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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus der englischen Kulturgeschichte

Sagt, Doktor, kommt der König?

Malcolm: Doktor:

Ja, Herr, denn eine Schar von Jammerseelen
Harrt seiner Heilung; ihre Krankheit trotzt
Dem klügsten Rat der Kunst; doch sein Berühren
(So heilge Kraft erschuf Gott seiner Hand)
Kuriere sie augenblicks.

Ich dank euch, Doktor,

Malcolm:
(Doktor ab.)
Macduff:

Welch Leiden meint er?

Malcolm:

Wie mans nennt, das "Übel,"
Ein wundersames Werk des guten Königs,
Das oft ich ihn, seit ich in England- weile,
Verrichten sah. Wie ers von Gott erfleht,
Weiß er am besten; doch Schwerheimgesuchtc,
Geschwolln-Auswüchsige, jammervoll dem Auge,
Dran ärztlich Tun zu Spott wird, heilet er,
Um ihren Hals ein golden Münzlein hängend,
Mit heiligen Gebeten; und man sagt,
Er hinterläßt den künftgen Herrschern auch
Den heilenden Segen. Dieser seltnen Kunst
Eine er der Prophezeiung Himmelsgabe.
Besondre Segnung wallt um seinen Thron,
Lautrufend: er fand Gnade.


Es werden hier dem Typus des unechten, gemeinschädlichem Gewalt¬
herrschers Züge aus dem Wesen des rechtmäßigen, gottgeweihten, segenvollen
Königtums nach den Anschauungen der Zeit gegenüber gestellt. Der Glaube,
oder wie wir sagen müssen, Wahn, daß die rechtmäßigen Könige von England
und Frankreich die Gabe haben, gewisse Krankheiten wie Skrofeln -- tus
Kind's soll oder auch nur eilf von genannt -- und Kropf durch ihre Berührung
(touvKinZ, attouvQöinvnt,) zu heilen, wird nicht nur von der "geschichtlichen"
Überlieferung auf Edward den Bekenner zurückgeführt, sodaß hier keiner der
bei Shakespeare beliebten Anachronismen vorliegt, sondern war auch seinen
Zeitgenossen ganz vertraut. Amtlich ist er in Frankreich erst vor etwa achtzig
Jahren erloschen, und in England soll man ihn unter dem Landvolke nach
dem Zeugnis englischer Schriftsteller jetzt noch finden. Die kleine Szene zeigt
wieder einmal die vielgerühmte Shakespearische Treue in der Beobachtung der
Einzelheiten. Das Wunder der königlichen Berührung, dessen Bedeutung als
Beweismittel der Legitimität er erkannte, war zwar auch unter den Tudors
und den frühern Königshäusern geübt worden, aber unter keinem Geschlecht
ist soviel Wesens von dem <komnir rs^inen, der "königlichen Gabe," gemacht
worden wie unter den Stuarts. Holinshed erzählt an einer andern Stelle
(in der Geschichte Englands) von Edward dem Bekenner: "Er hatte den Geist
der Weissagung und auch die Gabe, Gebrechen und Krankheiten zu heilen.
Er pflegte denen zu helfen, die von dem Leiden geplagt wurden, das gemeinhin
das Königsübel genannt wird, und hinterließ diese Kraft gleichsam als ein
Erbstück seinen Nachfolgern, den Königen dieses Reichs." Da hier aber von
dem nanZing a Zolüen stamp ^vieil nolz? xrg^srs nichts gesagt wird, so ist es
wahrscheinlich, daß der Dichter das Buch Tookers, eines Doktors der Theo-


Bilder aus der englischen Kulturgeschichte

Sagt, Doktor, kommt der König?

Malcolm: Doktor:

Ja, Herr, denn eine Schar von Jammerseelen
Harrt seiner Heilung; ihre Krankheit trotzt
Dem klügsten Rat der Kunst; doch sein Berühren
(So heilge Kraft erschuf Gott seiner Hand)
Kuriere sie augenblicks.

Ich dank euch, Doktor,

Malcolm:
(Doktor ab.)
Macduff:

Welch Leiden meint er?

Malcolm:

Wie mans nennt, das „Übel,"
Ein wundersames Werk des guten Königs,
Das oft ich ihn, seit ich in England- weile,
Verrichten sah. Wie ers von Gott erfleht,
Weiß er am besten; doch Schwerheimgesuchtc,
Geschwolln-Auswüchsige, jammervoll dem Auge,
Dran ärztlich Tun zu Spott wird, heilet er,
Um ihren Hals ein golden Münzlein hängend,
Mit heiligen Gebeten; und man sagt,
Er hinterläßt den künftgen Herrschern auch
Den heilenden Segen. Dieser seltnen Kunst
Eine er der Prophezeiung Himmelsgabe.
Besondre Segnung wallt um seinen Thron,
Lautrufend: er fand Gnade.


Es werden hier dem Typus des unechten, gemeinschädlichem Gewalt¬
herrschers Züge aus dem Wesen des rechtmäßigen, gottgeweihten, segenvollen
Königtums nach den Anschauungen der Zeit gegenüber gestellt. Der Glaube,
oder wie wir sagen müssen, Wahn, daß die rechtmäßigen Könige von England
und Frankreich die Gabe haben, gewisse Krankheiten wie Skrofeln — tus
Kind's soll oder auch nur eilf von genannt — und Kropf durch ihre Berührung
(touvKinZ, attouvQöinvnt,) zu heilen, wird nicht nur von der „geschichtlichen"
Überlieferung auf Edward den Bekenner zurückgeführt, sodaß hier keiner der
bei Shakespeare beliebten Anachronismen vorliegt, sondern war auch seinen
Zeitgenossen ganz vertraut. Amtlich ist er in Frankreich erst vor etwa achtzig
Jahren erloschen, und in England soll man ihn unter dem Landvolke nach
dem Zeugnis englischer Schriftsteller jetzt noch finden. Die kleine Szene zeigt
wieder einmal die vielgerühmte Shakespearische Treue in der Beobachtung der
Einzelheiten. Das Wunder der königlichen Berührung, dessen Bedeutung als
Beweismittel der Legitimität er erkannte, war zwar auch unter den Tudors
und den frühern Königshäusern geübt worden, aber unter keinem Geschlecht
ist soviel Wesens von dem <komnir rs^inen, der „königlichen Gabe," gemacht
worden wie unter den Stuarts. Holinshed erzählt an einer andern Stelle
(in der Geschichte Englands) von Edward dem Bekenner: „Er hatte den Geist
der Weissagung und auch die Gabe, Gebrechen und Krankheiten zu heilen.
Er pflegte denen zu helfen, die von dem Leiden geplagt wurden, das gemeinhin
das Königsübel genannt wird, und hinterließ diese Kraft gleichsam als ein
Erbstück seinen Nachfolgern, den Königen dieses Reichs." Da hier aber von
dem nanZing a Zolüen stamp ^vieil nolz? xrg^srs nichts gesagt wird, so ist es
wahrscheinlich, daß der Dichter das Buch Tookers, eines Doktors der Theo-


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[0712] Bilder aus der englischen Kulturgeschichte Sagt, Doktor, kommt der König? Malcolm: Doktor: Ja, Herr, denn eine Schar von Jammerseelen Harrt seiner Heilung; ihre Krankheit trotzt Dem klügsten Rat der Kunst; doch sein Berühren (So heilge Kraft erschuf Gott seiner Hand) Kuriere sie augenblicks. Ich dank euch, Doktor, Malcolm: (Doktor ab.) Macduff: Welch Leiden meint er? Malcolm: Wie mans nennt, das „Übel," Ein wundersames Werk des guten Königs, Das oft ich ihn, seit ich in England- weile, Verrichten sah. Wie ers von Gott erfleht, Weiß er am besten; doch Schwerheimgesuchtc, Geschwolln-Auswüchsige, jammervoll dem Auge, Dran ärztlich Tun zu Spott wird, heilet er, Um ihren Hals ein golden Münzlein hängend, Mit heiligen Gebeten; und man sagt, Er hinterläßt den künftgen Herrschern auch Den heilenden Segen. Dieser seltnen Kunst Eine er der Prophezeiung Himmelsgabe. Besondre Segnung wallt um seinen Thron, Lautrufend: er fand Gnade. Es werden hier dem Typus des unechten, gemeinschädlichem Gewalt¬ herrschers Züge aus dem Wesen des rechtmäßigen, gottgeweihten, segenvollen Königtums nach den Anschauungen der Zeit gegenüber gestellt. Der Glaube, oder wie wir sagen müssen, Wahn, daß die rechtmäßigen Könige von England und Frankreich die Gabe haben, gewisse Krankheiten wie Skrofeln — tus Kind's soll oder auch nur eilf von genannt — und Kropf durch ihre Berührung (touvKinZ, attouvQöinvnt,) zu heilen, wird nicht nur von der „geschichtlichen" Überlieferung auf Edward den Bekenner zurückgeführt, sodaß hier keiner der bei Shakespeare beliebten Anachronismen vorliegt, sondern war auch seinen Zeitgenossen ganz vertraut. Amtlich ist er in Frankreich erst vor etwa achtzig Jahren erloschen, und in England soll man ihn unter dem Landvolke nach dem Zeugnis englischer Schriftsteller jetzt noch finden. Die kleine Szene zeigt wieder einmal die vielgerühmte Shakespearische Treue in der Beobachtung der Einzelheiten. Das Wunder der königlichen Berührung, dessen Bedeutung als Beweismittel der Legitimität er erkannte, war zwar auch unter den Tudors und den frühern Königshäusern geübt worden, aber unter keinem Geschlecht ist soviel Wesens von dem <komnir rs^inen, der „königlichen Gabe," gemacht worden wie unter den Stuarts. Holinshed erzählt an einer andern Stelle (in der Geschichte Englands) von Edward dem Bekenner: „Er hatte den Geist der Weissagung und auch die Gabe, Gebrechen und Krankheiten zu heilen. Er pflegte denen zu helfen, die von dem Leiden geplagt wurden, das gemeinhin das Königsübel genannt wird, und hinterließ diese Kraft gleichsam als ein Erbstück seinen Nachfolgern, den Königen dieses Reichs." Da hier aber von dem nanZing a Zolüen stamp ^vieil nolz? xrg^srs nichts gesagt wird, so ist es wahrscheinlich, daß der Dichter das Buch Tookers, eines Doktors der Theo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/712>, abgerufen am 24.08.2024.