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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Ulabunkerstraße

Mutter sollte mir helfen; aber sie strickt mir nur Strümpfe, Ein Glas Milch,
zwei Eier und drei Paar Strümpfe. Mehr gabs nicht; deshalb bin ich den ganzen
Weg über Land gelaufen.

Sie sind undankbar! Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, aber es hat
nichts geholfen. Und nun leben Sie wohl; ich muß nach Hause!

Seine Stimmung hatte gewechselt. Mit einem sonderbar hungrigen Ausdruck
sah er sie an. Schreiben Sie mir, Fräulein; dann antworte ich Ihnen und schicke
Ihnen ein Gedicht. Ich habe viele schöne Gedanken; aber die Menschen stören
mich. Die dumme Schule! Alles ist dumm auf dieser Erde. Davon will ich
dichten, Fräulein. Und Sie schreiben mir?

Dieser wunderliche junge Mensch in seinem halb lächerlichen Aufzug hatte
einen merkwürdigen Einfluß auf Melitta. Wie es kam, hätte sie selbst nicht sagen
können; aber sie versprach ernsthaft, ihm zu schreiben und von dem, was sie er¬
lebte, zu berichten.

Jetzt nahm er ihre beiden Hände in seine und näherte sein Gesicht dem ihren.

Ich nehme Abschied, sagte er feierlich. Wenn ich ein großer Dichter bin,
Fräulein, dann -- er wandte sich plötzlich ab und sah in die Ferne. Versprechen
will ich nichts; aber es könnte doch sein -- wieder hielt er inne. Melitta aber,
die auf dem Landwege Menschen daherkommen sah, machte sich hastig von ihm los
und ging eilig nach Hause.

Nach zwei Tagen fuhr sie erster Klasse mit der Baronin und ihrer Tochter
Von der Station Wittekind ab, und wie sie sich in die roten Sammetpolster zurück¬
kehrte, konnte sie kaum begreifen, jemals mit dem kleinen, armseligen Lehrer ge¬
sprochen zu haben.

Baron Wolf brachte seine Angehörigen auf die Bahn und scherzte mit Elsie
bis zur Abfahrt.

Kommst du bald auf die Wolffenburg, Onkel? fragte sie ihn.

Wenn ich einmal Zeit habe. Jetzt bin ich Klvsterrendant.

Und deine Kinder? flüsterte sie.

Er antwortete nicht, strich ober leise über ihr Gesicht.

Hoffentlich, lieber Wolf, ändert sich alles zum guten! sagte die Baronin, die
Elsies letzten Satz nicht gehört hatte.

Er hob die Schultern. Wer weiß?

Für Melitta hatte er nur einen höflichen Gruß, und sie Verlangte anch nicht
mehr. Als aber der Zug langsam aus der Station dampfte, und sie seine schlanke,
vornehme Gestalt auf dem Bahnsteig stehn sah, kam etwas wie sehnsüchtige Liebe
über sie. Er war hübsch und vornehm, nächstens wurde er geschieden und mußte
Frau von Mcmska heiraten. War sie nicht besser als Fran von Mnnska?

Dann wurden ihre Gedanken durch Frau von Wolffenradt unterbrochen, die
dem eintretenden Schaffner eine Flasche Malaga schenkte und deswegen von ihrer
Tochter eine kleine Ermahnung erhielt.

Mutterchen. Tante Amnlicns Wein war doch wunderschön!

Was ist auf dieser Welt wunderschön? fragte die Baronin lachend, und Melitta
wiederholte bei sich die Frage.

Ja, was war denn eigentlich wunderschön?

(Fortsetzung folgt)




Die Ulabunkerstraße

Mutter sollte mir helfen; aber sie strickt mir nur Strümpfe, Ein Glas Milch,
zwei Eier und drei Paar Strümpfe. Mehr gabs nicht; deshalb bin ich den ganzen
Weg über Land gelaufen.

Sie sind undankbar! Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, aber es hat
nichts geholfen. Und nun leben Sie wohl; ich muß nach Hause!

Seine Stimmung hatte gewechselt. Mit einem sonderbar hungrigen Ausdruck
sah er sie an. Schreiben Sie mir, Fräulein; dann antworte ich Ihnen und schicke
Ihnen ein Gedicht. Ich habe viele schöne Gedanken; aber die Menschen stören
mich. Die dumme Schule! Alles ist dumm auf dieser Erde. Davon will ich
dichten, Fräulein. Und Sie schreiben mir?

Dieser wunderliche junge Mensch in seinem halb lächerlichen Aufzug hatte
einen merkwürdigen Einfluß auf Melitta. Wie es kam, hätte sie selbst nicht sagen
können; aber sie versprach ernsthaft, ihm zu schreiben und von dem, was sie er¬
lebte, zu berichten.

Jetzt nahm er ihre beiden Hände in seine und näherte sein Gesicht dem ihren.

Ich nehme Abschied, sagte er feierlich. Wenn ich ein großer Dichter bin,
Fräulein, dann — er wandte sich plötzlich ab und sah in die Ferne. Versprechen
will ich nichts; aber es könnte doch sein — wieder hielt er inne. Melitta aber,
die auf dem Landwege Menschen daherkommen sah, machte sich hastig von ihm los
und ging eilig nach Hause.

Nach zwei Tagen fuhr sie erster Klasse mit der Baronin und ihrer Tochter
Von der Station Wittekind ab, und wie sie sich in die roten Sammetpolster zurück¬
kehrte, konnte sie kaum begreifen, jemals mit dem kleinen, armseligen Lehrer ge¬
sprochen zu haben.

Baron Wolf brachte seine Angehörigen auf die Bahn und scherzte mit Elsie
bis zur Abfahrt.

Kommst du bald auf die Wolffenburg, Onkel? fragte sie ihn.

Wenn ich einmal Zeit habe. Jetzt bin ich Klvsterrendant.

Und deine Kinder? flüsterte sie.

Er antwortete nicht, strich ober leise über ihr Gesicht.

Hoffentlich, lieber Wolf, ändert sich alles zum guten! sagte die Baronin, die
Elsies letzten Satz nicht gehört hatte.

Er hob die Schultern. Wer weiß?

Für Melitta hatte er nur einen höflichen Gruß, und sie Verlangte anch nicht
mehr. Als aber der Zug langsam aus der Station dampfte, und sie seine schlanke,
vornehme Gestalt auf dem Bahnsteig stehn sah, kam etwas wie sehnsüchtige Liebe
über sie. Er war hübsch und vornehm, nächstens wurde er geschieden und mußte
Frau von Mcmska heiraten. War sie nicht besser als Fran von Mnnska?

Dann wurden ihre Gedanken durch Frau von Wolffenradt unterbrochen, die
dem eintretenden Schaffner eine Flasche Malaga schenkte und deswegen von ihrer
Tochter eine kleine Ermahnung erhielt.

Mutterchen. Tante Amnlicns Wein war doch wunderschön!

Was ist auf dieser Welt wunderschön? fragte die Baronin lachend, und Melitta
wiederholte bei sich die Frage.

Ja, was war denn eigentlich wunderschön?

(Fortsetzung folgt)




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[0313] Die Ulabunkerstraße Mutter sollte mir helfen; aber sie strickt mir nur Strümpfe, Ein Glas Milch, zwei Eier und drei Paar Strümpfe. Mehr gabs nicht; deshalb bin ich den ganzen Weg über Land gelaufen. Sie sind undankbar! Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, aber es hat nichts geholfen. Und nun leben Sie wohl; ich muß nach Hause! Seine Stimmung hatte gewechselt. Mit einem sonderbar hungrigen Ausdruck sah er sie an. Schreiben Sie mir, Fräulein; dann antworte ich Ihnen und schicke Ihnen ein Gedicht. Ich habe viele schöne Gedanken; aber die Menschen stören mich. Die dumme Schule! Alles ist dumm auf dieser Erde. Davon will ich dichten, Fräulein. Und Sie schreiben mir? Dieser wunderliche junge Mensch in seinem halb lächerlichen Aufzug hatte einen merkwürdigen Einfluß auf Melitta. Wie es kam, hätte sie selbst nicht sagen können; aber sie versprach ernsthaft, ihm zu schreiben und von dem, was sie er¬ lebte, zu berichten. Jetzt nahm er ihre beiden Hände in seine und näherte sein Gesicht dem ihren. Ich nehme Abschied, sagte er feierlich. Wenn ich ein großer Dichter bin, Fräulein, dann — er wandte sich plötzlich ab und sah in die Ferne. Versprechen will ich nichts; aber es könnte doch sein — wieder hielt er inne. Melitta aber, die auf dem Landwege Menschen daherkommen sah, machte sich hastig von ihm los und ging eilig nach Hause. Nach zwei Tagen fuhr sie erster Klasse mit der Baronin und ihrer Tochter Von der Station Wittekind ab, und wie sie sich in die roten Sammetpolster zurück¬ kehrte, konnte sie kaum begreifen, jemals mit dem kleinen, armseligen Lehrer ge¬ sprochen zu haben. Baron Wolf brachte seine Angehörigen auf die Bahn und scherzte mit Elsie bis zur Abfahrt. Kommst du bald auf die Wolffenburg, Onkel? fragte sie ihn. Wenn ich einmal Zeit habe. Jetzt bin ich Klvsterrendant. Und deine Kinder? flüsterte sie. Er antwortete nicht, strich ober leise über ihr Gesicht. Hoffentlich, lieber Wolf, ändert sich alles zum guten! sagte die Baronin, die Elsies letzten Satz nicht gehört hatte. Er hob die Schultern. Wer weiß? Für Melitta hatte er nur einen höflichen Gruß, und sie Verlangte anch nicht mehr. Als aber der Zug langsam aus der Station dampfte, und sie seine schlanke, vornehme Gestalt auf dem Bahnsteig stehn sah, kam etwas wie sehnsüchtige Liebe über sie. Er war hübsch und vornehm, nächstens wurde er geschieden und mußte Frau von Mcmska heiraten. War sie nicht besser als Fran von Mnnska? Dann wurden ihre Gedanken durch Frau von Wolffenradt unterbrochen, die dem eintretenden Schaffner eine Flasche Malaga schenkte und deswegen von ihrer Tochter eine kleine Ermahnung erhielt. Mutterchen. Tante Amnlicns Wein war doch wunderschön! Was ist auf dieser Welt wunderschön? fragte die Baronin lachend, und Melitta wiederholte bei sich die Frage. Ja, was war denn eigentlich wunderschön? (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/313>, abgerufen am 22.07.2024.