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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

lieren. Nun verstand ich, daß sie ihn alle liebten; ich liebte ihn gleichfalls und
beklagte es, daß mir früher kein solcher Mann auf meinem Lebenswege begegnet
war. Auch der Pfarrer kam häufig zu dem Weidhofe herauf, gleichfalls eine vor¬
nehme und bedeutende Erscheinung, und die beiden Herren ergingen sich nun zu¬
weilen in religiösen Erörterungen. Obwohl sie verschiednen Kirchen angehörten,
und jeder von ihnen zu der seinigen stand, verstanden sie sich doch und verkehrten
ans eine vertraute Weise miteinander. Sie hatten wohl beide die Treppe gefunden,
die von jeder der beiden Kirchen nach dem ihnen genieinsamen Turm hinaufführt;
dort in der Höhe trafen sie zusammen und schauten einträchtig in die Gottes¬
welt hinaus.

An einem solchen Abend erzählte der Pfarrer auch vou dem Kräuterlenerl,
sie bereite ihm mit ihrem verworrenen und lichtscheuen Wesen jetzt manchen Verdruß.
Er habe jedoch einmal viel von ihr gehalten und Gutes von ihr erwartet. Vor
Jahren, als eine schlimme Seuche in der Gegend gewütet habe, da sei sie unter
den Kranken wie ein Engel der Barmherzigkeit herumgegangen und habe sie treu
und hingebend verpflegt. Wenn die Leute auch sagten, sie hätte diesen barmherzige"
Eifer nur aus Ehrgeiz entfaltet, nämlich um es in der Ewigkeit einmal zu großer
Herrlichkeit zu bringen und also, was eine Lieblingsllorstelluug von ihr sei, mit
einem Krönlein auf dem Haupte und einer Harfe im Arm am gläsernen Meer zu
sitzen und zu singen, so könne er ihr dennoch ihre damals bewiesne Tapferkeit und
Bravheit nicht vergessen und sehe ihr also in manchem durch die Finger. Doch
stimme er allerdings den Leuten zu, wenn sie sagten, was das Lenert koche und
was es rede, das müsse man beides immer erst, ehe man davon koste, vorsichtig
untersuchen.

Dies sagte er mit einem ans mich gerichteten Lächeln, woraus ich schloß, daß
das Lenert trotz der Warnung, die ich ihm hatte zukommen lassen, den Versuch
gemacht hatte, deu Pfarrer gegen mich in den Harnisch zu bringen, und daß ihr
dieser Versuch mißglückt war. Beim Weggehn gab der Pfarrer auch mir die
Hand und sagte: Es hat mich gefreut, von Ihnen Gutes zu hören. Witwen und
Waisen zum Troste Handel" und sich vor der Welt unbefleckt erhalten, das ist
gewiß ein Werk, an dem Gott im Himmel und die Menschen auf Erden ihr Wohl¬
gefallen haben.

Er sah mich dabei ernst und mit einem forschenden Blick an, als wolle er
seine Augen in den innersten Grund meiner Seele tauchen und die Wasser, die da
verborgen rannen, auf ihre Lauterkeit prüfen, und er sprach die Worte, vor allem
die, die sich auf das Reinhalten von Befleckung bezogen, in einer so eigentümlich
nachdrücklichen Weise, daß ich plötzlich erkannte, auch über das, was in der ein-
samen Tvteunacht zwischen mir und der Meisterin vorgefallen war, sei er unter¬
richtet. Da sich dieser Vorgang mir zwischen drei Personen, von denen die dritte
ein schlafendes Kind gewesen war, abgespielt hatte, so mußte also die Meisterin
gebeichtet und mich, weil sie ja nicht wissen konnte, wie armselig es in Wirk¬
lichkeit um meine Festigkeit bestellt gewesen war, in einem heroischen Lichte gezeigt
haben. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und beschämt über das so wenig ver¬
diente Lob, das mir im Kreise der besten Menschen und vor der, die mir am
höchsten stand, zu teil geworden war, wandte ich mich zur Seite. Da aber fiel
mein Blick auf Maria, deren Gestalt an dem Stamme des Baumes, worunter wir
standen, lehnte, und nun strahlte mir plötzlich eine so helle Freude entgegen, und
in den dunkeln Augensternen, die mich mit einem stillen Lächeln ansahen, schimmerte
so warme Teilnahme und ein so zärtliches Licht, daß ich mich vollends verloren
fühlte, und es fehlte nicht viel, so hätte ich mich wunderlich benommen.

Es war kein Zweifel mehr, daß ich Maria liebte, und daß mir in dieser Liebe
eine neue und schmerzliche Prüfung auferlegt worden war.¬

Konnte ich denn nochmals lieben? Hatte ich denn das arme Marthchen ver
gessen, und liebte ich sie denn nicht mehr? Ich liebte sie immer noch. Wenn ich


Zwei Seelen

lieren. Nun verstand ich, daß sie ihn alle liebten; ich liebte ihn gleichfalls und
beklagte es, daß mir früher kein solcher Mann auf meinem Lebenswege begegnet
war. Auch der Pfarrer kam häufig zu dem Weidhofe herauf, gleichfalls eine vor¬
nehme und bedeutende Erscheinung, und die beiden Herren ergingen sich nun zu¬
weilen in religiösen Erörterungen. Obwohl sie verschiednen Kirchen angehörten,
und jeder von ihnen zu der seinigen stand, verstanden sie sich doch und verkehrten
ans eine vertraute Weise miteinander. Sie hatten wohl beide die Treppe gefunden,
die von jeder der beiden Kirchen nach dem ihnen genieinsamen Turm hinaufführt;
dort in der Höhe trafen sie zusammen und schauten einträchtig in die Gottes¬
welt hinaus.

An einem solchen Abend erzählte der Pfarrer auch vou dem Kräuterlenerl,
sie bereite ihm mit ihrem verworrenen und lichtscheuen Wesen jetzt manchen Verdruß.
Er habe jedoch einmal viel von ihr gehalten und Gutes von ihr erwartet. Vor
Jahren, als eine schlimme Seuche in der Gegend gewütet habe, da sei sie unter
den Kranken wie ein Engel der Barmherzigkeit herumgegangen und habe sie treu
und hingebend verpflegt. Wenn die Leute auch sagten, sie hätte diesen barmherzige»
Eifer nur aus Ehrgeiz entfaltet, nämlich um es in der Ewigkeit einmal zu großer
Herrlichkeit zu bringen und also, was eine Lieblingsllorstelluug von ihr sei, mit
einem Krönlein auf dem Haupte und einer Harfe im Arm am gläsernen Meer zu
sitzen und zu singen, so könne er ihr dennoch ihre damals bewiesne Tapferkeit und
Bravheit nicht vergessen und sehe ihr also in manchem durch die Finger. Doch
stimme er allerdings den Leuten zu, wenn sie sagten, was das Lenert koche und
was es rede, das müsse man beides immer erst, ehe man davon koste, vorsichtig
untersuchen.

Dies sagte er mit einem ans mich gerichteten Lächeln, woraus ich schloß, daß
das Lenert trotz der Warnung, die ich ihm hatte zukommen lassen, den Versuch
gemacht hatte, deu Pfarrer gegen mich in den Harnisch zu bringen, und daß ihr
dieser Versuch mißglückt war. Beim Weggehn gab der Pfarrer auch mir die
Hand und sagte: Es hat mich gefreut, von Ihnen Gutes zu hören. Witwen und
Waisen zum Troste Handel» und sich vor der Welt unbefleckt erhalten, das ist
gewiß ein Werk, an dem Gott im Himmel und die Menschen auf Erden ihr Wohl¬
gefallen haben.

Er sah mich dabei ernst und mit einem forschenden Blick an, als wolle er
seine Augen in den innersten Grund meiner Seele tauchen und die Wasser, die da
verborgen rannen, auf ihre Lauterkeit prüfen, und er sprach die Worte, vor allem
die, die sich auf das Reinhalten von Befleckung bezogen, in einer so eigentümlich
nachdrücklichen Weise, daß ich plötzlich erkannte, auch über das, was in der ein-
samen Tvteunacht zwischen mir und der Meisterin vorgefallen war, sei er unter¬
richtet. Da sich dieser Vorgang mir zwischen drei Personen, von denen die dritte
ein schlafendes Kind gewesen war, abgespielt hatte, so mußte also die Meisterin
gebeichtet und mich, weil sie ja nicht wissen konnte, wie armselig es in Wirk¬
lichkeit um meine Festigkeit bestellt gewesen war, in einem heroischen Lichte gezeigt
haben. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und beschämt über das so wenig ver¬
diente Lob, das mir im Kreise der besten Menschen und vor der, die mir am
höchsten stand, zu teil geworden war, wandte ich mich zur Seite. Da aber fiel
mein Blick auf Maria, deren Gestalt an dem Stamme des Baumes, worunter wir
standen, lehnte, und nun strahlte mir plötzlich eine so helle Freude entgegen, und
in den dunkeln Augensternen, die mich mit einem stillen Lächeln ansahen, schimmerte
so warme Teilnahme und ein so zärtliches Licht, daß ich mich vollends verloren
fühlte, und es fehlte nicht viel, so hätte ich mich wunderlich benommen.

Es war kein Zweifel mehr, daß ich Maria liebte, und daß mir in dieser Liebe
eine neue und schmerzliche Prüfung auferlegt worden war.¬

Konnte ich denn nochmals lieben? Hatte ich denn das arme Marthchen ver
gessen, und liebte ich sie denn nicht mehr? Ich liebte sie immer noch. Wenn ich


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[0808] Zwei Seelen lieren. Nun verstand ich, daß sie ihn alle liebten; ich liebte ihn gleichfalls und beklagte es, daß mir früher kein solcher Mann auf meinem Lebenswege begegnet war. Auch der Pfarrer kam häufig zu dem Weidhofe herauf, gleichfalls eine vor¬ nehme und bedeutende Erscheinung, und die beiden Herren ergingen sich nun zu¬ weilen in religiösen Erörterungen. Obwohl sie verschiednen Kirchen angehörten, und jeder von ihnen zu der seinigen stand, verstanden sie sich doch und verkehrten ans eine vertraute Weise miteinander. Sie hatten wohl beide die Treppe gefunden, die von jeder der beiden Kirchen nach dem ihnen genieinsamen Turm hinaufführt; dort in der Höhe trafen sie zusammen und schauten einträchtig in die Gottes¬ welt hinaus. An einem solchen Abend erzählte der Pfarrer auch vou dem Kräuterlenerl, sie bereite ihm mit ihrem verworrenen und lichtscheuen Wesen jetzt manchen Verdruß. Er habe jedoch einmal viel von ihr gehalten und Gutes von ihr erwartet. Vor Jahren, als eine schlimme Seuche in der Gegend gewütet habe, da sei sie unter den Kranken wie ein Engel der Barmherzigkeit herumgegangen und habe sie treu und hingebend verpflegt. Wenn die Leute auch sagten, sie hätte diesen barmherzige» Eifer nur aus Ehrgeiz entfaltet, nämlich um es in der Ewigkeit einmal zu großer Herrlichkeit zu bringen und also, was eine Lieblingsllorstelluug von ihr sei, mit einem Krönlein auf dem Haupte und einer Harfe im Arm am gläsernen Meer zu sitzen und zu singen, so könne er ihr dennoch ihre damals bewiesne Tapferkeit und Bravheit nicht vergessen und sehe ihr also in manchem durch die Finger. Doch stimme er allerdings den Leuten zu, wenn sie sagten, was das Lenert koche und was es rede, das müsse man beides immer erst, ehe man davon koste, vorsichtig untersuchen. Dies sagte er mit einem ans mich gerichteten Lächeln, woraus ich schloß, daß das Lenert trotz der Warnung, die ich ihm hatte zukommen lassen, den Versuch gemacht hatte, deu Pfarrer gegen mich in den Harnisch zu bringen, und daß ihr dieser Versuch mißglückt war. Beim Weggehn gab der Pfarrer auch mir die Hand und sagte: Es hat mich gefreut, von Ihnen Gutes zu hören. Witwen und Waisen zum Troste Handel» und sich vor der Welt unbefleckt erhalten, das ist gewiß ein Werk, an dem Gott im Himmel und die Menschen auf Erden ihr Wohl¬ gefallen haben. Er sah mich dabei ernst und mit einem forschenden Blick an, als wolle er seine Augen in den innersten Grund meiner Seele tauchen und die Wasser, die da verborgen rannen, auf ihre Lauterkeit prüfen, und er sprach die Worte, vor allem die, die sich auf das Reinhalten von Befleckung bezogen, in einer so eigentümlich nachdrücklichen Weise, daß ich plötzlich erkannte, auch über das, was in der ein- samen Tvteunacht zwischen mir und der Meisterin vorgefallen war, sei er unter¬ richtet. Da sich dieser Vorgang mir zwischen drei Personen, von denen die dritte ein schlafendes Kind gewesen war, abgespielt hatte, so mußte also die Meisterin gebeichtet und mich, weil sie ja nicht wissen konnte, wie armselig es in Wirk¬ lichkeit um meine Festigkeit bestellt gewesen war, in einem heroischen Lichte gezeigt haben. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und beschämt über das so wenig ver¬ diente Lob, das mir im Kreise der besten Menschen und vor der, die mir am höchsten stand, zu teil geworden war, wandte ich mich zur Seite. Da aber fiel mein Blick auf Maria, deren Gestalt an dem Stamme des Baumes, worunter wir standen, lehnte, und nun strahlte mir plötzlich eine so helle Freude entgegen, und in den dunkeln Augensternen, die mich mit einem stillen Lächeln ansahen, schimmerte so warme Teilnahme und ein so zärtliches Licht, daß ich mich vollends verloren fühlte, und es fehlte nicht viel, so hätte ich mich wunderlich benommen. Es war kein Zweifel mehr, daß ich Maria liebte, und daß mir in dieser Liebe eine neue und schmerzliche Prüfung auferlegt worden war.¬ Konnte ich denn nochmals lieben? Hatte ich denn das arme Marthchen ver gessen, und liebte ich sie denn nicht mehr? Ich liebte sie immer noch. Wenn ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/808>, abgerufen am 22.07.2024.