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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Alkohol und Idealismus

sie diesen Gebrauch, eigentlich ohne sich dessen besonders bewußt zu werden;
dann aber kommt eine Begegnung, ein Erlebnis, wo sie, gerade im innigsten
Zusammenhang mit idealistischen Stimmungen, eiuer Flasche den Hals brechen
helfen. Man darf vermuten, daß sehr viele, die die Nützlichkeit der Ab-
stinenzbcwegung anerkennen, es um solcher idealistischer Momente willen
vorziehn, bei der Sitte der Väter zu bleiben. Es scheint fast, daß bei den
Menschen, in denen der Idealismus nach all seinen Auswirkungen hin die
sicherste Heimat hat, gerade mich der Idealismus das Bollwerk des Alkohols
ist. Darum verlohnt es sich, deu innern Zusammenhängen zwischen Alkohol
und Idealismus nachzugehn. Es geschieht das hier ohne jede Absicht, weder
in der, das Bollwerk zu stürmen, noch in der, es zu entsetzen. Es kommt
dem Verfasser nur darauf an, die Wirklichkeit zu verstehn; er verfährt durchaus
nicht in der Weise des Idealisten, sondern nur in der des Realisten.

In der Gcmütsrichtnng des Idealisten liegt es begründet, daß er die
Schranken, die ihm die Wirklichkeit zieht, mitunter recht peinvoll empfindet.
Denn wenn nur der geistige Inhalt des Lebens wertvoll ist, so gehören all
die Verhältnisse, durch die dieses Lebenswürdige beeinträchtigt wird, zu dem,
was überwunden werden sollte, und die Erfahrungen, die uns an unsre Ab¬
hängigkeit von tausend unwürdigen Dingen erinnern, sind die schmerzlichsten.
Darum ist der Idealist ein Mensch der Sehnsucht. Er möchte emporgehoben
sein über die glanzlose beklemmende Wirklichkeit mit ihren kleinen Maßstäben
in das Reich der Ideale. In ihrer lichten freien Höhe würde sein Lebens¬
gefühl von allem Druck befreit sein, die geistige Kraft sich ungehindert aus¬
wirken, das Dasein müßte zur Lust werden! Das ist die Sehnsucht des
Idealisten.

Aber der Idealist kennt auch Stunden in seinem Leben, wo diese Sehn¬
sucht am Ziele war. Das war dann geschehn, wenn ein einziges Gefühl oder
ein einziger Gedanke die Seele so erfüllte, daß in ihr nichts andres vorhanden
war als dieses Eine. Da hat dies Eine alles innere Leben in sich gesogen,
die Persönlichkeit war darin aufgegangen; der ganzen übrigen Welt gegenüber
war das Ich empfindungslos, sie war nicht mehr dn, sie lag unten in der
Tiefe, als ob sie versunken wäre, oder als ob sich der Geist über sie empor¬
geschwungen hätte.

Wer solche Stimmungen kennt, der zählt sie zu den höchsten und glück¬
seligsten seines Lebens. Das Heimweh nach ihnen ist es, was uns in den
spätern Jahren des Lebens so wehmütig an die Jugend erinnert. Wer
sich die Fähigkeit erhalten hat, so etwas zu erleben, der bleibt jung im
weißen Haar.

Was es ist, das die Seele in diese Erregung versetzt, wo sie aus ihren
Tiefen heraus ein einziges Gewoge ist, das ist bei den einzelnen Menschen
überaus verschieden. Der junge Offizier des schlesischen Hauptquartiers, der
den Säbel schwingt und an der Spitze der stürmenden Reiterschar in das
Katzbachtal niederbraust -- der Forscher, der nach langem mühevollem Suchen
und Sinnen mit einemmal, vom Entdeckerglück überwältigt, in die Wahr¬
heit hineinschaut -- der Liebende, den die Ahnung, nein, die Gewißheit durch-


GrenMen I 1904 34
Alkohol und Idealismus

sie diesen Gebrauch, eigentlich ohne sich dessen besonders bewußt zu werden;
dann aber kommt eine Begegnung, ein Erlebnis, wo sie, gerade im innigsten
Zusammenhang mit idealistischen Stimmungen, eiuer Flasche den Hals brechen
helfen. Man darf vermuten, daß sehr viele, die die Nützlichkeit der Ab-
stinenzbcwegung anerkennen, es um solcher idealistischer Momente willen
vorziehn, bei der Sitte der Väter zu bleiben. Es scheint fast, daß bei den
Menschen, in denen der Idealismus nach all seinen Auswirkungen hin die
sicherste Heimat hat, gerade mich der Idealismus das Bollwerk des Alkohols
ist. Darum verlohnt es sich, deu innern Zusammenhängen zwischen Alkohol
und Idealismus nachzugehn. Es geschieht das hier ohne jede Absicht, weder
in der, das Bollwerk zu stürmen, noch in der, es zu entsetzen. Es kommt
dem Verfasser nur darauf an, die Wirklichkeit zu verstehn; er verfährt durchaus
nicht in der Weise des Idealisten, sondern nur in der des Realisten.

In der Gcmütsrichtnng des Idealisten liegt es begründet, daß er die
Schranken, die ihm die Wirklichkeit zieht, mitunter recht peinvoll empfindet.
Denn wenn nur der geistige Inhalt des Lebens wertvoll ist, so gehören all
die Verhältnisse, durch die dieses Lebenswürdige beeinträchtigt wird, zu dem,
was überwunden werden sollte, und die Erfahrungen, die uns an unsre Ab¬
hängigkeit von tausend unwürdigen Dingen erinnern, sind die schmerzlichsten.
Darum ist der Idealist ein Mensch der Sehnsucht. Er möchte emporgehoben
sein über die glanzlose beklemmende Wirklichkeit mit ihren kleinen Maßstäben
in das Reich der Ideale. In ihrer lichten freien Höhe würde sein Lebens¬
gefühl von allem Druck befreit sein, die geistige Kraft sich ungehindert aus¬
wirken, das Dasein müßte zur Lust werden! Das ist die Sehnsucht des
Idealisten.

Aber der Idealist kennt auch Stunden in seinem Leben, wo diese Sehn¬
sucht am Ziele war. Das war dann geschehn, wenn ein einziges Gefühl oder
ein einziger Gedanke die Seele so erfüllte, daß in ihr nichts andres vorhanden
war als dieses Eine. Da hat dies Eine alles innere Leben in sich gesogen,
die Persönlichkeit war darin aufgegangen; der ganzen übrigen Welt gegenüber
war das Ich empfindungslos, sie war nicht mehr dn, sie lag unten in der
Tiefe, als ob sie versunken wäre, oder als ob sich der Geist über sie empor¬
geschwungen hätte.

Wer solche Stimmungen kennt, der zählt sie zu den höchsten und glück¬
seligsten seines Lebens. Das Heimweh nach ihnen ist es, was uns in den
spätern Jahren des Lebens so wehmütig an die Jugend erinnert. Wer
sich die Fähigkeit erhalten hat, so etwas zu erleben, der bleibt jung im
weißen Haar.

Was es ist, das die Seele in diese Erregung versetzt, wo sie aus ihren
Tiefen heraus ein einziges Gewoge ist, das ist bei den einzelnen Menschen
überaus verschieden. Der junge Offizier des schlesischen Hauptquartiers, der
den Säbel schwingt und an der Spitze der stürmenden Reiterschar in das
Katzbachtal niederbraust — der Forscher, der nach langem mühevollem Suchen
und Sinnen mit einemmal, vom Entdeckerglück überwältigt, in die Wahr¬
heit hineinschaut — der Liebende, den die Ahnung, nein, die Gewißheit durch-


GrenMen I 1904 34
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[0269] Alkohol und Idealismus sie diesen Gebrauch, eigentlich ohne sich dessen besonders bewußt zu werden; dann aber kommt eine Begegnung, ein Erlebnis, wo sie, gerade im innigsten Zusammenhang mit idealistischen Stimmungen, eiuer Flasche den Hals brechen helfen. Man darf vermuten, daß sehr viele, die die Nützlichkeit der Ab- stinenzbcwegung anerkennen, es um solcher idealistischer Momente willen vorziehn, bei der Sitte der Väter zu bleiben. Es scheint fast, daß bei den Menschen, in denen der Idealismus nach all seinen Auswirkungen hin die sicherste Heimat hat, gerade mich der Idealismus das Bollwerk des Alkohols ist. Darum verlohnt es sich, deu innern Zusammenhängen zwischen Alkohol und Idealismus nachzugehn. Es geschieht das hier ohne jede Absicht, weder in der, das Bollwerk zu stürmen, noch in der, es zu entsetzen. Es kommt dem Verfasser nur darauf an, die Wirklichkeit zu verstehn; er verfährt durchaus nicht in der Weise des Idealisten, sondern nur in der des Realisten. In der Gcmütsrichtnng des Idealisten liegt es begründet, daß er die Schranken, die ihm die Wirklichkeit zieht, mitunter recht peinvoll empfindet. Denn wenn nur der geistige Inhalt des Lebens wertvoll ist, so gehören all die Verhältnisse, durch die dieses Lebenswürdige beeinträchtigt wird, zu dem, was überwunden werden sollte, und die Erfahrungen, die uns an unsre Ab¬ hängigkeit von tausend unwürdigen Dingen erinnern, sind die schmerzlichsten. Darum ist der Idealist ein Mensch der Sehnsucht. Er möchte emporgehoben sein über die glanzlose beklemmende Wirklichkeit mit ihren kleinen Maßstäben in das Reich der Ideale. In ihrer lichten freien Höhe würde sein Lebens¬ gefühl von allem Druck befreit sein, die geistige Kraft sich ungehindert aus¬ wirken, das Dasein müßte zur Lust werden! Das ist die Sehnsucht des Idealisten. Aber der Idealist kennt auch Stunden in seinem Leben, wo diese Sehn¬ sucht am Ziele war. Das war dann geschehn, wenn ein einziges Gefühl oder ein einziger Gedanke die Seele so erfüllte, daß in ihr nichts andres vorhanden war als dieses Eine. Da hat dies Eine alles innere Leben in sich gesogen, die Persönlichkeit war darin aufgegangen; der ganzen übrigen Welt gegenüber war das Ich empfindungslos, sie war nicht mehr dn, sie lag unten in der Tiefe, als ob sie versunken wäre, oder als ob sich der Geist über sie empor¬ geschwungen hätte. Wer solche Stimmungen kennt, der zählt sie zu den höchsten und glück¬ seligsten seines Lebens. Das Heimweh nach ihnen ist es, was uns in den spätern Jahren des Lebens so wehmütig an die Jugend erinnert. Wer sich die Fähigkeit erhalten hat, so etwas zu erleben, der bleibt jung im weißen Haar. Was es ist, das die Seele in diese Erregung versetzt, wo sie aus ihren Tiefen heraus ein einziges Gewoge ist, das ist bei den einzelnen Menschen überaus verschieden. Der junge Offizier des schlesischen Hauptquartiers, der den Säbel schwingt und an der Spitze der stürmenden Reiterschar in das Katzbachtal niederbraust — der Forscher, der nach langem mühevollem Suchen und Sinnen mit einemmal, vom Entdeckerglück überwältigt, in die Wahr¬ heit hineinschaut — der Liebende, den die Ahnung, nein, die Gewißheit durch- GrenMen I 1904 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/269>, abgerufen am 25.08.2024.