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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

nur der Schein von dem allen; dort erweist der Geist seine Macht über die
Materie, hier dagegen die Materie ihre Macht über den Geist. So wenig
als Ofenwärme einen Frühling erzeugt, so wenig erzeugt der Alkohol eine
wirkliche Begeisterung. Eine leise Beihilfe vermag er zu geben; sobald er
aber weiter waltet, rächt sich diese Beihilfe durch einen tückischen, abscheuliche"
Rückschlag.

Was für ein Chcirlatan der Alkohol ist, das offenbart sich mit besondrer
Deutlichkeit an einem bestimmten Punkte, wo die auffallende äußere Ähnlich¬
keit die denkbar größte innere Verschiedenheit in sich birgt. Ein eigentüm¬
licher Zug der idealistischen Stimmung ist ihre Einfachheit, Einheitlichkeit und
Geschlossenheit. Diese Erfahrung kann nicht schöner ausgedrückt werden, als
es Weislingens Junge tut. Nachdem er Adelheids Schönheit gepriesen hat,
erwidert sein Herr: Dn bist darüber gar zum Dichter geworden, worauf Franz:
So fühl ich denn in dem Augenblick, was den Dichter macht, ein volles, ganz
von einer Empfindung volles Herz. An diese Beschaffenheit des Gemüts er¬
innert es, daß bei dem Berauschten nur ein Gedanke den Geist erfüllt, nur
eine Empfindung die Seele beherrscht. Aber dort ist ein Reichtum der Seele
die Ursache dieser Einfachheit, hier eine Verarmung -- dort eine Fülle vor¬
handen, eine Fülle, aus der bei dem Künstler das Kunstwerk entspringt, hier
ist eine Entleerung da, die schließlich nichts übrig läßt; dort ist die ganze
Welt dunkel geworden, weil das Eine die Seele mit überstrahlenden Glänze
blendet, hier ist die Welt verschwunden, weil grauer Nebel alles bedeckt. Läßt
sich ein größerer Gegensatz denken?

Es ist eine ungeheure Übertreibung oder eine bewußte Lüge, wenn die
Trinklieder die Wirkungen des Alkohols preisen. Mit genialischer Frechheit
tut dies das Vagantenlied Nidi 68t vroposiwm in wosrn-i moll, ein Lied,
von dessen Anmut die Bürgersche Verdeutschung: "Ich will einst bei ja und
nein vor dem Zapfen sterben" nur eine geringe Vorstellung gibt. Wenn es
hier heißt: .


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^0 MN'iMiZg, Ki-tur,

so kann man nur sagen: so viel Worte, so viel Lügen. Mit dem Alkohol
hat Apollo auch nicht das geringste zu schaffe". Auch wenn er seine Leier
stimmt, um den Wein zu besingen, hat er selber den Wein verschmäht. Jedes
gute Trinklied ist von einem nüchternen Menschen geschaffen worden. Vor
siebzehn Jahren hat der Verleger des Lahrer Kommersbuchs einen Preis aus¬
gesetzt auf das beste Zechlied. Wer hat den Preis davon getragen? Frida
Schanz, die Schriftleiterin des Frauendaheims. Goethe äußerte einmal zu
Eckermann, wenn ein dramatischer Dichter, der häufigen Kränklichkeiten und
Schwächlichkeiten unterworfen ist (dachte ^ ^ Schiller?), durch geistige Ge¬
tränke die stockende oder zeitweilig völlig mangelnde Produktivität herbeinötigen
und die unzulängliche dadurch steigern wollte, so würde man es allen Szenen,
die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteil
anmerken. Was Goethe hier von der Arbeit des Dramatikers sagt, das trifft


Alkohol und Idealismus

nur der Schein von dem allen; dort erweist der Geist seine Macht über die
Materie, hier dagegen die Materie ihre Macht über den Geist. So wenig
als Ofenwärme einen Frühling erzeugt, so wenig erzeugt der Alkohol eine
wirkliche Begeisterung. Eine leise Beihilfe vermag er zu geben; sobald er
aber weiter waltet, rächt sich diese Beihilfe durch einen tückischen, abscheuliche»
Rückschlag.

Was für ein Chcirlatan der Alkohol ist, das offenbart sich mit besondrer
Deutlichkeit an einem bestimmten Punkte, wo die auffallende äußere Ähnlich¬
keit die denkbar größte innere Verschiedenheit in sich birgt. Ein eigentüm¬
licher Zug der idealistischen Stimmung ist ihre Einfachheit, Einheitlichkeit und
Geschlossenheit. Diese Erfahrung kann nicht schöner ausgedrückt werden, als
es Weislingens Junge tut. Nachdem er Adelheids Schönheit gepriesen hat,
erwidert sein Herr: Dn bist darüber gar zum Dichter geworden, worauf Franz:
So fühl ich denn in dem Augenblick, was den Dichter macht, ein volles, ganz
von einer Empfindung volles Herz. An diese Beschaffenheit des Gemüts er¬
innert es, daß bei dem Berauschten nur ein Gedanke den Geist erfüllt, nur
eine Empfindung die Seele beherrscht. Aber dort ist ein Reichtum der Seele
die Ursache dieser Einfachheit, hier eine Verarmung — dort eine Fülle vor¬
handen, eine Fülle, aus der bei dem Künstler das Kunstwerk entspringt, hier
ist eine Entleerung da, die schließlich nichts übrig läßt; dort ist die ganze
Welt dunkel geworden, weil das Eine die Seele mit überstrahlenden Glänze
blendet, hier ist die Welt verschwunden, weil grauer Nebel alles bedeckt. Läßt
sich ein größerer Gegensatz denken?

Es ist eine ungeheure Übertreibung oder eine bewußte Lüge, wenn die
Trinklieder die Wirkungen des Alkohols preisen. Mit genialischer Frechheit
tut dies das Vagantenlied Nidi 68t vroposiwm in wosrn-i moll, ein Lied,
von dessen Anmut die Bürgersche Verdeutschung: „Ich will einst bei ja und
nein vor dem Zapfen sterben" nur eine geringe Vorstellung gibt. Wenn es
hier heißt: .


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so kann man nur sagen: so viel Worte, so viel Lügen. Mit dem Alkohol
hat Apollo auch nicht das geringste zu schaffe«. Auch wenn er seine Leier
stimmt, um den Wein zu besingen, hat er selber den Wein verschmäht. Jedes
gute Trinklied ist von einem nüchternen Menschen geschaffen worden. Vor
siebzehn Jahren hat der Verleger des Lahrer Kommersbuchs einen Preis aus¬
gesetzt auf das beste Zechlied. Wer hat den Preis davon getragen? Frida
Schanz, die Schriftleiterin des Frauendaheims. Goethe äußerte einmal zu
Eckermann, wenn ein dramatischer Dichter, der häufigen Kränklichkeiten und
Schwächlichkeiten unterworfen ist (dachte ^ ^ Schiller?), durch geistige Ge¬
tränke die stockende oder zeitweilig völlig mangelnde Produktivität herbeinötigen
und die unzulängliche dadurch steigern wollte, so würde man es allen Szenen,
die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteil
anmerken. Was Goethe hier von der Arbeit des Dramatikers sagt, das trifft


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[0272] Alkohol und Idealismus nur der Schein von dem allen; dort erweist der Geist seine Macht über die Materie, hier dagegen die Materie ihre Macht über den Geist. So wenig als Ofenwärme einen Frühling erzeugt, so wenig erzeugt der Alkohol eine wirkliche Begeisterung. Eine leise Beihilfe vermag er zu geben; sobald er aber weiter waltet, rächt sich diese Beihilfe durch einen tückischen, abscheuliche» Rückschlag. Was für ein Chcirlatan der Alkohol ist, das offenbart sich mit besondrer Deutlichkeit an einem bestimmten Punkte, wo die auffallende äußere Ähnlich¬ keit die denkbar größte innere Verschiedenheit in sich birgt. Ein eigentüm¬ licher Zug der idealistischen Stimmung ist ihre Einfachheit, Einheitlichkeit und Geschlossenheit. Diese Erfahrung kann nicht schöner ausgedrückt werden, als es Weislingens Junge tut. Nachdem er Adelheids Schönheit gepriesen hat, erwidert sein Herr: Dn bist darüber gar zum Dichter geworden, worauf Franz: So fühl ich denn in dem Augenblick, was den Dichter macht, ein volles, ganz von einer Empfindung volles Herz. An diese Beschaffenheit des Gemüts er¬ innert es, daß bei dem Berauschten nur ein Gedanke den Geist erfüllt, nur eine Empfindung die Seele beherrscht. Aber dort ist ein Reichtum der Seele die Ursache dieser Einfachheit, hier eine Verarmung — dort eine Fülle vor¬ handen, eine Fülle, aus der bei dem Künstler das Kunstwerk entspringt, hier ist eine Entleerung da, die schließlich nichts übrig läßt; dort ist die ganze Welt dunkel geworden, weil das Eine die Seele mit überstrahlenden Glänze blendet, hier ist die Welt verschwunden, weil grauer Nebel alles bedeckt. Läßt sich ein größerer Gegensatz denken? Es ist eine ungeheure Übertreibung oder eine bewußte Lüge, wenn die Trinklieder die Wirkungen des Alkohols preisen. Mit genialischer Frechheit tut dies das Vagantenlied Nidi 68t vroposiwm in wosrn-i moll, ein Lied, von dessen Anmut die Bürgersche Verdeutschung: „Ich will einst bei ja und nein vor dem Zapfen sterben" nur eine geringe Vorstellung gibt. Wenn es hier heißt: . ^. ^ o^d» Laovlius äoiiur>Al,in', In ML ?KvLl>U8 ii'l'uit ^0 MN'iMiZg, Ki-tur, so kann man nur sagen: so viel Worte, so viel Lügen. Mit dem Alkohol hat Apollo auch nicht das geringste zu schaffe«. Auch wenn er seine Leier stimmt, um den Wein zu besingen, hat er selber den Wein verschmäht. Jedes gute Trinklied ist von einem nüchternen Menschen geschaffen worden. Vor siebzehn Jahren hat der Verleger des Lahrer Kommersbuchs einen Preis aus¬ gesetzt auf das beste Zechlied. Wer hat den Preis davon getragen? Frida Schanz, die Schriftleiterin des Frauendaheims. Goethe äußerte einmal zu Eckermann, wenn ein dramatischer Dichter, der häufigen Kränklichkeiten und Schwächlichkeiten unterworfen ist (dachte ^ ^ Schiller?), durch geistige Ge¬ tränke die stockende oder zeitweilig völlig mangelnde Produktivität herbeinötigen und die unzulängliche dadurch steigern wollte, so würde man es allen Szenen, die er auf solche Weise gewissermaßen forciert hätte, zu ihrem großen Nachteil anmerken. Was Goethe hier von der Arbeit des Dramatikers sagt, das trifft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/272>, abgerufen am 01.10.2024.