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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus deutschem volksmunde

5. Bei jemand ins Fettnäpfchen treten.

Die Redensart scheint
in der Form relativ jung zu sein. Das Grimmsche Wörterbuch merkt sie zwar
an, aber ohne ein Beispiel dafür zu bringen. Und die Umschreibung "es bei
jemand verschütten" gibt keine befriedigende Erklärung über den Ursprung.
Das Richtige lehren verwandte ältere Wendungen, wie: "Hans lapp ins
mus" (Schwabe, Volleingeschenktes Tintenfüßl, 1745) oder eine noch nicht be¬
achtete Stelle bei Oswald von Wolkenstein (Webers Ausgabe S. 180), die uns
noch ein paar Jahrhunderte weiter zurückführt: Käme^l tritknxrsx, d. i. "Heinz
tritt in Brei," beides Spottbezeichnungen für ungeschickte Menschen oder Tol¬
patsche. Also scheint unsrer Redensart etwa der Sinn "bei jemand ins Fett¬
näpfchen tappen, patschen" zugrunde zu liegen, d. h. eben dann, dadurch seinen
Zorn erregen, es mit ihm verderben. In dieser abgeblaßten Bedeutung ist sie
mir zum Beispiel in Langbeins "Herbstrosen" (1829) begegnet (Goedikes Aus¬
gabe VIII, 12): "El. da traten sie bei ihm gewaltig ins Näpfchen!"


6. Weder gehauen noch gestochen.

Nach Borchardt-Wustmanu ist das
zugrunde liegende Bild vom Fechten genommen. Das bezweifle ich. Mir scheint
der Ausdruck vielmehr ursprünglich von einem ungeschickten Schlächter herzu¬
rühren. So wird die Wendung zum Beispiel in Clemens Brentanos Festspiel
"Victoria und ihre Geschwister" (1813) verwandt, wo zwar die Redensart "es
ist halt weder gehauen noch gestochen!" (Gesammelte Schriften 1852. VII, 358)
zunächst schon auf die ungereimte Rede geht, aber doch aus dem vorhergehenden
die Beziehung auf das Schlachten eines Kalbes ganz unverkennbar ist. Das
Bild des Fechters schwebt dann allerdings auch Grillparzer vor in einem
satirischen Epigramm 1830 (Scmersche Ausgabe III, 99):


7. Hand von der Butte.

Ein treffendes Beispiel, wie das Volk, wenn
ihm das Verständnis für eine Wendung verloren gegangen ist, sich dieselbe
zurecht deutet, bietet die volksübliche Entstellung dieser Redensart in den Zuruf
".Hand von der Butter!" Daran hat schon Wustmann erinnert, der auch
die richtige Ableitung von dem Gefäß zum Einsammeln der Trauben wiedergibt.
Das zeigt zum Beispiel ein Beleg, der zugleich die lateinische Parallele bei¬
bringt, in der "Verteidigung des Lobt. Schneider-Handwerks" (von Adrian
Schmatteren) 1745, S. 22: "806 mWmn 6s t-Mit"., die Hand von der Butte:
es seyn Weinbeer drinnen." Also ursprünglich ein Drohruf, nicht zu naschen.
Aber schon in der ersten Hülste des achtzehnten Jahrhunderts gebraucht man
die Wendung auch in übertragnem Sinne als "ablassen von einer Sache."
Vergleiche noch Brentano (Gesammelte Schriften VII, 302), wo die Marketenderin
dem Lützowschen Jäger zuruft, von dem Mädchen abzulassen:


Schnabel, das ist nicht sein Futter,
Von der Butte weg die Hand.

8. Sich viel herausnehmen.

Dieser Wendung liegt sicher die Vor¬
stellung zugrunde, sich bei Tische aus der Schüssel das größte Stück oder


Aus deutschem volksmunde

5. Bei jemand ins Fettnäpfchen treten.

Die Redensart scheint
in der Form relativ jung zu sein. Das Grimmsche Wörterbuch merkt sie zwar
an, aber ohne ein Beispiel dafür zu bringen. Und die Umschreibung „es bei
jemand verschütten" gibt keine befriedigende Erklärung über den Ursprung.
Das Richtige lehren verwandte ältere Wendungen, wie: „Hans lapp ins
mus" (Schwabe, Volleingeschenktes Tintenfüßl, 1745) oder eine noch nicht be¬
achtete Stelle bei Oswald von Wolkenstein (Webers Ausgabe S. 180), die uns
noch ein paar Jahrhunderte weiter zurückführt: Käme^l tritknxrsx, d. i. „Heinz
tritt in Brei," beides Spottbezeichnungen für ungeschickte Menschen oder Tol¬
patsche. Also scheint unsrer Redensart etwa der Sinn „bei jemand ins Fett¬
näpfchen tappen, patschen" zugrunde zu liegen, d. h. eben dann, dadurch seinen
Zorn erregen, es mit ihm verderben. In dieser abgeblaßten Bedeutung ist sie
mir zum Beispiel in Langbeins „Herbstrosen" (1829) begegnet (Goedikes Aus¬
gabe VIII, 12): „El. da traten sie bei ihm gewaltig ins Näpfchen!"


6. Weder gehauen noch gestochen.

Nach Borchardt-Wustmanu ist das
zugrunde liegende Bild vom Fechten genommen. Das bezweifle ich. Mir scheint
der Ausdruck vielmehr ursprünglich von einem ungeschickten Schlächter herzu¬
rühren. So wird die Wendung zum Beispiel in Clemens Brentanos Festspiel
„Victoria und ihre Geschwister" (1813) verwandt, wo zwar die Redensart „es
ist halt weder gehauen noch gestochen!" (Gesammelte Schriften 1852. VII, 358)
zunächst schon auf die ungereimte Rede geht, aber doch aus dem vorhergehenden
die Beziehung auf das Schlachten eines Kalbes ganz unverkennbar ist. Das
Bild des Fechters schwebt dann allerdings auch Grillparzer vor in einem
satirischen Epigramm 1830 (Scmersche Ausgabe III, 99):


7. Hand von der Butte.

Ein treffendes Beispiel, wie das Volk, wenn
ihm das Verständnis für eine Wendung verloren gegangen ist, sich dieselbe
zurecht deutet, bietet die volksübliche Entstellung dieser Redensart in den Zuruf
„.Hand von der Butter!" Daran hat schon Wustmann erinnert, der auch
die richtige Ableitung von dem Gefäß zum Einsammeln der Trauben wiedergibt.
Das zeigt zum Beispiel ein Beleg, der zugleich die lateinische Parallele bei¬
bringt, in der „Verteidigung des Lobt. Schneider-Handwerks" (von Adrian
Schmatteren) 1745, S. 22: „806 mWmn 6s t-Mit»., die Hand von der Butte:
es seyn Weinbeer drinnen." Also ursprünglich ein Drohruf, nicht zu naschen.
Aber schon in der ersten Hülste des achtzehnten Jahrhunderts gebraucht man
die Wendung auch in übertragnem Sinne als „ablassen von einer Sache."
Vergleiche noch Brentano (Gesammelte Schriften VII, 302), wo die Marketenderin
dem Lützowschen Jäger zuruft, von dem Mädchen abzulassen:


Schnabel, das ist nicht sein Futter,
Von der Butte weg die Hand.

8. Sich viel herausnehmen.

Dieser Wendung liegt sicher die Vor¬
stellung zugrunde, sich bei Tische aus der Schüssel das größte Stück oder


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[0543] Aus deutschem volksmunde 5. Bei jemand ins Fettnäpfchen treten. Die Redensart scheint in der Form relativ jung zu sein. Das Grimmsche Wörterbuch merkt sie zwar an, aber ohne ein Beispiel dafür zu bringen. Und die Umschreibung „es bei jemand verschütten" gibt keine befriedigende Erklärung über den Ursprung. Das Richtige lehren verwandte ältere Wendungen, wie: „Hans lapp ins mus" (Schwabe, Volleingeschenktes Tintenfüßl, 1745) oder eine noch nicht be¬ achtete Stelle bei Oswald von Wolkenstein (Webers Ausgabe S. 180), die uns noch ein paar Jahrhunderte weiter zurückführt: Käme^l tritknxrsx, d. i. „Heinz tritt in Brei," beides Spottbezeichnungen für ungeschickte Menschen oder Tol¬ patsche. Also scheint unsrer Redensart etwa der Sinn „bei jemand ins Fett¬ näpfchen tappen, patschen" zugrunde zu liegen, d. h. eben dann, dadurch seinen Zorn erregen, es mit ihm verderben. In dieser abgeblaßten Bedeutung ist sie mir zum Beispiel in Langbeins „Herbstrosen" (1829) begegnet (Goedikes Aus¬ gabe VIII, 12): „El. da traten sie bei ihm gewaltig ins Näpfchen!" 6. Weder gehauen noch gestochen. Nach Borchardt-Wustmanu ist das zugrunde liegende Bild vom Fechten genommen. Das bezweifle ich. Mir scheint der Ausdruck vielmehr ursprünglich von einem ungeschickten Schlächter herzu¬ rühren. So wird die Wendung zum Beispiel in Clemens Brentanos Festspiel „Victoria und ihre Geschwister" (1813) verwandt, wo zwar die Redensart „es ist halt weder gehauen noch gestochen!" (Gesammelte Schriften 1852. VII, 358) zunächst schon auf die ungereimte Rede geht, aber doch aus dem vorhergehenden die Beziehung auf das Schlachten eines Kalbes ganz unverkennbar ist. Das Bild des Fechters schwebt dann allerdings auch Grillparzer vor in einem satirischen Epigramm 1830 (Scmersche Ausgabe III, 99): 7. Hand von der Butte. Ein treffendes Beispiel, wie das Volk, wenn ihm das Verständnis für eine Wendung verloren gegangen ist, sich dieselbe zurecht deutet, bietet die volksübliche Entstellung dieser Redensart in den Zuruf „.Hand von der Butter!" Daran hat schon Wustmann erinnert, der auch die richtige Ableitung von dem Gefäß zum Einsammeln der Trauben wiedergibt. Das zeigt zum Beispiel ein Beleg, der zugleich die lateinische Parallele bei¬ bringt, in der „Verteidigung des Lobt. Schneider-Handwerks" (von Adrian Schmatteren) 1745, S. 22: „806 mWmn 6s t-Mit»., die Hand von der Butte: es seyn Weinbeer drinnen." Also ursprünglich ein Drohruf, nicht zu naschen. Aber schon in der ersten Hülste des achtzehnten Jahrhunderts gebraucht man die Wendung auch in übertragnem Sinne als „ablassen von einer Sache." Vergleiche noch Brentano (Gesammelte Schriften VII, 302), wo die Marketenderin dem Lützowschen Jäger zuruft, von dem Mädchen abzulassen: Schnabel, das ist nicht sein Futter, Von der Butte weg die Hand. 8. Sich viel herausnehmen. Dieser Wendung liegt sicher die Vor¬ stellung zugrunde, sich bei Tische aus der Schüssel das größte Stück oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/543>, abgerufen am 03.07.2024.