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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß das Bestreben erwacht ist, die Vorgänge beim Denken tiefer zu erfassen, als
es Aristoteles und die Aristoteliker vermocht haben. Hegels Logik war schon reine
Metaphysik, und heutige Logiker liefern Erkenntnistheorien als Grundlagen einer
Metaphysik. Ein solches Buch ist die Einführung in die moderne Logik von
Goswin Uphues. Professor an der Universität Halle (Fünfter Band des vom
Schuldirektor Beetz herausgegebnen Sammelwerkes: Der Bücherschatz des Lehrers.
Osterwieck am Harz. A. W. Zickseldt. 1901). Den Inhalt zu skizzieren, versuchen
wir nicht. Denn der Stoff ist so schon in dem Buche aufs äußerste zusammen¬
gepreßt, und wie der Verfasser richtig bemerkt: "Die Erkenntnistheorie umfaßt die
schwierigsten Fragen der Philosophie. Ihr Verständnis setzt nachdenkliche verinuerlichte
Naturen voraus, die heutzutage nicht allzuhäufig sind. Gewiegte Pädagogen be¬
haupten, daß manchen im übrigen gut begabten Schülern jede Anlage sür Mathe¬
matik fehlt. Mit anscheinend größerm Recht kann man sagen, daß fast allen Menschen
mit sehr wenigen Ausnahmen die Anlage für jenen Teil der Philosophie abgeht."
Aber Uphues versteht das schwer Verständliche so klar zu lehren, daß es verhält¬
nismäßig leicht verständlich wird, darum weisen wir Männer, die Beruf oder Neigung
zu diesen schwierigen Studien veranlaßt, an sein Buch, und wir tun es um so
lieber, weil seiue Ergebnisse im wesentlichen mit unsern eignen Überzeugungen über¬
einstimmen. Ein paar Anführungen mögen das dartun. "Wie unterscheiden sich
Wahrheit und Wirklichkeit? Das ist die für das Erkennen schwierige, vielleicht
unlösbare, jedenfalls noch nicht gelöste Frage. Sagen wir, das Wahre ist wirklich,
insofern es vom göttlichen Wesen nicht bloß gedacht sondern auch gewollt wird,
Raum und Substanz sind der symbolische Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit
der Dinge ihm gegenüber sbesser gefällt uns der Ausdruck "relative Selbständigkeit",
den er anderwärts gebraucht^, Zeit und Kausalität der Ausdruck sür die völlige
Abhängigkeit der Dinge von ihm, so sind das jedenfalls viel zu allgemeine Ant¬
worten, um als genügend gelten zu können, obgleich sie eine ganze Weltanschauung
und vielleicht die einzig mögliche enthalten." In einer andern Schrift (Religiöse
Vorträge. Berlin, C.Ä. Schwetschke Sohn. 1903) sagt er: "Wir müssen an¬
nehmen, wie das von der Religion vorausgesetzt wird, daß die Ideale vor unsrer
Tätigkeit und unabhängig von ihr wirklich sind und als solche Wirklichkeiten auf
uns Einfluß üben, und daß wir unter solchem Einfluß handeln. Mit andern Worten:
Gott, in dem alle Ideale verwirklicht und zur Einheit verbunden sind, veranlaßt
und bewegt uns zum Streben nach den Idealen, er regt uns zu diesem Streben
an. setzt ihm sein Ziel und lenkt es dem Ziele zu. Gott ist nicht bloß das höchste
Gut, zu dem wir streben, sondern auch die Kraft, aus der wir handeln." In
der Logik zeigt er u. a., daß die Entwicklungstheoretiker den Zweckbegriff, den sie
in Bann getan hatten, durch Hintertüren selbst wieder in ihre Lehrgebäude ein¬
geschmuggelt haben, und beweist den Anmaßungen mancher Naturforscher gegenüber,
..daß den geschichtlichen Tatsachen, die wir sämtlich den Mitteilungen andrer ver¬
danken, kein geringerer sondern ein höherer Erkenntniswert zukommt als deu Wissens¬
inhalten der Naturwissenschaften. von denen wir viele dnrch unsre eigne Beobachtung
gewinnen, und die wir, wenn sie durch Beobachtung andrer gewonnen wurden, nach¬
prüfen können____Von dem Körperlichen, dem eigentlichen Gegenstande der Natur¬
wissenschaften, wissen wir streng genommen nicht, was es ist; von den Triebfedern
und Beweggründen menschlicher Handlungen, die sich uns als die Hebel der ge¬
schichtlichen Entwicklung darstellen, haben wir eine eigentliche, in einer Ew'Nyt
bestehende Erkenntnis." Da der Verfasser mit der Mehrzahl der heutigen Philo¬
sophen überzeugt ist. "daß wir von der Beschaffenheit der Dinge keine Erkenntnis
haben, so versteht man nicht, wie er die kantischen Dinge an sich verwerfen kann,
wenn sich die Verwerfung nicht etwa bloß auf den allerdings anfechtbaren Namen
beschränkt. Seine Fachgenossen werden wahrscheinlich finden, daß er gleich im
Anfang mehr dogmatisch als kritisch verfährt, indem er seinen Untersuchungen den
Begriff Wahrheit, und zwar seinen Begriff der Wahrheit vorausschickt. Ohne


Maßgebliches und Unmaßgebliches

daß das Bestreben erwacht ist, die Vorgänge beim Denken tiefer zu erfassen, als
es Aristoteles und die Aristoteliker vermocht haben. Hegels Logik war schon reine
Metaphysik, und heutige Logiker liefern Erkenntnistheorien als Grundlagen einer
Metaphysik. Ein solches Buch ist die Einführung in die moderne Logik von
Goswin Uphues. Professor an der Universität Halle (Fünfter Band des vom
Schuldirektor Beetz herausgegebnen Sammelwerkes: Der Bücherschatz des Lehrers.
Osterwieck am Harz. A. W. Zickseldt. 1901). Den Inhalt zu skizzieren, versuchen
wir nicht. Denn der Stoff ist so schon in dem Buche aufs äußerste zusammen¬
gepreßt, und wie der Verfasser richtig bemerkt: „Die Erkenntnistheorie umfaßt die
schwierigsten Fragen der Philosophie. Ihr Verständnis setzt nachdenkliche verinuerlichte
Naturen voraus, die heutzutage nicht allzuhäufig sind. Gewiegte Pädagogen be¬
haupten, daß manchen im übrigen gut begabten Schülern jede Anlage sür Mathe¬
matik fehlt. Mit anscheinend größerm Recht kann man sagen, daß fast allen Menschen
mit sehr wenigen Ausnahmen die Anlage für jenen Teil der Philosophie abgeht."
Aber Uphues versteht das schwer Verständliche so klar zu lehren, daß es verhält¬
nismäßig leicht verständlich wird, darum weisen wir Männer, die Beruf oder Neigung
zu diesen schwierigen Studien veranlaßt, an sein Buch, und wir tun es um so
lieber, weil seiue Ergebnisse im wesentlichen mit unsern eignen Überzeugungen über¬
einstimmen. Ein paar Anführungen mögen das dartun. „Wie unterscheiden sich
Wahrheit und Wirklichkeit? Das ist die für das Erkennen schwierige, vielleicht
unlösbare, jedenfalls noch nicht gelöste Frage. Sagen wir, das Wahre ist wirklich,
insofern es vom göttlichen Wesen nicht bloß gedacht sondern auch gewollt wird,
Raum und Substanz sind der symbolische Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit
der Dinge ihm gegenüber sbesser gefällt uns der Ausdruck »relative Selbständigkeit«,
den er anderwärts gebraucht^, Zeit und Kausalität der Ausdruck sür die völlige
Abhängigkeit der Dinge von ihm, so sind das jedenfalls viel zu allgemeine Ant¬
worten, um als genügend gelten zu können, obgleich sie eine ganze Weltanschauung
und vielleicht die einzig mögliche enthalten." In einer andern Schrift (Religiöse
Vorträge. Berlin, C.Ä. Schwetschke Sohn. 1903) sagt er: „Wir müssen an¬
nehmen, wie das von der Religion vorausgesetzt wird, daß die Ideale vor unsrer
Tätigkeit und unabhängig von ihr wirklich sind und als solche Wirklichkeiten auf
uns Einfluß üben, und daß wir unter solchem Einfluß handeln. Mit andern Worten:
Gott, in dem alle Ideale verwirklicht und zur Einheit verbunden sind, veranlaßt
und bewegt uns zum Streben nach den Idealen, er regt uns zu diesem Streben
an. setzt ihm sein Ziel und lenkt es dem Ziele zu. Gott ist nicht bloß das höchste
Gut, zu dem wir streben, sondern auch die Kraft, aus der wir handeln." In
der Logik zeigt er u. a., daß die Entwicklungstheoretiker den Zweckbegriff, den sie
in Bann getan hatten, durch Hintertüren selbst wieder in ihre Lehrgebäude ein¬
geschmuggelt haben, und beweist den Anmaßungen mancher Naturforscher gegenüber,
..daß den geschichtlichen Tatsachen, die wir sämtlich den Mitteilungen andrer ver¬
danken, kein geringerer sondern ein höherer Erkenntniswert zukommt als deu Wissens¬
inhalten der Naturwissenschaften. von denen wir viele dnrch unsre eigne Beobachtung
gewinnen, und die wir, wenn sie durch Beobachtung andrer gewonnen wurden, nach¬
prüfen können____Von dem Körperlichen, dem eigentlichen Gegenstande der Natur¬
wissenschaften, wissen wir streng genommen nicht, was es ist; von den Triebfedern
und Beweggründen menschlicher Handlungen, die sich uns als die Hebel der ge¬
schichtlichen Entwicklung darstellen, haben wir eine eigentliche, in einer Ew'Nyt
bestehende Erkenntnis." Da der Verfasser mit der Mehrzahl der heutigen Philo¬
sophen überzeugt ist. „daß wir von der Beschaffenheit der Dinge keine Erkenntnis
haben, so versteht man nicht, wie er die kantischen Dinge an sich verwerfen kann,
wenn sich die Verwerfung nicht etwa bloß auf den allerdings anfechtbaren Namen
beschränkt. Seine Fachgenossen werden wahrscheinlich finden, daß er gleich im
Anfang mehr dogmatisch als kritisch verfährt, indem er seinen Untersuchungen den
Begriff Wahrheit, und zwar seinen Begriff der Wahrheit vorausschickt. Ohne


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[0195] Maßgebliches und Unmaßgebliches daß das Bestreben erwacht ist, die Vorgänge beim Denken tiefer zu erfassen, als es Aristoteles und die Aristoteliker vermocht haben. Hegels Logik war schon reine Metaphysik, und heutige Logiker liefern Erkenntnistheorien als Grundlagen einer Metaphysik. Ein solches Buch ist die Einführung in die moderne Logik von Goswin Uphues. Professor an der Universität Halle (Fünfter Band des vom Schuldirektor Beetz herausgegebnen Sammelwerkes: Der Bücherschatz des Lehrers. Osterwieck am Harz. A. W. Zickseldt. 1901). Den Inhalt zu skizzieren, versuchen wir nicht. Denn der Stoff ist so schon in dem Buche aufs äußerste zusammen¬ gepreßt, und wie der Verfasser richtig bemerkt: „Die Erkenntnistheorie umfaßt die schwierigsten Fragen der Philosophie. Ihr Verständnis setzt nachdenkliche verinuerlichte Naturen voraus, die heutzutage nicht allzuhäufig sind. Gewiegte Pädagogen be¬ haupten, daß manchen im übrigen gut begabten Schülern jede Anlage sür Mathe¬ matik fehlt. Mit anscheinend größerm Recht kann man sagen, daß fast allen Menschen mit sehr wenigen Ausnahmen die Anlage für jenen Teil der Philosophie abgeht." Aber Uphues versteht das schwer Verständliche so klar zu lehren, daß es verhält¬ nismäßig leicht verständlich wird, darum weisen wir Männer, die Beruf oder Neigung zu diesen schwierigen Studien veranlaßt, an sein Buch, und wir tun es um so lieber, weil seiue Ergebnisse im wesentlichen mit unsern eignen Überzeugungen über¬ einstimmen. Ein paar Anführungen mögen das dartun. „Wie unterscheiden sich Wahrheit und Wirklichkeit? Das ist die für das Erkennen schwierige, vielleicht unlösbare, jedenfalls noch nicht gelöste Frage. Sagen wir, das Wahre ist wirklich, insofern es vom göttlichen Wesen nicht bloß gedacht sondern auch gewollt wird, Raum und Substanz sind der symbolische Ausdruck für die scheinbare Selbständigkeit der Dinge ihm gegenüber sbesser gefällt uns der Ausdruck »relative Selbständigkeit«, den er anderwärts gebraucht^, Zeit und Kausalität der Ausdruck sür die völlige Abhängigkeit der Dinge von ihm, so sind das jedenfalls viel zu allgemeine Ant¬ worten, um als genügend gelten zu können, obgleich sie eine ganze Weltanschauung und vielleicht die einzig mögliche enthalten." In einer andern Schrift (Religiöse Vorträge. Berlin, C.Ä. Schwetschke Sohn. 1903) sagt er: „Wir müssen an¬ nehmen, wie das von der Religion vorausgesetzt wird, daß die Ideale vor unsrer Tätigkeit und unabhängig von ihr wirklich sind und als solche Wirklichkeiten auf uns Einfluß üben, und daß wir unter solchem Einfluß handeln. Mit andern Worten: Gott, in dem alle Ideale verwirklicht und zur Einheit verbunden sind, veranlaßt und bewegt uns zum Streben nach den Idealen, er regt uns zu diesem Streben an. setzt ihm sein Ziel und lenkt es dem Ziele zu. Gott ist nicht bloß das höchste Gut, zu dem wir streben, sondern auch die Kraft, aus der wir handeln." In der Logik zeigt er u. a., daß die Entwicklungstheoretiker den Zweckbegriff, den sie in Bann getan hatten, durch Hintertüren selbst wieder in ihre Lehrgebäude ein¬ geschmuggelt haben, und beweist den Anmaßungen mancher Naturforscher gegenüber, ..daß den geschichtlichen Tatsachen, die wir sämtlich den Mitteilungen andrer ver¬ danken, kein geringerer sondern ein höherer Erkenntniswert zukommt als deu Wissens¬ inhalten der Naturwissenschaften. von denen wir viele dnrch unsre eigne Beobachtung gewinnen, und die wir, wenn sie durch Beobachtung andrer gewonnen wurden, nach¬ prüfen können____Von dem Körperlichen, dem eigentlichen Gegenstande der Natur¬ wissenschaften, wissen wir streng genommen nicht, was es ist; von den Triebfedern und Beweggründen menschlicher Handlungen, die sich uns als die Hebel der ge¬ schichtlichen Entwicklung darstellen, haben wir eine eigentliche, in einer Ew'Nyt bestehende Erkenntnis." Da der Verfasser mit der Mehrzahl der heutigen Philo¬ sophen überzeugt ist. „daß wir von der Beschaffenheit der Dinge keine Erkenntnis haben, so versteht man nicht, wie er die kantischen Dinge an sich verwerfen kann, wenn sich die Verwerfung nicht etwa bloß auf den allerdings anfechtbaren Namen beschränkt. Seine Fachgenossen werden wahrscheinlich finden, daß er gleich im Anfang mehr dogmatisch als kritisch verfährt, indem er seinen Untersuchungen den Begriff Wahrheit, und zwar seinen Begriff der Wahrheit vorausschickt. Ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/195>, abgerufen am 03.07.2024.