Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Spreewalde

still die Hand. Sie konnten nicht mit uns sprechen, weil sie im Deutschen noch
nicht genügend fortgeschritten waren, auch der neunjährige Knabe nicht, der seit
drei Jahren die Schule besuchte -- ein sonderbarer Eindruck mitten im Deutschen
Reiche, noch sonderbarer, wenn man erwägt, daß die Ahnen unsers Markussen-
Krüger vor hundertundfunfzig Jahren Deutsche waren. Denn wie sein deutscher
Name andeutet, entstammt er wohl einer jener Kolonistenfamilien, die Friedrich
Wilhelm der Erste oder Friedrich der Große im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts
hier angesiedelt haben. Namentlich ausgediente Soldaten wurden unter diesen
beiden Herrschern im fiskalischen Walde dieser Gegenden gegen geringen Erbzins
mit Land versorgt, wenn sie eine Holzbude herbeibrachten und an passender Stelle
aufschlugen. Sowie nach der ersten Nacht, die sie auf dein neuen Grunde ver¬
acht hatten, der Rauch aus ihrer Hütte emporstieg, galten sie als Besitzer des
okkupierten Bodens.

Später (1765) wurden insbesondre böhmische, schlesische und sächsische Weber
""t je achtzehn Morgen Wiesen- und Waldland in dem Teil des weitverstreuten
Orts Burg, der südlich von der Mühlspree liegt, angesiedelt, damit nach den Grund¬
sätzen des Merkantilismus etwas Industrie in diese rein landwirtschaftliche Gegend
käme. Der Staat baute diesen Webern sogar eine Leinwandbleiche am Nordrande
ihrer Kolonie. Aber im Zeitalter der Maschinen verfielen die Webstuhle, und aus
der Leinwandbleiche wurde längst der Gasthof "zur Bleiche," aus den Webern
wurden kleine Landwirte und Bootführer. Vor allem aber haben die eingewanderten
deutschen Familien der Kaupergemeinde und der sogenannten Kolonie im Laufe der
Zeit durch Verschwägerung mit den überwiegenden Wenden ihre deutsche Muttersprache
so Verlernt, daß heutzutage sogar ein "Krüger" erst in den höhern Klassen der
Volksschule sich wieder einigermaßen deutsch ausdrücken kann. Das ist sehr lehr¬
reich. Es erklärt so manchen auffallenden Prozeß von Slawisierung in unser"
Ostmarken, es erklärt aber auch, warum so manches von deutschen Bauern ge¬
gründete mittelalterliche Dorf einige Generationen später unter slawischen Namen
erscheint. Unser Markussen-Krüger hatte seine Umformung in einen echten Deutschen,
wie er selbst erzählte, erst während seiner militärischen Dienstzeit durchgemacht.
Mit Stolz zeigte er uns, als wir ihm ins Wohnhaus hinein folgten, die weiß-rote
Mütze der Gardekürassiere, bet denen er vor zwanzig Jahren eingetreten war.

Die Wände der Wohnstube wiesen keinerlei Schmuck auf außer zwei Bildern,
die auffallenderweise nichts Preußisches darstellten, sondern Napoleon inmitten der
alten Garde bei Waterloo und den Kaiser Franz Joseph von Osterreich. Daß
aber sein Anwesen selbst ein schönes Bild abgebe, das wußte Markussen-Krüger wohl,
denn er erzählte, daß jedes Jahr mehrere "Photographisten" kämen, um es abzu¬
nehmen. Das bedeutendste Gerät der Wohnstube war der große Kachelofen mit
der Ofenbank, doch waren hier und da im Hause auch noch ältere Kamine erhalten.
In merkwürdigem Gegensatze zu der offenbaren Wohlhabenheit des Besitzers stand
die primitive Einrichtung der Schlafräume: nur für die Eltern war ein breites
Ehebett vorhanden, die Kinder schliefen in Bettkisten, die flach auf dem Fußboden
standen. Und doch war noch eine schöne altertümlich bemalte Bettstelle vorhanden,
aber sie stand unbenutzt auf dem Oberboden des Hauses. Dort sahe" wir auch
buntbemalte Truhen und Kleiderschränke; in diesen nahmen die zum Sonntagsstaat
gehörenden, mit Watte gesteifter Weiberröcke den größten Raum ein. Reichliche
Nachsbündel hängen an Pflöcken, Spinnräder stehn darunter. Sie werden im
Winter hervorgeholt -- und wenn dann der Sturm in den leeren Wipfeln der
Pappeln und Erlen braust und die dicht fallenden Schneeflocken den Verkehr von
Gehöft zu Gehöft erschweren, dann ist wohl der große Kachelofen der Wohnstube
mit dem knisternden Erlenscheit der ideale Mittelpunkt der Familie -- vor ihm
dreht sich "um die schnurrende Spindel der Faden," und die Kinder tröstet in ihrer
Vereinsamung das träumerische slawische Lied der spinnenden Mutter.

Wenn draußen die Natur schlummert und die ländliche Arbeit ruht, dann ist


Aus dem Spreewalde

still die Hand. Sie konnten nicht mit uns sprechen, weil sie im Deutschen noch
nicht genügend fortgeschritten waren, auch der neunjährige Knabe nicht, der seit
drei Jahren die Schule besuchte — ein sonderbarer Eindruck mitten im Deutschen
Reiche, noch sonderbarer, wenn man erwägt, daß die Ahnen unsers Markussen-
Krüger vor hundertundfunfzig Jahren Deutsche waren. Denn wie sein deutscher
Name andeutet, entstammt er wohl einer jener Kolonistenfamilien, die Friedrich
Wilhelm der Erste oder Friedrich der Große im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts
hier angesiedelt haben. Namentlich ausgediente Soldaten wurden unter diesen
beiden Herrschern im fiskalischen Walde dieser Gegenden gegen geringen Erbzins
mit Land versorgt, wenn sie eine Holzbude herbeibrachten und an passender Stelle
aufschlugen. Sowie nach der ersten Nacht, die sie auf dein neuen Grunde ver¬
acht hatten, der Rauch aus ihrer Hütte emporstieg, galten sie als Besitzer des
okkupierten Bodens.

Später (1765) wurden insbesondre böhmische, schlesische und sächsische Weber
»"t je achtzehn Morgen Wiesen- und Waldland in dem Teil des weitverstreuten
Orts Burg, der südlich von der Mühlspree liegt, angesiedelt, damit nach den Grund¬
sätzen des Merkantilismus etwas Industrie in diese rein landwirtschaftliche Gegend
käme. Der Staat baute diesen Webern sogar eine Leinwandbleiche am Nordrande
ihrer Kolonie. Aber im Zeitalter der Maschinen verfielen die Webstuhle, und aus
der Leinwandbleiche wurde längst der Gasthof „zur Bleiche," aus den Webern
wurden kleine Landwirte und Bootführer. Vor allem aber haben die eingewanderten
deutschen Familien der Kaupergemeinde und der sogenannten Kolonie im Laufe der
Zeit durch Verschwägerung mit den überwiegenden Wenden ihre deutsche Muttersprache
so Verlernt, daß heutzutage sogar ein „Krüger" erst in den höhern Klassen der
Volksschule sich wieder einigermaßen deutsch ausdrücken kann. Das ist sehr lehr¬
reich. Es erklärt so manchen auffallenden Prozeß von Slawisierung in unser«
Ostmarken, es erklärt aber auch, warum so manches von deutschen Bauern ge¬
gründete mittelalterliche Dorf einige Generationen später unter slawischen Namen
erscheint. Unser Markussen-Krüger hatte seine Umformung in einen echten Deutschen,
wie er selbst erzählte, erst während seiner militärischen Dienstzeit durchgemacht.
Mit Stolz zeigte er uns, als wir ihm ins Wohnhaus hinein folgten, die weiß-rote
Mütze der Gardekürassiere, bet denen er vor zwanzig Jahren eingetreten war.

Die Wände der Wohnstube wiesen keinerlei Schmuck auf außer zwei Bildern,
die auffallenderweise nichts Preußisches darstellten, sondern Napoleon inmitten der
alten Garde bei Waterloo und den Kaiser Franz Joseph von Osterreich. Daß
aber sein Anwesen selbst ein schönes Bild abgebe, das wußte Markussen-Krüger wohl,
denn er erzählte, daß jedes Jahr mehrere „Photographisten" kämen, um es abzu¬
nehmen. Das bedeutendste Gerät der Wohnstube war der große Kachelofen mit
der Ofenbank, doch waren hier und da im Hause auch noch ältere Kamine erhalten.
In merkwürdigem Gegensatze zu der offenbaren Wohlhabenheit des Besitzers stand
die primitive Einrichtung der Schlafräume: nur für die Eltern war ein breites
Ehebett vorhanden, die Kinder schliefen in Bettkisten, die flach auf dem Fußboden
standen. Und doch war noch eine schöne altertümlich bemalte Bettstelle vorhanden,
aber sie stand unbenutzt auf dem Oberboden des Hauses. Dort sahe» wir auch
buntbemalte Truhen und Kleiderschränke; in diesen nahmen die zum Sonntagsstaat
gehörenden, mit Watte gesteifter Weiberröcke den größten Raum ein. Reichliche
Nachsbündel hängen an Pflöcken, Spinnräder stehn darunter. Sie werden im
Winter hervorgeholt — und wenn dann der Sturm in den leeren Wipfeln der
Pappeln und Erlen braust und die dicht fallenden Schneeflocken den Verkehr von
Gehöft zu Gehöft erschweren, dann ist wohl der große Kachelofen der Wohnstube
mit dem knisternden Erlenscheit der ideale Mittelpunkt der Familie — vor ihm
dreht sich „um die schnurrende Spindel der Faden," und die Kinder tröstet in ihrer
Vereinsamung das träumerische slawische Lied der spinnenden Mutter.

Wenn draußen die Natur schlummert und die ländliche Arbeit ruht, dann ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0237" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/293034"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem Spreewalde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103"> still die Hand. Sie konnten nicht mit uns sprechen, weil sie im Deutschen noch<lb/>
nicht genügend fortgeschritten waren, auch der neunjährige Knabe nicht, der seit<lb/>
drei Jahren die Schule besuchte &#x2014; ein sonderbarer Eindruck mitten im Deutschen<lb/>
Reiche, noch sonderbarer, wenn man erwägt, daß die Ahnen unsers Markussen-<lb/>
Krüger vor hundertundfunfzig Jahren Deutsche waren. Denn wie sein deutscher<lb/>
Name andeutet, entstammt er wohl einer jener Kolonistenfamilien, die Friedrich<lb/>
Wilhelm der Erste oder Friedrich der Große im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts<lb/>
hier angesiedelt haben. Namentlich ausgediente Soldaten wurden unter diesen<lb/>
beiden Herrschern im fiskalischen Walde dieser Gegenden gegen geringen Erbzins<lb/>
mit Land versorgt, wenn sie eine Holzbude herbeibrachten und an passender Stelle<lb/>
aufschlugen. Sowie nach der ersten Nacht, die sie auf dein neuen Grunde ver¬<lb/>
acht hatten, der Rauch aus ihrer Hütte emporstieg, galten sie als Besitzer des<lb/>
okkupierten Bodens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> Später (1765) wurden insbesondre böhmische, schlesische und sächsische Weber<lb/>
»"t je achtzehn Morgen Wiesen- und Waldland in dem Teil des weitverstreuten<lb/>
Orts Burg, der südlich von der Mühlspree liegt, angesiedelt, damit nach den Grund¬<lb/>
sätzen des Merkantilismus etwas Industrie in diese rein landwirtschaftliche Gegend<lb/>
käme. Der Staat baute diesen Webern sogar eine Leinwandbleiche am Nordrande<lb/>
ihrer Kolonie. Aber im Zeitalter der Maschinen verfielen die Webstuhle, und aus<lb/>
der Leinwandbleiche wurde längst der Gasthof &#x201E;zur Bleiche," aus den Webern<lb/>
wurden kleine Landwirte und Bootführer. Vor allem aber haben die eingewanderten<lb/>
deutschen Familien der Kaupergemeinde und der sogenannten Kolonie im Laufe der<lb/>
Zeit durch Verschwägerung mit den überwiegenden Wenden ihre deutsche Muttersprache<lb/>
so Verlernt, daß heutzutage sogar ein &#x201E;Krüger" erst in den höhern Klassen der<lb/>
Volksschule sich wieder einigermaßen deutsch ausdrücken kann. Das ist sehr lehr¬<lb/>
reich. Es erklärt so manchen auffallenden Prozeß von Slawisierung in unser«<lb/>
Ostmarken, es erklärt aber auch, warum so manches von deutschen Bauern ge¬<lb/>
gründete mittelalterliche Dorf einige Generationen später unter slawischen Namen<lb/>
erscheint. Unser Markussen-Krüger hatte seine Umformung in einen echten Deutschen,<lb/>
wie er selbst erzählte, erst während seiner militärischen Dienstzeit durchgemacht.<lb/>
Mit Stolz zeigte er uns, als wir ihm ins Wohnhaus hinein folgten, die weiß-rote<lb/>
Mütze der Gardekürassiere, bet denen er vor zwanzig Jahren eingetreten war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1106"> Die Wände der Wohnstube wiesen keinerlei Schmuck auf außer zwei Bildern,<lb/>
die auffallenderweise nichts Preußisches darstellten, sondern Napoleon inmitten der<lb/>
alten Garde bei Waterloo und den Kaiser Franz Joseph von Osterreich. Daß<lb/>
aber sein Anwesen selbst ein schönes Bild abgebe, das wußte Markussen-Krüger wohl,<lb/>
denn er erzählte, daß jedes Jahr mehrere &#x201E;Photographisten" kämen, um es abzu¬<lb/>
nehmen. Das bedeutendste Gerät der Wohnstube war der große Kachelofen mit<lb/>
der Ofenbank, doch waren hier und da im Hause auch noch ältere Kamine erhalten.<lb/>
In merkwürdigem Gegensatze zu der offenbaren Wohlhabenheit des Besitzers stand<lb/>
die primitive Einrichtung der Schlafräume: nur für die Eltern war ein breites<lb/>
Ehebett vorhanden, die Kinder schliefen in Bettkisten, die flach auf dem Fußboden<lb/>
standen. Und doch war noch eine schöne altertümlich bemalte Bettstelle vorhanden,<lb/>
aber sie stand unbenutzt auf dem Oberboden des Hauses. Dort sahe» wir auch<lb/>
buntbemalte Truhen und Kleiderschränke; in diesen nahmen die zum Sonntagsstaat<lb/>
gehörenden, mit Watte gesteifter Weiberröcke den größten Raum ein. Reichliche<lb/>
Nachsbündel hängen an Pflöcken, Spinnräder stehn darunter. Sie werden im<lb/>
Winter hervorgeholt &#x2014; und wenn dann der Sturm in den leeren Wipfeln der<lb/>
Pappeln und Erlen braust und die dicht fallenden Schneeflocken den Verkehr von<lb/>
Gehöft zu Gehöft erschweren, dann ist wohl der große Kachelofen der Wohnstube<lb/>
mit dem knisternden Erlenscheit der ideale Mittelpunkt der Familie &#x2014; vor ihm<lb/>
dreht sich &#x201E;um die schnurrende Spindel der Faden," und die Kinder tröstet in ihrer<lb/>
Vereinsamung das träumerische slawische Lied der spinnenden Mutter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107" next="#ID_1108"> Wenn draußen die Natur schlummert und die ländliche Arbeit ruht, dann ist</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0237] Aus dem Spreewalde still die Hand. Sie konnten nicht mit uns sprechen, weil sie im Deutschen noch nicht genügend fortgeschritten waren, auch der neunjährige Knabe nicht, der seit drei Jahren die Schule besuchte — ein sonderbarer Eindruck mitten im Deutschen Reiche, noch sonderbarer, wenn man erwägt, daß die Ahnen unsers Markussen- Krüger vor hundertundfunfzig Jahren Deutsche waren. Denn wie sein deutscher Name andeutet, entstammt er wohl einer jener Kolonistenfamilien, die Friedrich Wilhelm der Erste oder Friedrich der Große im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts hier angesiedelt haben. Namentlich ausgediente Soldaten wurden unter diesen beiden Herrschern im fiskalischen Walde dieser Gegenden gegen geringen Erbzins mit Land versorgt, wenn sie eine Holzbude herbeibrachten und an passender Stelle aufschlugen. Sowie nach der ersten Nacht, die sie auf dein neuen Grunde ver¬ acht hatten, der Rauch aus ihrer Hütte emporstieg, galten sie als Besitzer des okkupierten Bodens. Später (1765) wurden insbesondre böhmische, schlesische und sächsische Weber »"t je achtzehn Morgen Wiesen- und Waldland in dem Teil des weitverstreuten Orts Burg, der südlich von der Mühlspree liegt, angesiedelt, damit nach den Grund¬ sätzen des Merkantilismus etwas Industrie in diese rein landwirtschaftliche Gegend käme. Der Staat baute diesen Webern sogar eine Leinwandbleiche am Nordrande ihrer Kolonie. Aber im Zeitalter der Maschinen verfielen die Webstuhle, und aus der Leinwandbleiche wurde längst der Gasthof „zur Bleiche," aus den Webern wurden kleine Landwirte und Bootführer. Vor allem aber haben die eingewanderten deutschen Familien der Kaupergemeinde und der sogenannten Kolonie im Laufe der Zeit durch Verschwägerung mit den überwiegenden Wenden ihre deutsche Muttersprache so Verlernt, daß heutzutage sogar ein „Krüger" erst in den höhern Klassen der Volksschule sich wieder einigermaßen deutsch ausdrücken kann. Das ist sehr lehr¬ reich. Es erklärt so manchen auffallenden Prozeß von Slawisierung in unser« Ostmarken, es erklärt aber auch, warum so manches von deutschen Bauern ge¬ gründete mittelalterliche Dorf einige Generationen später unter slawischen Namen erscheint. Unser Markussen-Krüger hatte seine Umformung in einen echten Deutschen, wie er selbst erzählte, erst während seiner militärischen Dienstzeit durchgemacht. Mit Stolz zeigte er uns, als wir ihm ins Wohnhaus hinein folgten, die weiß-rote Mütze der Gardekürassiere, bet denen er vor zwanzig Jahren eingetreten war. Die Wände der Wohnstube wiesen keinerlei Schmuck auf außer zwei Bildern, die auffallenderweise nichts Preußisches darstellten, sondern Napoleon inmitten der alten Garde bei Waterloo und den Kaiser Franz Joseph von Osterreich. Daß aber sein Anwesen selbst ein schönes Bild abgebe, das wußte Markussen-Krüger wohl, denn er erzählte, daß jedes Jahr mehrere „Photographisten" kämen, um es abzu¬ nehmen. Das bedeutendste Gerät der Wohnstube war der große Kachelofen mit der Ofenbank, doch waren hier und da im Hause auch noch ältere Kamine erhalten. In merkwürdigem Gegensatze zu der offenbaren Wohlhabenheit des Besitzers stand die primitive Einrichtung der Schlafräume: nur für die Eltern war ein breites Ehebett vorhanden, die Kinder schliefen in Bettkisten, die flach auf dem Fußboden standen. Und doch war noch eine schöne altertümlich bemalte Bettstelle vorhanden, aber sie stand unbenutzt auf dem Oberboden des Hauses. Dort sahe» wir auch buntbemalte Truhen und Kleiderschränke; in diesen nahmen die zum Sonntagsstaat gehörenden, mit Watte gesteifter Weiberröcke den größten Raum ein. Reichliche Nachsbündel hängen an Pflöcken, Spinnräder stehn darunter. Sie werden im Winter hervorgeholt — und wenn dann der Sturm in den leeren Wipfeln der Pappeln und Erlen braust und die dicht fallenden Schneeflocken den Verkehr von Gehöft zu Gehöft erschweren, dann ist wohl der große Kachelofen der Wohnstube mit dem knisternden Erlenscheit der ideale Mittelpunkt der Familie — vor ihm dreht sich „um die schnurrende Spindel der Faden," und die Kinder tröstet in ihrer Vereinsamung das träumerische slawische Lied der spinnenden Mutter. Wenn draußen die Natur schlummert und die ländliche Arbeit ruht, dann ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/237
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/237>, abgerufen am 23.07.2024.