paragraph 1, hat also gar nicht den Charakter eines Ausnahmegesetzes, und unter
diesem Titel kann niemand seine Aufhebung verlangen. Es konnte deshalb auch
Von Anfang an mit voller Bestimmtheit gesagt werden, daß die Reichsregierung an
eine Aushebung des ganzen Gesetzes gar nicht denke, und das hat jetzt der Reichs¬
kanzler im preußischen Abgeordnetenhause noch sehr nachdrücklich erklärt.

Nun fürchtet man freilich, daß einzelne Jesuiten, wenn sie zurückkehren, unter
irgend welcher Verkappung -- und man traut ihnen ja alle mögliche Hinterlist
zu -- doch Niederlassungen errichten werden, daß sie für ihre Kirche Propaganda
machen werden und dergleichen mehr. Nun, die Propaganda liegt im Wesen jeder
Kirche, und auch die protestantische Propaganda ist, wenn sie auch keineswegs von
den evangelischen Landeskirchen ausgeht, im deutschen Böhmen jetzt eben rege genug.
Es kann also ja sein, daß gewandte Jesuiten, die an Welterfahrung und Gelehr¬
samkeit gewiß sehr ernste Gegner sind, hier und da einige Konvertiten machen und
als Beichtväter in vornehmen katholischen Familien einigen Einfluß gewinnen.
Aber Konversionen gerade in solchen Kreisen sind auch bis jetzt schou vorgekommen,
davon weiß man zum Beispiel in Sachsen ein Lied zu singen, ohne daß dem
katholischen Königshause dabei irgend ein Vorwurf zu machen wäre. Aber was
die Hauptsache ist, eine erzieherische Tätigkeit, wie die Jesuiten sie sonst im großen
Maßstabe ausüben -- das Jesuitengymnasium in Mariaschein bei Teplitz hat zum
Beispiel über zweihundert Zöglinge --, bleibt ihnen im Deutschen Reiche nach wie
vor verschlossen, denn sie dürfen keine Niederlassungen gründen.

Das ist der Tatbestand. Und deshalb wird ein Lärm geschlagen, als wenn
die "Seligmacher" des Grafen Dohna in Anmarsch wären. Man bestreitet mit
allerlei Rechtsgründen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesratsbeschlusses, man
nimmt Anstoß daran, daß er nur mit einfacher Mehrheit und gegen mehr als
vierzehn Stimmen gefaßt ist, als wenn es sich um eine Verfassungsänderung handelte,
als wenn jede Majorisierung grundsätzlich vermieden werden und womöglich die
unsinnige Stimmenverteilung des alten Bundestags als "engern Rats," die den
Bund schließlich zersprengt hat, oder gar das I^ibsrum oso des polnischen Reichs¬
tags, das Polen zugrunde gerichtet hat, eingeführt werden müßte, als wenn nicht
fogar Preußen bei der Errichtung des Reichsgerichts in Leipzig von den Mittel-
und Kleinstaaten überstimmt worden wäre, zwei Drittel des Reiches durch die
Stimmen des letzten Drittels! Auf welche Weise sollte denn auch ein Beschluß
wieder rückgängig gemacht werden, den Bundesrat und Reichstag mit Mehrheit
gefaßt haben und der Kaiser mit seiner Unterschrift veröffentlicht hat? Man faselt
von der Wiederherstellung eines vorxns Rvanxelioorum, einer übrigens ziemlich un¬
wirksamen Einrichtung des Westfälischen Friedens, und bedenkt dabei gar nicht, daß
dieses ein Lorxus OatKolioorum zur Folge haben müßte, daß beide die konfessionell
geschlossenen Territorien des siebzehnten Jahrhunderts zur Voraussetzung hatten,
die Gott sei Dank längst nicht mehr existieren, da alle deutschen Staaten heute
konfessionell mehr oder weniger gemischt sind, daß dies die konfessionelle Spaltung
in den Bundesrat und in den Reichstag tragen hieße, daß endlich die kirchlichen
Angelegenheiten im wesentlichen Sache der Einzelstaaten und nicht des Reiches sind,
das ja nicht einmal einen Gesandten am Vatikan unterhält, wie bis 1872, sondern
die diplomatische Vertretung bei der Kurie Preußen und Bayern überläßt, daß
deshalb auch der "Kulturkampf" rechtlich eine preußische Angelegenheit war und
keine allgemein deutsche. Man unterwirft die einzelnen Regierungen einer pein¬
lichen Befragung nach ihrer Abstimmung im Bundesrate und spricht ihnen dann,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rechte verweigerte, keineswegs das ganze Gesetz, das den Orden als solchen vom
Reichsgebiet ausschließt und Niederlassungen verbietet. Denn es versteht sich von
selbst, daß jeder Staat kraft seiner Souveränität, seines Oberaufsichtsrechts über die
Kirche, des jus ciros, Wera, das Recht hat, Genossenschaften irgend welcher Art,
also auch geistliche Orden, zuzulassen oder zu verbieten (vergl. Treitschke, Politik I,
347 f.), wie bekanntlich zum Beispiel die sächsische Verfassung die Neugründung
von Ordensniederlassuugen schlechthin untersagt; der Kern des Jesuitengesetzes,
Paragraph 1, hat also gar nicht den Charakter eines Ausnahmegesetzes, und unter
diesem Titel kann niemand seine Aufhebung verlangen. Es konnte deshalb auch
Von Anfang an mit voller Bestimmtheit gesagt werden, daß die Reichsregierung an
eine Aushebung des ganzen Gesetzes gar nicht denke, und das hat jetzt der Reichs¬
kanzler im preußischen Abgeordnetenhause noch sehr nachdrücklich erklärt.

Nun fürchtet man freilich, daß einzelne Jesuiten, wenn sie zurückkehren, unter
irgend welcher Verkappung — und man traut ihnen ja alle mögliche Hinterlist
zu — doch Niederlassungen errichten werden, daß sie für ihre Kirche Propaganda
machen werden und dergleichen mehr. Nun, die Propaganda liegt im Wesen jeder
Kirche, und auch die protestantische Propaganda ist, wenn sie auch keineswegs von
den evangelischen Landeskirchen ausgeht, im deutschen Böhmen jetzt eben rege genug.
Es kann also ja sein, daß gewandte Jesuiten, die an Welterfahrung und Gelehr¬
samkeit gewiß sehr ernste Gegner sind, hier und da einige Konvertiten machen und
als Beichtväter in vornehmen katholischen Familien einigen Einfluß gewinnen.
Aber Konversionen gerade in solchen Kreisen sind auch bis jetzt schou vorgekommen,
davon weiß man zum Beispiel in Sachsen ein Lied zu singen, ohne daß dem
katholischen Königshause dabei irgend ein Vorwurf zu machen wäre. Aber was
die Hauptsache ist, eine erzieherische Tätigkeit, wie die Jesuiten sie sonst im großen
Maßstabe ausüben — das Jesuitengymnasium in Mariaschein bei Teplitz hat zum
Beispiel über zweihundert Zöglinge —, bleibt ihnen im Deutschen Reiche nach wie
vor verschlossen, denn sie dürfen keine Niederlassungen gründen.

Das ist der Tatbestand. Und deshalb wird ein Lärm geschlagen, als wenn
die „Seligmacher" des Grafen Dohna in Anmarsch wären. Man bestreitet mit
allerlei Rechtsgründen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesratsbeschlusses, man
nimmt Anstoß daran, daß er nur mit einfacher Mehrheit und gegen mehr als
vierzehn Stimmen gefaßt ist, als wenn es sich um eine Verfassungsänderung handelte,
als wenn jede Majorisierung grundsätzlich vermieden werden und womöglich die
unsinnige Stimmenverteilung des alten Bundestags als „engern Rats," die den
Bund schließlich zersprengt hat, oder gar das I^ibsrum oso des polnischen Reichs¬
tags, das Polen zugrunde gerichtet hat, eingeführt werden müßte, als wenn nicht
fogar Preußen bei der Errichtung des Reichsgerichts in Leipzig von den Mittel-
und Kleinstaaten überstimmt worden wäre, zwei Drittel des Reiches durch die
Stimmen des letzten Drittels! Auf welche Weise sollte denn auch ein Beschluß
wieder rückgängig gemacht werden, den Bundesrat und Reichstag mit Mehrheit
gefaßt haben und der Kaiser mit seiner Unterschrift veröffentlicht hat? Man faselt
von der Wiederherstellung eines vorxns Rvanxelioorum, einer übrigens ziemlich un¬
wirksamen Einrichtung des Westfälischen Friedens, und bedenkt dabei gar nicht, daß
dieses ein Lorxus OatKolioorum zur Folge haben müßte, daß beide die konfessionell
geschlossenen Territorien des siebzehnten Jahrhunderts zur Voraussetzung hatten,
die Gott sei Dank längst nicht mehr existieren, da alle deutschen Staaten heute
konfessionell mehr oder weniger gemischt sind, daß dies die konfessionelle Spaltung
in den Bundesrat und in den Reichstag tragen hieße, daß endlich die kirchlichen
Angelegenheiten im wesentlichen Sache der Einzelstaaten und nicht des Reiches sind,
das ja nicht einmal einen Gesandten am Vatikan unterhält, wie bis 1872, sondern
die diplomatische Vertretung bei der Kurie Preußen und Bayern überläßt, daß
deshalb auch der „Kulturkampf" rechtlich eine preußische Angelegenheit war und
keine allgemein deutsche. Man unterwirft die einzelnen Regierungen einer pein¬
lichen Befragung nach ihrer Abstimmung im Bundesrate und spricht ihnen dann,


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[0754] Maßgebliches und Unmaßgebliches Rechte verweigerte, keineswegs das ganze Gesetz, das den Orden als solchen vom Reichsgebiet ausschließt und Niederlassungen verbietet. Denn es versteht sich von selbst, daß jeder Staat kraft seiner Souveränität, seines Oberaufsichtsrechts über die Kirche, des jus ciros, Wera, das Recht hat, Genossenschaften irgend welcher Art, also auch geistliche Orden, zuzulassen oder zu verbieten (vergl. Treitschke, Politik I, 347 f.), wie bekanntlich zum Beispiel die sächsische Verfassung die Neugründung von Ordensniederlassuugen schlechthin untersagt; der Kern des Jesuitengesetzes, Paragraph 1, hat also gar nicht den Charakter eines Ausnahmegesetzes, und unter diesem Titel kann niemand seine Aufhebung verlangen. Es konnte deshalb auch Von Anfang an mit voller Bestimmtheit gesagt werden, daß die Reichsregierung an eine Aushebung des ganzen Gesetzes gar nicht denke, und das hat jetzt der Reichs¬ kanzler im preußischen Abgeordnetenhause noch sehr nachdrücklich erklärt. Nun fürchtet man freilich, daß einzelne Jesuiten, wenn sie zurückkehren, unter irgend welcher Verkappung — und man traut ihnen ja alle mögliche Hinterlist zu — doch Niederlassungen errichten werden, daß sie für ihre Kirche Propaganda machen werden und dergleichen mehr. Nun, die Propaganda liegt im Wesen jeder Kirche, und auch die protestantische Propaganda ist, wenn sie auch keineswegs von den evangelischen Landeskirchen ausgeht, im deutschen Böhmen jetzt eben rege genug. Es kann also ja sein, daß gewandte Jesuiten, die an Welterfahrung und Gelehr¬ samkeit gewiß sehr ernste Gegner sind, hier und da einige Konvertiten machen und als Beichtväter in vornehmen katholischen Familien einigen Einfluß gewinnen. Aber Konversionen gerade in solchen Kreisen sind auch bis jetzt schou vorgekommen, davon weiß man zum Beispiel in Sachsen ein Lied zu singen, ohne daß dem katholischen Königshause dabei irgend ein Vorwurf zu machen wäre. Aber was die Hauptsache ist, eine erzieherische Tätigkeit, wie die Jesuiten sie sonst im großen Maßstabe ausüben — das Jesuitengymnasium in Mariaschein bei Teplitz hat zum Beispiel über zweihundert Zöglinge —, bleibt ihnen im Deutschen Reiche nach wie vor verschlossen, denn sie dürfen keine Niederlassungen gründen. Das ist der Tatbestand. Und deshalb wird ein Lärm geschlagen, als wenn die „Seligmacher" des Grafen Dohna in Anmarsch wären. Man bestreitet mit allerlei Rechtsgründen die Verfassungsmäßigkeit des Bundesratsbeschlusses, man nimmt Anstoß daran, daß er nur mit einfacher Mehrheit und gegen mehr als vierzehn Stimmen gefaßt ist, als wenn es sich um eine Verfassungsänderung handelte, als wenn jede Majorisierung grundsätzlich vermieden werden und womöglich die unsinnige Stimmenverteilung des alten Bundestags als „engern Rats," die den Bund schließlich zersprengt hat, oder gar das I^ibsrum oso des polnischen Reichs¬ tags, das Polen zugrunde gerichtet hat, eingeführt werden müßte, als wenn nicht fogar Preußen bei der Errichtung des Reichsgerichts in Leipzig von den Mittel- und Kleinstaaten überstimmt worden wäre, zwei Drittel des Reiches durch die Stimmen des letzten Drittels! Auf welche Weise sollte denn auch ein Beschluß wieder rückgängig gemacht werden, den Bundesrat und Reichstag mit Mehrheit gefaßt haben und der Kaiser mit seiner Unterschrift veröffentlicht hat? Man faselt von der Wiederherstellung eines vorxns Rvanxelioorum, einer übrigens ziemlich un¬ wirksamen Einrichtung des Westfälischen Friedens, und bedenkt dabei gar nicht, daß dieses ein Lorxus OatKolioorum zur Folge haben müßte, daß beide die konfessionell geschlossenen Territorien des siebzehnten Jahrhunderts zur Voraussetzung hatten, die Gott sei Dank längst nicht mehr existieren, da alle deutschen Staaten heute konfessionell mehr oder weniger gemischt sind, daß dies die konfessionelle Spaltung in den Bundesrat und in den Reichstag tragen hieße, daß endlich die kirchlichen Angelegenheiten im wesentlichen Sache der Einzelstaaten und nicht des Reiches sind, das ja nicht einmal einen Gesandten am Vatikan unterhält, wie bis 1872, sondern die diplomatische Vertretung bei der Kurie Preußen und Bayern überläßt, daß deshalb auch der „Kulturkampf" rechtlich eine preußische Angelegenheit war und keine allgemein deutsche. Man unterwirft die einzelnen Regierungen einer pein¬ lichen Befragung nach ihrer Abstimmung im Bundesrate und spricht ihnen dann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/754>, abgerufen am 29.06.2024.