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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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sie solche gehabt hatte, damit nicht in den im Grunde harmlosen, in der Haupt¬
sache aus Neugierigen bestehenden Volkshaufen schießen, diesen auch nicht mit Bajo¬
netten oder Säbeln ernstlich angreifen würde. Späths pathetische, drohende An¬
rede mit dreimaligem Trommelwirbel machte keinen Eindruck, sondern wurde mit
Hohn beantwortet. Man schrie: "Knall Spathen! Hei beide sek dicke. Hei will
scheiden taten. Hei hett nischt drinne. Spath soll leben, hoch!" Es war ein Mord-
fkandal, das "Volk" lachte, die Bürgcrwehr lachte mit. Nur Spath war in einer
Übeln Lage. Seine Leutnants waren an ihn herangetreten und suchten ihn zu be¬
schwichtigen. Er könne das Volk unmöglich ernstlich angreifen lassen. Das könne
ja Verwundungen geben. Spath aber bestand darauf, daß die Aufrechthaltung
seiner Autorität gebiete, Ernst zu machen. Dn kam vom Kornmärkte her eine
andre Bürgerwehrkompagnie angerückt. Ihr Hauptmann, ein Restaurateur namens
Bahr, begrüßte zunächst den Hauptmann Spath durch offiziermäßiges Salutieren
mit denk Säbel. Schon diese Ehrenbezeugung tat Spathen wohl. Dann ging
Bahr, ein älterer, in der Stadt wohlgelittner Mann, um die vor uns stehenden
Leute heran und redete ihnen nicht gerade militärisch, aber väterlich und freund¬
schaftlich zu, nach Hause zu geh". Man rief: "Hei hett Recht, et is jo hier gar
nischt los." Und so löste sich die Menge allmählich auf und verlor sich einzeln
nach Hause. Die Bnrgerwchr machte noch einige Patrouillengänge durch die
Straßen der Stadt. Dann aber schloß sich auf der Hauptwache noch eine Knei¬
perei an, bei der die Ereignisse des Abends lebhaft besprochen wurden. Späths
Löwenmut und Bahrs vernünftiges Einschreiten wurden in feierlichen Reden Ver¬
herrlicht, und nachdem am Abend danach die Kürassiere durch die Straßen geritten
waren, war die Revolution in Quedlinburg zu Ende.

Freilich existierte die Bürgerwehr noch. Sie übte sich im Exerzieren und
besonders im Parademarsch. Unsre Bluseukompagnie zeichnete sich durch ihre Feld-
dieustübungen aus. Wenn das Wetter sehr schön und unsre Lust, hinter den flüstern
Schulmanern zu sitzen, sehr gering war, dann ging heimlich einer von den Pri¬
manern zum Leutnant Tegtmeier und kam mit dem schriftlichen Befehl zurück, daß
die Kompagnie, jeder Mann mit fünfzig oder hundert Platzpatronen, um zwei Uhr
auf dem Moore, einem weiten Anger vor der Stadt, zur Felddienstübung zu stehn
habe. Mit dem Zettel gingen einige Primaner zum Direktor, und es verstand sich
von selbst, daß der ernste Dienst der Bürgerwehr im Interesse des Vaterlandes der
Schule vorging. Die Schule fiel dann Nachmittags aus, und die Lehrer machten
einen Spaziergang nach dem Steinholze. Die Mehrzahl der Lehrer war anfangs,
bewußt oder unbewußt, von dem allgemeinen Taumel mit ergriffen. Das freilich
sahen sie bald genug ein, daß dieser Bürgerwehrschwindel, und namentlich die aus¬
drücklich zur Umgehung der Schule angeordneten, auf die durchsichtige Initiative
der Schüler zurückzuführenden Felddienstübungen, die Kneipereien auf der soge¬
nannten Hauptwache und die Patrouilleugänge handgreiflicher Blödsinn seien, unter
dem die Schule, ihre Aufgaben und ihre Autorität schwer leiden mußten. Den
Mut aber, dies offen zu sagen und mit dem Blödsinn zu brechen, hatte damals
kein einziger. Immerhin zogen sich unsre Lehrer stillschweigend von den Übungen
der Bürgerwehr mehr und mehr zurück, und schließlich wurde auch uns Schülern
der Leutnant Tegtmeier mit seinen ewigen Felddienstübungeu und den vielen teuern
Platzpatronen langweilig. Bald gingen wir so fleißig zur Schule und arbeiteten
für diese wieder so emsig, wie vor dem Ausbruch der Bewegung.

Die Bürgerwehr fühlte begreiflicherweise bald selbst heraus, daß ihr Dienst
höchst überflüssig sei. Aber die Organisation war doch nnn einmal da, und die
schönen Uuiformröcke und Vnrgerwehrmützeu hatte man sich für gutes Geld ange¬
schafft. Da kam mau nach dem Vorgange der Nachbarstädte auf den Ausweg, die
Bürgerwehr für ruhige Zeiten als Vergnügungsinstitut anzusehen. Jede Bürger¬
wehrkompagnie hielt ihren besondern Kompagnieball ab. Dazu wurden auch von
andern Kompagnien Gäste eingeladen. Unsre Blusenkompagnie aber durfte bei


Ans der Jugendzeit

sie solche gehabt hatte, damit nicht in den im Grunde harmlosen, in der Haupt¬
sache aus Neugierigen bestehenden Volkshaufen schießen, diesen auch nicht mit Bajo¬
netten oder Säbeln ernstlich angreifen würde. Späths pathetische, drohende An¬
rede mit dreimaligem Trommelwirbel machte keinen Eindruck, sondern wurde mit
Hohn beantwortet. Man schrie: „Knall Spathen! Hei beide sek dicke. Hei will
scheiden taten. Hei hett nischt drinne. Spath soll leben, hoch!" Es war ein Mord-
fkandal, das „Volk" lachte, die Bürgcrwehr lachte mit. Nur Spath war in einer
Übeln Lage. Seine Leutnants waren an ihn herangetreten und suchten ihn zu be¬
schwichtigen. Er könne das Volk unmöglich ernstlich angreifen lassen. Das könne
ja Verwundungen geben. Spath aber bestand darauf, daß die Aufrechthaltung
seiner Autorität gebiete, Ernst zu machen. Dn kam vom Kornmärkte her eine
andre Bürgerwehrkompagnie angerückt. Ihr Hauptmann, ein Restaurateur namens
Bahr, begrüßte zunächst den Hauptmann Spath durch offiziermäßiges Salutieren
mit denk Säbel. Schon diese Ehrenbezeugung tat Spathen wohl. Dann ging
Bahr, ein älterer, in der Stadt wohlgelittner Mann, um die vor uns stehenden
Leute heran und redete ihnen nicht gerade militärisch, aber väterlich und freund¬
schaftlich zu, nach Hause zu geh». Man rief: „Hei hett Recht, et is jo hier gar
nischt los." Und so löste sich die Menge allmählich auf und verlor sich einzeln
nach Hause. Die Bnrgerwchr machte noch einige Patrouillengänge durch die
Straßen der Stadt. Dann aber schloß sich auf der Hauptwache noch eine Knei¬
perei an, bei der die Ereignisse des Abends lebhaft besprochen wurden. Späths
Löwenmut und Bahrs vernünftiges Einschreiten wurden in feierlichen Reden Ver¬
herrlicht, und nachdem am Abend danach die Kürassiere durch die Straßen geritten
waren, war die Revolution in Quedlinburg zu Ende.

Freilich existierte die Bürgerwehr noch. Sie übte sich im Exerzieren und
besonders im Parademarsch. Unsre Bluseukompagnie zeichnete sich durch ihre Feld-
dieustübungen aus. Wenn das Wetter sehr schön und unsre Lust, hinter den flüstern
Schulmanern zu sitzen, sehr gering war, dann ging heimlich einer von den Pri¬
manern zum Leutnant Tegtmeier und kam mit dem schriftlichen Befehl zurück, daß
die Kompagnie, jeder Mann mit fünfzig oder hundert Platzpatronen, um zwei Uhr
auf dem Moore, einem weiten Anger vor der Stadt, zur Felddienstübung zu stehn
habe. Mit dem Zettel gingen einige Primaner zum Direktor, und es verstand sich
von selbst, daß der ernste Dienst der Bürgerwehr im Interesse des Vaterlandes der
Schule vorging. Die Schule fiel dann Nachmittags aus, und die Lehrer machten
einen Spaziergang nach dem Steinholze. Die Mehrzahl der Lehrer war anfangs,
bewußt oder unbewußt, von dem allgemeinen Taumel mit ergriffen. Das freilich
sahen sie bald genug ein, daß dieser Bürgerwehrschwindel, und namentlich die aus¬
drücklich zur Umgehung der Schule angeordneten, auf die durchsichtige Initiative
der Schüler zurückzuführenden Felddienstübungen, die Kneipereien auf der soge¬
nannten Hauptwache und die Patrouilleugänge handgreiflicher Blödsinn seien, unter
dem die Schule, ihre Aufgaben und ihre Autorität schwer leiden mußten. Den
Mut aber, dies offen zu sagen und mit dem Blödsinn zu brechen, hatte damals
kein einziger. Immerhin zogen sich unsre Lehrer stillschweigend von den Übungen
der Bürgerwehr mehr und mehr zurück, und schließlich wurde auch uns Schülern
der Leutnant Tegtmeier mit seinen ewigen Felddienstübungeu und den vielen teuern
Platzpatronen langweilig. Bald gingen wir so fleißig zur Schule und arbeiteten
für diese wieder so emsig, wie vor dem Ausbruch der Bewegung.

Die Bürgerwehr fühlte begreiflicherweise bald selbst heraus, daß ihr Dienst
höchst überflüssig sei. Aber die Organisation war doch nnn einmal da, und die
schönen Uuiformröcke und Vnrgerwehrmützeu hatte man sich für gutes Geld ange¬
schafft. Da kam mau nach dem Vorgange der Nachbarstädte auf den Ausweg, die
Bürgerwehr für ruhige Zeiten als Vergnügungsinstitut anzusehen. Jede Bürger¬
wehrkompagnie hielt ihren besondern Kompagnieball ab. Dazu wurden auch von
andern Kompagnien Gäste eingeladen. Unsre Blusenkompagnie aber durfte bei


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[0726] Ans der Jugendzeit sie solche gehabt hatte, damit nicht in den im Grunde harmlosen, in der Haupt¬ sache aus Neugierigen bestehenden Volkshaufen schießen, diesen auch nicht mit Bajo¬ netten oder Säbeln ernstlich angreifen würde. Späths pathetische, drohende An¬ rede mit dreimaligem Trommelwirbel machte keinen Eindruck, sondern wurde mit Hohn beantwortet. Man schrie: „Knall Spathen! Hei beide sek dicke. Hei will scheiden taten. Hei hett nischt drinne. Spath soll leben, hoch!" Es war ein Mord- fkandal, das „Volk" lachte, die Bürgcrwehr lachte mit. Nur Spath war in einer Übeln Lage. Seine Leutnants waren an ihn herangetreten und suchten ihn zu be¬ schwichtigen. Er könne das Volk unmöglich ernstlich angreifen lassen. Das könne ja Verwundungen geben. Spath aber bestand darauf, daß die Aufrechthaltung seiner Autorität gebiete, Ernst zu machen. Dn kam vom Kornmärkte her eine andre Bürgerwehrkompagnie angerückt. Ihr Hauptmann, ein Restaurateur namens Bahr, begrüßte zunächst den Hauptmann Spath durch offiziermäßiges Salutieren mit denk Säbel. Schon diese Ehrenbezeugung tat Spathen wohl. Dann ging Bahr, ein älterer, in der Stadt wohlgelittner Mann, um die vor uns stehenden Leute heran und redete ihnen nicht gerade militärisch, aber väterlich und freund¬ schaftlich zu, nach Hause zu geh». Man rief: „Hei hett Recht, et is jo hier gar nischt los." Und so löste sich die Menge allmählich auf und verlor sich einzeln nach Hause. Die Bnrgerwchr machte noch einige Patrouillengänge durch die Straßen der Stadt. Dann aber schloß sich auf der Hauptwache noch eine Knei¬ perei an, bei der die Ereignisse des Abends lebhaft besprochen wurden. Späths Löwenmut und Bahrs vernünftiges Einschreiten wurden in feierlichen Reden Ver¬ herrlicht, und nachdem am Abend danach die Kürassiere durch die Straßen geritten waren, war die Revolution in Quedlinburg zu Ende. Freilich existierte die Bürgerwehr noch. Sie übte sich im Exerzieren und besonders im Parademarsch. Unsre Bluseukompagnie zeichnete sich durch ihre Feld- dieustübungen aus. Wenn das Wetter sehr schön und unsre Lust, hinter den flüstern Schulmanern zu sitzen, sehr gering war, dann ging heimlich einer von den Pri¬ manern zum Leutnant Tegtmeier und kam mit dem schriftlichen Befehl zurück, daß die Kompagnie, jeder Mann mit fünfzig oder hundert Platzpatronen, um zwei Uhr auf dem Moore, einem weiten Anger vor der Stadt, zur Felddienstübung zu stehn habe. Mit dem Zettel gingen einige Primaner zum Direktor, und es verstand sich von selbst, daß der ernste Dienst der Bürgerwehr im Interesse des Vaterlandes der Schule vorging. Die Schule fiel dann Nachmittags aus, und die Lehrer machten einen Spaziergang nach dem Steinholze. Die Mehrzahl der Lehrer war anfangs, bewußt oder unbewußt, von dem allgemeinen Taumel mit ergriffen. Das freilich sahen sie bald genug ein, daß dieser Bürgerwehrschwindel, und namentlich die aus¬ drücklich zur Umgehung der Schule angeordneten, auf die durchsichtige Initiative der Schüler zurückzuführenden Felddienstübungen, die Kneipereien auf der soge¬ nannten Hauptwache und die Patrouilleugänge handgreiflicher Blödsinn seien, unter dem die Schule, ihre Aufgaben und ihre Autorität schwer leiden mußten. Den Mut aber, dies offen zu sagen und mit dem Blödsinn zu brechen, hatte damals kein einziger. Immerhin zogen sich unsre Lehrer stillschweigend von den Übungen der Bürgerwehr mehr und mehr zurück, und schließlich wurde auch uns Schülern der Leutnant Tegtmeier mit seinen ewigen Felddienstübungeu und den vielen teuern Platzpatronen langweilig. Bald gingen wir so fleißig zur Schule und arbeiteten für diese wieder so emsig, wie vor dem Ausbruch der Bewegung. Die Bürgerwehr fühlte begreiflicherweise bald selbst heraus, daß ihr Dienst höchst überflüssig sei. Aber die Organisation war doch nnn einmal da, und die schönen Uuiformröcke und Vnrgerwehrmützeu hatte man sich für gutes Geld ange¬ schafft. Da kam mau nach dem Vorgange der Nachbarstädte auf den Ausweg, die Bürgerwehr für ruhige Zeiten als Vergnügungsinstitut anzusehen. Jede Bürger¬ wehrkompagnie hielt ihren besondern Kompagnieball ab. Dazu wurden auch von andern Kompagnien Gäste eingeladen. Unsre Blusenkompagnie aber durfte bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/726>, abgerufen am 24.08.2024.