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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Perser des Timotheos

Zusammenprall der Schiffe herausspringen.*) Und so geht es fort, ein
Schwall von Worten, bald stärker, bald schwächer findend, scheint sich über
den Leser zu ergießen. Übersetzen läßt sich dergleichen nicht, am allerwenigsten
die zusammengesetzten malenden Beiwörter, worin verschiedne, sich manchmal
gar widersprechende Vorstellungen gehäuft und gleichsam zusammengepreßt
werden. Am einfachsten ist noch die Stilisierung der Reden, aber auch hier
fehlt es an geschraubten Ausdrücken und wunderlichen Wortbildungen nicht.
Immer freilich muß man wieder an die Musik denken, von der das Libretto
in seiner überbildlichen Verschwommenheit ein treues Abbild zu sein scheint,
und leicht tritt einem der Name Richard Wagner auf die Lippen; aber von
allen Einzelheiten abgesehen, der Hauptunterschied ist, soweit wir urteilen
können, doch der, daß der Deutsche als Bahnbrecher an genialischer Schöpfungs¬
kraft hoch über dem griechischen Virtuosen steht.

Von dieser verkünstelten, bunten, aufregenden, ja fast betäubenden
Vortragsweise sticht nun aber eigentümlich die Satzbildung ab, die ebenso ein¬
fach wie der Ausdruck überladen ist. Die Darstellung verläuft durchweg in
kurzen, aneinander gereihten Sätzen, die kunstvollere Periode fehlt ganz. Das
ist eine entschiedne Abweichung vom Herkommen, aber auch wohl nichts andres
als bewußte Manier; der stimmungsvollen Wirkung, worauf es im Text vor¬
züglich abgesehen war, wurde durch die eigentümliche Behandlung des Aus¬
drucks vollauf Genüge getan.

Die Sprache, deren sich Timotheos bedient, ist nicht die ionische Mund¬
art seiner Heimat, sondern die attische mit einigen Eigenheiten, die sich auch
die attischen Dichter selbst erlaubt haben. Das ist überaus bezeichnend.
Wenig Jahrzehnte vorher hatte Herodot seine dorische Mundart, um allgemein
verständlich zu sein, mit der ionischen vertauscht, jetzt sehen wir, wie der
Jonier Timotheos die attische wählt, ja sich nicht scheut, seine darin abge¬
faßte Dichtung vor dorischen Zuhörern vorzutragen. Das ist ein deutlicher
Beweis, daß am Ende des Jahrhunderts dank der politischen und geistigen
Hegemonie Athens attische Dichtung und attische Sprache in der griechisch
redenden Welt maßgebend geworden waren. So gab Athen zurück, was es
einst von Jonien empfangen hatte.

So viel ist aus dem vorstehenden klar geworden: das neu aufgefundne
Gedicht ist, wenn man seinen absoluten Wert betrachtet, keineswegs ein
glänzender Zuwachs zu dem überlieferten Schatze der griechischen Dichtung,
es wäre nur nach seinem dichterischen Gehalt beimessen nach wie vor leicht zu
entbehren; für die Wissenschaft jedoch ist seine Auferstehung ein unschätzbarer
Gewinn : ein bis dahin so gut wie unbeschriebnes Blatt der Literaturgeschichte
hat sich mit deutlich lesbarer Schrift gefüllt.


F. Auntze



") Die Erklärung, mit dem Ausdruck seien nicht die Ruderpflöcke, sondern die Zähne der
Besatzung genieint, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer; denn im ersten Fall
ist wenigstens die Sache natürlich, und nur der Ausdruck abscheulich, im andern die Sache noch
greulicher als der Ausdruck.
Die Perser des Timotheos

Zusammenprall der Schiffe herausspringen.*) Und so geht es fort, ein
Schwall von Worten, bald stärker, bald schwächer findend, scheint sich über
den Leser zu ergießen. Übersetzen läßt sich dergleichen nicht, am allerwenigsten
die zusammengesetzten malenden Beiwörter, worin verschiedne, sich manchmal
gar widersprechende Vorstellungen gehäuft und gleichsam zusammengepreßt
werden. Am einfachsten ist noch die Stilisierung der Reden, aber auch hier
fehlt es an geschraubten Ausdrücken und wunderlichen Wortbildungen nicht.
Immer freilich muß man wieder an die Musik denken, von der das Libretto
in seiner überbildlichen Verschwommenheit ein treues Abbild zu sein scheint,
und leicht tritt einem der Name Richard Wagner auf die Lippen; aber von
allen Einzelheiten abgesehen, der Hauptunterschied ist, soweit wir urteilen
können, doch der, daß der Deutsche als Bahnbrecher an genialischer Schöpfungs¬
kraft hoch über dem griechischen Virtuosen steht.

Von dieser verkünstelten, bunten, aufregenden, ja fast betäubenden
Vortragsweise sticht nun aber eigentümlich die Satzbildung ab, die ebenso ein¬
fach wie der Ausdruck überladen ist. Die Darstellung verläuft durchweg in
kurzen, aneinander gereihten Sätzen, die kunstvollere Periode fehlt ganz. Das
ist eine entschiedne Abweichung vom Herkommen, aber auch wohl nichts andres
als bewußte Manier; der stimmungsvollen Wirkung, worauf es im Text vor¬
züglich abgesehen war, wurde durch die eigentümliche Behandlung des Aus¬
drucks vollauf Genüge getan.

Die Sprache, deren sich Timotheos bedient, ist nicht die ionische Mund¬
art seiner Heimat, sondern die attische mit einigen Eigenheiten, die sich auch
die attischen Dichter selbst erlaubt haben. Das ist überaus bezeichnend.
Wenig Jahrzehnte vorher hatte Herodot seine dorische Mundart, um allgemein
verständlich zu sein, mit der ionischen vertauscht, jetzt sehen wir, wie der
Jonier Timotheos die attische wählt, ja sich nicht scheut, seine darin abge¬
faßte Dichtung vor dorischen Zuhörern vorzutragen. Das ist ein deutlicher
Beweis, daß am Ende des Jahrhunderts dank der politischen und geistigen
Hegemonie Athens attische Dichtung und attische Sprache in der griechisch
redenden Welt maßgebend geworden waren. So gab Athen zurück, was es
einst von Jonien empfangen hatte.

So viel ist aus dem vorstehenden klar geworden: das neu aufgefundne
Gedicht ist, wenn man seinen absoluten Wert betrachtet, keineswegs ein
glänzender Zuwachs zu dem überlieferten Schatze der griechischen Dichtung,
es wäre nur nach seinem dichterischen Gehalt beimessen nach wie vor leicht zu
entbehren; für die Wissenschaft jedoch ist seine Auferstehung ein unschätzbarer
Gewinn : ein bis dahin so gut wie unbeschriebnes Blatt der Literaturgeschichte
hat sich mit deutlich lesbarer Schrift gefüllt.


F. Auntze



«) Die Erklärung, mit dem Ausdruck seien nicht die Ruderpflöcke, sondern die Zähne der
Besatzung genieint, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer; denn im ersten Fall
ist wenigstens die Sache natürlich, und nur der Ausdruck abscheulich, im andern die Sache noch
greulicher als der Ausdruck.
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[0044] Die Perser des Timotheos Zusammenprall der Schiffe herausspringen.*) Und so geht es fort, ein Schwall von Worten, bald stärker, bald schwächer findend, scheint sich über den Leser zu ergießen. Übersetzen läßt sich dergleichen nicht, am allerwenigsten die zusammengesetzten malenden Beiwörter, worin verschiedne, sich manchmal gar widersprechende Vorstellungen gehäuft und gleichsam zusammengepreßt werden. Am einfachsten ist noch die Stilisierung der Reden, aber auch hier fehlt es an geschraubten Ausdrücken und wunderlichen Wortbildungen nicht. Immer freilich muß man wieder an die Musik denken, von der das Libretto in seiner überbildlichen Verschwommenheit ein treues Abbild zu sein scheint, und leicht tritt einem der Name Richard Wagner auf die Lippen; aber von allen Einzelheiten abgesehen, der Hauptunterschied ist, soweit wir urteilen können, doch der, daß der Deutsche als Bahnbrecher an genialischer Schöpfungs¬ kraft hoch über dem griechischen Virtuosen steht. Von dieser verkünstelten, bunten, aufregenden, ja fast betäubenden Vortragsweise sticht nun aber eigentümlich die Satzbildung ab, die ebenso ein¬ fach wie der Ausdruck überladen ist. Die Darstellung verläuft durchweg in kurzen, aneinander gereihten Sätzen, die kunstvollere Periode fehlt ganz. Das ist eine entschiedne Abweichung vom Herkommen, aber auch wohl nichts andres als bewußte Manier; der stimmungsvollen Wirkung, worauf es im Text vor¬ züglich abgesehen war, wurde durch die eigentümliche Behandlung des Aus¬ drucks vollauf Genüge getan. Die Sprache, deren sich Timotheos bedient, ist nicht die ionische Mund¬ art seiner Heimat, sondern die attische mit einigen Eigenheiten, die sich auch die attischen Dichter selbst erlaubt haben. Das ist überaus bezeichnend. Wenig Jahrzehnte vorher hatte Herodot seine dorische Mundart, um allgemein verständlich zu sein, mit der ionischen vertauscht, jetzt sehen wir, wie der Jonier Timotheos die attische wählt, ja sich nicht scheut, seine darin abge¬ faßte Dichtung vor dorischen Zuhörern vorzutragen. Das ist ein deutlicher Beweis, daß am Ende des Jahrhunderts dank der politischen und geistigen Hegemonie Athens attische Dichtung und attische Sprache in der griechisch redenden Welt maßgebend geworden waren. So gab Athen zurück, was es einst von Jonien empfangen hatte. So viel ist aus dem vorstehenden klar geworden: das neu aufgefundne Gedicht ist, wenn man seinen absoluten Wert betrachtet, keineswegs ein glänzender Zuwachs zu dem überlieferten Schatze der griechischen Dichtung, es wäre nur nach seinem dichterischen Gehalt beimessen nach wie vor leicht zu entbehren; für die Wissenschaft jedoch ist seine Auferstehung ein unschätzbarer Gewinn : ein bis dahin so gut wie unbeschriebnes Blatt der Literaturgeschichte hat sich mit deutlich lesbarer Schrift gefüllt. F. Auntze «) Die Erklärung, mit dem Ausdruck seien nicht die Ruderpflöcke, sondern die Zähne der Besatzung genieint, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer; denn im ersten Fall ist wenigstens die Sache natürlich, und nur der Ausdruck abscheulich, im andern die Sache noch greulicher als der Ausdruck.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/44>, abgerufen am 24.08.2024.