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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Neue Literatur über Amerika

Nordamerika aufgehalten und gehört zu den besten Kennern der Geographie
dieses Teils der Erde. Das Buch wird immerhin mehr Studien- als Lese¬
buch sein.

Wir mochten hier gleich ein andres geographisches Werk anreihen, das
mehr Tabellen- als Textwerk ist und auch darin ein besondres Ziel verfolgt,
daß es an der Hand der Ergebnisse statistischer Aufnahmen der Vereinigten
Staaten, besonders der von 1900, ein Bild der innern Unterschiede des weiten
Landes geben will. Es behandelt die Bevölkerung nach Geschlecht, Nasse.
Abkunft, Sterblichkeit, die größern Städte bis 1790 zurück, Landwirtschaft,
Bergbau. Handel und Industrie. Einige Kärtchen verdeutlichen die Dar¬
stellung."-)

Ganz anders spricht uns das Werk des leider früh verstorbnen Wilhelm
bon Potenz^) an, ein Buch ohne Inhaltsverzeichnis und Register, fast ohne
Zahlen, aber von einer freien, geistvollen Sprache, die uns sofort gewinnt.
Wilhelm von Potenz ist kein Geograph und kein Statistiker, wohl aber ein
geborner Beobachter der Menschen und ihrer Werke, auch ihrer Umgebungen.
Als Naturschilderer von feinem Blick und großer Macht des Worts zeigt ihn
seine letzte Erznhluug "Wald," die kurz nach dem Buch über Amerika er¬
schienen ist. Die Überraschung, den Romanschriftsteller unter den Schildcrern
Amerikas zu sehen, verschwindcr bald beim Lesen seines Buchs. Er hatte sich
einen tüchtigen Sack von Kenntnissen erworben, ehe er hinüber ging, besonders
die Geschichte, die Literatur und die Kunst der Amerikaner waren ihm wohl¬
vertraut. Die Hauptsache ist aber sein Beobachtungsvermögen.

Er hat seinen Blick für das Leben an engern Verhältnissen geübt und
seine Fähigkeit, ungeblendet vom Engen ins Weite zu schauen, nicht erst in
Amerika erworben. Aber die Herz und Sinn erweiternden Wirkungen des
Weiten Raumes, der großen Verhältnisse hat er drüben unbefangen und
empfänglich auf sich wirken lassen, und so ist sein Buch ganz frei von Neid
und Kleinlichkeit. Er sieht die Fehler, nennt sie ehrlich beim Namen, er sieht
und nennt sie aber auf beiden Seiten gleich offenherzig und vergißt nie das
Licht, dessen Schatten er schildert. Ich rechne ihm besonders eine Auffassungs-
weise hoch an, zu der sich bisher wenige Beobachter aufgeschwungen haben.
Er wendet sich gegen das pharisäische Hinuntersehen auf amerikanische Mi߬
stände ebensogut wie gegen das philiströse Jndiekniesinken vor amerikanischen
Erfolgen, er will sich nicht durch das beständige Hinsehen auf amerikanische
Zustände das gerechte Urteil über die heimischen benebeln lassen. "Amerika
ist ein Teil der zivilisierten Welt, und es liegt im gleichmäßigen Interesse
aller Kulturnationen, daß das Gute überall gefördert werde, daß Recht, Sitte,
Ordnung mehr und mehr die dunkeln Schatten des Egoismus, der Anarchie,
der Sittenlosigkeit aus dem öffentlichen Leben der einzelnen Länder und aus
den internationalen Beziehungen aller Nationen verdrängen." Das ist eine




*) Richard Blum, Die Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika. Ergiinzungs-
hest Ur. 142 der Geographischen Mitteilungen. Herausgegeben von Professor Dr. A. Supan.
Gotha 1903.
Das Land der Zukunft. Berlin, F. Fontane K Co., 1903
Neue Literatur über Amerika

Nordamerika aufgehalten und gehört zu den besten Kennern der Geographie
dieses Teils der Erde. Das Buch wird immerhin mehr Studien- als Lese¬
buch sein.

Wir mochten hier gleich ein andres geographisches Werk anreihen, das
mehr Tabellen- als Textwerk ist und auch darin ein besondres Ziel verfolgt,
daß es an der Hand der Ergebnisse statistischer Aufnahmen der Vereinigten
Staaten, besonders der von 1900, ein Bild der innern Unterschiede des weiten
Landes geben will. Es behandelt die Bevölkerung nach Geschlecht, Nasse.
Abkunft, Sterblichkeit, die größern Städte bis 1790 zurück, Landwirtschaft,
Bergbau. Handel und Industrie. Einige Kärtchen verdeutlichen die Dar¬
stellung."-)

Ganz anders spricht uns das Werk des leider früh verstorbnen Wilhelm
bon Potenz^) an, ein Buch ohne Inhaltsverzeichnis und Register, fast ohne
Zahlen, aber von einer freien, geistvollen Sprache, die uns sofort gewinnt.
Wilhelm von Potenz ist kein Geograph und kein Statistiker, wohl aber ein
geborner Beobachter der Menschen und ihrer Werke, auch ihrer Umgebungen.
Als Naturschilderer von feinem Blick und großer Macht des Worts zeigt ihn
seine letzte Erznhluug „Wald," die kurz nach dem Buch über Amerika er¬
schienen ist. Die Überraschung, den Romanschriftsteller unter den Schildcrern
Amerikas zu sehen, verschwindcr bald beim Lesen seines Buchs. Er hatte sich
einen tüchtigen Sack von Kenntnissen erworben, ehe er hinüber ging, besonders
die Geschichte, die Literatur und die Kunst der Amerikaner waren ihm wohl¬
vertraut. Die Hauptsache ist aber sein Beobachtungsvermögen.

Er hat seinen Blick für das Leben an engern Verhältnissen geübt und
seine Fähigkeit, ungeblendet vom Engen ins Weite zu schauen, nicht erst in
Amerika erworben. Aber die Herz und Sinn erweiternden Wirkungen des
Weiten Raumes, der großen Verhältnisse hat er drüben unbefangen und
empfänglich auf sich wirken lassen, und so ist sein Buch ganz frei von Neid
und Kleinlichkeit. Er sieht die Fehler, nennt sie ehrlich beim Namen, er sieht
und nennt sie aber auf beiden Seiten gleich offenherzig und vergißt nie das
Licht, dessen Schatten er schildert. Ich rechne ihm besonders eine Auffassungs-
weise hoch an, zu der sich bisher wenige Beobachter aufgeschwungen haben.
Er wendet sich gegen das pharisäische Hinuntersehen auf amerikanische Mi߬
stände ebensogut wie gegen das philiströse Jndiekniesinken vor amerikanischen
Erfolgen, er will sich nicht durch das beständige Hinsehen auf amerikanische
Zustände das gerechte Urteil über die heimischen benebeln lassen. „Amerika
ist ein Teil der zivilisierten Welt, und es liegt im gleichmäßigen Interesse
aller Kulturnationen, daß das Gute überall gefördert werde, daß Recht, Sitte,
Ordnung mehr und mehr die dunkeln Schatten des Egoismus, der Anarchie,
der Sittenlosigkeit aus dem öffentlichen Leben der einzelnen Länder und aus
den internationalen Beziehungen aller Nationen verdrängen." Das ist eine




*) Richard Blum, Die Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika. Ergiinzungs-
hest Ur. 142 der Geographischen Mitteilungen. Herausgegeben von Professor Dr. A. Supan.
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Das Land der Zukunft. Berlin, F. Fontane K Co., 1903
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[0851] Neue Literatur über Amerika Nordamerika aufgehalten und gehört zu den besten Kennern der Geographie dieses Teils der Erde. Das Buch wird immerhin mehr Studien- als Lese¬ buch sein. Wir mochten hier gleich ein andres geographisches Werk anreihen, das mehr Tabellen- als Textwerk ist und auch darin ein besondres Ziel verfolgt, daß es an der Hand der Ergebnisse statistischer Aufnahmen der Vereinigten Staaten, besonders der von 1900, ein Bild der innern Unterschiede des weiten Landes geben will. Es behandelt die Bevölkerung nach Geschlecht, Nasse. Abkunft, Sterblichkeit, die größern Städte bis 1790 zurück, Landwirtschaft, Bergbau. Handel und Industrie. Einige Kärtchen verdeutlichen die Dar¬ stellung."-) Ganz anders spricht uns das Werk des leider früh verstorbnen Wilhelm bon Potenz^) an, ein Buch ohne Inhaltsverzeichnis und Register, fast ohne Zahlen, aber von einer freien, geistvollen Sprache, die uns sofort gewinnt. Wilhelm von Potenz ist kein Geograph und kein Statistiker, wohl aber ein geborner Beobachter der Menschen und ihrer Werke, auch ihrer Umgebungen. Als Naturschilderer von feinem Blick und großer Macht des Worts zeigt ihn seine letzte Erznhluug „Wald," die kurz nach dem Buch über Amerika er¬ schienen ist. Die Überraschung, den Romanschriftsteller unter den Schildcrern Amerikas zu sehen, verschwindcr bald beim Lesen seines Buchs. Er hatte sich einen tüchtigen Sack von Kenntnissen erworben, ehe er hinüber ging, besonders die Geschichte, die Literatur und die Kunst der Amerikaner waren ihm wohl¬ vertraut. Die Hauptsache ist aber sein Beobachtungsvermögen. Er hat seinen Blick für das Leben an engern Verhältnissen geübt und seine Fähigkeit, ungeblendet vom Engen ins Weite zu schauen, nicht erst in Amerika erworben. Aber die Herz und Sinn erweiternden Wirkungen des Weiten Raumes, der großen Verhältnisse hat er drüben unbefangen und empfänglich auf sich wirken lassen, und so ist sein Buch ganz frei von Neid und Kleinlichkeit. Er sieht die Fehler, nennt sie ehrlich beim Namen, er sieht und nennt sie aber auf beiden Seiten gleich offenherzig und vergißt nie das Licht, dessen Schatten er schildert. Ich rechne ihm besonders eine Auffassungs- weise hoch an, zu der sich bisher wenige Beobachter aufgeschwungen haben. Er wendet sich gegen das pharisäische Hinuntersehen auf amerikanische Mi߬ stände ebensogut wie gegen das philiströse Jndiekniesinken vor amerikanischen Erfolgen, er will sich nicht durch das beständige Hinsehen auf amerikanische Zustände das gerechte Urteil über die heimischen benebeln lassen. „Amerika ist ein Teil der zivilisierten Welt, und es liegt im gleichmäßigen Interesse aller Kulturnationen, daß das Gute überall gefördert werde, daß Recht, Sitte, Ordnung mehr und mehr die dunkeln Schatten des Egoismus, der Anarchie, der Sittenlosigkeit aus dem öffentlichen Leben der einzelnen Länder und aus den internationalen Beziehungen aller Nationen verdrängen." Das ist eine *) Richard Blum, Die Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika. Ergiinzungs- hest Ur. 142 der Geographischen Mitteilungen. Herausgegeben von Professor Dr. A. Supan. Gotha 1903. Das Land der Zukunft. Berlin, F. Fontane K Co., 1903

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/851>, abgerufen am 24.08.2024.