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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

zu für jedes künstlerische Schaffen. Goethe selbst hat ein Beispiel dazu ge¬
liefert. Die Satire "Götter, Helden und Wieland" hat er bei einer Flasche
Burgunder niedergeschrieben; diese Schrift macht, besonders gegen das Ende
zu, um Goethes eignes Wort zu gebrauchen, den Eindruck des "Forcierten."
Die produktiv machenden Kräfte, die im Weine zu liegen scheinen, besteh" in
nichts anderm als in der Bindung der Überlegung und in der Einschränkung
des Horizonts. Wer bei künstlerischem Schaffen an eine Stelle gelangt ist,
wo sich vor ihm die Wege scheiden, und er keinen zu gehn wagt, weil ihn auf
keinen die innere Notwendigkeit führt, der wird nach einigen Gläsern Weins
leicht und schnell einen Entschluß fassen und so in Geschwindigkeit über das
Hindernis hinauskommen. Aber am andern Morgen wird er mit großer Ver¬
drießlichkeit ausstreichen, was er geschriebett hat. Und wer es gar wagt, in
dem Zustande, der auf reichlichen Weingenuß zu folgen pflegt, zur Leier zu
greifen, dem ergeht es, wie Eduard Mörike erzählt:

Einmal nach einer lustigen Nacht
War ich am Morgen seltsam aufgewacht!
Durst. Wasserscheu, ungleich Geblüt;
Dabei gerührt und weichlich im Gemüt,
Beinah poetisch, ja; ich bat die Muse um ein Lied.
Sie, mir verstellten Pathos, spottet mein,
Gab mir den schnöden Bcwel ein:
Es schlägt eine Nachtigall
Am Wasserfall;
Und ein Vogel ebenfalls,
Der schreibt sich Wendehals,
Johann Jakob Wendehals;
Der tut tanzen
Bei den Pflanzen
Obbcmeldten Wasserfalls.

Köstlicher kann das abscheuliche Huiä xro Mo, das einem der Alkohol
vormacht, nicht dargestellt werden. Zur Warnung ruft der Dichter zum
Schlüsse'
^"rkr

Der einzige Gott, der einen in diesem Zustand erhört, ist der Gott des
Stumpfsinns.

Welch ein Abgrund zwischen dieser Morgenstimmung und der andern, die
derselbe Dichter schildert:

Dort Alkohol -- hier Idealismus.

Zur innern Freundschaft kommt es zwischen den beiden nie. Es ist ein
Spiel, ein anmutiges Pyantasiespiel, das der Idealismus mit dem Wein treibt.


Alkohol und Idealismus

zu für jedes künstlerische Schaffen. Goethe selbst hat ein Beispiel dazu ge¬
liefert. Die Satire „Götter, Helden und Wieland" hat er bei einer Flasche
Burgunder niedergeschrieben; diese Schrift macht, besonders gegen das Ende
zu, um Goethes eignes Wort zu gebrauchen, den Eindruck des „Forcierten."
Die produktiv machenden Kräfte, die im Weine zu liegen scheinen, besteh« in
nichts anderm als in der Bindung der Überlegung und in der Einschränkung
des Horizonts. Wer bei künstlerischem Schaffen an eine Stelle gelangt ist,
wo sich vor ihm die Wege scheiden, und er keinen zu gehn wagt, weil ihn auf
keinen die innere Notwendigkeit führt, der wird nach einigen Gläsern Weins
leicht und schnell einen Entschluß fassen und so in Geschwindigkeit über das
Hindernis hinauskommen. Aber am andern Morgen wird er mit großer Ver¬
drießlichkeit ausstreichen, was er geschriebett hat. Und wer es gar wagt, in
dem Zustande, der auf reichlichen Weingenuß zu folgen pflegt, zur Leier zu
greifen, dem ergeht es, wie Eduard Mörike erzählt:

Einmal nach einer lustigen Nacht
War ich am Morgen seltsam aufgewacht!
Durst. Wasserscheu, ungleich Geblüt;
Dabei gerührt und weichlich im Gemüt,
Beinah poetisch, ja; ich bat die Muse um ein Lied.
Sie, mir verstellten Pathos, spottet mein,
Gab mir den schnöden Bcwel ein:
Es schlägt eine Nachtigall
Am Wasserfall;
Und ein Vogel ebenfalls,
Der schreibt sich Wendehals,
Johann Jakob Wendehals;
Der tut tanzen
Bei den Pflanzen
Obbcmeldten Wasserfalls.

Köstlicher kann das abscheuliche Huiä xro Mo, das einem der Alkohol
vormacht, nicht dargestellt werden. Zur Warnung ruft der Dichter zum
Schlüsse'
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Der einzige Gott, der einen in diesem Zustand erhört, ist der Gott des
Stumpfsinns.

Welch ein Abgrund zwischen dieser Morgenstimmung und der andern, die
derselbe Dichter schildert:

Dort Alkohol — hier Idealismus.

Zur innern Freundschaft kommt es zwischen den beiden nie. Es ist ein
Spiel, ein anmutiges Pyantasiespiel, das der Idealismus mit dem Wein treibt.


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[0273] Alkohol und Idealismus zu für jedes künstlerische Schaffen. Goethe selbst hat ein Beispiel dazu ge¬ liefert. Die Satire „Götter, Helden und Wieland" hat er bei einer Flasche Burgunder niedergeschrieben; diese Schrift macht, besonders gegen das Ende zu, um Goethes eignes Wort zu gebrauchen, den Eindruck des „Forcierten." Die produktiv machenden Kräfte, die im Weine zu liegen scheinen, besteh« in nichts anderm als in der Bindung der Überlegung und in der Einschränkung des Horizonts. Wer bei künstlerischem Schaffen an eine Stelle gelangt ist, wo sich vor ihm die Wege scheiden, und er keinen zu gehn wagt, weil ihn auf keinen die innere Notwendigkeit führt, der wird nach einigen Gläsern Weins leicht und schnell einen Entschluß fassen und so in Geschwindigkeit über das Hindernis hinauskommen. Aber am andern Morgen wird er mit großer Ver¬ drießlichkeit ausstreichen, was er geschriebett hat. Und wer es gar wagt, in dem Zustande, der auf reichlichen Weingenuß zu folgen pflegt, zur Leier zu greifen, dem ergeht es, wie Eduard Mörike erzählt: Einmal nach einer lustigen Nacht War ich am Morgen seltsam aufgewacht! Durst. Wasserscheu, ungleich Geblüt; Dabei gerührt und weichlich im Gemüt, Beinah poetisch, ja; ich bat die Muse um ein Lied. Sie, mir verstellten Pathos, spottet mein, Gab mir den schnöden Bcwel ein: Es schlägt eine Nachtigall Am Wasserfall; Und ein Vogel ebenfalls, Der schreibt sich Wendehals, Johann Jakob Wendehals; Der tut tanzen Bei den Pflanzen Obbcmeldten Wasserfalls. Köstlicher kann das abscheuliche Huiä xro Mo, das einem der Alkohol vormacht, nicht dargestellt werden. Zur Warnung ruft der Dichter zum Schlüsse' ^"rkr Der einzige Gott, der einen in diesem Zustand erhört, ist der Gott des Stumpfsinns. Welch ein Abgrund zwischen dieser Morgenstimmung und der andern, die derselbe Dichter schildert: Dort Alkohol — hier Idealismus. Zur innern Freundschaft kommt es zwischen den beiden nie. Es ist ein Spiel, ein anmutiges Pyantasiespiel, das der Idealismus mit dem Wein treibt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/273>, abgerufen am 01.07.2024.