Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^8? ^

sollten. Bald wurden wir etwa eine halbe Stunde weit in den Park eines Schlosses
bei Bellegarde gebracht, wo auch die andern Leute meines Zuges, die mit mir ge¬
fangen genommen waren, und noch mehrere andre Mannschaften von verschiednen
deutschen Truppenteilen, die in den letzten Tagen in Gefangenschaft geraten waren,
versammelt wurden; im ganzen waren es etwa hundert Mann, von einer großen
Anzahl französischer Soldaten bewacht. Es waren zwei Kompagnien Za-rÄss inobilss
aus der Vaucluse, der Gegend von Avignon, unter deren Bedeckung wir südwärts
über die Loire geführt werden sollten. Der älteste Kapitän, der die ganze Eskorte
befehligte, bot mir als Offizier einen Wagen an; doch wollte er nicht erlauben,
daß ein mit mir gefangner Portepeefähnrich und ein Vizefeldwebel, den ich hier
unter den andern Gefangnen fand, mit einstiegen, obgleich ich ihm versicherte, daß beide
in Offizierstellungen gewesen seien. So hielt ich es denn für richtiger, das freund¬
liche Anerbieten auch für mich dankend abzulehnen. Das hatte aber keineswegs
zur Folge, daß er oder die audern Offiziere nun nicht rücksichtsvoll und höflich gegen
mich waren; im Gegenteil, sie verstanden offenbar den Grund meiner Ablehnung
und achteten ihn. In den zwei Tagen, während deren wir der Behütung dieser
Offiziere und ihrer Soldaten überlasten waren, bemühten sie sich geflissentlich, so
viel sie konnten, unsre Lage zu erleichtern, indem sie sich mit uns (d. h. dem
Fähnrich, dem Vizefeldwebel und mir) unterhielte", uns beim Rasten und an den
beiden Abenden zu ihren Mahlzeiten heranzogen, ihre Getränke, Zigarren und
Zigaretten mit uns teilten usw. Sie waren nach deutscher Bezeichnung Reserve¬
oder Landwehroffiziere, gehörten teils dem Kaufmanns-, teils dem Gutsbesitzer¬
stand um, und zwei von ihnen hatten längere Zeit in Deutschland gelebt und in
großen Geschäftshäuser" gearbeitet, der eine in Düsseldorf, der andre in Heidelberg.
So gab es auch in unsern so eigentümlichen und traurigen Verhältnissen doch
manchen und mancherlei Stoff zur Unterhaltung, und ich werde mich deshalb dieser
fünf Herren und der Stunden, die ich mit ihnen verlebte, immer mit großer Dank¬
barkeit erinnern und bewahre das Blatt, auf dem sie mir bei unsrer Trennung
ihre Namen aufschrieben, als ein liebes Andenken.

Am 30. November ging unser Marsch sehr bald von der großen Straße
Bellegnrde-Chateanneuf südlich ab und führte meist auf einsamen Seitenwege"
durch viele Waldungen bis nach Bouzh, einem ziemlich großen Dorfe, in dessen Wirts¬
haus außer für die fünf Offiziere auch für uns drei Gefangne ein Abendessen be¬
schafft und gute Betten geliefert werden konnten, natürlich gegen Bezahlung, während
die gefangnen Mannschaften in diesen Tagen immer in den Kirchen untergebracht
werden mußten. Am 1. Dezember marschierten wir zur Loire, überschritten sie
auf einer Kettenbrücke und kamen bis zu dem Städtchen Sully. Auch hier durften
wir noch den Abend mit den liebenswürdigen und rücksichtsvollen Herren aus
Avignon zusammen sein. Soweit meine Stimmung mir erlaubte, mich für unsre
Eskorte zu interessieren, waren diese Tage sehr lehrreich, zumal da sie keine neuen
Unannehmlichkeiten brachten. Zum erstenmal in meinem Leben war ich mit Fran¬
zosen in solcher Zahl zusammen, die sich nun auch vor uns keinen Zwang aufzu¬
erlegen brauchte", wie etwa die Bewohner der Ortschaften, in die wir Deutschen
bisher als Sieger u"d Eroberer, wenn auch sehr rücksichtsvolle, gekommen waren;
zu"? erstenmal lernte ich lebhafte Südfranzosen kennen, die sich ganz unbefangen
gaben und ihrer Munterkeit keine Zügel anlegten. Wie die Offiziere sich teil¬
nehmend gegen uns zeigte", so ließen es anch Unteroffiziere und Mannschaften an
Rücksicht und Artigkeit gegen die gefangnen Mannschaften im ganzen nicht fehlen,
ja sie bemühten sich geradezu, sie aufzuheitern. So hörten wir, und man wird es
Wohl nicht mißversteh", wen" ich hinzufüge, mit Interesse, die Marseillaise singen
und mußten anerkennen, daß es eine schöne, klangvolle Melodie sei; auch ein
Soldatenlied, dessen Melodie ganz unsrer alten Weise "Wer will unter die
Soldaten" glich, wurde uns mehrfach vorgesungen. Das Verhalten dieser Soldaten
machte überhaupt einen guten Eindruck; bei aller Lebhaftigkeit und Unruhe doch


Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^8? ^

sollten. Bald wurden wir etwa eine halbe Stunde weit in den Park eines Schlosses
bei Bellegarde gebracht, wo auch die andern Leute meines Zuges, die mit mir ge¬
fangen genommen waren, und noch mehrere andre Mannschaften von verschiednen
deutschen Truppenteilen, die in den letzten Tagen in Gefangenschaft geraten waren,
versammelt wurden; im ganzen waren es etwa hundert Mann, von einer großen
Anzahl französischer Soldaten bewacht. Es waren zwei Kompagnien Za-rÄss inobilss
aus der Vaucluse, der Gegend von Avignon, unter deren Bedeckung wir südwärts
über die Loire geführt werden sollten. Der älteste Kapitän, der die ganze Eskorte
befehligte, bot mir als Offizier einen Wagen an; doch wollte er nicht erlauben,
daß ein mit mir gefangner Portepeefähnrich und ein Vizefeldwebel, den ich hier
unter den andern Gefangnen fand, mit einstiegen, obgleich ich ihm versicherte, daß beide
in Offizierstellungen gewesen seien. So hielt ich es denn für richtiger, das freund¬
liche Anerbieten auch für mich dankend abzulehnen. Das hatte aber keineswegs
zur Folge, daß er oder die audern Offiziere nun nicht rücksichtsvoll und höflich gegen
mich waren; im Gegenteil, sie verstanden offenbar den Grund meiner Ablehnung
und achteten ihn. In den zwei Tagen, während deren wir der Behütung dieser
Offiziere und ihrer Soldaten überlasten waren, bemühten sie sich geflissentlich, so
viel sie konnten, unsre Lage zu erleichtern, indem sie sich mit uns (d. h. dem
Fähnrich, dem Vizefeldwebel und mir) unterhielte«, uns beim Rasten und an den
beiden Abenden zu ihren Mahlzeiten heranzogen, ihre Getränke, Zigarren und
Zigaretten mit uns teilten usw. Sie waren nach deutscher Bezeichnung Reserve¬
oder Landwehroffiziere, gehörten teils dem Kaufmanns-, teils dem Gutsbesitzer¬
stand um, und zwei von ihnen hatten längere Zeit in Deutschland gelebt und in
großen Geschäftshäuser» gearbeitet, der eine in Düsseldorf, der andre in Heidelberg.
So gab es auch in unsern so eigentümlichen und traurigen Verhältnissen doch
manchen und mancherlei Stoff zur Unterhaltung, und ich werde mich deshalb dieser
fünf Herren und der Stunden, die ich mit ihnen verlebte, immer mit großer Dank¬
barkeit erinnern und bewahre das Blatt, auf dem sie mir bei unsrer Trennung
ihre Namen aufschrieben, als ein liebes Andenken.

Am 30. November ging unser Marsch sehr bald von der großen Straße
Bellegnrde-Chateanneuf südlich ab und führte meist auf einsamen Seitenwege»
durch viele Waldungen bis nach Bouzh, einem ziemlich großen Dorfe, in dessen Wirts¬
haus außer für die fünf Offiziere auch für uns drei Gefangne ein Abendessen be¬
schafft und gute Betten geliefert werden konnten, natürlich gegen Bezahlung, während
die gefangnen Mannschaften in diesen Tagen immer in den Kirchen untergebracht
werden mußten. Am 1. Dezember marschierten wir zur Loire, überschritten sie
auf einer Kettenbrücke und kamen bis zu dem Städtchen Sully. Auch hier durften
wir noch den Abend mit den liebenswürdigen und rücksichtsvollen Herren aus
Avignon zusammen sein. Soweit meine Stimmung mir erlaubte, mich für unsre
Eskorte zu interessieren, waren diese Tage sehr lehrreich, zumal da sie keine neuen
Unannehmlichkeiten brachten. Zum erstenmal in meinem Leben war ich mit Fran¬
zosen in solcher Zahl zusammen, die sich nun auch vor uns keinen Zwang aufzu¬
erlegen brauchte», wie etwa die Bewohner der Ortschaften, in die wir Deutschen
bisher als Sieger u»d Eroberer, wenn auch sehr rücksichtsvolle, gekommen waren;
zu»? erstenmal lernte ich lebhafte Südfranzosen kennen, die sich ganz unbefangen
gaben und ihrer Munterkeit keine Zügel anlegten. Wie die Offiziere sich teil¬
nehmend gegen uns zeigte», so ließen es anch Unteroffiziere und Mannschaften an
Rücksicht und Artigkeit gegen die gefangnen Mannschaften im ganzen nicht fehlen,
ja sie bemühten sich geradezu, sie aufzuheitern. So hörten wir, und man wird es
Wohl nicht mißversteh», wen» ich hinzufüge, mit Interesse, die Marseillaise singen
und mußten anerkennen, daß es eine schöne, klangvolle Melodie sei; auch ein
Soldatenlied, dessen Melodie ganz unsrer alten Weise „Wer will unter die
Soldaten" glich, wurde uns mehrfach vorgesungen. Das Verhalten dieser Soldaten
machte überhaupt einen guten Eindruck; bei aller Lebhaftigkeit und Unruhe doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0732" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293531"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^8? ^</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_4091" prev="#ID_4090"> sollten. Bald wurden wir etwa eine halbe Stunde weit in den Park eines Schlosses<lb/>
bei Bellegarde gebracht, wo auch die andern Leute meines Zuges, die mit mir ge¬<lb/>
fangen genommen waren, und noch mehrere andre Mannschaften von verschiednen<lb/>
deutschen Truppenteilen, die in den letzten Tagen in Gefangenschaft geraten waren,<lb/>
versammelt wurden; im ganzen waren es etwa hundert Mann, von einer großen<lb/>
Anzahl französischer Soldaten bewacht. Es waren zwei Kompagnien Za-rÄss inobilss<lb/>
aus der Vaucluse, der Gegend von Avignon, unter deren Bedeckung wir südwärts<lb/>
über die Loire geführt werden sollten. Der älteste Kapitän, der die ganze Eskorte<lb/>
befehligte, bot mir als Offizier einen Wagen an; doch wollte er nicht erlauben,<lb/>
daß ein mit mir gefangner Portepeefähnrich und ein Vizefeldwebel, den ich hier<lb/>
unter den andern Gefangnen fand, mit einstiegen, obgleich ich ihm versicherte, daß beide<lb/>
in Offizierstellungen gewesen seien. So hielt ich es denn für richtiger, das freund¬<lb/>
liche Anerbieten auch für mich dankend abzulehnen. Das hatte aber keineswegs<lb/>
zur Folge, daß er oder die audern Offiziere nun nicht rücksichtsvoll und höflich gegen<lb/>
mich waren; im Gegenteil, sie verstanden offenbar den Grund meiner Ablehnung<lb/>
und achteten ihn. In den zwei Tagen, während deren wir der Behütung dieser<lb/>
Offiziere und ihrer Soldaten überlasten waren, bemühten sie sich geflissentlich, so<lb/>
viel sie konnten, unsre Lage zu erleichtern, indem sie sich mit uns (d. h. dem<lb/>
Fähnrich, dem Vizefeldwebel und mir) unterhielte«, uns beim Rasten und an den<lb/>
beiden Abenden zu ihren Mahlzeiten heranzogen, ihre Getränke, Zigarren und<lb/>
Zigaretten mit uns teilten usw. Sie waren nach deutscher Bezeichnung Reserve¬<lb/>
oder Landwehroffiziere, gehörten teils dem Kaufmanns-, teils dem Gutsbesitzer¬<lb/>
stand um, und zwei von ihnen hatten längere Zeit in Deutschland gelebt und in<lb/>
großen Geschäftshäuser» gearbeitet, der eine in Düsseldorf, der andre in Heidelberg.<lb/>
So gab es auch in unsern so eigentümlichen und traurigen Verhältnissen doch<lb/>
manchen und mancherlei Stoff zur Unterhaltung, und ich werde mich deshalb dieser<lb/>
fünf Herren und der Stunden, die ich mit ihnen verlebte, immer mit großer Dank¬<lb/>
barkeit erinnern und bewahre das Blatt, auf dem sie mir bei unsrer Trennung<lb/>
ihre Namen aufschrieben, als ein liebes Andenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_4092" next="#ID_4093"> Am 30. November ging unser Marsch sehr bald von der großen Straße<lb/>
Bellegnrde-Chateanneuf südlich ab und führte meist auf einsamen Seitenwege»<lb/>
durch viele Waldungen bis nach Bouzh, einem ziemlich großen Dorfe, in dessen Wirts¬<lb/>
haus außer für die fünf Offiziere auch für uns drei Gefangne ein Abendessen be¬<lb/>
schafft und gute Betten geliefert werden konnten, natürlich gegen Bezahlung, während<lb/>
die gefangnen Mannschaften in diesen Tagen immer in den Kirchen untergebracht<lb/>
werden mußten. Am 1. Dezember marschierten wir zur Loire, überschritten sie<lb/>
auf einer Kettenbrücke und kamen bis zu dem Städtchen Sully. Auch hier durften<lb/>
wir noch den Abend mit den liebenswürdigen und rücksichtsvollen Herren aus<lb/>
Avignon zusammen sein. Soweit meine Stimmung mir erlaubte, mich für unsre<lb/>
Eskorte zu interessieren, waren diese Tage sehr lehrreich, zumal da sie keine neuen<lb/>
Unannehmlichkeiten brachten. Zum erstenmal in meinem Leben war ich mit Fran¬<lb/>
zosen in solcher Zahl zusammen, die sich nun auch vor uns keinen Zwang aufzu¬<lb/>
erlegen brauchte», wie etwa die Bewohner der Ortschaften, in die wir Deutschen<lb/>
bisher als Sieger u»d Eroberer, wenn auch sehr rücksichtsvolle, gekommen waren;<lb/>
zu»? erstenmal lernte ich lebhafte Südfranzosen kennen, die sich ganz unbefangen<lb/>
gaben und ihrer Munterkeit keine Zügel anlegten. Wie die Offiziere sich teil¬<lb/>
nehmend gegen uns zeigte», so ließen es anch Unteroffiziere und Mannschaften an<lb/>
Rücksicht und Artigkeit gegen die gefangnen Mannschaften im ganzen nicht fehlen,<lb/>
ja sie bemühten sich geradezu, sie aufzuheitern. So hörten wir, und man wird es<lb/>
Wohl nicht mißversteh», wen» ich hinzufüge, mit Interesse, die Marseillaise singen<lb/>
und mußten anerkennen, daß es eine schöne, klangvolle Melodie sei; auch ein<lb/>
Soldatenlied, dessen Melodie ganz unsrer alten Weise &#x201E;Wer will unter die<lb/>
Soldaten" glich, wurde uns mehrfach vorgesungen. Das Verhalten dieser Soldaten<lb/>
machte überhaupt einen guten Eindruck; bei aller Lebhaftigkeit und Unruhe doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0732] Erinnerungen aus der Kriegsgefangenschaft in den Jahren ^870 und ^8? ^ sollten. Bald wurden wir etwa eine halbe Stunde weit in den Park eines Schlosses bei Bellegarde gebracht, wo auch die andern Leute meines Zuges, die mit mir ge¬ fangen genommen waren, und noch mehrere andre Mannschaften von verschiednen deutschen Truppenteilen, die in den letzten Tagen in Gefangenschaft geraten waren, versammelt wurden; im ganzen waren es etwa hundert Mann, von einer großen Anzahl französischer Soldaten bewacht. Es waren zwei Kompagnien Za-rÄss inobilss aus der Vaucluse, der Gegend von Avignon, unter deren Bedeckung wir südwärts über die Loire geführt werden sollten. Der älteste Kapitän, der die ganze Eskorte befehligte, bot mir als Offizier einen Wagen an; doch wollte er nicht erlauben, daß ein mit mir gefangner Portepeefähnrich und ein Vizefeldwebel, den ich hier unter den andern Gefangnen fand, mit einstiegen, obgleich ich ihm versicherte, daß beide in Offizierstellungen gewesen seien. So hielt ich es denn für richtiger, das freund¬ liche Anerbieten auch für mich dankend abzulehnen. Das hatte aber keineswegs zur Folge, daß er oder die audern Offiziere nun nicht rücksichtsvoll und höflich gegen mich waren; im Gegenteil, sie verstanden offenbar den Grund meiner Ablehnung und achteten ihn. In den zwei Tagen, während deren wir der Behütung dieser Offiziere und ihrer Soldaten überlasten waren, bemühten sie sich geflissentlich, so viel sie konnten, unsre Lage zu erleichtern, indem sie sich mit uns (d. h. dem Fähnrich, dem Vizefeldwebel und mir) unterhielte«, uns beim Rasten und an den beiden Abenden zu ihren Mahlzeiten heranzogen, ihre Getränke, Zigarren und Zigaretten mit uns teilten usw. Sie waren nach deutscher Bezeichnung Reserve¬ oder Landwehroffiziere, gehörten teils dem Kaufmanns-, teils dem Gutsbesitzer¬ stand um, und zwei von ihnen hatten längere Zeit in Deutschland gelebt und in großen Geschäftshäuser» gearbeitet, der eine in Düsseldorf, der andre in Heidelberg. So gab es auch in unsern so eigentümlichen und traurigen Verhältnissen doch manchen und mancherlei Stoff zur Unterhaltung, und ich werde mich deshalb dieser fünf Herren und der Stunden, die ich mit ihnen verlebte, immer mit großer Dank¬ barkeit erinnern und bewahre das Blatt, auf dem sie mir bei unsrer Trennung ihre Namen aufschrieben, als ein liebes Andenken. Am 30. November ging unser Marsch sehr bald von der großen Straße Bellegnrde-Chateanneuf südlich ab und führte meist auf einsamen Seitenwege» durch viele Waldungen bis nach Bouzh, einem ziemlich großen Dorfe, in dessen Wirts¬ haus außer für die fünf Offiziere auch für uns drei Gefangne ein Abendessen be¬ schafft und gute Betten geliefert werden konnten, natürlich gegen Bezahlung, während die gefangnen Mannschaften in diesen Tagen immer in den Kirchen untergebracht werden mußten. Am 1. Dezember marschierten wir zur Loire, überschritten sie auf einer Kettenbrücke und kamen bis zu dem Städtchen Sully. Auch hier durften wir noch den Abend mit den liebenswürdigen und rücksichtsvollen Herren aus Avignon zusammen sein. Soweit meine Stimmung mir erlaubte, mich für unsre Eskorte zu interessieren, waren diese Tage sehr lehrreich, zumal da sie keine neuen Unannehmlichkeiten brachten. Zum erstenmal in meinem Leben war ich mit Fran¬ zosen in solcher Zahl zusammen, die sich nun auch vor uns keinen Zwang aufzu¬ erlegen brauchte», wie etwa die Bewohner der Ortschaften, in die wir Deutschen bisher als Sieger u»d Eroberer, wenn auch sehr rücksichtsvolle, gekommen waren; zu»? erstenmal lernte ich lebhafte Südfranzosen kennen, die sich ganz unbefangen gaben und ihrer Munterkeit keine Zügel anlegten. Wie die Offiziere sich teil¬ nehmend gegen uns zeigte», so ließen es anch Unteroffiziere und Mannschaften an Rücksicht und Artigkeit gegen die gefangnen Mannschaften im ganzen nicht fehlen, ja sie bemühten sich geradezu, sie aufzuheitern. So hörten wir, und man wird es Wohl nicht mißversteh», wen» ich hinzufüge, mit Interesse, die Marseillaise singen und mußten anerkennen, daß es eine schöne, klangvolle Melodie sei; auch ein Soldatenlied, dessen Melodie ganz unsrer alten Weise „Wer will unter die Soldaten" glich, wurde uns mehrfach vorgesungen. Das Verhalten dieser Soldaten machte überhaupt einen guten Eindruck; bei aller Lebhaftigkeit und Unruhe doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/732
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/732>, abgerufen am 22.07.2024.