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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Ausblicke übers Meer

darf unser Ruf nicht sein: Hic Rußland! oder: Hie Japan! sondern wie immer
und überall: Hie Deutschland! Da ist es zunächst klar, daß die möglichste
räumliche und zeitliche Beschränkung des Krieges in unserm Interesse liegt.
Jedes Eingreifen einer dritten Macht würde den Weltkrieg entfesseln, dem wir
auf die Dauer schwerlich fern bleiben könnten, und dessen Ende sich nicht ab¬
sehen ließe. Zunächst ist eine solche Einmischung glücklicherweise nicht zu be¬
fürchten. Denn Frankreichs schwache und gerade deshalb im Innern tyrannische
Regierung wird es ohne die dringendste Not kaum wagen, einen großen Krieg
zu führen, der sofort und vor allem ein französisch-englischer werden würde, und
in England erheben sich schon Stimmen, die einen durchschlagenden Sieg Japans
keineswegs für ein englisches Interesse halten, trotz der im ganzen doch rnssen-
feindlichen Gesinnung jenseits des Kanals. In der Tat, im Interesse der neutralen
Mächte, und namentlich Deutschlands, wäre es weder, wenn Rußland Japan völlig
niederkämpfte, noch wenn Japan die russische Stellung in Ostasien zerstörte. Denn
im ersten Fall würde Rußland dort ein erdrückendes Übergewicht gewinnen und
sicher zur Schutzmacht Chinas werden; wir Deutschen aber können nicht wünschen,
daß sich das Gewicht einer der drei Weltgroßmächte noch verstärke. Ein Sieg
Japans aber, der ihm nicht nur die Herrschaft über Korea eintrüge, sondern
Nußland auch aus der Mandschurei hinausdrängte, wäre eine Niederlage der
christlich-europäischen Gesittung gegen eine heidnische Zwitterzivilisation; er
würde Japan die ersehnte Möglichkeit geben, China unter seinen überwiegenden
Einfluß zu bringen und diese schwerfällige Masse politisch, militärisch und wirt¬
schaftlich so zu organisieren, daß sie eine schwere Bedrohung für alle abend¬
ländischen Mächte würde und die Herrschaft über Asien an sich reißen konnte.
Vor dieser "gelben Gefahr" hat unser Kaiser schon vor Jahren gewarnt, als
ihm noch niemand glauben wollte, und danach hat er 1895 gehandelt, als er
im Einverständnis mit Rußland und Frankreich die Japaner verhinderte, ein
Stück des chinesischen Festlandes an sich zu reißen.

Eine für uns günstige Folge des Krieges zeigt sich aber schon jetzt in
Europa. Offenbar hat sich das Verhältnis des "heiligen" Rußland zu der
von Atheisten regierten französischen Republik gelockert, das zu Deutschland in¬
timer gestaltet. Frankreich hat erkannt, daß es für seine Nevanchehoffnungen
vom Zaren gar nichts zu erwarten hat, Rußland, daß Frankreich ihm in Ost¬
asien schwerlich helfen wird, und daß die ehrliche, bis zu einem gewissen Grade
wohlwollende Neutralität Deutschlands ihm höchst wertvoll ist, weil es damit
jeder Sorge über seine Westgrenze enthoben wird. Das kann zu eiuer neuen,
unsre Stellung wesentlich erleichternden Gruppierung der europäischen Mächte
* führen.




Ausblicke übers Meer

darf unser Ruf nicht sein: Hic Rußland! oder: Hie Japan! sondern wie immer
und überall: Hie Deutschland! Da ist es zunächst klar, daß die möglichste
räumliche und zeitliche Beschränkung des Krieges in unserm Interesse liegt.
Jedes Eingreifen einer dritten Macht würde den Weltkrieg entfesseln, dem wir
auf die Dauer schwerlich fern bleiben könnten, und dessen Ende sich nicht ab¬
sehen ließe. Zunächst ist eine solche Einmischung glücklicherweise nicht zu be¬
fürchten. Denn Frankreichs schwache und gerade deshalb im Innern tyrannische
Regierung wird es ohne die dringendste Not kaum wagen, einen großen Krieg
zu führen, der sofort und vor allem ein französisch-englischer werden würde, und
in England erheben sich schon Stimmen, die einen durchschlagenden Sieg Japans
keineswegs für ein englisches Interesse halten, trotz der im ganzen doch rnssen-
feindlichen Gesinnung jenseits des Kanals. In der Tat, im Interesse der neutralen
Mächte, und namentlich Deutschlands, wäre es weder, wenn Rußland Japan völlig
niederkämpfte, noch wenn Japan die russische Stellung in Ostasien zerstörte. Denn
im ersten Fall würde Rußland dort ein erdrückendes Übergewicht gewinnen und
sicher zur Schutzmacht Chinas werden; wir Deutschen aber können nicht wünschen,
daß sich das Gewicht einer der drei Weltgroßmächte noch verstärke. Ein Sieg
Japans aber, der ihm nicht nur die Herrschaft über Korea eintrüge, sondern
Nußland auch aus der Mandschurei hinausdrängte, wäre eine Niederlage der
christlich-europäischen Gesittung gegen eine heidnische Zwitterzivilisation; er
würde Japan die ersehnte Möglichkeit geben, China unter seinen überwiegenden
Einfluß zu bringen und diese schwerfällige Masse politisch, militärisch und wirt¬
schaftlich so zu organisieren, daß sie eine schwere Bedrohung für alle abend¬
ländischen Mächte würde und die Herrschaft über Asien an sich reißen konnte.
Vor dieser „gelben Gefahr" hat unser Kaiser schon vor Jahren gewarnt, als
ihm noch niemand glauben wollte, und danach hat er 1895 gehandelt, als er
im Einverständnis mit Rußland und Frankreich die Japaner verhinderte, ein
Stück des chinesischen Festlandes an sich zu reißen.

Eine für uns günstige Folge des Krieges zeigt sich aber schon jetzt in
Europa. Offenbar hat sich das Verhältnis des „heiligen" Rußland zu der
von Atheisten regierten französischen Republik gelockert, das zu Deutschland in¬
timer gestaltet. Frankreich hat erkannt, daß es für seine Nevanchehoffnungen
vom Zaren gar nichts zu erwarten hat, Rußland, daß Frankreich ihm in Ost¬
asien schwerlich helfen wird, und daß die ehrliche, bis zu einem gewissen Grade
wohlwollende Neutralität Deutschlands ihm höchst wertvoll ist, weil es damit
jeder Sorge über seine Westgrenze enthoben wird. Das kann zu eiuer neuen,
unsre Stellung wesentlich erleichternden Gruppierung der europäischen Mächte
* führen.




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[0448] Ausblicke übers Meer darf unser Ruf nicht sein: Hic Rußland! oder: Hie Japan! sondern wie immer und überall: Hie Deutschland! Da ist es zunächst klar, daß die möglichste räumliche und zeitliche Beschränkung des Krieges in unserm Interesse liegt. Jedes Eingreifen einer dritten Macht würde den Weltkrieg entfesseln, dem wir auf die Dauer schwerlich fern bleiben könnten, und dessen Ende sich nicht ab¬ sehen ließe. Zunächst ist eine solche Einmischung glücklicherweise nicht zu be¬ fürchten. Denn Frankreichs schwache und gerade deshalb im Innern tyrannische Regierung wird es ohne die dringendste Not kaum wagen, einen großen Krieg zu führen, der sofort und vor allem ein französisch-englischer werden würde, und in England erheben sich schon Stimmen, die einen durchschlagenden Sieg Japans keineswegs für ein englisches Interesse halten, trotz der im ganzen doch rnssen- feindlichen Gesinnung jenseits des Kanals. In der Tat, im Interesse der neutralen Mächte, und namentlich Deutschlands, wäre es weder, wenn Rußland Japan völlig niederkämpfte, noch wenn Japan die russische Stellung in Ostasien zerstörte. Denn im ersten Fall würde Rußland dort ein erdrückendes Übergewicht gewinnen und sicher zur Schutzmacht Chinas werden; wir Deutschen aber können nicht wünschen, daß sich das Gewicht einer der drei Weltgroßmächte noch verstärke. Ein Sieg Japans aber, der ihm nicht nur die Herrschaft über Korea eintrüge, sondern Nußland auch aus der Mandschurei hinausdrängte, wäre eine Niederlage der christlich-europäischen Gesittung gegen eine heidnische Zwitterzivilisation; er würde Japan die ersehnte Möglichkeit geben, China unter seinen überwiegenden Einfluß zu bringen und diese schwerfällige Masse politisch, militärisch und wirt¬ schaftlich so zu organisieren, daß sie eine schwere Bedrohung für alle abend¬ ländischen Mächte würde und die Herrschaft über Asien an sich reißen konnte. Vor dieser „gelben Gefahr" hat unser Kaiser schon vor Jahren gewarnt, als ihm noch niemand glauben wollte, und danach hat er 1895 gehandelt, als er im Einverständnis mit Rußland und Frankreich die Japaner verhinderte, ein Stück des chinesischen Festlandes an sich zu reißen. Eine für uns günstige Folge des Krieges zeigt sich aber schon jetzt in Europa. Offenbar hat sich das Verhältnis des „heiligen" Rußland zu der von Atheisten regierten französischen Republik gelockert, das zu Deutschland in¬ timer gestaltet. Frankreich hat erkannt, daß es für seine Nevanchehoffnungen vom Zaren gar nichts zu erwarten hat, Rußland, daß Frankreich ihm in Ost¬ asien schwerlich helfen wird, und daß die ehrliche, bis zu einem gewissen Grade wohlwollende Neutralität Deutschlands ihm höchst wertvoll ist, weil es damit jeder Sorge über seine Westgrenze enthoben wird. Das kann zu eiuer neuen, unsre Stellung wesentlich erleichternden Gruppierung der europäischen Mächte * führen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/448>, abgerufen am 24.08.2024.