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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

geben, bis ich mich gegen mich selber wandte und der wehen Klage, der ich mich
willenlos hingegeben hatte, mit Gewalt entgegentrat. Das müsse das erste und
das letztemal gewesen sein, wo ich die Herrschaft über mich selbst verloren hatte.
Ich dürfe mein neues Leben nicht mit einer Torheit beginnen, sondern müsse danach
streben, ein Mann zu sein, männlich zu leiden, und wenn es nötig wäre, auch
männlich zu sterben. Unter diesen Worten verschloß sich die Quelle, aus der diese
Tränen geflossen waren, und rann nur noch in verborgnen Tiefen. Das flüchtige
Frühlingswehn war vorüber, und das Winterbild wieder hergestellt.

Endlich ging ich weiter am Flußufer hin und näherte mich dem Hause, in
dessen Schatten sich mein Schicksal entschieden hatte. Ich zauderte zuerst, dahin
meinen Weg zu nehmen, weil ich aber die Straße in ungestörter Ruhe sah, so
schritt ich weiter. Das Haus lag nun auch im hellen Lichte, und in dem silber¬
klaren Schein schimmerten die beiden Fenster matt und friedlich. Ich fragte mich,
wann sie ihn wohl finden würden, und ob er überhaupt jemand hätte, der uach
ihm sähe. Vielleicht würden sie ihn erst am andern Morgen auffinden, was recht
gut wäre, da ich dann schon weit sein könnte. Und darauf sagte ich mir, daß ich
auch hieran nicht mehr denken, überhaupt nicht mehr rückwärts, sondern nur vor¬
wärts schauen dürfe.

Noch in derselben Nacht fuhr ich in die Welt hinein, anfangs ziellos, darauf
aber mit der Richtung nach dem Süden. Unterwegs las ich mir meine Schriften
noch einmal durch und lernte manches auswendig. Auch versah ich mich nach und
nach mit neuen Kleidern und gewann bald das Aussehen eines ordentlichen Hand¬
werkers. Hierauf gab ich das Bahnhofsleben auf und ging in ein Gasthaus. Ein-
mal mußte ich es wagen, und mißlang es, so hatte ich Sorge getragen, mich aus
dem Leben hinansflüchten zu können.

Nun kam es auch zu einer Begegnung mit einem Beamten der Polizei. Die
Hand zitterte mir doch, als ich ihm meine Papiere vorlegte. Es war jedoch alles
in der Ordnung, und er sah mich nur flüchtig an. Es verlief alles, wie ich es
geplant hatte, nur erlebte ich an mir, daß mir, sobald ich mich der Gefahr gegen¬
über sah, das Herz ungestüm klopfte, und daß ich, nachdem die Gefahr vorüber
war, mich kaum zu bezwingen vermochte, einen schwatz zu halten und wie ein
Hündchen, das gestreichelt worden ist, schön zu tun. Ich lief der Gefahr fort¬
während nach und stellte mich mit Vorsatz dahin, wo die Gewitterwolke drohte,
nicht ans Mut oder Trotz, souderu in der Schwachheit des gebeugten Gewissens,
das vor der Gefahr zittert und dennoch von ihr, wie das Eisenteilchen vom Magnet,
angezogen wird. Allmählich wurde ich jedoch anch über dieses Gefühl, das mich
quälte und demütigte, Herr und konnte nun an einer Polizeifigur so ruhig wie
an jeder andern vorüber gehn.

Arbeit zu finden, wurde mir auch nicht schwer; meine Zeugnisse waren zu
gut, und ich war ein braver Mensch, aber ich blieb nirgends lange, sondern
wechselte so oft, als es ohne Verdruß geschehn konnte, um so meine kurze Ver¬
gangenheit künstlich zu vergrößern und sie mit Erinnerungsbildern zu füllen. Man
muß doch von etwas erzählen können, mich wenn jedes Wort, das man spricht,
schmerzt! Vor allen: tat ich, sobald es irgend ging, die von dem Blntgeld ge¬
kauften Kleider von mir und kleidete mich von Kopf bis zu Füßen neu ein. Nichts
sollte mehr an mir sein, was an vergangne Dinge mahnte. Nur mich selber konnte
ich nicht austauschen, mich selber mußte ich weiter ertragen.

Im Herbst trat ich bei einem Meister in einer bayrischen Stadt ein, bei dem
es mir so gut gefiel, daß ich den ganzen Winter und vielleicht noch länger bei
ihm zu verweilen beschloß. Er flammte aus einem fernen Alpeudorfe und war auf
der Wanderschaft hier hängen geblieben, hatte die Meisterstochter geheiratet und
war ein ansehnlicher Mann geworden. Aber seine Augen schauten dennoch voll
Sehnsucht nach der Heimat hinüber. Die lag, je älter er wurde, in einem um so
schönern und goldnem Licht vor seiner Seele, die grünen Matten mit den blinkenden


Zwei Seelen

geben, bis ich mich gegen mich selber wandte und der wehen Klage, der ich mich
willenlos hingegeben hatte, mit Gewalt entgegentrat. Das müsse das erste und
das letztemal gewesen sein, wo ich die Herrschaft über mich selbst verloren hatte.
Ich dürfe mein neues Leben nicht mit einer Torheit beginnen, sondern müsse danach
streben, ein Mann zu sein, männlich zu leiden, und wenn es nötig wäre, auch
männlich zu sterben. Unter diesen Worten verschloß sich die Quelle, aus der diese
Tränen geflossen waren, und rann nur noch in verborgnen Tiefen. Das flüchtige
Frühlingswehn war vorüber, und das Winterbild wieder hergestellt.

Endlich ging ich weiter am Flußufer hin und näherte mich dem Hause, in
dessen Schatten sich mein Schicksal entschieden hatte. Ich zauderte zuerst, dahin
meinen Weg zu nehmen, weil ich aber die Straße in ungestörter Ruhe sah, so
schritt ich weiter. Das Haus lag nun auch im hellen Lichte, und in dem silber¬
klaren Schein schimmerten die beiden Fenster matt und friedlich. Ich fragte mich,
wann sie ihn wohl finden würden, und ob er überhaupt jemand hätte, der uach
ihm sähe. Vielleicht würden sie ihn erst am andern Morgen auffinden, was recht
gut wäre, da ich dann schon weit sein könnte. Und darauf sagte ich mir, daß ich
auch hieran nicht mehr denken, überhaupt nicht mehr rückwärts, sondern nur vor¬
wärts schauen dürfe.

Noch in derselben Nacht fuhr ich in die Welt hinein, anfangs ziellos, darauf
aber mit der Richtung nach dem Süden. Unterwegs las ich mir meine Schriften
noch einmal durch und lernte manches auswendig. Auch versah ich mich nach und
nach mit neuen Kleidern und gewann bald das Aussehen eines ordentlichen Hand¬
werkers. Hierauf gab ich das Bahnhofsleben auf und ging in ein Gasthaus. Ein-
mal mußte ich es wagen, und mißlang es, so hatte ich Sorge getragen, mich aus
dem Leben hinansflüchten zu können.

Nun kam es auch zu einer Begegnung mit einem Beamten der Polizei. Die
Hand zitterte mir doch, als ich ihm meine Papiere vorlegte. Es war jedoch alles
in der Ordnung, und er sah mich nur flüchtig an. Es verlief alles, wie ich es
geplant hatte, nur erlebte ich an mir, daß mir, sobald ich mich der Gefahr gegen¬
über sah, das Herz ungestüm klopfte, und daß ich, nachdem die Gefahr vorüber
war, mich kaum zu bezwingen vermochte, einen schwatz zu halten und wie ein
Hündchen, das gestreichelt worden ist, schön zu tun. Ich lief der Gefahr fort¬
während nach und stellte mich mit Vorsatz dahin, wo die Gewitterwolke drohte,
nicht ans Mut oder Trotz, souderu in der Schwachheit des gebeugten Gewissens,
das vor der Gefahr zittert und dennoch von ihr, wie das Eisenteilchen vom Magnet,
angezogen wird. Allmählich wurde ich jedoch anch über dieses Gefühl, das mich
quälte und demütigte, Herr und konnte nun an einer Polizeifigur so ruhig wie
an jeder andern vorüber gehn.

Arbeit zu finden, wurde mir auch nicht schwer; meine Zeugnisse waren zu
gut, und ich war ein braver Mensch, aber ich blieb nirgends lange, sondern
wechselte so oft, als es ohne Verdruß geschehn konnte, um so meine kurze Ver¬
gangenheit künstlich zu vergrößern und sie mit Erinnerungsbildern zu füllen. Man
muß doch von etwas erzählen können, mich wenn jedes Wort, das man spricht,
schmerzt! Vor allen: tat ich, sobald es irgend ging, die von dem Blntgeld ge¬
kauften Kleider von mir und kleidete mich von Kopf bis zu Füßen neu ein. Nichts
sollte mehr an mir sein, was an vergangne Dinge mahnte. Nur mich selber konnte
ich nicht austauschen, mich selber mußte ich weiter ertragen.

Im Herbst trat ich bei einem Meister in einer bayrischen Stadt ein, bei dem
es mir so gut gefiel, daß ich den ganzen Winter und vielleicht noch länger bei
ihm zu verweilen beschloß. Er flammte aus einem fernen Alpeudorfe und war auf
der Wanderschaft hier hängen geblieben, hatte die Meisterstochter geheiratet und
war ein ansehnlicher Mann geworden. Aber seine Augen schauten dennoch voll
Sehnsucht nach der Heimat hinüber. Die lag, je älter er wurde, in einem um so
schönern und goldnem Licht vor seiner Seele, die grünen Matten mit den blinkenden


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[0670] Zwei Seelen geben, bis ich mich gegen mich selber wandte und der wehen Klage, der ich mich willenlos hingegeben hatte, mit Gewalt entgegentrat. Das müsse das erste und das letztemal gewesen sein, wo ich die Herrschaft über mich selbst verloren hatte. Ich dürfe mein neues Leben nicht mit einer Torheit beginnen, sondern müsse danach streben, ein Mann zu sein, männlich zu leiden, und wenn es nötig wäre, auch männlich zu sterben. Unter diesen Worten verschloß sich die Quelle, aus der diese Tränen geflossen waren, und rann nur noch in verborgnen Tiefen. Das flüchtige Frühlingswehn war vorüber, und das Winterbild wieder hergestellt. Endlich ging ich weiter am Flußufer hin und näherte mich dem Hause, in dessen Schatten sich mein Schicksal entschieden hatte. Ich zauderte zuerst, dahin meinen Weg zu nehmen, weil ich aber die Straße in ungestörter Ruhe sah, so schritt ich weiter. Das Haus lag nun auch im hellen Lichte, und in dem silber¬ klaren Schein schimmerten die beiden Fenster matt und friedlich. Ich fragte mich, wann sie ihn wohl finden würden, und ob er überhaupt jemand hätte, der uach ihm sähe. Vielleicht würden sie ihn erst am andern Morgen auffinden, was recht gut wäre, da ich dann schon weit sein könnte. Und darauf sagte ich mir, daß ich auch hieran nicht mehr denken, überhaupt nicht mehr rückwärts, sondern nur vor¬ wärts schauen dürfe. Noch in derselben Nacht fuhr ich in die Welt hinein, anfangs ziellos, darauf aber mit der Richtung nach dem Süden. Unterwegs las ich mir meine Schriften noch einmal durch und lernte manches auswendig. Auch versah ich mich nach und nach mit neuen Kleidern und gewann bald das Aussehen eines ordentlichen Hand¬ werkers. Hierauf gab ich das Bahnhofsleben auf und ging in ein Gasthaus. Ein- mal mußte ich es wagen, und mißlang es, so hatte ich Sorge getragen, mich aus dem Leben hinansflüchten zu können. Nun kam es auch zu einer Begegnung mit einem Beamten der Polizei. Die Hand zitterte mir doch, als ich ihm meine Papiere vorlegte. Es war jedoch alles in der Ordnung, und er sah mich nur flüchtig an. Es verlief alles, wie ich es geplant hatte, nur erlebte ich an mir, daß mir, sobald ich mich der Gefahr gegen¬ über sah, das Herz ungestüm klopfte, und daß ich, nachdem die Gefahr vorüber war, mich kaum zu bezwingen vermochte, einen schwatz zu halten und wie ein Hündchen, das gestreichelt worden ist, schön zu tun. Ich lief der Gefahr fort¬ während nach und stellte mich mit Vorsatz dahin, wo die Gewitterwolke drohte, nicht ans Mut oder Trotz, souderu in der Schwachheit des gebeugten Gewissens, das vor der Gefahr zittert und dennoch von ihr, wie das Eisenteilchen vom Magnet, angezogen wird. Allmählich wurde ich jedoch anch über dieses Gefühl, das mich quälte und demütigte, Herr und konnte nun an einer Polizeifigur so ruhig wie an jeder andern vorüber gehn. Arbeit zu finden, wurde mir auch nicht schwer; meine Zeugnisse waren zu gut, und ich war ein braver Mensch, aber ich blieb nirgends lange, sondern wechselte so oft, als es ohne Verdruß geschehn konnte, um so meine kurze Ver¬ gangenheit künstlich zu vergrößern und sie mit Erinnerungsbildern zu füllen. Man muß doch von etwas erzählen können, mich wenn jedes Wort, das man spricht, schmerzt! Vor allen: tat ich, sobald es irgend ging, die von dem Blntgeld ge¬ kauften Kleider von mir und kleidete mich von Kopf bis zu Füßen neu ein. Nichts sollte mehr an mir sein, was an vergangne Dinge mahnte. Nur mich selber konnte ich nicht austauschen, mich selber mußte ich weiter ertragen. Im Herbst trat ich bei einem Meister in einer bayrischen Stadt ein, bei dem es mir so gut gefiel, daß ich den ganzen Winter und vielleicht noch länger bei ihm zu verweilen beschloß. Er flammte aus einem fernen Alpeudorfe und war auf der Wanderschaft hier hängen geblieben, hatte die Meisterstochter geheiratet und war ein ansehnlicher Mann geworden. Aber seine Augen schauten dennoch voll Sehnsucht nach der Heimat hinüber. Die lag, je älter er wurde, in einem um so schönern und goldnem Licht vor seiner Seele, die grünen Matten mit den blinkenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/670>, abgerufen am 22.07.2024.