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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Aus dein Leben des württembergischen Generals Karl von Mariens

mannigfaltigen Verdienste um den Staat" die Verbreitung des Christentums
in China erlaubte. "Daß man auch in Moskau mit dem Grenztraktate von
Nertschinsk nicht unzufrieden war, zeigt die Erhebung Golowius in den
Bojarenstand und seine schriftliche Belohnung," sagt Baer.

Es mögen noch kurz die Gründe für den hartnäckigen Kampf um das
Amurland erwähut sein. Von den Russen wurde es erstrebt wegen seines
Reichtums und als Pforte nach China, aus denselben Gründen wurde es von
den Chinesen verteidigt, die sich vor den Russen schützen wollten. Am Argun
durften die Russen bis zum Strome selbst Vordringen, denn zwischen China
und Nußland turnte sich hier das unbequeme Chingangebirge auf, und das
Interesse der Chinesen hat sich niemals ans das Gebiet jenseit des Gebirges
erstreckt. Sie überließen Trcmsbcnkalien bereitwillig dem russischen Nachbar.
Ganz anders lagen die Verhältnisse jenseits des Amur. Hier war der Einfluß
Chinas schon vor den Russen maßgebend. Chabarow berichtet ja von zahl¬
reichen chinesischen Händlern am Strome, und alle Russen erfahren ja, noch
ehe sie die Wasserscheide zwischen Lena und Amur überschritten, von dem aus¬
gebreiteten chinesischen Handel; anch erheben die Chinesen sogar am linken
Ufer des Stromes Tribut und versetzen bäurische Stämme ohne Anwendung
von Gewalt vom linken Ufer auf das rechte. Das Amurland war also schon
vor der Ankunft der Russen in wirtschaftlicher, teilweise auch in loser politischer
Abhängigkeit von China. Gaben die Chinesen das Amurland preis, so ver¬
loren sie nicht nur ein Absatzgebiet für ihre Waren und eine billige Bezugs¬
quelle für die kostbaren Pelze, vielleicht auch politischen Einfluß, sondern die
Russen würden auch ihre unmittelbaren Nachbarn, denen dann der Weg nach
China ungehindert offen stand. Die Gefährlichkeit dieses Nachbars erkannten
oder witterten die Chinesen. Deshalb umgaben sie die Mandschurei mit Wall
und Graben: im Norden hatten sie den Amurstrom und den Gebirgskcnnm,
Teile der Jablonoi- und Stcmowoikette; im Westen die Mauer des Chingan-
gebirges und den Argunstrom. Diese doppelte Verschanzung blieb so lange
unübersteigbar. als die Russen sie nicht durch dieselben Kräfte bezwingen konnten,
durch tue sie die Chinesen aufgerichtet hatten, durch militärische und wirtschaftliche
Überlegenheit.




Aus dem Leben des Württembergischen Generals
Karl von Martens
von Albert Landenberger

is sich am 23. Mai des Jahres 1830 württembergische Offiziere und
Beamte in Stuttgart versammelten, um sich achtzehn Jahre nach der
Beendigung des russischen Feldzugs mit seinen entsetzlichen Stra¬
pazen, denen so viele ihrer Kriegskameraden erlegen waren, wieder
zu begrüßen -- es waren 80 aktive Offiziere, 22 in den Ruhe¬
stand versetzte, 10 aktive Militärbeamte und 25 in den Zivildienst und in das
Privatleben eingetretne Offiziere und Militärbeamte --, gab General von Stock-


Aus dein Leben des württembergischen Generals Karl von Mariens

mannigfaltigen Verdienste um den Staat" die Verbreitung des Christentums
in China erlaubte. „Daß man auch in Moskau mit dem Grenztraktate von
Nertschinsk nicht unzufrieden war, zeigt die Erhebung Golowius in den
Bojarenstand und seine schriftliche Belohnung," sagt Baer.

Es mögen noch kurz die Gründe für den hartnäckigen Kampf um das
Amurland erwähut sein. Von den Russen wurde es erstrebt wegen seines
Reichtums und als Pforte nach China, aus denselben Gründen wurde es von
den Chinesen verteidigt, die sich vor den Russen schützen wollten. Am Argun
durften die Russen bis zum Strome selbst Vordringen, denn zwischen China
und Nußland turnte sich hier das unbequeme Chingangebirge auf, und das
Interesse der Chinesen hat sich niemals ans das Gebiet jenseit des Gebirges
erstreckt. Sie überließen Trcmsbcnkalien bereitwillig dem russischen Nachbar.
Ganz anders lagen die Verhältnisse jenseits des Amur. Hier war der Einfluß
Chinas schon vor den Russen maßgebend. Chabarow berichtet ja von zahl¬
reichen chinesischen Händlern am Strome, und alle Russen erfahren ja, noch
ehe sie die Wasserscheide zwischen Lena und Amur überschritten, von dem aus¬
gebreiteten chinesischen Handel; anch erheben die Chinesen sogar am linken
Ufer des Stromes Tribut und versetzen bäurische Stämme ohne Anwendung
von Gewalt vom linken Ufer auf das rechte. Das Amurland war also schon
vor der Ankunft der Russen in wirtschaftlicher, teilweise auch in loser politischer
Abhängigkeit von China. Gaben die Chinesen das Amurland preis, so ver¬
loren sie nicht nur ein Absatzgebiet für ihre Waren und eine billige Bezugs¬
quelle für die kostbaren Pelze, vielleicht auch politischen Einfluß, sondern die
Russen würden auch ihre unmittelbaren Nachbarn, denen dann der Weg nach
China ungehindert offen stand. Die Gefährlichkeit dieses Nachbars erkannten
oder witterten die Chinesen. Deshalb umgaben sie die Mandschurei mit Wall
und Graben: im Norden hatten sie den Amurstrom und den Gebirgskcnnm,
Teile der Jablonoi- und Stcmowoikette; im Westen die Mauer des Chingan-
gebirges und den Argunstrom. Diese doppelte Verschanzung blieb so lange
unübersteigbar. als die Russen sie nicht durch dieselben Kräfte bezwingen konnten,
durch tue sie die Chinesen aufgerichtet hatten, durch militärische und wirtschaftliche
Überlegenheit.




Aus dem Leben des Württembergischen Generals
Karl von Martens
von Albert Landenberger

is sich am 23. Mai des Jahres 1830 württembergische Offiziere und
Beamte in Stuttgart versammelten, um sich achtzehn Jahre nach der
Beendigung des russischen Feldzugs mit seinen entsetzlichen Stra¬
pazen, denen so viele ihrer Kriegskameraden erlegen waren, wieder
zu begrüßen — es waren 80 aktive Offiziere, 22 in den Ruhe¬
stand versetzte, 10 aktive Militärbeamte und 25 in den Zivildienst und in das
Privatleben eingetretne Offiziere und Militärbeamte —, gab General von Stock-


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[0519] Aus dein Leben des württembergischen Generals Karl von Mariens mannigfaltigen Verdienste um den Staat" die Verbreitung des Christentums in China erlaubte. „Daß man auch in Moskau mit dem Grenztraktate von Nertschinsk nicht unzufrieden war, zeigt die Erhebung Golowius in den Bojarenstand und seine schriftliche Belohnung," sagt Baer. Es mögen noch kurz die Gründe für den hartnäckigen Kampf um das Amurland erwähut sein. Von den Russen wurde es erstrebt wegen seines Reichtums und als Pforte nach China, aus denselben Gründen wurde es von den Chinesen verteidigt, die sich vor den Russen schützen wollten. Am Argun durften die Russen bis zum Strome selbst Vordringen, denn zwischen China und Nußland turnte sich hier das unbequeme Chingangebirge auf, und das Interesse der Chinesen hat sich niemals ans das Gebiet jenseit des Gebirges erstreckt. Sie überließen Trcmsbcnkalien bereitwillig dem russischen Nachbar. Ganz anders lagen die Verhältnisse jenseits des Amur. Hier war der Einfluß Chinas schon vor den Russen maßgebend. Chabarow berichtet ja von zahl¬ reichen chinesischen Händlern am Strome, und alle Russen erfahren ja, noch ehe sie die Wasserscheide zwischen Lena und Amur überschritten, von dem aus¬ gebreiteten chinesischen Handel; anch erheben die Chinesen sogar am linken Ufer des Stromes Tribut und versetzen bäurische Stämme ohne Anwendung von Gewalt vom linken Ufer auf das rechte. Das Amurland war also schon vor der Ankunft der Russen in wirtschaftlicher, teilweise auch in loser politischer Abhängigkeit von China. Gaben die Chinesen das Amurland preis, so ver¬ loren sie nicht nur ein Absatzgebiet für ihre Waren und eine billige Bezugs¬ quelle für die kostbaren Pelze, vielleicht auch politischen Einfluß, sondern die Russen würden auch ihre unmittelbaren Nachbarn, denen dann der Weg nach China ungehindert offen stand. Die Gefährlichkeit dieses Nachbars erkannten oder witterten die Chinesen. Deshalb umgaben sie die Mandschurei mit Wall und Graben: im Norden hatten sie den Amurstrom und den Gebirgskcnnm, Teile der Jablonoi- und Stcmowoikette; im Westen die Mauer des Chingan- gebirges und den Argunstrom. Diese doppelte Verschanzung blieb so lange unübersteigbar. als die Russen sie nicht durch dieselben Kräfte bezwingen konnten, durch tue sie die Chinesen aufgerichtet hatten, durch militärische und wirtschaftliche Überlegenheit. Aus dem Leben des Württembergischen Generals Karl von Martens von Albert Landenberger is sich am 23. Mai des Jahres 1830 württembergische Offiziere und Beamte in Stuttgart versammelten, um sich achtzehn Jahre nach der Beendigung des russischen Feldzugs mit seinen entsetzlichen Stra¬ pazen, denen so viele ihrer Kriegskameraden erlegen waren, wieder zu begrüßen — es waren 80 aktive Offiziere, 22 in den Ruhe¬ stand versetzte, 10 aktive Militärbeamte und 25 in den Zivildienst und in das Privatleben eingetretne Offiziere und Militärbeamte —, gab General von Stock-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/519>, abgerufen am 23.07.2024.