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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Latholica

Papst?" So richtig manche der dort entwickelten Gedanken sind, so sehr muß
ich andre, weil sie nicht aus eigner Anschauung entsprossen sind, als nicht
beweiskräftig ablehnen. Ich will es in den folgenden Zeilen versuchen, auf
Grund durchaus zuverlässiger Mitteilungen -- um nicht mehr zu sagen --
einige Gedanken zu entwickeln, die dazu beitragen dürften, den Gedankenkreis
des Papstes meinen Lesern näher zu rücken.^)

Ich glaube, daß es niemand bestreiten wird, wenn ich sage, daß ein
Wechsel in den leitenden Stellen hoher und höchster Ordnung in den weitaus
meisten Fällen auch einen Umschwung in manchen wichtigen Fragen und Auf¬
fassungen mit einer gewissen innern Notwendigkeit herbeiführen muß. Die
Geschichte lehrt uns, daß im besondern wohl bei jedem Pontifikatswechsel in
der geschäftlichen Behandlung, Weiterführung, Absetzung oder Vertagung der
religiösen wie religiös-politischen Gegenstände tiefer gehende Änderungen ein¬
treten. Nach Leos Tode mußte das um so mehr stattfinden, als manche
Dinge auf einen toten Strang gefahren worden waren, von dem weder der
Papst noch ^seine damals maßgebenden Berater sie wieder wegziehn wollten.
Pius der Zehnte würde vielleicht den Gedanken, den Staatssekretär seines
Vorgängers beizubehalten, nicht von der Hand gewiesen haben, wenn Kardinal
Rampolla nicht zu Beginn des Konklaves der aussichtsreichste unter allen
Kandidaten gewesen und so Gegenstand der Zensurierung als xsrsonÄ minus
Mg,eg, durch Österreich geworden wäre.

Das Kardinalkollegium sah sich durch den plötzlichen Tod des Kon-
sistorialsekretärs Msgr. Volpini seines gebornen Konklavesekretärs beraubt
und mußte sich also einen andern wählen. Unter der warmen Fürsprache der
Kardinäle Rampolla und Oreglia ti Santo Stefano wurde Msgr. Merry
del Val zu diesem Amte ausersehen. Im Konklave von Venedig 1799/1800,
aus dem Barnabas Chiaramonti als Pius der Siebente hervorging, hatte der
Konklavesekretär Msgr. Herkules Consalvi den wesentlichsten Anteil um der
Wahl des Mannes, mit dem ihn dann eine beinahe fünfundzwanzigjährige
Freundschaft innigster Art bis zum Tode vereint hielt. Wenn jemand gedacht
haben sollte, daß Msgr. Merry del Val imstande sein würde, einen ähnlichen
Einfluß auf die Wahl auszuüben, so hat er sich vollständig getäuscht gesehen.
Der Konklavesekretür hat es nicht einmal versucht, sich in den Tagen vom
31. Juli bis zum 4. August eine, wenn auch noch so kleine Einflußsphäre
zu verschaffen.

Obgleich Msgr. Guiseppe Sarto als Bischof von Mantua und der
Kardinal Sarto als Patriarch von Venedig den öffentlichen Vorgängen mit
scharfem Auge folgte, so interessierten ihn doch in der Hauptsache die innern
Kämpfe um die Mehrheit in den Selbstverwaltungskörpern in Stadt und
Provinz sowie die Fragen der sozialen und charitativen Tätigkeit, sodaß eine
genauere Kenntnis der großen Kirchenpolitik bei ihm nicht vorhanden war,
als er am 4. August zu seinem eignen größten Leidwesen zum Papste gewählt



Die Redaktion
Wir haben hier einem Mitarbeiter, der auf der Seite der Kurie steht, das Wort er¬
teilt, obwohl wir nicht in allen Punkten mit seinen Ansichten übereinstimmen.
Latholica

Papst?" So richtig manche der dort entwickelten Gedanken sind, so sehr muß
ich andre, weil sie nicht aus eigner Anschauung entsprossen sind, als nicht
beweiskräftig ablehnen. Ich will es in den folgenden Zeilen versuchen, auf
Grund durchaus zuverlässiger Mitteilungen — um nicht mehr zu sagen —
einige Gedanken zu entwickeln, die dazu beitragen dürften, den Gedankenkreis
des Papstes meinen Lesern näher zu rücken.^)

Ich glaube, daß es niemand bestreiten wird, wenn ich sage, daß ein
Wechsel in den leitenden Stellen hoher und höchster Ordnung in den weitaus
meisten Fällen auch einen Umschwung in manchen wichtigen Fragen und Auf¬
fassungen mit einer gewissen innern Notwendigkeit herbeiführen muß. Die
Geschichte lehrt uns, daß im besondern wohl bei jedem Pontifikatswechsel in
der geschäftlichen Behandlung, Weiterführung, Absetzung oder Vertagung der
religiösen wie religiös-politischen Gegenstände tiefer gehende Änderungen ein¬
treten. Nach Leos Tode mußte das um so mehr stattfinden, als manche
Dinge auf einen toten Strang gefahren worden waren, von dem weder der
Papst noch ^seine damals maßgebenden Berater sie wieder wegziehn wollten.
Pius der Zehnte würde vielleicht den Gedanken, den Staatssekretär seines
Vorgängers beizubehalten, nicht von der Hand gewiesen haben, wenn Kardinal
Rampolla nicht zu Beginn des Konklaves der aussichtsreichste unter allen
Kandidaten gewesen und so Gegenstand der Zensurierung als xsrsonÄ minus
Mg,eg, durch Österreich geworden wäre.

Das Kardinalkollegium sah sich durch den plötzlichen Tod des Kon-
sistorialsekretärs Msgr. Volpini seines gebornen Konklavesekretärs beraubt
und mußte sich also einen andern wählen. Unter der warmen Fürsprache der
Kardinäle Rampolla und Oreglia ti Santo Stefano wurde Msgr. Merry
del Val zu diesem Amte ausersehen. Im Konklave von Venedig 1799/1800,
aus dem Barnabas Chiaramonti als Pius der Siebente hervorging, hatte der
Konklavesekretär Msgr. Herkules Consalvi den wesentlichsten Anteil um der
Wahl des Mannes, mit dem ihn dann eine beinahe fünfundzwanzigjährige
Freundschaft innigster Art bis zum Tode vereint hielt. Wenn jemand gedacht
haben sollte, daß Msgr. Merry del Val imstande sein würde, einen ähnlichen
Einfluß auf die Wahl auszuüben, so hat er sich vollständig getäuscht gesehen.
Der Konklavesekretür hat es nicht einmal versucht, sich in den Tagen vom
31. Juli bis zum 4. August eine, wenn auch noch so kleine Einflußsphäre
zu verschaffen.

Obgleich Msgr. Guiseppe Sarto als Bischof von Mantua und der
Kardinal Sarto als Patriarch von Venedig den öffentlichen Vorgängen mit
scharfem Auge folgte, so interessierten ihn doch in der Hauptsache die innern
Kämpfe um die Mehrheit in den Selbstverwaltungskörpern in Stadt und
Provinz sowie die Fragen der sozialen und charitativen Tätigkeit, sodaß eine
genauere Kenntnis der großen Kirchenpolitik bei ihm nicht vorhanden war,
als er am 4. August zu seinem eignen größten Leidwesen zum Papste gewählt



Die Redaktion
Wir haben hier einem Mitarbeiter, der auf der Seite der Kurie steht, das Wort er¬
teilt, obwohl wir nicht in allen Punkten mit seinen Ansichten übereinstimmen.
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[0575] Latholica Papst?" So richtig manche der dort entwickelten Gedanken sind, so sehr muß ich andre, weil sie nicht aus eigner Anschauung entsprossen sind, als nicht beweiskräftig ablehnen. Ich will es in den folgenden Zeilen versuchen, auf Grund durchaus zuverlässiger Mitteilungen — um nicht mehr zu sagen — einige Gedanken zu entwickeln, die dazu beitragen dürften, den Gedankenkreis des Papstes meinen Lesern näher zu rücken.^) Ich glaube, daß es niemand bestreiten wird, wenn ich sage, daß ein Wechsel in den leitenden Stellen hoher und höchster Ordnung in den weitaus meisten Fällen auch einen Umschwung in manchen wichtigen Fragen und Auf¬ fassungen mit einer gewissen innern Notwendigkeit herbeiführen muß. Die Geschichte lehrt uns, daß im besondern wohl bei jedem Pontifikatswechsel in der geschäftlichen Behandlung, Weiterführung, Absetzung oder Vertagung der religiösen wie religiös-politischen Gegenstände tiefer gehende Änderungen ein¬ treten. Nach Leos Tode mußte das um so mehr stattfinden, als manche Dinge auf einen toten Strang gefahren worden waren, von dem weder der Papst noch ^seine damals maßgebenden Berater sie wieder wegziehn wollten. Pius der Zehnte würde vielleicht den Gedanken, den Staatssekretär seines Vorgängers beizubehalten, nicht von der Hand gewiesen haben, wenn Kardinal Rampolla nicht zu Beginn des Konklaves der aussichtsreichste unter allen Kandidaten gewesen und so Gegenstand der Zensurierung als xsrsonÄ minus Mg,eg, durch Österreich geworden wäre. Das Kardinalkollegium sah sich durch den plötzlichen Tod des Kon- sistorialsekretärs Msgr. Volpini seines gebornen Konklavesekretärs beraubt und mußte sich also einen andern wählen. Unter der warmen Fürsprache der Kardinäle Rampolla und Oreglia ti Santo Stefano wurde Msgr. Merry del Val zu diesem Amte ausersehen. Im Konklave von Venedig 1799/1800, aus dem Barnabas Chiaramonti als Pius der Siebente hervorging, hatte der Konklavesekretär Msgr. Herkules Consalvi den wesentlichsten Anteil um der Wahl des Mannes, mit dem ihn dann eine beinahe fünfundzwanzigjährige Freundschaft innigster Art bis zum Tode vereint hielt. Wenn jemand gedacht haben sollte, daß Msgr. Merry del Val imstande sein würde, einen ähnlichen Einfluß auf die Wahl auszuüben, so hat er sich vollständig getäuscht gesehen. Der Konklavesekretür hat es nicht einmal versucht, sich in den Tagen vom 31. Juli bis zum 4. August eine, wenn auch noch so kleine Einflußsphäre zu verschaffen. Obgleich Msgr. Guiseppe Sarto als Bischof von Mantua und der Kardinal Sarto als Patriarch von Venedig den öffentlichen Vorgängen mit scharfem Auge folgte, so interessierten ihn doch in der Hauptsache die innern Kämpfe um die Mehrheit in den Selbstverwaltungskörpern in Stadt und Provinz sowie die Fragen der sozialen und charitativen Tätigkeit, sodaß eine genauere Kenntnis der großen Kirchenpolitik bei ihm nicht vorhanden war, als er am 4. August zu seinem eignen größten Leidwesen zum Papste gewählt Die Redaktion Wir haben hier einem Mitarbeiter, der auf der Seite der Kurie steht, das Wort er¬ teilt, obwohl wir nicht in allen Punkten mit seinen Ansichten übereinstimmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/575>, abgerufen am 24.08.2024.