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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die zwölf Nächte

"Schmiß," mit dem sich der Wehlener Dandy gibt, und an den "Schlipsen," die er
zu tragen den Mut hat, und mit denen ihn sein Pirnaer Hoflieferant in immer ge¬
steigerter Farbenpracht versorgt. Wenn infolge einer kosmischen Katastrophe das
Rezept des Regenbogens verloren ginge, am Halse des Wehlener Beau wäre
es wiederzufinden. Blaue, rote und grüne "Effekte" sind sein Steckenpferd, und die
Badine schwingt kein andrer mit so verkommner Frechheit als er.

Bedarf es der Erwähnung, daß außer dein Blech, das man redete und machte,
auch noch besondre zu musikalischen Kunstleistungen verwendbare Blechinstrumente
mitgenommen wurden, unter denen das Waldhorn den Ehrenplatz eingenommen haben
würde, wenn bei Instrumenten, die durch Mißhandlung entwürdigt werden, über¬
haupt uoch vou Ehre die Rede sein könnte?

Quirlequitsch war über deu Wehlener Besuch erfreut; die Gastwirte, bei denen
Nvberkarl und die Seinen einzukehren gewohnt waren, gössen schnell noch etwas
Sprit in ihr Bier und überzeugten sich, daß uoch Rum, genug Rum im Hause war,
die Fleischer-, Bäcker-, Schmiede- und Böttchergesellen prüften im Hinblick auf den
Bedarf am Abend die Härte ihrer Oberarmmuskeln, indem sie sie bei zurückgehobnem
Unterarm schwellen und spielen ließen, und die Haustöchter und Dienstmädchen, die
wehlenophil waren, verschoben das Mängeln und Platten ans den nächsten Tag.

Hauereien werden eigentlich immer extemporiert -- oder muß mau sagen im¬
provisiert? --, wie ja auch von den Gefechten und Schlachten der jüngsten euro¬
päischen Kriege etwas ähnliches behauptet wird. Hatte einer von Rvberkarls Ge¬
nossen mit der Karline im blauen Affen, auf die ein blonder Böttchergesclle
privilegierte Ansprüche zu haben glaubte, in zu vertraulicher Weise schnrmntziert,
oder hatte sich einer der Eingebornen, der im-tivss, wie der Engländer sagt, über die
Leistungen des Wehlener Blechquartetts lustig gemacht, oder war gar der Hvhn-
und Schlachtruf Quirlequitsch gefalle"? Mit einemmal hatten in dem niedrigen,
rauchverdunkelten, dichtbesetzten Lokal Tische und Stühle nur uoch drei Beine, Gläser,
Zylinder und Lampenglockeu schwirrten in Scherben durch die Luft, ein kämpfendes
Paar lag unter dem von der Wand abgerissenen Tellerbrett, und ein herkulischer
Königsteiner Schmiedegeselle, der mit dem nackten linken Arm in das abgerissene
Ofenrohr gefahren war und es als Schild handhabte, hatte eben mit Hilfe eines
Bierglases, von dem er nur noch den Henkel mit daran gebliebner zwei scharfen
Glaszapfen in der Hand hatte, Nvberkarl regelrecht erlegt.' Daß dieser ausgiebig
-- der beleidigte Böttchergcselle sagte wie ein Schwein -- blutete, hätte niemand
an der Fortsetzung des Kampfes behindert, da in solchen Fällen, wie in einer schonen
Tragödie, "Schluß" erst stattfindet, wenn niemand mehr übrig ist als der Haus¬
knecht und die Biermamsell, die einander gerettet und gerührt in die Arme sinkein
nein, die Ankunft zweier Patrouillen, einer von der hohen städtischen Obrigkeit und
einer zweiten von dem Festungskommando abgesandten, war es, was den Kampf
unterbrach.

Als man die Scherben weggekehrt, die abgewürgten, arg bosselierten Stuhl-
und Tischbeine auf einen Haufen geschichtet und die Verwundete" aufgelesen hatte,
stellte sich heraus, daß Nöberkarl nicht bloß mit dem einen Glaszapfen das Schädel¬
fell arg lädiert, sondern anch und dem andern die Oberlippe und das obere Zahn¬
fleisch durchgeschlagen worden waren, was ja nicht viel zu bedeuten gehabt hätte,
da man die Nisse wieder zunahm konnte, wenn sich Karl nicht noch obendrein
-- wie es geschehen war, konnte er nicht angeben -- entweder beim endlichen Zu-
sammenbruch oder schon vorher beim Nmwnchten des Büfetts deu linken Fuß aus¬
gerenkt hätte, was bei rasch eingetretner Verschwelluug so schmerzhaft war, daß er
überhaupt nicht auftrete" und mir mit zusammengebissenen Zähnen eine einigermaßen
würdige Haltung zur Schau tragen konnte.

Naive Leser -- wenn es überhaupt deutbar wäre, daß solchen die allerdings
"auf dem Familientische liegenden" Grenzboten in die Hände kämen ^ könnten
vielleicht glauben, daß, wie dies nach Duelle" stattzufinden pflegt, zwischen den Kom¬
battanten nur eine formelle, jeden nähern Verkehr ausschließende Waffenruhe einge¬
treten wäre, aber sie würden sich, wenn sie das glaubten, sehr täuschen. Wenn
Westen und Quirlequitsch miteinander fechten, ist mit dem letzten Faustschlng sofort
jede Beleidigung vergessen, jeder Zorn verraucht. Zwei freundschaftliche Croquet-
Parteien können sich, wenn das Spiel zu Ende ist, nicht friedlicher und mehr wie
ein Herz und eine Seele dem Luncheon zuwenden, als nach einer solchen Hauerei


Die zwölf Nächte

„Schmiß," mit dem sich der Wehlener Dandy gibt, und an den „Schlipsen," die er
zu tragen den Mut hat, und mit denen ihn sein Pirnaer Hoflieferant in immer ge¬
steigerter Farbenpracht versorgt. Wenn infolge einer kosmischen Katastrophe das
Rezept des Regenbogens verloren ginge, am Halse des Wehlener Beau wäre
es wiederzufinden. Blaue, rote und grüne „Effekte" sind sein Steckenpferd, und die
Badine schwingt kein andrer mit so verkommner Frechheit als er.

Bedarf es der Erwähnung, daß außer dein Blech, das man redete und machte,
auch noch besondre zu musikalischen Kunstleistungen verwendbare Blechinstrumente
mitgenommen wurden, unter denen das Waldhorn den Ehrenplatz eingenommen haben
würde, wenn bei Instrumenten, die durch Mißhandlung entwürdigt werden, über¬
haupt uoch vou Ehre die Rede sein könnte?

Quirlequitsch war über deu Wehlener Besuch erfreut; die Gastwirte, bei denen
Nvberkarl und die Seinen einzukehren gewohnt waren, gössen schnell noch etwas
Sprit in ihr Bier und überzeugten sich, daß uoch Rum, genug Rum im Hause war,
die Fleischer-, Bäcker-, Schmiede- und Böttchergesellen prüften im Hinblick auf den
Bedarf am Abend die Härte ihrer Oberarmmuskeln, indem sie sie bei zurückgehobnem
Unterarm schwellen und spielen ließen, und die Haustöchter und Dienstmädchen, die
wehlenophil waren, verschoben das Mängeln und Platten ans den nächsten Tag.

Hauereien werden eigentlich immer extemporiert — oder muß mau sagen im¬
provisiert? —, wie ja auch von den Gefechten und Schlachten der jüngsten euro¬
päischen Kriege etwas ähnliches behauptet wird. Hatte einer von Rvberkarls Ge¬
nossen mit der Karline im blauen Affen, auf die ein blonder Böttchergesclle
privilegierte Ansprüche zu haben glaubte, in zu vertraulicher Weise schnrmntziert,
oder hatte sich einer der Eingebornen, der im-tivss, wie der Engländer sagt, über die
Leistungen des Wehlener Blechquartetts lustig gemacht, oder war gar der Hvhn-
und Schlachtruf Quirlequitsch gefalle»? Mit einemmal hatten in dem niedrigen,
rauchverdunkelten, dichtbesetzten Lokal Tische und Stühle nur uoch drei Beine, Gläser,
Zylinder und Lampenglockeu schwirrten in Scherben durch die Luft, ein kämpfendes
Paar lag unter dem von der Wand abgerissenen Tellerbrett, und ein herkulischer
Königsteiner Schmiedegeselle, der mit dem nackten linken Arm in das abgerissene
Ofenrohr gefahren war und es als Schild handhabte, hatte eben mit Hilfe eines
Bierglases, von dem er nur noch den Henkel mit daran gebliebner zwei scharfen
Glaszapfen in der Hand hatte, Nvberkarl regelrecht erlegt.' Daß dieser ausgiebig
— der beleidigte Böttchergcselle sagte wie ein Schwein — blutete, hätte niemand
an der Fortsetzung des Kampfes behindert, da in solchen Fällen, wie in einer schonen
Tragödie, „Schluß" erst stattfindet, wenn niemand mehr übrig ist als der Haus¬
knecht und die Biermamsell, die einander gerettet und gerührt in die Arme sinkein
nein, die Ankunft zweier Patrouillen, einer von der hohen städtischen Obrigkeit und
einer zweiten von dem Festungskommando abgesandten, war es, was den Kampf
unterbrach.

Als man die Scherben weggekehrt, die abgewürgten, arg bosselierten Stuhl-
und Tischbeine auf einen Haufen geschichtet und die Verwundete» aufgelesen hatte,
stellte sich heraus, daß Nöberkarl nicht bloß mit dem einen Glaszapfen das Schädel¬
fell arg lädiert, sondern anch und dem andern die Oberlippe und das obere Zahn¬
fleisch durchgeschlagen worden waren, was ja nicht viel zu bedeuten gehabt hätte,
da man die Nisse wieder zunahm konnte, wenn sich Karl nicht noch obendrein
— wie es geschehen war, konnte er nicht angeben — entweder beim endlichen Zu-
sammenbruch oder schon vorher beim Nmwnchten des Büfetts deu linken Fuß aus¬
gerenkt hätte, was bei rasch eingetretner Verschwelluug so schmerzhaft war, daß er
überhaupt nicht auftrete» und mir mit zusammengebissenen Zähnen eine einigermaßen
würdige Haltung zur Schau tragen konnte.

Naive Leser — wenn es überhaupt deutbar wäre, daß solchen die allerdings
„auf dem Familientische liegenden" Grenzboten in die Hände kämen ^ könnten
vielleicht glauben, daß, wie dies nach Duelle» stattzufinden pflegt, zwischen den Kom¬
battanten nur eine formelle, jeden nähern Verkehr ausschließende Waffenruhe einge¬
treten wäre, aber sie würden sich, wenn sie das glaubten, sehr täuschen. Wenn
Westen und Quirlequitsch miteinander fechten, ist mit dem letzten Faustschlng sofort
jede Beleidigung vergessen, jeder Zorn verraucht. Zwei freundschaftliche Croquet-
Parteien können sich, wenn das Spiel zu Ende ist, nicht friedlicher und mehr wie
ein Herz und eine Seele dem Luncheon zuwenden, als nach einer solchen Hauerei


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[0748] Die zwölf Nächte „Schmiß," mit dem sich der Wehlener Dandy gibt, und an den „Schlipsen," die er zu tragen den Mut hat, und mit denen ihn sein Pirnaer Hoflieferant in immer ge¬ steigerter Farbenpracht versorgt. Wenn infolge einer kosmischen Katastrophe das Rezept des Regenbogens verloren ginge, am Halse des Wehlener Beau wäre es wiederzufinden. Blaue, rote und grüne „Effekte" sind sein Steckenpferd, und die Badine schwingt kein andrer mit so verkommner Frechheit als er. Bedarf es der Erwähnung, daß außer dein Blech, das man redete und machte, auch noch besondre zu musikalischen Kunstleistungen verwendbare Blechinstrumente mitgenommen wurden, unter denen das Waldhorn den Ehrenplatz eingenommen haben würde, wenn bei Instrumenten, die durch Mißhandlung entwürdigt werden, über¬ haupt uoch vou Ehre die Rede sein könnte? Quirlequitsch war über deu Wehlener Besuch erfreut; die Gastwirte, bei denen Nvberkarl und die Seinen einzukehren gewohnt waren, gössen schnell noch etwas Sprit in ihr Bier und überzeugten sich, daß uoch Rum, genug Rum im Hause war, die Fleischer-, Bäcker-, Schmiede- und Böttchergesellen prüften im Hinblick auf den Bedarf am Abend die Härte ihrer Oberarmmuskeln, indem sie sie bei zurückgehobnem Unterarm schwellen und spielen ließen, und die Haustöchter und Dienstmädchen, die wehlenophil waren, verschoben das Mängeln und Platten ans den nächsten Tag. Hauereien werden eigentlich immer extemporiert — oder muß mau sagen im¬ provisiert? —, wie ja auch von den Gefechten und Schlachten der jüngsten euro¬ päischen Kriege etwas ähnliches behauptet wird. Hatte einer von Rvberkarls Ge¬ nossen mit der Karline im blauen Affen, auf die ein blonder Böttchergesclle privilegierte Ansprüche zu haben glaubte, in zu vertraulicher Weise schnrmntziert, oder hatte sich einer der Eingebornen, der im-tivss, wie der Engländer sagt, über die Leistungen des Wehlener Blechquartetts lustig gemacht, oder war gar der Hvhn- und Schlachtruf Quirlequitsch gefalle»? Mit einemmal hatten in dem niedrigen, rauchverdunkelten, dichtbesetzten Lokal Tische und Stühle nur uoch drei Beine, Gläser, Zylinder und Lampenglockeu schwirrten in Scherben durch die Luft, ein kämpfendes Paar lag unter dem von der Wand abgerissenen Tellerbrett, und ein herkulischer Königsteiner Schmiedegeselle, der mit dem nackten linken Arm in das abgerissene Ofenrohr gefahren war und es als Schild handhabte, hatte eben mit Hilfe eines Bierglases, von dem er nur noch den Henkel mit daran gebliebner zwei scharfen Glaszapfen in der Hand hatte, Nvberkarl regelrecht erlegt.' Daß dieser ausgiebig — der beleidigte Böttchergcselle sagte wie ein Schwein — blutete, hätte niemand an der Fortsetzung des Kampfes behindert, da in solchen Fällen, wie in einer schonen Tragödie, „Schluß" erst stattfindet, wenn niemand mehr übrig ist als der Haus¬ knecht und die Biermamsell, die einander gerettet und gerührt in die Arme sinkein nein, die Ankunft zweier Patrouillen, einer von der hohen städtischen Obrigkeit und einer zweiten von dem Festungskommando abgesandten, war es, was den Kampf unterbrach. Als man die Scherben weggekehrt, die abgewürgten, arg bosselierten Stuhl- und Tischbeine auf einen Haufen geschichtet und die Verwundete» aufgelesen hatte, stellte sich heraus, daß Nöberkarl nicht bloß mit dem einen Glaszapfen das Schädel¬ fell arg lädiert, sondern anch und dem andern die Oberlippe und das obere Zahn¬ fleisch durchgeschlagen worden waren, was ja nicht viel zu bedeuten gehabt hätte, da man die Nisse wieder zunahm konnte, wenn sich Karl nicht noch obendrein — wie es geschehen war, konnte er nicht angeben — entweder beim endlichen Zu- sammenbruch oder schon vorher beim Nmwnchten des Büfetts deu linken Fuß aus¬ gerenkt hätte, was bei rasch eingetretner Verschwelluug so schmerzhaft war, daß er überhaupt nicht auftrete» und mir mit zusammengebissenen Zähnen eine einigermaßen würdige Haltung zur Schau tragen konnte. Naive Leser — wenn es überhaupt deutbar wäre, daß solchen die allerdings „auf dem Familientische liegenden" Grenzboten in die Hände kämen ^ könnten vielleicht glauben, daß, wie dies nach Duelle» stattzufinden pflegt, zwischen den Kom¬ battanten nur eine formelle, jeden nähern Verkehr ausschließende Waffenruhe einge¬ treten wäre, aber sie würden sich, wenn sie das glaubten, sehr täuschen. Wenn Westen und Quirlequitsch miteinander fechten, ist mit dem letzten Faustschlng sofort jede Beleidigung vergessen, jeder Zorn verraucht. Zwei freundschaftliche Croquet- Parteien können sich, wenn das Spiel zu Ende ist, nicht friedlicher und mehr wie ein Herz und eine Seele dem Luncheon zuwenden, als nach einer solchen Hauerei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/748>, abgerufen am 03.07.2024.