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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Solche Schnurren über Minister und auch Abgeordnete schwirrten damals in
der Luft und wurden natürlich auch in der Provinz kolportiert. Charakteristisch
genug, daß sie selbst unter uns Jungen mit einer Art von Behagen weiter erzählt
wurden. Immerhin waren sie uns noch interessanter als die eigentliche Politik
selbst, von der wir nichts verstanden. Nur für Schleswig-Holstein interessierten wir
uns. Sonst waren uns die Reden, die im Frankfurter Parlament und in der
Berliner Nationalversammlung gehalten wurden, ebenso gleichgiltig wie die Per¬
sonen der Minister.

Erst als im November in Berlin ein Umschwung eintrat, wurden auch wir
wieder hellhörig. Inzwischen war im Laufe des Sommers auf dem Moore vor
Quedlinburg eine große Volksversammlung abgehalten worden, bei der Uhlich aus
Magdeburg, der bekannte freigemeiudliche Sprecher, als Hauptredner auftrat.
Natürlich waren wir Gymnasiasten auch dabei gewesen und hatten auch angeschrien.
Uhlich war ein ziemlich langer Mann, grundhäßlich und durch eine unnatürlich
große, dicke und rote Kartoffelnase entstellt. Er sprach aber äußerst gewandt und
die Massen fesselnd. Er hatte eine kräftige, angenehm klingende Stimme, die auch
im Freien weithin verständlich war. Er verstand es, den Leuten nach dem Munde
zu reden und den Minderbegüterten Aussicht auf staatliche Verbesserung ihrer wirt¬
schaftlichen Lage zu machen, ohne die wohlhabenden Klassen direkt anzugreifen.
Dennoch hatte er bei jener Volksversammlung nur einen mäßigen Erfolg. Er ver¬
sprach den armen Leuten, daß jeder von ihnen von der allgemeinen Weide (Ali-
mente), die damals meist noch im Gemeindebesitz war, sein Stück Gänseweide be¬
kommen müsse. Das mochte in vielen Gemeinden der Provinz Sachsen ein durch-
schlageudes und die Gemüter bewegendes Thema sein. In Quedlinburg zog es
nicht. Dort wurden -- namentlich von kleinen Leuten -- wenig Gänse gehalten.
Die vorhandnen Gänse wurden von einem Gänsemädchen ausgetrieben und fanden
auf den vorhandnen Angern ausreichendes Futter. Jedenfalls war man in Quedlin¬
burg mit diesem Zustande ganz zufrieden. So gingen denn die flüssigen Reden
Uhlichs hier in die Luft, und es bedürfte aller Mühe seiner politischen Freunde,
am Schlüsse das übliche Bravo zu erzielen. Als nach Uhlich ein benachbarter
Landgeistlicher das Wort erhielt, wurde es ihm leicht, unter den zustimmenden Zu¬
rufen vieler Anwesenden darzutun, daß bei uns die Gänseweide keine Rolle spiele.
Genug, Uhlich machte an jenem Tage in Quedlinburg uur ein sehr mäßiges poli¬
tisches Geschäft.

Als aber Wrangel in Berlin einzog und das Ministerium Brandenburg-Man-
teuffel ans Ruder kam, da regte sichs auch in Quedlinburg wieder mächtig. Unser
Abgeordneter zur Nationalversammlung in Berlin war der allgemein beliebte Kreis¬
gerichtsdirektor, ein Vater von sieben Kindern und ein sehr humaner und gewissen¬
hafter Richter, der wohl besser getan hätte, die Hand von der Politik zu lassen.
Er war durch und durch Jurist und Geschäftsmann. In dieser seiner amtlichen
Tätigkeit erschöpften sich aber auch seine Interessen. Er war ein vollkommen
loyaler und königstreuer Manu. Aber im Frühjahr 1848 hatte mancher sonst recht
gescheite Mann Mühe gehabt, in der allgemeinen Erregung und Verwirrung den
seiner innersten Neigung und Denkuugsweise entsprechenden Fraktionsstandpunkt zu
finden. Unser Abgeordneter war unter das linke Zentrum geraten. Als die
"Reaktion" in Gestalt des alten Wrangel und der in Berlin einrückenden Truppen,
sowie des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel herannahte, als man sich in Berlin
die ersten Gerüchte von einer Verlegung der Nationalversammlung nach Branden¬
burg zuraunte, und als die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines Steuerverwei¬
gerungsbeschlusses am Horizont auftauchte, da erschien eines Tages unser Abgeord¬
neter in Quedlinburg, und noch an demselben Abend fand in dem dortigen poli¬
tischen Verein eine Wühlerversammlung statt, an der aber auch Gymnasiasten und
andre junge Leute teilnahmen, bei denen von Wahlberechtigung keine Rede sein
konnte. Der Kreisgerichtsdirektor berichtete -- übrigens sehr vorsichtig -- über


Solche Schnurren über Minister und auch Abgeordnete schwirrten damals in
der Luft und wurden natürlich auch in der Provinz kolportiert. Charakteristisch
genug, daß sie selbst unter uns Jungen mit einer Art von Behagen weiter erzählt
wurden. Immerhin waren sie uns noch interessanter als die eigentliche Politik
selbst, von der wir nichts verstanden. Nur für Schleswig-Holstein interessierten wir
uns. Sonst waren uns die Reden, die im Frankfurter Parlament und in der
Berliner Nationalversammlung gehalten wurden, ebenso gleichgiltig wie die Per¬
sonen der Minister.

Erst als im November in Berlin ein Umschwung eintrat, wurden auch wir
wieder hellhörig. Inzwischen war im Laufe des Sommers auf dem Moore vor
Quedlinburg eine große Volksversammlung abgehalten worden, bei der Uhlich aus
Magdeburg, der bekannte freigemeiudliche Sprecher, als Hauptredner auftrat.
Natürlich waren wir Gymnasiasten auch dabei gewesen und hatten auch angeschrien.
Uhlich war ein ziemlich langer Mann, grundhäßlich und durch eine unnatürlich
große, dicke und rote Kartoffelnase entstellt. Er sprach aber äußerst gewandt und
die Massen fesselnd. Er hatte eine kräftige, angenehm klingende Stimme, die auch
im Freien weithin verständlich war. Er verstand es, den Leuten nach dem Munde
zu reden und den Minderbegüterten Aussicht auf staatliche Verbesserung ihrer wirt¬
schaftlichen Lage zu machen, ohne die wohlhabenden Klassen direkt anzugreifen.
Dennoch hatte er bei jener Volksversammlung nur einen mäßigen Erfolg. Er ver¬
sprach den armen Leuten, daß jeder von ihnen von der allgemeinen Weide (Ali-
mente), die damals meist noch im Gemeindebesitz war, sein Stück Gänseweide be¬
kommen müsse. Das mochte in vielen Gemeinden der Provinz Sachsen ein durch-
schlageudes und die Gemüter bewegendes Thema sein. In Quedlinburg zog es
nicht. Dort wurden — namentlich von kleinen Leuten — wenig Gänse gehalten.
Die vorhandnen Gänse wurden von einem Gänsemädchen ausgetrieben und fanden
auf den vorhandnen Angern ausreichendes Futter. Jedenfalls war man in Quedlin¬
burg mit diesem Zustande ganz zufrieden. So gingen denn die flüssigen Reden
Uhlichs hier in die Luft, und es bedürfte aller Mühe seiner politischen Freunde,
am Schlüsse das übliche Bravo zu erzielen. Als nach Uhlich ein benachbarter
Landgeistlicher das Wort erhielt, wurde es ihm leicht, unter den zustimmenden Zu¬
rufen vieler Anwesenden darzutun, daß bei uns die Gänseweide keine Rolle spiele.
Genug, Uhlich machte an jenem Tage in Quedlinburg uur ein sehr mäßiges poli¬
tisches Geschäft.

Als aber Wrangel in Berlin einzog und das Ministerium Brandenburg-Man-
teuffel ans Ruder kam, da regte sichs auch in Quedlinburg wieder mächtig. Unser
Abgeordneter zur Nationalversammlung in Berlin war der allgemein beliebte Kreis¬
gerichtsdirektor, ein Vater von sieben Kindern und ein sehr humaner und gewissen¬
hafter Richter, der wohl besser getan hätte, die Hand von der Politik zu lassen.
Er war durch und durch Jurist und Geschäftsmann. In dieser seiner amtlichen
Tätigkeit erschöpften sich aber auch seine Interessen. Er war ein vollkommen
loyaler und königstreuer Manu. Aber im Frühjahr 1848 hatte mancher sonst recht
gescheite Mann Mühe gehabt, in der allgemeinen Erregung und Verwirrung den
seiner innersten Neigung und Denkuugsweise entsprechenden Fraktionsstandpunkt zu
finden. Unser Abgeordneter war unter das linke Zentrum geraten. Als die
„Reaktion" in Gestalt des alten Wrangel und der in Berlin einrückenden Truppen,
sowie des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel herannahte, als man sich in Berlin
die ersten Gerüchte von einer Verlegung der Nationalversammlung nach Branden¬
burg zuraunte, und als die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines Steuerverwei¬
gerungsbeschlusses am Horizont auftauchte, da erschien eines Tages unser Abgeord¬
neter in Quedlinburg, und noch an demselben Abend fand in dem dortigen poli¬
tischen Verein eine Wühlerversammlung statt, an der aber auch Gymnasiasten und
andre junge Leute teilnahmen, bei denen von Wahlberechtigung keine Rede sein
konnte. Der Kreisgerichtsdirektor berichtete — übrigens sehr vorsichtig — über


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[0730] Solche Schnurren über Minister und auch Abgeordnete schwirrten damals in der Luft und wurden natürlich auch in der Provinz kolportiert. Charakteristisch genug, daß sie selbst unter uns Jungen mit einer Art von Behagen weiter erzählt wurden. Immerhin waren sie uns noch interessanter als die eigentliche Politik selbst, von der wir nichts verstanden. Nur für Schleswig-Holstein interessierten wir uns. Sonst waren uns die Reden, die im Frankfurter Parlament und in der Berliner Nationalversammlung gehalten wurden, ebenso gleichgiltig wie die Per¬ sonen der Minister. Erst als im November in Berlin ein Umschwung eintrat, wurden auch wir wieder hellhörig. Inzwischen war im Laufe des Sommers auf dem Moore vor Quedlinburg eine große Volksversammlung abgehalten worden, bei der Uhlich aus Magdeburg, der bekannte freigemeiudliche Sprecher, als Hauptredner auftrat. Natürlich waren wir Gymnasiasten auch dabei gewesen und hatten auch angeschrien. Uhlich war ein ziemlich langer Mann, grundhäßlich und durch eine unnatürlich große, dicke und rote Kartoffelnase entstellt. Er sprach aber äußerst gewandt und die Massen fesselnd. Er hatte eine kräftige, angenehm klingende Stimme, die auch im Freien weithin verständlich war. Er verstand es, den Leuten nach dem Munde zu reden und den Minderbegüterten Aussicht auf staatliche Verbesserung ihrer wirt¬ schaftlichen Lage zu machen, ohne die wohlhabenden Klassen direkt anzugreifen. Dennoch hatte er bei jener Volksversammlung nur einen mäßigen Erfolg. Er ver¬ sprach den armen Leuten, daß jeder von ihnen von der allgemeinen Weide (Ali- mente), die damals meist noch im Gemeindebesitz war, sein Stück Gänseweide be¬ kommen müsse. Das mochte in vielen Gemeinden der Provinz Sachsen ein durch- schlageudes und die Gemüter bewegendes Thema sein. In Quedlinburg zog es nicht. Dort wurden — namentlich von kleinen Leuten — wenig Gänse gehalten. Die vorhandnen Gänse wurden von einem Gänsemädchen ausgetrieben und fanden auf den vorhandnen Angern ausreichendes Futter. Jedenfalls war man in Quedlin¬ burg mit diesem Zustande ganz zufrieden. So gingen denn die flüssigen Reden Uhlichs hier in die Luft, und es bedürfte aller Mühe seiner politischen Freunde, am Schlüsse das übliche Bravo zu erzielen. Als nach Uhlich ein benachbarter Landgeistlicher das Wort erhielt, wurde es ihm leicht, unter den zustimmenden Zu¬ rufen vieler Anwesenden darzutun, daß bei uns die Gänseweide keine Rolle spiele. Genug, Uhlich machte an jenem Tage in Quedlinburg uur ein sehr mäßiges poli¬ tisches Geschäft. Als aber Wrangel in Berlin einzog und das Ministerium Brandenburg-Man- teuffel ans Ruder kam, da regte sichs auch in Quedlinburg wieder mächtig. Unser Abgeordneter zur Nationalversammlung in Berlin war der allgemein beliebte Kreis¬ gerichtsdirektor, ein Vater von sieben Kindern und ein sehr humaner und gewissen¬ hafter Richter, der wohl besser getan hätte, die Hand von der Politik zu lassen. Er war durch und durch Jurist und Geschäftsmann. In dieser seiner amtlichen Tätigkeit erschöpften sich aber auch seine Interessen. Er war ein vollkommen loyaler und königstreuer Manu. Aber im Frühjahr 1848 hatte mancher sonst recht gescheite Mann Mühe gehabt, in der allgemeinen Erregung und Verwirrung den seiner innersten Neigung und Denkuugsweise entsprechenden Fraktionsstandpunkt zu finden. Unser Abgeordneter war unter das linke Zentrum geraten. Als die „Reaktion" in Gestalt des alten Wrangel und der in Berlin einrückenden Truppen, sowie des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel herannahte, als man sich in Berlin die ersten Gerüchte von einer Verlegung der Nationalversammlung nach Branden¬ burg zuraunte, und als die Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit eines Steuerverwei¬ gerungsbeschlusses am Horizont auftauchte, da erschien eines Tages unser Abgeord¬ neter in Quedlinburg, und noch an demselben Abend fand in dem dortigen poli¬ tischen Verein eine Wühlerversammlung statt, an der aber auch Gymnasiasten und andre junge Leute teilnahmen, bei denen von Wahlberechtigung keine Rede sein konnte. Der Kreisgerichtsdirektor berichtete — übrigens sehr vorsichtig — über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/730>, abgerufen am 22.07.2024.