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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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von den Eigenschaften eines Gemäldes wiedergeben! Nur die Umrisse und
die gröbsten Schatten, keinen Tonwerk, nicht einmal das Feinere des Gesichts¬
ausdrucks. Und doch war man zufrieden, hatte doch das Auge nun wenigstens
einen sichtbaren Anhalt, der die Worte unterstützte. Jetzt, dem Dreifarbendruck
gegenüber, gebürdet sich mancher Kritiker, als müßte er für eine Mark ein
Ölgemälde auf Papier verlangen, und als müßte das, was noch an diesem
Eindruck fehlt, dem Geschmack des Publikums Schaden bringen. Das sind
Verirrungen, die ihre Zeit haben. Besonders ablehnend verhalten sich hier,
wie es scheint, die Kuusterziehuugsmänner -- eine schlechte Wortbildung,
für die wir uicht verantwortlich sind --denn der große Wert, den wir hier
anf den farbigen Netzdruck als Anschauungsmittel für die kunstgeschichtliche
Belehrung legen, kommt ja für sie nicht in Betracht, da sie von der Kunst¬
geschichte selbst eigentlich kaum noch etwas wissen wollen. Das Kunstwerk
soll durch den Abstand der Zeiten hindurch den Sprung unmittelbar in die
Seele des Beschauers machen, in die "Volksseele," die dazu durch die Predigt
des Kunsterziehers suggestiv präpariert und gestimmt werden muß, vor der
Verbildung durch den Kunstgeschichtschreiber dagegen sorgfältig zu bewahren
ist. Wir lesen ja in den Rezensionen tagtäglich Wendungen wie diese: Der
Verfasser verfolgt "nur" kunstgeschichtliche Zwecke, oder: Dies Buch ist eins
der noch nicht allzuvielen, die abseits von dem Historischen wirkliche Kunst¬
empfindung mitteilen usw. -- Wir dächten, das hätte man doch vor mehr als
hundert Jahren überreichlich gerade hier in Dresden gehabt und genießen
können, als nach dein berühmten Stelldichein der Romantiker die "Gemälde"
von August Wilhelm und Karoline Schlegel veröffentlicht wurden, wenn sie
sich auch nicht gerade an die .Kreise richteten, die mau heilte als Volk zu be¬
zeichnen Pflegt. Und doch war man fünfzig Jahre später herzlich froh über
die Anfänge einer Kunstgeschichte, die die Romantiker noch nicht haben konnten.
Und heute nach abermals fünfzig Jahren wieder ein andres Bild, ein neues
Programm. Wenn es nur nicht so ausschließlich sein wollte!

In Wirklichkeit liegt doch die Sache so, daß von aller Kunst der Ver¬
gangenheit nur ein ganz kleiner Teil ohne die Voraussetzungen einer gewissen
historischen Bildung aufgenommen werden kann, nicht einmal die Dürerschen
Holzschnitte, auf die man heute mit Recht immer hinweist, und daß sogar
weitaus das Meiste in der heutigen Kunst dein ganz naiven, bildungslosen
Beschauer verschlossen bleibt. Es ist ja mich ein historischer Irrtum, daß die
Kunst irgend eines Zeitalters sich vorzugsweise um das der höhern Bildung
nnteilhaftige Volk gekümmert hätte. Und anders ist es auch in der Literatur
niemals gewesen. Das Volk kommt erst dann an die Reihe, wenn die Ge¬
bildeten gesättigt sind, und wenn diese, wie heute, das Bedürfnis haben, von
ihrem Reichtum nach unten hin weiter zu geben. Sie sind "des Gottes voll"
und brauchen Resonanz, und die finden sie uur unten, wo es noch leer ist;
oben könnte ihre Fülle vielleicht selbst leer erscheinen. Auch heute steht das


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von den Eigenschaften eines Gemäldes wiedergeben! Nur die Umrisse und
die gröbsten Schatten, keinen Tonwerk, nicht einmal das Feinere des Gesichts¬
ausdrucks. Und doch war man zufrieden, hatte doch das Auge nun wenigstens
einen sichtbaren Anhalt, der die Worte unterstützte. Jetzt, dem Dreifarbendruck
gegenüber, gebürdet sich mancher Kritiker, als müßte er für eine Mark ein
Ölgemälde auf Papier verlangen, und als müßte das, was noch an diesem
Eindruck fehlt, dem Geschmack des Publikums Schaden bringen. Das sind
Verirrungen, die ihre Zeit haben. Besonders ablehnend verhalten sich hier,
wie es scheint, die Kuusterziehuugsmänner — eine schlechte Wortbildung,
für die wir uicht verantwortlich sind —denn der große Wert, den wir hier
anf den farbigen Netzdruck als Anschauungsmittel für die kunstgeschichtliche
Belehrung legen, kommt ja für sie nicht in Betracht, da sie von der Kunst¬
geschichte selbst eigentlich kaum noch etwas wissen wollen. Das Kunstwerk
soll durch den Abstand der Zeiten hindurch den Sprung unmittelbar in die
Seele des Beschauers machen, in die „Volksseele," die dazu durch die Predigt
des Kunsterziehers suggestiv präpariert und gestimmt werden muß, vor der
Verbildung durch den Kunstgeschichtschreiber dagegen sorgfältig zu bewahren
ist. Wir lesen ja in den Rezensionen tagtäglich Wendungen wie diese: Der
Verfasser verfolgt „nur" kunstgeschichtliche Zwecke, oder: Dies Buch ist eins
der noch nicht allzuvielen, die abseits von dem Historischen wirkliche Kunst¬
empfindung mitteilen usw. — Wir dächten, das hätte man doch vor mehr als
hundert Jahren überreichlich gerade hier in Dresden gehabt und genießen
können, als nach dein berühmten Stelldichein der Romantiker die „Gemälde"
von August Wilhelm und Karoline Schlegel veröffentlicht wurden, wenn sie
sich auch nicht gerade an die .Kreise richteten, die mau heilte als Volk zu be¬
zeichnen Pflegt. Und doch war man fünfzig Jahre später herzlich froh über
die Anfänge einer Kunstgeschichte, die die Romantiker noch nicht haben konnten.
Und heute nach abermals fünfzig Jahren wieder ein andres Bild, ein neues
Programm. Wenn es nur nicht so ausschließlich sein wollte!

In Wirklichkeit liegt doch die Sache so, daß von aller Kunst der Ver¬
gangenheit nur ein ganz kleiner Teil ohne die Voraussetzungen einer gewissen
historischen Bildung aufgenommen werden kann, nicht einmal die Dürerschen
Holzschnitte, auf die man heute mit Recht immer hinweist, und daß sogar
weitaus das Meiste in der heutigen Kunst dein ganz naiven, bildungslosen
Beschauer verschlossen bleibt. Es ist ja mich ein historischer Irrtum, daß die
Kunst irgend eines Zeitalters sich vorzugsweise um das der höhern Bildung
nnteilhaftige Volk gekümmert hätte. Und anders ist es auch in der Literatur
niemals gewesen. Das Volk kommt erst dann an die Reihe, wenn die Ge¬
bildeten gesättigt sind, und wenn diese, wie heute, das Bedürfnis haben, von
ihrem Reichtum nach unten hin weiter zu geben. Sie sind „des Gottes voll"
und brauchen Resonanz, und die finden sie uur unten, wo es noch leer ist;
oben könnte ihre Fülle vielleicht selbst leer erscheinen. Auch heute steht das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/110>, abgerufen am 22.07.2024.