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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

noch vorbeirasen konnte? Doch, aber Minna Kegel hatte Recht gehabt, als sie gesagt
hatte, vielleicht könne sich einer finden, der Helcnchen nicht bloß besser gefiele als
Löseremil, wozu nicht viel gehörte, sondern auch besser als Röberkarl, was ihr, als
Minna diese Äußerung getan hatte, sehr unwahrscheinlich vorgekommen und doch
eingetroffen war. Damit soll, was Heimchen anlangt, nicht darauf angespielt werden,
daß das Frauenherz unbeständig wie die hin- und herspringender Frühjahrslüftcheu
wäre, avons come> it vonto: die Sache hing vielmehr so zusammen: Röberkarl
war trotz seines berückenden Lächelns, seiner feurigen Augen und seiner ansehn-
lichen Gestalt für Heimchen nicht der Rechte gewesen, und der Rechte war am Tage
nach der Quirlequitscher Hauerei gekommen, von Röberkarl selbst unvorsichtigerweise
gesandt, und der ganze in Helenchens Herzen aufgehäufte Zündstoff, den Röberkarls
Gegenwart immer nur zu sanftem "Schwelm" gebracht hatte, war mit einemmnl
lichterloh in Brand geraten. Karl war mit seinem Elefanten, wie der Großpapa
Undertater -- so erzählt uns ja Dickens -- seine schiebende Enkelin zu nennen pflegte,
sehr zufrieden gewesen. Max Hodewitsch, der dicke Hodewitsch, wie sie ihn alle
nannten, hatte den Stuhlschlitten, auf dem der Verwundete saß, so sorgsam und
stetig geschoben, daß Röberkarl, wenn ihm der Wind nicht etwas kühl um die Nase
gepfiffen hätte, wirtlich hätte glauben können, er läge in seinem Bett, und da der
dicke Max sich nicht auf das Nnchhausebringeu beschränkt, sondern mit kameradschaft¬
licher Aufopferung auch die ganze Nacht deu Krnukeupfleger gemacht hatte, so hatte
ihn Röberkarl gebeten -- er konnte wegen seiner Lippenwunde die Worte nur mit
vieler Mühe herausbringen -früh zu Hodewitscheus, die, wie gesagt, glücklicher¬
weise mit Max in keiner, einer Verehelichung des braven Poutouicrs mit Heleucheu
irgend im Wege stehender Nähe verwandt waren, zu gehn und ihnen zu sagen, daß
es "so gut wie nichts" sei, und daß der Arzt gesagt habe, in sechs bis acht Wochen
werde nur noch eine schmale Narbe zu sehen sein, und auch diese werde vou dem
Schnurrbart fast ganz verdeckt werden.

Max war deun auch zu Hodewitscheus gegangen und hatte, da er "ganz zu¬
fälligerweise" uicht deu Alten, sondern der Jungen in den Weg gelaufen war, seine"
für die ganze Familie bestimmten Auftrag an Heimchen bestellt, und es war ihm
im Laufe des Gesprächs gegangen wie der treuen Minna, er hatte unwillkürlich das
Interesse seines Kommittenten aus den Augen verloren und sich überaus warm mit
der Tatsache beschäftigt, daß Heimchen zwar kaum das militärische Maß hatte, aber
eine entzückende kleine feiste Wachtel war, wie er uoch keine mit so reizenden rosen¬
roten Lippen und schalkhaft blickenden "wirklich gar zu netten" Augen gesehen hatte.
Wie die Leserin, die sich auf die Liebe versteht und es weiß, daß ein Mädchen nichts
dafür kann, wenn ihm der Schatz seiner Freundin so gefällt, als wäre es der eigne,
die treue Minna des Verrath nu der Freundin nur unter ausdrücklicher Zubilligung
mildernder Umstände geziehen haben wird, so wird auch der Leser unsern Poutvnier
entschuldigen, der nicht Zeit gehabt hatte, unter seinem grünen Rock ein Panzerhemd
anzulegen, und der nun, ohne daß er gewußt hatte, wie ihm geschah, weit ernstlicher
verwundet worden war, als sein leichtsinniger, nicht bloß mit Heimchen, sondern auch
mit der Ziege, den Federbetten und den uußbaumfarbig Gebeizten liebäugelnder
Auftraggeber.

Wenn Heleuchcn für Röberkarls Schicksal mehr Herzensanteil gezeigt hätte, als
mau möchte sagen, kameradschaftliche Teilnahme, so wären die Ziege, die Federbetten
und die uußbaumfarbig Gebeizte" vielleicht noch zu retten gewesen. Aber so, wo
Heimchen die Botschaft zur Neben- und deu Boten zur Hauptsache zu machen, leinen
Anstand genommen hatte, hatte der dicke Pontonier, nachdem er seine Ausrichtung
gemacht hatte, die übernoinmnc Prokura ganz vergessen und in die niedliche kleine
Festung glühende Brandpfeile in Gestalt von verliebten Blicken anf eigne Rechnung
zu werfen begonnen. Als er weggegangen war, um Karl auszurichten, daß Heimchen
und deren Eltern an der erlittnen ehrenvollen Niederlage den größten Anteil nähmen,
und daß der alte Hodewitsch -- das hatte das gute Kind auf seiue eignen Hörner
genommen -- ihn besuchen würde, war Maxens Verrat an deu Plänen des Freundes
kein unvollendeter. Versuch mehr, sondern ein wirklich verübtes Delikt gewesen.
Helcnchen schwebte ihm mit allen ihren Reizen und ohne jede Umrahmung mit
Ziegen, Federbetten und uußbanmfarbig Gebeizten als die Seine vor. Er hatte ein
kleines Kapital zurückgelegt, mit dessen Hilfe er. sobald er im nächsten Herbst den
Dienst hinter sich haben würde, rot- und wcißkaricrte Inletts -- die Geschmäcke


Die zwölf Nächte

noch vorbeirasen konnte? Doch, aber Minna Kegel hatte Recht gehabt, als sie gesagt
hatte, vielleicht könne sich einer finden, der Helcnchen nicht bloß besser gefiele als
Löseremil, wozu nicht viel gehörte, sondern auch besser als Röberkarl, was ihr, als
Minna diese Äußerung getan hatte, sehr unwahrscheinlich vorgekommen und doch
eingetroffen war. Damit soll, was Heimchen anlangt, nicht darauf angespielt werden,
daß das Frauenherz unbeständig wie die hin- und herspringender Frühjahrslüftcheu
wäre, avons come> it vonto: die Sache hing vielmehr so zusammen: Röberkarl
war trotz seines berückenden Lächelns, seiner feurigen Augen und seiner ansehn-
lichen Gestalt für Heimchen nicht der Rechte gewesen, und der Rechte war am Tage
nach der Quirlequitscher Hauerei gekommen, von Röberkarl selbst unvorsichtigerweise
gesandt, und der ganze in Helenchens Herzen aufgehäufte Zündstoff, den Röberkarls
Gegenwart immer nur zu sanftem „Schwelm" gebracht hatte, war mit einemmnl
lichterloh in Brand geraten. Karl war mit seinem Elefanten, wie der Großpapa
Undertater — so erzählt uns ja Dickens — seine schiebende Enkelin zu nennen pflegte,
sehr zufrieden gewesen. Max Hodewitsch, der dicke Hodewitsch, wie sie ihn alle
nannten, hatte den Stuhlschlitten, auf dem der Verwundete saß, so sorgsam und
stetig geschoben, daß Röberkarl, wenn ihm der Wind nicht etwas kühl um die Nase
gepfiffen hätte, wirtlich hätte glauben können, er läge in seinem Bett, und da der
dicke Max sich nicht auf das Nnchhausebringeu beschränkt, sondern mit kameradschaft¬
licher Aufopferung auch die ganze Nacht deu Krnukeupfleger gemacht hatte, so hatte
ihn Röberkarl gebeten — er konnte wegen seiner Lippenwunde die Worte nur mit
vieler Mühe herausbringen -früh zu Hodewitscheus, die, wie gesagt, glücklicher¬
weise mit Max in keiner, einer Verehelichung des braven Poutouicrs mit Heleucheu
irgend im Wege stehender Nähe verwandt waren, zu gehn und ihnen zu sagen, daß
es „so gut wie nichts" sei, und daß der Arzt gesagt habe, in sechs bis acht Wochen
werde nur noch eine schmale Narbe zu sehen sein, und auch diese werde vou dem
Schnurrbart fast ganz verdeckt werden.

Max war deun auch zu Hodewitscheus gegangen und hatte, da er „ganz zu¬
fälligerweise" uicht deu Alten, sondern der Jungen in den Weg gelaufen war, seine»
für die ganze Familie bestimmten Auftrag an Heimchen bestellt, und es war ihm
im Laufe des Gesprächs gegangen wie der treuen Minna, er hatte unwillkürlich das
Interesse seines Kommittenten aus den Augen verloren und sich überaus warm mit
der Tatsache beschäftigt, daß Heimchen zwar kaum das militärische Maß hatte, aber
eine entzückende kleine feiste Wachtel war, wie er uoch keine mit so reizenden rosen¬
roten Lippen und schalkhaft blickenden „wirklich gar zu netten" Augen gesehen hatte.
Wie die Leserin, die sich auf die Liebe versteht und es weiß, daß ein Mädchen nichts
dafür kann, wenn ihm der Schatz seiner Freundin so gefällt, als wäre es der eigne,
die treue Minna des Verrath nu der Freundin nur unter ausdrücklicher Zubilligung
mildernder Umstände geziehen haben wird, so wird auch der Leser unsern Poutvnier
entschuldigen, der nicht Zeit gehabt hatte, unter seinem grünen Rock ein Panzerhemd
anzulegen, und der nun, ohne daß er gewußt hatte, wie ihm geschah, weit ernstlicher
verwundet worden war, als sein leichtsinniger, nicht bloß mit Heimchen, sondern auch
mit der Ziege, den Federbetten und den uußbaumfarbig Gebeizten liebäugelnder
Auftraggeber.

Wenn Heleuchcn für Röberkarls Schicksal mehr Herzensanteil gezeigt hätte, als
mau möchte sagen, kameradschaftliche Teilnahme, so wären die Ziege, die Federbetten
und die uußbaumfarbig Gebeizte» vielleicht noch zu retten gewesen. Aber so, wo
Heimchen die Botschaft zur Neben- und deu Boten zur Hauptsache zu machen, leinen
Anstand genommen hatte, hatte der dicke Pontonier, nachdem er seine Ausrichtung
gemacht hatte, die übernoinmnc Prokura ganz vergessen und in die niedliche kleine
Festung glühende Brandpfeile in Gestalt von verliebten Blicken anf eigne Rechnung
zu werfen begonnen. Als er weggegangen war, um Karl auszurichten, daß Heimchen
und deren Eltern an der erlittnen ehrenvollen Niederlage den größten Anteil nähmen,
und daß der alte Hodewitsch — das hatte das gute Kind auf seiue eignen Hörner
genommen — ihn besuchen würde, war Maxens Verrat an deu Plänen des Freundes
kein unvollendeter. Versuch mehr, sondern ein wirklich verübtes Delikt gewesen.
Helcnchen schwebte ihm mit allen ihren Reizen und ohne jede Umrahmung mit
Ziegen, Federbetten und uußbanmfarbig Gebeizten als die Seine vor. Er hatte ein
kleines Kapital zurückgelegt, mit dessen Hilfe er. sobald er im nächsten Herbst den
Dienst hinter sich haben würde, rot- und wcißkaricrte Inletts — die Geschmäcke


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[0816] Die zwölf Nächte noch vorbeirasen konnte? Doch, aber Minna Kegel hatte Recht gehabt, als sie gesagt hatte, vielleicht könne sich einer finden, der Helcnchen nicht bloß besser gefiele als Löseremil, wozu nicht viel gehörte, sondern auch besser als Röberkarl, was ihr, als Minna diese Äußerung getan hatte, sehr unwahrscheinlich vorgekommen und doch eingetroffen war. Damit soll, was Heimchen anlangt, nicht darauf angespielt werden, daß das Frauenherz unbeständig wie die hin- und herspringender Frühjahrslüftcheu wäre, avons come> it vonto: die Sache hing vielmehr so zusammen: Röberkarl war trotz seines berückenden Lächelns, seiner feurigen Augen und seiner ansehn- lichen Gestalt für Heimchen nicht der Rechte gewesen, und der Rechte war am Tage nach der Quirlequitscher Hauerei gekommen, von Röberkarl selbst unvorsichtigerweise gesandt, und der ganze in Helenchens Herzen aufgehäufte Zündstoff, den Röberkarls Gegenwart immer nur zu sanftem „Schwelm" gebracht hatte, war mit einemmnl lichterloh in Brand geraten. Karl war mit seinem Elefanten, wie der Großpapa Undertater — so erzählt uns ja Dickens — seine schiebende Enkelin zu nennen pflegte, sehr zufrieden gewesen. Max Hodewitsch, der dicke Hodewitsch, wie sie ihn alle nannten, hatte den Stuhlschlitten, auf dem der Verwundete saß, so sorgsam und stetig geschoben, daß Röberkarl, wenn ihm der Wind nicht etwas kühl um die Nase gepfiffen hätte, wirtlich hätte glauben können, er läge in seinem Bett, und da der dicke Max sich nicht auf das Nnchhausebringeu beschränkt, sondern mit kameradschaft¬ licher Aufopferung auch die ganze Nacht deu Krnukeupfleger gemacht hatte, so hatte ihn Röberkarl gebeten — er konnte wegen seiner Lippenwunde die Worte nur mit vieler Mühe herausbringen -früh zu Hodewitscheus, die, wie gesagt, glücklicher¬ weise mit Max in keiner, einer Verehelichung des braven Poutouicrs mit Heleucheu irgend im Wege stehender Nähe verwandt waren, zu gehn und ihnen zu sagen, daß es „so gut wie nichts" sei, und daß der Arzt gesagt habe, in sechs bis acht Wochen werde nur noch eine schmale Narbe zu sehen sein, und auch diese werde vou dem Schnurrbart fast ganz verdeckt werden. Max war deun auch zu Hodewitscheus gegangen und hatte, da er „ganz zu¬ fälligerweise" uicht deu Alten, sondern der Jungen in den Weg gelaufen war, seine» für die ganze Familie bestimmten Auftrag an Heimchen bestellt, und es war ihm im Laufe des Gesprächs gegangen wie der treuen Minna, er hatte unwillkürlich das Interesse seines Kommittenten aus den Augen verloren und sich überaus warm mit der Tatsache beschäftigt, daß Heimchen zwar kaum das militärische Maß hatte, aber eine entzückende kleine feiste Wachtel war, wie er uoch keine mit so reizenden rosen¬ roten Lippen und schalkhaft blickenden „wirklich gar zu netten" Augen gesehen hatte. Wie die Leserin, die sich auf die Liebe versteht und es weiß, daß ein Mädchen nichts dafür kann, wenn ihm der Schatz seiner Freundin so gefällt, als wäre es der eigne, die treue Minna des Verrath nu der Freundin nur unter ausdrücklicher Zubilligung mildernder Umstände geziehen haben wird, so wird auch der Leser unsern Poutvnier entschuldigen, der nicht Zeit gehabt hatte, unter seinem grünen Rock ein Panzerhemd anzulegen, und der nun, ohne daß er gewußt hatte, wie ihm geschah, weit ernstlicher verwundet worden war, als sein leichtsinniger, nicht bloß mit Heimchen, sondern auch mit der Ziege, den Federbetten und den uußbaumfarbig Gebeizten liebäugelnder Auftraggeber. Wenn Heleuchcn für Röberkarls Schicksal mehr Herzensanteil gezeigt hätte, als mau möchte sagen, kameradschaftliche Teilnahme, so wären die Ziege, die Federbetten und die uußbaumfarbig Gebeizte» vielleicht noch zu retten gewesen. Aber so, wo Heimchen die Botschaft zur Neben- und deu Boten zur Hauptsache zu machen, leinen Anstand genommen hatte, hatte der dicke Pontonier, nachdem er seine Ausrichtung gemacht hatte, die übernoinmnc Prokura ganz vergessen und in die niedliche kleine Festung glühende Brandpfeile in Gestalt von verliebten Blicken anf eigne Rechnung zu werfen begonnen. Als er weggegangen war, um Karl auszurichten, daß Heimchen und deren Eltern an der erlittnen ehrenvollen Niederlage den größten Anteil nähmen, und daß der alte Hodewitsch — das hatte das gute Kind auf seiue eignen Hörner genommen — ihn besuchen würde, war Maxens Verrat an deu Plänen des Freundes kein unvollendeter. Versuch mehr, sondern ein wirklich verübtes Delikt gewesen. Helcnchen schwebte ihm mit allen ihren Reizen und ohne jede Umrahmung mit Ziegen, Federbetten und uußbanmfarbig Gebeizten als die Seine vor. Er hatte ein kleines Kapital zurückgelegt, mit dessen Hilfe er. sobald er im nächsten Herbst den Dienst hinter sich haben würde, rot- und wcißkaricrte Inletts — die Geschmäcke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/816>, abgerufen am 03.07.2024.