Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zweifel wird jeder, der unter des Verfassers Leitung die Schule der Logik durch¬
gemacht hat, welchem Forschungsgebiet auch immer er sich zuwenden mag, vor Ab¬
wegen sicherer vorwärts schreiten als andre, und wären alle Forscher einer so
tüchtigen logischen Schulung teilhaft geworden, so würden sie sich leichter und voll¬
ständiger miteinander verständigen, als es bis jetzt geschehen ist. Zu allgemeiner
Übereinstimmung jedoch in den höchsten und den tiefsten Fragen wird es niemals
kommen, nicht bloß darum nicht, weil auch das Denken der Gelehrten immer von
Vorurteilen, Neigungen, Abneigungen und Leidenschaften beeinflußt wird, so ent¬
schieden sie die Verwerflichkeit solcher Abhängigkeit vom Allzumeuschlichen in der
Theorie anerkennen mögen, sondern auch darum, weil jenseits der von Uphues selbst
sehr genau beschriebnen Grenzen unsrer Erkenntnis ein weites Gebiet liegt, worin
es keine Gewißheit sondern nur Wahrscheinlichkeit gibt, jedem aber etwas andres
wahr scheinen kann. Das Gebiet des Denknotwendigen begrenzt Uphues sehr eng;
er schreibt z. B.: "In dem Einheitsgesetz (das Shstem der Wahrheit setzt einen
Denkenden voraus, der alle Wahrheit erkennt) und in dem Gesetz der Kausalität
(das Ansaugende setzt ein andres schon Bestehendes voraus, das seinen Anfang er¬
möglicht) ist von einem Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Denkenden und dem
System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang Ermöglichenden und dem An¬
fangenden in keiner Weise die Rede; ein solches Notwendigkeitsverhältnis wird
darum auch von diesen Gesetzen nicht gefordert." Dann darf man aber auch nicht
erwarte", daß sich jemals alle Denker innerlich genötigt fühlen werden, diese beiden
Gesetze und damit Gott als Weltursache anzuerkennen.

Eine umfangreichere Sammlung erkenntnistheoretischer und psychologischer
Untersuchungen hat der Ungar öl'. Melchior Palägyi (bei C. A. Schwetschke <K Sohn
in Berlin 1903) herausgegeben unter dem Titel: Die Logik auf dem Scheide¬
wege. Als einen Schüler von Uphues erkennt man ihn daran, daß er wie
dieser den kartesianischen Dualismus und sowohl die sensualistische wie die ratio¬
nalistische Methode verwirft und das Wesen der Erkenntnis darin sieht, daß im
Vergänglichen ein Ewiges gefunden wird. Am beifälligsten dürfte seine Unter-
suchung der Kategorien Zeit und Raum aufgenommen werden, die zu dem Ergebnis
führt, daß der Raum nicht ohne die Zeit, die Zeit nicht ohne den Raum gedacht
werden kann, und daß der Raum nicht etwas Beharrliches, sondern ein sich in
jedem Augenblick Erneuerndes ist: fließender, dynamischer Raum. Die anstrengende
Lektüre wird hie und da mit einem hübschen Bonmot versüßt, z. B. "Wir sind im
Grunde genommen alle MetaPhysiker, nnr mit dem Unterschiede, daß sich die einen
darüber ärgern, die andern nicht."

Palägyi Polemisiert sehr heftig gegen Kant: dieser aber kommt jetzt bei Leuten
zu Ehren, deren Lob ihn nötigen wird, sich im Grabe umzudrehn. Der siebente
Band von Vaihingers Kantstudien enthält eine Abhandlung von Albert Leclere,
DootMU'-of-lsttrss ü, Liois: I^s mouvvmsat "Molicius Kamelen, su Vr"vos 5. 1'Il.sure
xi'WMts. Man erfährt daraus, daß es auch heute noch zahlreiche liberale Katho¬
liken in Frankreich gibt, die die Aussöhnung der Religion mit der Wissenschaft
eifrig betreiben, und daß viele von ihnen in Kants Abgrenzung der beiden Gebiete
das Mittel der Versöhnung sehen. Es wird eine Reihe von Männern genannt,
die das Aussöhnungswerk in reger literarischer Tätigkeit fördern, deren Namen aber,
von Brünettere abgesehen, in Deutschland ganz unbekannt sind; Blondel und Bergson
scheinen die bedeutendsten zu sein. Der Verfasser hofft, daß sich diese Schule
Duldung, wo nicht Anerkennung in der Kirche erkämpfen werde; von den Tatsachen,
auf die er seine Hoffnung gründet, wollen wir nur die beiden anführen, daß
Thomas von Aquin seine Philosophie auf denselben Aristoteles gebaut hat, dessen Lehre
zehn Jahre vor jenes Geburt von der Kirche verdammt worden war, und daß
Leo der Dreizehnte im Jahre 1892 zu Mgr. d'Hülfe gesagt hat: man dürfe die
christlichen Gelehrten in ihren Arbeiten nicht stören, man müsse ihnen Zeit lassen,
zu zweifeln (oder: sich zu besinnen? Im Urtext steht älunitoi') und sogar zu irren-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zweifel wird jeder, der unter des Verfassers Leitung die Schule der Logik durch¬
gemacht hat, welchem Forschungsgebiet auch immer er sich zuwenden mag, vor Ab¬
wegen sicherer vorwärts schreiten als andre, und wären alle Forscher einer so
tüchtigen logischen Schulung teilhaft geworden, so würden sie sich leichter und voll¬
ständiger miteinander verständigen, als es bis jetzt geschehen ist. Zu allgemeiner
Übereinstimmung jedoch in den höchsten und den tiefsten Fragen wird es niemals
kommen, nicht bloß darum nicht, weil auch das Denken der Gelehrten immer von
Vorurteilen, Neigungen, Abneigungen und Leidenschaften beeinflußt wird, so ent¬
schieden sie die Verwerflichkeit solcher Abhängigkeit vom Allzumeuschlichen in der
Theorie anerkennen mögen, sondern auch darum, weil jenseits der von Uphues selbst
sehr genau beschriebnen Grenzen unsrer Erkenntnis ein weites Gebiet liegt, worin
es keine Gewißheit sondern nur Wahrscheinlichkeit gibt, jedem aber etwas andres
wahr scheinen kann. Das Gebiet des Denknotwendigen begrenzt Uphues sehr eng;
er schreibt z. B.: „In dem Einheitsgesetz (das Shstem der Wahrheit setzt einen
Denkenden voraus, der alle Wahrheit erkennt) und in dem Gesetz der Kausalität
(das Ansaugende setzt ein andres schon Bestehendes voraus, das seinen Anfang er¬
möglicht) ist von einem Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Denkenden und dem
System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang Ermöglichenden und dem An¬
fangenden in keiner Weise die Rede; ein solches Notwendigkeitsverhältnis wird
darum auch von diesen Gesetzen nicht gefordert." Dann darf man aber auch nicht
erwarte», daß sich jemals alle Denker innerlich genötigt fühlen werden, diese beiden
Gesetze und damit Gott als Weltursache anzuerkennen.

Eine umfangreichere Sammlung erkenntnistheoretischer und psychologischer
Untersuchungen hat der Ungar öl'. Melchior Palägyi (bei C. A. Schwetschke <K Sohn
in Berlin 1903) herausgegeben unter dem Titel: Die Logik auf dem Scheide¬
wege. Als einen Schüler von Uphues erkennt man ihn daran, daß er wie
dieser den kartesianischen Dualismus und sowohl die sensualistische wie die ratio¬
nalistische Methode verwirft und das Wesen der Erkenntnis darin sieht, daß im
Vergänglichen ein Ewiges gefunden wird. Am beifälligsten dürfte seine Unter-
suchung der Kategorien Zeit und Raum aufgenommen werden, die zu dem Ergebnis
führt, daß der Raum nicht ohne die Zeit, die Zeit nicht ohne den Raum gedacht
werden kann, und daß der Raum nicht etwas Beharrliches, sondern ein sich in
jedem Augenblick Erneuerndes ist: fließender, dynamischer Raum. Die anstrengende
Lektüre wird hie und da mit einem hübschen Bonmot versüßt, z. B. „Wir sind im
Grunde genommen alle MetaPhysiker, nnr mit dem Unterschiede, daß sich die einen
darüber ärgern, die andern nicht."

Palägyi Polemisiert sehr heftig gegen Kant: dieser aber kommt jetzt bei Leuten
zu Ehren, deren Lob ihn nötigen wird, sich im Grabe umzudrehn. Der siebente
Band von Vaihingers Kantstudien enthält eine Abhandlung von Albert Leclere,
DootMU'-of-lsttrss ü, Liois: I^s mouvvmsat «Molicius Kamelen, su Vr«vos 5. 1'Il.sure
xi'WMts. Man erfährt daraus, daß es auch heute noch zahlreiche liberale Katho¬
liken in Frankreich gibt, die die Aussöhnung der Religion mit der Wissenschaft
eifrig betreiben, und daß viele von ihnen in Kants Abgrenzung der beiden Gebiete
das Mittel der Versöhnung sehen. Es wird eine Reihe von Männern genannt,
die das Aussöhnungswerk in reger literarischer Tätigkeit fördern, deren Namen aber,
von Brünettere abgesehen, in Deutschland ganz unbekannt sind; Blondel und Bergson
scheinen die bedeutendsten zu sein. Der Verfasser hofft, daß sich diese Schule
Duldung, wo nicht Anerkennung in der Kirche erkämpfen werde; von den Tatsachen,
auf die er seine Hoffnung gründet, wollen wir nur die beiden anführen, daß
Thomas von Aquin seine Philosophie auf denselben Aristoteles gebaut hat, dessen Lehre
zehn Jahre vor jenes Geburt von der Kirche verdammt worden war, und daß
Leo der Dreizehnte im Jahre 1892 zu Mgr. d'Hülfe gesagt hat: man dürfe die
christlichen Gelehrten in ihren Arbeiten nicht stören, man müsse ihnen Zeit lassen,
zu zweifeln (oder: sich zu besinnen? Im Urtext steht älunitoi') und sogar zu irren-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/292993"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> Zweifel wird jeder, der unter des Verfassers Leitung die Schule der Logik durch¬<lb/>
gemacht hat, welchem Forschungsgebiet auch immer er sich zuwenden mag, vor Ab¬<lb/>
wegen sicherer vorwärts schreiten als andre, und wären alle Forscher einer so<lb/>
tüchtigen logischen Schulung teilhaft geworden, so würden sie sich leichter und voll¬<lb/>
ständiger miteinander verständigen, als es bis jetzt geschehen ist. Zu allgemeiner<lb/>
Übereinstimmung jedoch in den höchsten und den tiefsten Fragen wird es niemals<lb/>
kommen, nicht bloß darum nicht, weil auch das Denken der Gelehrten immer von<lb/>
Vorurteilen, Neigungen, Abneigungen und Leidenschaften beeinflußt wird, so ent¬<lb/>
schieden sie die Verwerflichkeit solcher Abhängigkeit vom Allzumeuschlichen in der<lb/>
Theorie anerkennen mögen, sondern auch darum, weil jenseits der von Uphues selbst<lb/>
sehr genau beschriebnen Grenzen unsrer Erkenntnis ein weites Gebiet liegt, worin<lb/>
es keine Gewißheit sondern nur Wahrscheinlichkeit gibt, jedem aber etwas andres<lb/>
wahr scheinen kann. Das Gebiet des Denknotwendigen begrenzt Uphues sehr eng;<lb/>
er schreibt z. B.: &#x201E;In dem Einheitsgesetz (das Shstem der Wahrheit setzt einen<lb/>
Denkenden voraus, der alle Wahrheit erkennt) und in dem Gesetz der Kausalität<lb/>
(das Ansaugende setzt ein andres schon Bestehendes voraus, das seinen Anfang er¬<lb/>
möglicht) ist von einem Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Denkenden und dem<lb/>
System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang Ermöglichenden und dem An¬<lb/>
fangenden in keiner Weise die Rede; ein solches Notwendigkeitsverhältnis wird<lb/>
darum auch von diesen Gesetzen nicht gefordert." Dann darf man aber auch nicht<lb/>
erwarte», daß sich jemals alle Denker innerlich genötigt fühlen werden, diese beiden<lb/>
Gesetze und damit Gott als Weltursache anzuerkennen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_965"> Eine umfangreichere Sammlung erkenntnistheoretischer und psychologischer<lb/>
Untersuchungen hat der Ungar öl'. Melchior Palägyi (bei C. A. Schwetschke &lt;K Sohn<lb/>
in Berlin 1903) herausgegeben unter dem Titel: Die Logik auf dem Scheide¬<lb/>
wege. Als einen Schüler von Uphues erkennt man ihn daran, daß er wie<lb/>
dieser den kartesianischen Dualismus und sowohl die sensualistische wie die ratio¬<lb/>
nalistische Methode verwirft und das Wesen der Erkenntnis darin sieht, daß im<lb/>
Vergänglichen ein Ewiges gefunden wird. Am beifälligsten dürfte seine Unter-<lb/>
suchung der Kategorien Zeit und Raum aufgenommen werden, die zu dem Ergebnis<lb/>
führt, daß der Raum nicht ohne die Zeit, die Zeit nicht ohne den Raum gedacht<lb/>
werden kann, und daß der Raum nicht etwas Beharrliches, sondern ein sich in<lb/>
jedem Augenblick Erneuerndes ist: fließender, dynamischer Raum. Die anstrengende<lb/>
Lektüre wird hie und da mit einem hübschen Bonmot versüßt, z. B. &#x201E;Wir sind im<lb/>
Grunde genommen alle MetaPhysiker, nnr mit dem Unterschiede, daß sich die einen<lb/>
darüber ärgern, die andern nicht."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> Palägyi Polemisiert sehr heftig gegen Kant: dieser aber kommt jetzt bei Leuten<lb/>
zu Ehren, deren Lob ihn nötigen wird, sich im Grabe umzudrehn. Der siebente<lb/>
Band von Vaihingers Kantstudien enthält eine Abhandlung von Albert Leclere,<lb/>
DootMU'-of-lsttrss ü, Liois: I^s mouvvmsat «Molicius Kamelen, su Vr«vos 5. 1'Il.sure<lb/>
xi'WMts. Man erfährt daraus, daß es auch heute noch zahlreiche liberale Katho¬<lb/>
liken in Frankreich gibt, die die Aussöhnung der Religion mit der Wissenschaft<lb/>
eifrig betreiben, und daß viele von ihnen in Kants Abgrenzung der beiden Gebiete<lb/>
das Mittel der Versöhnung sehen. Es wird eine Reihe von Männern genannt,<lb/>
die das Aussöhnungswerk in reger literarischer Tätigkeit fördern, deren Namen aber,<lb/>
von Brünettere abgesehen, in Deutschland ganz unbekannt sind; Blondel und Bergson<lb/>
scheinen die bedeutendsten zu sein. Der Verfasser hofft, daß sich diese Schule<lb/>
Duldung, wo nicht Anerkennung in der Kirche erkämpfen werde; von den Tatsachen,<lb/>
auf die er seine Hoffnung gründet, wollen wir nur die beiden anführen, daß<lb/>
Thomas von Aquin seine Philosophie auf denselben Aristoteles gebaut hat, dessen Lehre<lb/>
zehn Jahre vor jenes Geburt von der Kirche verdammt worden war, und daß<lb/>
Leo der Dreizehnte im Jahre 1892 zu Mgr. d'Hülfe gesagt hat: man dürfe die<lb/>
christlichen Gelehrten in ihren Arbeiten nicht stören, man müsse ihnen Zeit lassen,<lb/>
zu zweifeln (oder: sich zu besinnen? Im Urtext steht älunitoi') und sogar zu irren-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0196] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zweifel wird jeder, der unter des Verfassers Leitung die Schule der Logik durch¬ gemacht hat, welchem Forschungsgebiet auch immer er sich zuwenden mag, vor Ab¬ wegen sicherer vorwärts schreiten als andre, und wären alle Forscher einer so tüchtigen logischen Schulung teilhaft geworden, so würden sie sich leichter und voll¬ ständiger miteinander verständigen, als es bis jetzt geschehen ist. Zu allgemeiner Übereinstimmung jedoch in den höchsten und den tiefsten Fragen wird es niemals kommen, nicht bloß darum nicht, weil auch das Denken der Gelehrten immer von Vorurteilen, Neigungen, Abneigungen und Leidenschaften beeinflußt wird, so ent¬ schieden sie die Verwerflichkeit solcher Abhängigkeit vom Allzumeuschlichen in der Theorie anerkennen mögen, sondern auch darum, weil jenseits der von Uphues selbst sehr genau beschriebnen Grenzen unsrer Erkenntnis ein weites Gebiet liegt, worin es keine Gewißheit sondern nur Wahrscheinlichkeit gibt, jedem aber etwas andres wahr scheinen kann. Das Gebiet des Denknotwendigen begrenzt Uphues sehr eng; er schreibt z. B.: „In dem Einheitsgesetz (das Shstem der Wahrheit setzt einen Denkenden voraus, der alle Wahrheit erkennt) und in dem Gesetz der Kausalität (das Ansaugende setzt ein andres schon Bestehendes voraus, das seinen Anfang er¬ möglicht) ist von einem Notwendigkeitsverhältnis zwischen dem Denkenden und dem System der Wahrheit, zwischen dem den Anfang Ermöglichenden und dem An¬ fangenden in keiner Weise die Rede; ein solches Notwendigkeitsverhältnis wird darum auch von diesen Gesetzen nicht gefordert." Dann darf man aber auch nicht erwarte», daß sich jemals alle Denker innerlich genötigt fühlen werden, diese beiden Gesetze und damit Gott als Weltursache anzuerkennen. Eine umfangreichere Sammlung erkenntnistheoretischer und psychologischer Untersuchungen hat der Ungar öl'. Melchior Palägyi (bei C. A. Schwetschke <K Sohn in Berlin 1903) herausgegeben unter dem Titel: Die Logik auf dem Scheide¬ wege. Als einen Schüler von Uphues erkennt man ihn daran, daß er wie dieser den kartesianischen Dualismus und sowohl die sensualistische wie die ratio¬ nalistische Methode verwirft und das Wesen der Erkenntnis darin sieht, daß im Vergänglichen ein Ewiges gefunden wird. Am beifälligsten dürfte seine Unter- suchung der Kategorien Zeit und Raum aufgenommen werden, die zu dem Ergebnis führt, daß der Raum nicht ohne die Zeit, die Zeit nicht ohne den Raum gedacht werden kann, und daß der Raum nicht etwas Beharrliches, sondern ein sich in jedem Augenblick Erneuerndes ist: fließender, dynamischer Raum. Die anstrengende Lektüre wird hie und da mit einem hübschen Bonmot versüßt, z. B. „Wir sind im Grunde genommen alle MetaPhysiker, nnr mit dem Unterschiede, daß sich die einen darüber ärgern, die andern nicht." Palägyi Polemisiert sehr heftig gegen Kant: dieser aber kommt jetzt bei Leuten zu Ehren, deren Lob ihn nötigen wird, sich im Grabe umzudrehn. Der siebente Band von Vaihingers Kantstudien enthält eine Abhandlung von Albert Leclere, DootMU'-of-lsttrss ü, Liois: I^s mouvvmsat «Molicius Kamelen, su Vr«vos 5. 1'Il.sure xi'WMts. Man erfährt daraus, daß es auch heute noch zahlreiche liberale Katho¬ liken in Frankreich gibt, die die Aussöhnung der Religion mit der Wissenschaft eifrig betreiben, und daß viele von ihnen in Kants Abgrenzung der beiden Gebiete das Mittel der Versöhnung sehen. Es wird eine Reihe von Männern genannt, die das Aussöhnungswerk in reger literarischer Tätigkeit fördern, deren Namen aber, von Brünettere abgesehen, in Deutschland ganz unbekannt sind; Blondel und Bergson scheinen die bedeutendsten zu sein. Der Verfasser hofft, daß sich diese Schule Duldung, wo nicht Anerkennung in der Kirche erkämpfen werde; von den Tatsachen, auf die er seine Hoffnung gründet, wollen wir nur die beiden anführen, daß Thomas von Aquin seine Philosophie auf denselben Aristoteles gebaut hat, dessen Lehre zehn Jahre vor jenes Geburt von der Kirche verdammt worden war, und daß Leo der Dreizehnte im Jahre 1892 zu Mgr. d'Hülfe gesagt hat: man dürfe die christlichen Gelehrten in ihren Arbeiten nicht stören, man müsse ihnen Zeit lassen, zu zweifeln (oder: sich zu besinnen? Im Urtext steht älunitoi') und sogar zu irren-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/196
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/196>, abgerufen am 01.07.2024.