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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die Gräfin von Genlis

seien. Ohne Zucken hörte die Gräfin diese Worte an. Sie selbst schien sich nicht
für die Literatur zu interessieren. Wenn sie Abends mit der Wirtsfamilie allein
war, spielte sie Harfe und entzückte durch ihr Spiel nicht allein die empfindsame
Wirtstochter, sondern auch einen Altonaer Bäckermeister. Er war Witwer und
beschloß, die interessante Fremde zu seiner Frau zu machen. Als diese ihm durch
den Wirt sagen ließ, daß sie ledig zu bleiben wünsche, war er sehr betroffen.
Diese Episode Hot Fran von Genlis in ihren Memoiren berichtet, ebenso, wie sie
nicht unterließ, zu erzählen, daß sie trotz ihres vorgerückten Alters -- sie war
fünfzig Jahre -- auf die deutschen Männer großen Eindruck gemacht habe und sich
ihres Liebesmerbens kaum hätte erwehren können. Ob das wahr ist, bleibe dahin¬
gestellt; jedenfalls war die französische Schriftstellerin eine Fran, die durch Klugheit
und sympathisches Auftreten unbefangne Menschen wohl bezaubern konnte. Als sie
nach zehn Monaten strengster Zurückgezogenheit Altona verließ, um in Hamburg
unter ihrem wahren Namen aufzutreten, hatte sich in den Emigranlenkreisen manches
geändert. Einige ihrer erbittertsten Feinde waren weggegangen oder auch verdorben
und gestorben. Auf und ab flutete der Strom der Fremdlinge. Manche wandten
sich nach Holstein und Schleswig, andre mußten die öffentliche Wohltätigkeit in Anspruch
nehmen und wurden auf den Gütern der Umgegend untergebracht; andre wieder
kämpften so mit der Not des Lebens, daß sie gleichgültiger über die dachten, denen
sie die Hauptschuld an dieser Not gaben. Genug, als die Gräfin Genlis plötzlich
mit ihrem Schwiegersohn, dem aus Holland zugereister Grafen von Valence, in
die Öffentlichkeit trat, ergoß sich wohl noch ein Strom bittern Spotts bei den
Royalisten über sie; das aber, was sie gefürchtet hatte, eine persönliche, tätliche
Rache von einem Widersacher, trat nicht mehr ein. Und einen Kampf in Wort
und Schrift konnte sie vertragen. Es war ihr Lebenselement, ihr Trost in den
langweiligen Tagen der Verbannung.

In der dunkeln Kammer bei Herrn Pflock in Altona hatte sie ihren ersten
Roman geschrieben, der jetzt in Hamburg verlegt wurde. Er hieß die "Schwanen-
ritter" und schilderte deu Hof Ludwigs des Sechzehnten und die Abenteuer Marie
Antoinettens. Sein Inhalt war so anstößig und boshaft, daß die Legitimisten in
helle Wut gerieten; aber er hatte einen großen Erfolg und wurde bald darauf ins
Deutsche übersetzt. Bei vornehm denkenden Hamburgern, bei Frau Doktor Rei-
marus und Herrn Piter Poet erregte er lebhaften Zorn. Die Doktorin schreibt
an einen Freund: "Madame Genlis neuer Roman ist Ihnen wohl schon vor die
Augen gekommen, und seine Zucht- und Ehrvergessenheit mich. Und diese respek¬
table Dame spricht nur von Zucht und Tugend. Sie spielt die fromme, und taugt
gewiß nichts; ist aber mächtig klug." Herr Piter Poet spricht sich noch stärker
über den Grafen Valence und die Gräfin selbst ans, deren "gründliche Schlechtig¬
keit" zu durchschauen er Gelegenheit gehabt hatte. Frau von Genlis dagegen
schreibt in ihren Memoiren: "Z'Äkus kort inen"ö Hawbonrx, l'une ach ville8 iss
plus bosliiwliörvs alö 1'vUIvmg.g-no.''

Den Schwcmenrittern folgt eine Lpitio " Iasils c-no jauiiu, eine Gedicht¬
sammlung, die ihres rührenden Tones wegen ihr ans den verschiedensten Teilen
Deutschlands Dankbriefe und Einladungen einbringt. Die Fürstin Radziwill in
Warschau errichtet ein Häuschen in ihrem Garten, das sie l'^fils alö K'"'' av Kenlis
nennt, und sie fordert die Dichterin auf, es als solches zu betrachten. Fra"
von Genlis hatte aber vorläufig andres zu tun. Sie gibt ihre Verteidigungs¬
schrift heraus: l?rüeis av Is, eoncluito alö U^clamo alö Venus Äspuis la Jnvolution.
Ju diesem Werke verteidigt sie ihr rätselhaftes Betragen, ihre Beteiligung an der
Revolution, ihren Verkehr mit den Hauptführern. Sie ist unschuldig an allem,
was ihr vorgeworfen wird, wenn sie auch zugeben will, daß sie eine Freundin der
gemäßigten Republik ist, und auch den Orleans keine Herrscherkraft zutraut. Weit¬
schweifig und umständlich ist ihre Darstellung; in einem Federzuge verrät sie die
Orleans, von denen sie bis vor kurzem eine Pension erhalten hat, und sie macht


Die Gräfin von Genlis

seien. Ohne Zucken hörte die Gräfin diese Worte an. Sie selbst schien sich nicht
für die Literatur zu interessieren. Wenn sie Abends mit der Wirtsfamilie allein
war, spielte sie Harfe und entzückte durch ihr Spiel nicht allein die empfindsame
Wirtstochter, sondern auch einen Altonaer Bäckermeister. Er war Witwer und
beschloß, die interessante Fremde zu seiner Frau zu machen. Als diese ihm durch
den Wirt sagen ließ, daß sie ledig zu bleiben wünsche, war er sehr betroffen.
Diese Episode Hot Fran von Genlis in ihren Memoiren berichtet, ebenso, wie sie
nicht unterließ, zu erzählen, daß sie trotz ihres vorgerückten Alters — sie war
fünfzig Jahre — auf die deutschen Männer großen Eindruck gemacht habe und sich
ihres Liebesmerbens kaum hätte erwehren können. Ob das wahr ist, bleibe dahin¬
gestellt; jedenfalls war die französische Schriftstellerin eine Fran, die durch Klugheit
und sympathisches Auftreten unbefangne Menschen wohl bezaubern konnte. Als sie
nach zehn Monaten strengster Zurückgezogenheit Altona verließ, um in Hamburg
unter ihrem wahren Namen aufzutreten, hatte sich in den Emigranlenkreisen manches
geändert. Einige ihrer erbittertsten Feinde waren weggegangen oder auch verdorben
und gestorben. Auf und ab flutete der Strom der Fremdlinge. Manche wandten
sich nach Holstein und Schleswig, andre mußten die öffentliche Wohltätigkeit in Anspruch
nehmen und wurden auf den Gütern der Umgegend untergebracht; andre wieder
kämpften so mit der Not des Lebens, daß sie gleichgültiger über die dachten, denen
sie die Hauptschuld an dieser Not gaben. Genug, als die Gräfin Genlis plötzlich
mit ihrem Schwiegersohn, dem aus Holland zugereister Grafen von Valence, in
die Öffentlichkeit trat, ergoß sich wohl noch ein Strom bittern Spotts bei den
Royalisten über sie; das aber, was sie gefürchtet hatte, eine persönliche, tätliche
Rache von einem Widersacher, trat nicht mehr ein. Und einen Kampf in Wort
und Schrift konnte sie vertragen. Es war ihr Lebenselement, ihr Trost in den
langweiligen Tagen der Verbannung.

In der dunkeln Kammer bei Herrn Pflock in Altona hatte sie ihren ersten
Roman geschrieben, der jetzt in Hamburg verlegt wurde. Er hieß die „Schwanen-
ritter" und schilderte deu Hof Ludwigs des Sechzehnten und die Abenteuer Marie
Antoinettens. Sein Inhalt war so anstößig und boshaft, daß die Legitimisten in
helle Wut gerieten; aber er hatte einen großen Erfolg und wurde bald darauf ins
Deutsche übersetzt. Bei vornehm denkenden Hamburgern, bei Frau Doktor Rei-
marus und Herrn Piter Poet erregte er lebhaften Zorn. Die Doktorin schreibt
an einen Freund: „Madame Genlis neuer Roman ist Ihnen wohl schon vor die
Augen gekommen, und seine Zucht- und Ehrvergessenheit mich. Und diese respek¬
table Dame spricht nur von Zucht und Tugend. Sie spielt die fromme, und taugt
gewiß nichts; ist aber mächtig klug." Herr Piter Poet spricht sich noch stärker
über den Grafen Valence und die Gräfin selbst ans, deren „gründliche Schlechtig¬
keit" zu durchschauen er Gelegenheit gehabt hatte. Frau von Genlis dagegen
schreibt in ihren Memoiren: »Z'Äkus kort inen»ö Hawbonrx, l'une ach ville8 iss
plus bosliiwliörvs alö 1'vUIvmg.g-no.''

Den Schwcmenrittern folgt eine Lpitio » Iasils c-no jauiiu, eine Gedicht¬
sammlung, die ihres rührenden Tones wegen ihr ans den verschiedensten Teilen
Deutschlands Dankbriefe und Einladungen einbringt. Die Fürstin Radziwill in
Warschau errichtet ein Häuschen in ihrem Garten, das sie l'^fils alö K'"'' av Kenlis
nennt, und sie fordert die Dichterin auf, es als solches zu betrachten. Fra»
von Genlis hatte aber vorläufig andres zu tun. Sie gibt ihre Verteidigungs¬
schrift heraus: l?rüeis av Is, eoncluito alö U^clamo alö Venus Äspuis la Jnvolution.
Ju diesem Werke verteidigt sie ihr rätselhaftes Betragen, ihre Beteiligung an der
Revolution, ihren Verkehr mit den Hauptführern. Sie ist unschuldig an allem,
was ihr vorgeworfen wird, wenn sie auch zugeben will, daß sie eine Freundin der
gemäßigten Republik ist, und auch den Orleans keine Herrscherkraft zutraut. Weit¬
schweifig und umständlich ist ihre Darstellung; in einem Federzuge verrät sie die
Orleans, von denen sie bis vor kurzem eine Pension erhalten hat, und sie macht


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[0656] Die Gräfin von Genlis seien. Ohne Zucken hörte die Gräfin diese Worte an. Sie selbst schien sich nicht für die Literatur zu interessieren. Wenn sie Abends mit der Wirtsfamilie allein war, spielte sie Harfe und entzückte durch ihr Spiel nicht allein die empfindsame Wirtstochter, sondern auch einen Altonaer Bäckermeister. Er war Witwer und beschloß, die interessante Fremde zu seiner Frau zu machen. Als diese ihm durch den Wirt sagen ließ, daß sie ledig zu bleiben wünsche, war er sehr betroffen. Diese Episode Hot Fran von Genlis in ihren Memoiren berichtet, ebenso, wie sie nicht unterließ, zu erzählen, daß sie trotz ihres vorgerückten Alters — sie war fünfzig Jahre — auf die deutschen Männer großen Eindruck gemacht habe und sich ihres Liebesmerbens kaum hätte erwehren können. Ob das wahr ist, bleibe dahin¬ gestellt; jedenfalls war die französische Schriftstellerin eine Fran, die durch Klugheit und sympathisches Auftreten unbefangne Menschen wohl bezaubern konnte. Als sie nach zehn Monaten strengster Zurückgezogenheit Altona verließ, um in Hamburg unter ihrem wahren Namen aufzutreten, hatte sich in den Emigranlenkreisen manches geändert. Einige ihrer erbittertsten Feinde waren weggegangen oder auch verdorben und gestorben. Auf und ab flutete der Strom der Fremdlinge. Manche wandten sich nach Holstein und Schleswig, andre mußten die öffentliche Wohltätigkeit in Anspruch nehmen und wurden auf den Gütern der Umgegend untergebracht; andre wieder kämpften so mit der Not des Lebens, daß sie gleichgültiger über die dachten, denen sie die Hauptschuld an dieser Not gaben. Genug, als die Gräfin Genlis plötzlich mit ihrem Schwiegersohn, dem aus Holland zugereister Grafen von Valence, in die Öffentlichkeit trat, ergoß sich wohl noch ein Strom bittern Spotts bei den Royalisten über sie; das aber, was sie gefürchtet hatte, eine persönliche, tätliche Rache von einem Widersacher, trat nicht mehr ein. Und einen Kampf in Wort und Schrift konnte sie vertragen. Es war ihr Lebenselement, ihr Trost in den langweiligen Tagen der Verbannung. In der dunkeln Kammer bei Herrn Pflock in Altona hatte sie ihren ersten Roman geschrieben, der jetzt in Hamburg verlegt wurde. Er hieß die „Schwanen- ritter" und schilderte deu Hof Ludwigs des Sechzehnten und die Abenteuer Marie Antoinettens. Sein Inhalt war so anstößig und boshaft, daß die Legitimisten in helle Wut gerieten; aber er hatte einen großen Erfolg und wurde bald darauf ins Deutsche übersetzt. Bei vornehm denkenden Hamburgern, bei Frau Doktor Rei- marus und Herrn Piter Poet erregte er lebhaften Zorn. Die Doktorin schreibt an einen Freund: „Madame Genlis neuer Roman ist Ihnen wohl schon vor die Augen gekommen, und seine Zucht- und Ehrvergessenheit mich. Und diese respek¬ table Dame spricht nur von Zucht und Tugend. Sie spielt die fromme, und taugt gewiß nichts; ist aber mächtig klug." Herr Piter Poet spricht sich noch stärker über den Grafen Valence und die Gräfin selbst ans, deren „gründliche Schlechtig¬ keit" zu durchschauen er Gelegenheit gehabt hatte. Frau von Genlis dagegen schreibt in ihren Memoiren: »Z'Äkus kort inen»ö Hawbonrx, l'une ach ville8 iss plus bosliiwliörvs alö 1'vUIvmg.g-no.'' Den Schwcmenrittern folgt eine Lpitio » Iasils c-no jauiiu, eine Gedicht¬ sammlung, die ihres rührenden Tones wegen ihr ans den verschiedensten Teilen Deutschlands Dankbriefe und Einladungen einbringt. Die Fürstin Radziwill in Warschau errichtet ein Häuschen in ihrem Garten, das sie l'^fils alö K'"'' av Kenlis nennt, und sie fordert die Dichterin auf, es als solches zu betrachten. Fra» von Genlis hatte aber vorläufig andres zu tun. Sie gibt ihre Verteidigungs¬ schrift heraus: l?rüeis av Is, eoncluito alö U^clamo alö Venus Äspuis la Jnvolution. Ju diesem Werke verteidigt sie ihr rätselhaftes Betragen, ihre Beteiligung an der Revolution, ihren Verkehr mit den Hauptführern. Sie ist unschuldig an allem, was ihr vorgeworfen wird, wenn sie auch zugeben will, daß sie eine Freundin der gemäßigten Republik ist, und auch den Orleans keine Herrscherkraft zutraut. Weit¬ schweifig und umständlich ist ihre Darstellung; in einem Federzuge verrät sie die Orleans, von denen sie bis vor kurzem eine Pension erhalten hat, und sie macht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/656>, abgerufen am 22.07.2024.