Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.Georgo Sand Holzmalereien, Aquarellverzierungen von Ofenschirmen, Sammetblumen und vielen Wir können, durch G. Sands Histoirs als eng, vis bestärkt, die zitierten Georgo Sand Holzmalereien, Aquarellverzierungen von Ofenschirmen, Sammetblumen und vielen Wir können, durch G. Sands Histoirs als eng, vis bestärkt, die zitierten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293279"/> <fw type="header" place="top"> Georgo Sand</fw><lb/> <p xml:id="ID_2600" prev="#ID_2599"> Holzmalereien, Aquarellverzierungen von Ofenschirmen, Sammetblumen und vielen<lb/> andern kostspieligen Nichtigkeiten, die die Luxusverbvte einer Republik sofort<lb/> außer Gebrauch setzen würden? Welche Dame unsers Standes würde sich ohne<lb/> Kummer zur Ausübung eines rein mechanischen Berufs herbeilassen? Denn auf<lb/> zwanzig unsrer Damen kommt kaum eine einzige, die auf irgend einem Gebiete<lb/> gründliche Kenntnisse hätte. Meiner Ansicht nach könnten sie höchstens Kammer¬<lb/> jungfer werden. Aus den Berichten meiner Großmutter und meiner Mutter<lb/> (zweier so völlig entgegengesetzter Existenzen der Emigrantenzeit und des Empire,<lb/> Koblenz und Marie Louise) habe ich frühzeitig die Lehre gezogen, daß ich eben¬<lb/> sosehr auf der Hut sein müsse vor den Entbehrungen der einen wie dem Über¬<lb/> flusse der andern. Und sobald ich einigermaßen nach eignem Gutdünken handeln<lb/> durfte, merzte ich die Talente aus, die mir keinen Gewinn versprachen. Meine<lb/> volle Kraft widmete ich einem einzigen, weil ich bemerkt hatte, daß jeder sich<lb/> der Zeit und der Mode zum Trotz in der Welt zu behaupten vermag, sobald<lb/> er ein Ding von Grund aus versteht."</p><lb/> <p xml:id="ID_2601" next="#ID_2602"> Wir können, durch G. Sands Histoirs als eng, vis bestärkt, die zitierten<lb/> Äußerungen getrost als eine spontane, nur teilweise verschleierte Klage der<lb/> angehenden Schriftstellerin auffassen, die nach allen Richtungen hin Lücken in<lb/> der eignen Bildung spürte und nur durch die elementare Kraft ihres Genies<lb/> und die damit verbundne rücksichtslose Offenheit ungeahnte Ziele erreichte.<lb/> Hat sie jemals in intimen Augenblicken Musset gegenüber Unzufriedenheit ge¬<lb/> äußert über die Schwierigkeiten, die ihr anfangs aus mangelndem Wissen<lb/> erwuchsen? Eigentümlich berührt auf alle Fülle die schadenfrohe Äußerung<lb/> Paul de Müssets in dem wenig großmütiger Ilui et Mle-, daß die Dichterin<lb/> dank ihrer Mädchenerziehung nur eine Schwinge ihres Talents regen gelernt<lb/> habe. In ^eciues (1834) stoßen wir auf eine neue, für die Selbstbespiegelung<lb/> der Dichterin charakteristische, revolutionäre Meinungsäußerung. Sie hält die<lb/> Ansicht für falsch, daß ein Mann mit dreißig Jahren, was Erfahrung und<lb/> Urteilskraft betrifft, jünger sein soll als Frauen von zwanzig. „Der Mann ist<lb/> genötigt, sich für einen Beruf auszubilden, sich eine Stellung in der Gesellschaft<lb/> zu erringen, sobald er die Schule verläßt; das junge Mädchen findet dagegen<lb/> seinen Platz im Leben schon vorbereitet, sobald es das Kloster verläßt; sei es,<lb/> daß man es verheiratet, sei es, daß die Eltern es noch einige Jahre bei sich behalten.<lb/> Nadelarbeiten anfertigen, kleine Haushaltsgeschäfte besorgen, einige Talente ober¬<lb/> flächlich Pflegen, Gattin und Mutter werden, sich gewöhnen, seine Kinder selbst zu<lb/> nähren und zu waschen, das nennt man eine „gereifte" Frau sein. Ich bin aber der<lb/> Allsicht, daß eine fünfundzwanzigjährige Frau noch ein Kind ist, wenn sie nach der<lb/> Verheiratung nicht mit der Welt in Berührung kommt. Ich denke, daß die Welt,<lb/> in der sie sich als junges Mädchen bewegte, sie bloß lehrte, wie man sich zu kleiden,<lb/> zu gehen, zu setzen und eine Verbeugung zu machen habe. Aber das Leben lehrt<lb/> andre Dinge, und die Frauen lernen sie zu spät und immer auf ihre Kosten.<lb/> Anmut, Anstand, Unterhaltungsgabe genügen nicht; auch seine Kinder pünktlich<lb/> genährt und seinen Haushalt ein paar Jahre geführt haben, genügt nicht, sich<lb/> vor allen Gefahren geborgen zu wähnen, die dem Glücke den Todesstreich ver¬<lb/> setzen können. Wie viele Dinge lernt dagegen der Mann in dem unbeschränkten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Georgo Sand
Holzmalereien, Aquarellverzierungen von Ofenschirmen, Sammetblumen und vielen
andern kostspieligen Nichtigkeiten, die die Luxusverbvte einer Republik sofort
außer Gebrauch setzen würden? Welche Dame unsers Standes würde sich ohne
Kummer zur Ausübung eines rein mechanischen Berufs herbeilassen? Denn auf
zwanzig unsrer Damen kommt kaum eine einzige, die auf irgend einem Gebiete
gründliche Kenntnisse hätte. Meiner Ansicht nach könnten sie höchstens Kammer¬
jungfer werden. Aus den Berichten meiner Großmutter und meiner Mutter
(zweier so völlig entgegengesetzter Existenzen der Emigrantenzeit und des Empire,
Koblenz und Marie Louise) habe ich frühzeitig die Lehre gezogen, daß ich eben¬
sosehr auf der Hut sein müsse vor den Entbehrungen der einen wie dem Über¬
flusse der andern. Und sobald ich einigermaßen nach eignem Gutdünken handeln
durfte, merzte ich die Talente aus, die mir keinen Gewinn versprachen. Meine
volle Kraft widmete ich einem einzigen, weil ich bemerkt hatte, daß jeder sich
der Zeit und der Mode zum Trotz in der Welt zu behaupten vermag, sobald
er ein Ding von Grund aus versteht."
Wir können, durch G. Sands Histoirs als eng, vis bestärkt, die zitierten
Äußerungen getrost als eine spontane, nur teilweise verschleierte Klage der
angehenden Schriftstellerin auffassen, die nach allen Richtungen hin Lücken in
der eignen Bildung spürte und nur durch die elementare Kraft ihres Genies
und die damit verbundne rücksichtslose Offenheit ungeahnte Ziele erreichte.
Hat sie jemals in intimen Augenblicken Musset gegenüber Unzufriedenheit ge¬
äußert über die Schwierigkeiten, die ihr anfangs aus mangelndem Wissen
erwuchsen? Eigentümlich berührt auf alle Fülle die schadenfrohe Äußerung
Paul de Müssets in dem wenig großmütiger Ilui et Mle-, daß die Dichterin
dank ihrer Mädchenerziehung nur eine Schwinge ihres Talents regen gelernt
habe. In ^eciues (1834) stoßen wir auf eine neue, für die Selbstbespiegelung
der Dichterin charakteristische, revolutionäre Meinungsäußerung. Sie hält die
Ansicht für falsch, daß ein Mann mit dreißig Jahren, was Erfahrung und
Urteilskraft betrifft, jünger sein soll als Frauen von zwanzig. „Der Mann ist
genötigt, sich für einen Beruf auszubilden, sich eine Stellung in der Gesellschaft
zu erringen, sobald er die Schule verläßt; das junge Mädchen findet dagegen
seinen Platz im Leben schon vorbereitet, sobald es das Kloster verläßt; sei es,
daß man es verheiratet, sei es, daß die Eltern es noch einige Jahre bei sich behalten.
Nadelarbeiten anfertigen, kleine Haushaltsgeschäfte besorgen, einige Talente ober¬
flächlich Pflegen, Gattin und Mutter werden, sich gewöhnen, seine Kinder selbst zu
nähren und zu waschen, das nennt man eine „gereifte" Frau sein. Ich bin aber der
Allsicht, daß eine fünfundzwanzigjährige Frau noch ein Kind ist, wenn sie nach der
Verheiratung nicht mit der Welt in Berührung kommt. Ich denke, daß die Welt,
in der sie sich als junges Mädchen bewegte, sie bloß lehrte, wie man sich zu kleiden,
zu gehen, zu setzen und eine Verbeugung zu machen habe. Aber das Leben lehrt
andre Dinge, und die Frauen lernen sie zu spät und immer auf ihre Kosten.
Anmut, Anstand, Unterhaltungsgabe genügen nicht; auch seine Kinder pünktlich
genährt und seinen Haushalt ein paar Jahre geführt haben, genügt nicht, sich
vor allen Gefahren geborgen zu wähnen, die dem Glücke den Todesstreich ver¬
setzen können. Wie viele Dinge lernt dagegen der Mann in dem unbeschränkten
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