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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

Nun wurde es dem alten Hvdewitsch und Gottlieb mit einemmal klar, daß mau
Mergner seineu August vor sich hatte, den mau ohne alle Not und gegen allen
Sinn und Verstand für nichts und wieder nichts ganz gottserbärmlich durchgewalkt
hatte. Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich August gleich von vornherein zu
erkennen gegeben hätte, da er aber auch seinerseits die beiden in der Dunkelheit
nicht erkannt und sie irgendwie für Frevler angesehen hatte, so war er bemüht ge¬
wesen, ihnen einen Denkzettel anzuheften, der für die Kräfte und die Entschlossenheit
eines sechzehnjähriger Jungen aller Ehren wert war. Als ihn nun die beiden fragten,
warum er sein Maul nicht eher aufgemacht hätte, und eine Art Bedauern darüber aus-
sprachen, daß sie dem Abgesandten einer befreundeten Macht so übel mitgespielt hätten,
sagte August ganz vergnügt und als wenn die Prügel nu seinem Pelze abgetroffen
wären wie das Wasser von einem Hundefett: Ich war nur froh, daß se zubauen
taten, und daß ich doch wenigstens wissen täte, s waren keene Gespenster nich.

Als mau sich ausgesprochen und einigermaßen beruhigt hatte, gab der alte
Hodewitsch dem Jungen die Weisung, dazubleiben und sich mit in den Hinterhalt zu
legen: er hatte von ihm einige Faustschläge und Fußtritte erhalten, um die er die
Gespenster nicht bringen wollte, und Gottlieb, der seinen Ärger schon halb verwunden
hatte und sich wieder im rechten Fahrwasser fühlte, wiederholte ein paarmal bewundernd:
Nee, so e Junge, so e Junge!

Aber es war gut, daß sie zu dritt waren, und daß sich die beiden Männer vor
dem Jungen schämten, denn als nun wirklich die Gespenster kamen, ganz wie sie
Krügerhaus beschrieben hatte, mit großen Weiberhaubcn auf dem Kopf und deu
Träuenkrüglein im Arme, tief verschleiert, geräusch- und wesenlos über deu Boden
hingleitend, die Knocheufuße durch die laugen Schleppkleider verhüllt, wären Gott¬
lieb sowohl als der alte Hodewitsch am liebsten ausgerissen und hätten sich auf dein
nächsten Wege über die Kirchhofsmauer aus dem Staube gemacht. Aber der Junge,
der wie das Pferd und die Hunde des heiligen Ritters Georg einem Drachen, dem
Fräulein Mergner, standzuhalten gewohut war, fiel, statt von den wirklich un¬
heimlichen Erscheinungen überwältigt zu sein, mit solcher Leidenschaft über die beiden
Gespenster her, daß auch diese sich ihrer Haut wehren mußten, wobei denn jedem,
auch dem unerfahrensten Ohre klar werden mußte, daß dem Jungen seine Faust¬
schläge sich nicht in der Luft verflüchtigten, sondern auf wirkliche" Meuschenleibern
saßen. Natürlich kam es nun zu eiuer regelrechten Schlacht, bei der es den beiden
Gespenstern, die zwei gegen drei waren und sich in ihren schleppenden Gewändern
nicht frei bewegen konnten, herzlich schlecht ging, aber das war alles nur Kinderspiel
im Vergleich zu der Paukerei, die zwischen Gottlieb und den beiden Gespenstern los¬
ging, als er gemerkt hatte, wer ihm gegenüberstand: "das Schandmensch, die Mine"
und "der elende Hund," der sie ihm um zweiten Weihunchtsfeiertag abwendig gemacht
hatte. Erst als Wilhclmiucheu vor Schmerz laut zu heulen anfing und sich aufs Bitten
legte, ließ Gottliebs Wild allmählich nach: er war im Grunde kein böser Kerl, kein
Wüterich, und nun, wo er seinem Grimme nach Herzenlust Luft gemacht hatte, war
er nicht bloß zu verzeihen geneigt, sondern war sogar erbötig, die Schuldige, nach¬
dem sie ihre Gespenstertracht abgelegt haben würde, mit sich zu Tanze z" nehmen,
unter der ausdrückliche" Bedingung selbstverständlich, daß sie Krüger "und seinen
Werken" -- diese Wendung war ihm vom Katechismus her geläufig -- ein für alle¬
mal und allen Ernstes entsage. Krügerhans, der zwar seine Dresche weg hatte
und um das erhoffte Tanzvergnügen mit Wilhelmiucheu gekommen war, war doch,
was der alte Hodewitsch freilich nicht ahnen konnte, nicht ganz ohne Erfolg gewesen.
Denn während er den alten Hodewitsch außer dem Hause festhielt, konnte er hoffen,
daß Max seine Worte bei Heimchen angebracht und nach Herzenslust Süßholz für
sie geraspelt habe. Er, Hans, mußte freilich dem alten Hodewitsch als dessen Gefangner
zum alten Mergner folgen und sich von ihm einiges sagen lassen, was er lieber
nicht gehört hätte, aber der alte Mergner war zu froh, daß es nicht seine beiden
Gattinnen gewesen waren, die ihn nach dem Jenseits hatten einladen wollen, als
daß er wirklich lange hätte zürnen können. Dn Fräulein Mergner, die keinen
Spaß verstand und kein Tröpfchen Branntwein in seinem Glase sehen konnte, ohne
stundenlang darüber zu schimpfen, glücklicherweise schon zur Nuhe gegangen war,
als Hodewitsch mit seinem Gefangnen eintraf, so wurde ihre Kammertür vou außen
abgeschlossen und ein gewaltiger Versöhnuugsgrvg gebraut, dem die beiden alten
Herren so kräftig zusprachen/daß August deu' "Meester" zu Bett und Krügerhans
den alten Hodewitsch znhnuse bringen mußte.


Die zwölf Nächte

Nun wurde es dem alten Hvdewitsch und Gottlieb mit einemmal klar, daß mau
Mergner seineu August vor sich hatte, den mau ohne alle Not und gegen allen
Sinn und Verstand für nichts und wieder nichts ganz gottserbärmlich durchgewalkt
hatte. Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich August gleich von vornherein zu
erkennen gegeben hätte, da er aber auch seinerseits die beiden in der Dunkelheit
nicht erkannt und sie irgendwie für Frevler angesehen hatte, so war er bemüht ge¬
wesen, ihnen einen Denkzettel anzuheften, der für die Kräfte und die Entschlossenheit
eines sechzehnjähriger Jungen aller Ehren wert war. Als ihn nun die beiden fragten,
warum er sein Maul nicht eher aufgemacht hätte, und eine Art Bedauern darüber aus-
sprachen, daß sie dem Abgesandten einer befreundeten Macht so übel mitgespielt hätten,
sagte August ganz vergnügt und als wenn die Prügel nu seinem Pelze abgetroffen
wären wie das Wasser von einem Hundefett: Ich war nur froh, daß se zubauen
taten, und daß ich doch wenigstens wissen täte, s waren keene Gespenster nich.

Als mau sich ausgesprochen und einigermaßen beruhigt hatte, gab der alte
Hodewitsch dem Jungen die Weisung, dazubleiben und sich mit in den Hinterhalt zu
legen: er hatte von ihm einige Faustschläge und Fußtritte erhalten, um die er die
Gespenster nicht bringen wollte, und Gottlieb, der seinen Ärger schon halb verwunden
hatte und sich wieder im rechten Fahrwasser fühlte, wiederholte ein paarmal bewundernd:
Nee, so e Junge, so e Junge!

Aber es war gut, daß sie zu dritt waren, und daß sich die beiden Männer vor
dem Jungen schämten, denn als nun wirklich die Gespenster kamen, ganz wie sie
Krügerhaus beschrieben hatte, mit großen Weiberhaubcn auf dem Kopf und deu
Träuenkrüglein im Arme, tief verschleiert, geräusch- und wesenlos über deu Boden
hingleitend, die Knocheufuße durch die laugen Schleppkleider verhüllt, wären Gott¬
lieb sowohl als der alte Hodewitsch am liebsten ausgerissen und hätten sich auf dein
nächsten Wege über die Kirchhofsmauer aus dem Staube gemacht. Aber der Junge,
der wie das Pferd und die Hunde des heiligen Ritters Georg einem Drachen, dem
Fräulein Mergner, standzuhalten gewohut war, fiel, statt von den wirklich un¬
heimlichen Erscheinungen überwältigt zu sein, mit solcher Leidenschaft über die beiden
Gespenster her, daß auch diese sich ihrer Haut wehren mußten, wobei denn jedem,
auch dem unerfahrensten Ohre klar werden mußte, daß dem Jungen seine Faust¬
schläge sich nicht in der Luft verflüchtigten, sondern auf wirkliche» Meuschenleibern
saßen. Natürlich kam es nun zu eiuer regelrechten Schlacht, bei der es den beiden
Gespenstern, die zwei gegen drei waren und sich in ihren schleppenden Gewändern
nicht frei bewegen konnten, herzlich schlecht ging, aber das war alles nur Kinderspiel
im Vergleich zu der Paukerei, die zwischen Gottlieb und den beiden Gespenstern los¬
ging, als er gemerkt hatte, wer ihm gegenüberstand: „das Schandmensch, die Mine"
und „der elende Hund," der sie ihm um zweiten Weihunchtsfeiertag abwendig gemacht
hatte. Erst als Wilhclmiucheu vor Schmerz laut zu heulen anfing und sich aufs Bitten
legte, ließ Gottliebs Wild allmählich nach: er war im Grunde kein böser Kerl, kein
Wüterich, und nun, wo er seinem Grimme nach Herzenlust Luft gemacht hatte, war
er nicht bloß zu verzeihen geneigt, sondern war sogar erbötig, die Schuldige, nach¬
dem sie ihre Gespenstertracht abgelegt haben würde, mit sich zu Tanze z» nehmen,
unter der ausdrückliche» Bedingung selbstverständlich, daß sie Krüger „und seinen
Werken" — diese Wendung war ihm vom Katechismus her geläufig — ein für alle¬
mal und allen Ernstes entsage. Krügerhans, der zwar seine Dresche weg hatte
und um das erhoffte Tanzvergnügen mit Wilhelmiucheu gekommen war, war doch,
was der alte Hodewitsch freilich nicht ahnen konnte, nicht ganz ohne Erfolg gewesen.
Denn während er den alten Hodewitsch außer dem Hause festhielt, konnte er hoffen,
daß Max seine Worte bei Heimchen angebracht und nach Herzenslust Süßholz für
sie geraspelt habe. Er, Hans, mußte freilich dem alten Hodewitsch als dessen Gefangner
zum alten Mergner folgen und sich von ihm einiges sagen lassen, was er lieber
nicht gehört hätte, aber der alte Mergner war zu froh, daß es nicht seine beiden
Gattinnen gewesen waren, die ihn nach dem Jenseits hatten einladen wollen, als
daß er wirklich lange hätte zürnen können. Dn Fräulein Mergner, die keinen
Spaß verstand und kein Tröpfchen Branntwein in seinem Glase sehen konnte, ohne
stundenlang darüber zu schimpfen, glücklicherweise schon zur Nuhe gegangen war,
als Hodewitsch mit seinem Gefangnen eintraf, so wurde ihre Kammertür vou außen
abgeschlossen und ein gewaltiger Versöhnuugsgrvg gebraut, dem die beiden alten
Herren so kräftig zusprachen/daß August deu' „Meester" zu Bett und Krügerhans
den alten Hodewitsch znhnuse bringen mußte.


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[0820] Die zwölf Nächte Nun wurde es dem alten Hvdewitsch und Gottlieb mit einemmal klar, daß mau Mergner seineu August vor sich hatte, den mau ohne alle Not und gegen allen Sinn und Verstand für nichts und wieder nichts ganz gottserbärmlich durchgewalkt hatte. Freilich wäre es besser gewesen, wenn sich August gleich von vornherein zu erkennen gegeben hätte, da er aber auch seinerseits die beiden in der Dunkelheit nicht erkannt und sie irgendwie für Frevler angesehen hatte, so war er bemüht ge¬ wesen, ihnen einen Denkzettel anzuheften, der für die Kräfte und die Entschlossenheit eines sechzehnjähriger Jungen aller Ehren wert war. Als ihn nun die beiden fragten, warum er sein Maul nicht eher aufgemacht hätte, und eine Art Bedauern darüber aus- sprachen, daß sie dem Abgesandten einer befreundeten Macht so übel mitgespielt hätten, sagte August ganz vergnügt und als wenn die Prügel nu seinem Pelze abgetroffen wären wie das Wasser von einem Hundefett: Ich war nur froh, daß se zubauen taten, und daß ich doch wenigstens wissen täte, s waren keene Gespenster nich. Als mau sich ausgesprochen und einigermaßen beruhigt hatte, gab der alte Hodewitsch dem Jungen die Weisung, dazubleiben und sich mit in den Hinterhalt zu legen: er hatte von ihm einige Faustschläge und Fußtritte erhalten, um die er die Gespenster nicht bringen wollte, und Gottlieb, der seinen Ärger schon halb verwunden hatte und sich wieder im rechten Fahrwasser fühlte, wiederholte ein paarmal bewundernd: Nee, so e Junge, so e Junge! Aber es war gut, daß sie zu dritt waren, und daß sich die beiden Männer vor dem Jungen schämten, denn als nun wirklich die Gespenster kamen, ganz wie sie Krügerhaus beschrieben hatte, mit großen Weiberhaubcn auf dem Kopf und deu Träuenkrüglein im Arme, tief verschleiert, geräusch- und wesenlos über deu Boden hingleitend, die Knocheufuße durch die laugen Schleppkleider verhüllt, wären Gott¬ lieb sowohl als der alte Hodewitsch am liebsten ausgerissen und hätten sich auf dein nächsten Wege über die Kirchhofsmauer aus dem Staube gemacht. Aber der Junge, der wie das Pferd und die Hunde des heiligen Ritters Georg einem Drachen, dem Fräulein Mergner, standzuhalten gewohut war, fiel, statt von den wirklich un¬ heimlichen Erscheinungen überwältigt zu sein, mit solcher Leidenschaft über die beiden Gespenster her, daß auch diese sich ihrer Haut wehren mußten, wobei denn jedem, auch dem unerfahrensten Ohre klar werden mußte, daß dem Jungen seine Faust¬ schläge sich nicht in der Luft verflüchtigten, sondern auf wirkliche» Meuschenleibern saßen. Natürlich kam es nun zu eiuer regelrechten Schlacht, bei der es den beiden Gespenstern, die zwei gegen drei waren und sich in ihren schleppenden Gewändern nicht frei bewegen konnten, herzlich schlecht ging, aber das war alles nur Kinderspiel im Vergleich zu der Paukerei, die zwischen Gottlieb und den beiden Gespenstern los¬ ging, als er gemerkt hatte, wer ihm gegenüberstand: „das Schandmensch, die Mine" und „der elende Hund," der sie ihm um zweiten Weihunchtsfeiertag abwendig gemacht hatte. Erst als Wilhclmiucheu vor Schmerz laut zu heulen anfing und sich aufs Bitten legte, ließ Gottliebs Wild allmählich nach: er war im Grunde kein böser Kerl, kein Wüterich, und nun, wo er seinem Grimme nach Herzenlust Luft gemacht hatte, war er nicht bloß zu verzeihen geneigt, sondern war sogar erbötig, die Schuldige, nach¬ dem sie ihre Gespenstertracht abgelegt haben würde, mit sich zu Tanze z» nehmen, unter der ausdrückliche» Bedingung selbstverständlich, daß sie Krüger „und seinen Werken" — diese Wendung war ihm vom Katechismus her geläufig — ein für alle¬ mal und allen Ernstes entsage. Krügerhans, der zwar seine Dresche weg hatte und um das erhoffte Tanzvergnügen mit Wilhelmiucheu gekommen war, war doch, was der alte Hodewitsch freilich nicht ahnen konnte, nicht ganz ohne Erfolg gewesen. Denn während er den alten Hodewitsch außer dem Hause festhielt, konnte er hoffen, daß Max seine Worte bei Heimchen angebracht und nach Herzenslust Süßholz für sie geraspelt habe. Er, Hans, mußte freilich dem alten Hodewitsch als dessen Gefangner zum alten Mergner folgen und sich von ihm einiges sagen lassen, was er lieber nicht gehört hätte, aber der alte Mergner war zu froh, daß es nicht seine beiden Gattinnen gewesen waren, die ihn nach dem Jenseits hatten einladen wollen, als daß er wirklich lange hätte zürnen können. Dn Fräulein Mergner, die keinen Spaß verstand und kein Tröpfchen Branntwein in seinem Glase sehen konnte, ohne stundenlang darüber zu schimpfen, glücklicherweise schon zur Nuhe gegangen war, als Hodewitsch mit seinem Gefangnen eintraf, so wurde ihre Kammertür vou außen abgeschlossen und ein gewaltiger Versöhnuugsgrvg gebraut, dem die beiden alten Herren so kräftig zusprachen/daß August deu' „Meester" zu Bett und Krügerhans den alten Hodewitsch znhnuse bringen mußte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/820>, abgerufen am 01.07.2024.