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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Ich setze voraus, daß der Verfasser des Artikels ein weitgereister Mann
ist, daß er Frankreich, England, Skandinavien und die Vereinigten Staaten
kennt. Was hat er da über die deutschen Frauen gehört, und wie bringt er
das, was er gehört, was er von den französischen, englischen, skandinavischen
und amerikanischen Frauen gesehen hat, in Übereinstimmung mit seiner Theorie,
daß der deutschen Frau die "erforderliche geistige Ausbildung" fehle, deren
sich jene Ausländerinnen erfreuen, und von der sie -- so möchte man nach
seiner Beweisführung glauben -- Gebrauch machen, um sich zu fördernden,
stützenden geistigen Genossinnen ihrer Söhne zu erheben? Für einen Ausbund
von Eleganz und weltlichem Geschmack hält man ja in jenen Ländern die
deutsche Frau nicht immer; man gibt ihr Schuld, daß sie dem großen Frauen¬
götzen, den man Toilette nennt, nicht genug und nicht genügend sachverständige
Opfer bringt. Wenn das richtig ist, und ich bin zu voreingenommen, als daß
ich es so ohne weiteres zugeben möchte -- nicht jeder hat wie der Verfasser
des Artikels das nötige Zeug zum Kosmopoliten --, so wird auf der andern
Seite in den genannten Ländern der deutschen Frau unweigerlich und trotz
der oftmals gegen Deutschland gewandten Stimmung mit überströmender
Wärme das zugeschrieben, was sie zur Erziehung ihrer Söhne -- von den
Töchtern ist, wie gesagt, hier ausnahmsweise nicht die Rede -- tauglich machen
und befähigen muß: ruhiger häuslicher Sinn, tiefes, sich mehr im Grunde
ausbildendes als an die Oberfläche tretendes Gemüt, gediegue -- der Ver¬
fasser des Artikels wird hier freundlich den scheinbar ganz direkt wider ihn
eingelegten Widerspruch verzeihen --, gediegne Bildung und eine zu keiner
Stunde ruhende oder nachlassende pflichteifrige Gewissenhaftigkeit, die das
deutsche Hans auch ohne die Beihilfe bedeutender Geldmittel und teuer bezahlter,
weil geradezu künstlerisch geschulter Dienstboten zu einem überaus erfreulichen,
gediegnen Heim macht. Haben die deutschen Gouvernanten, die man z. B. in
England in so vielen vermögenden und also in der Wahl einer Erzieherin
nicht beschränkten Familien antrifft, ihre Ausbildung in Frankreich, Dünemark
oder Amerika erhalten? Wenn die eine oder die andre ein paar Jahre in
der französischen Schweiz oder in Frankreich gelebt hat, so ist es um der Er¬
langung französischer Sprechfertigkeit willen geschehen. Den Fonds, das, wes¬
wegen ihr die Erziehung englischer Töchter anvertraut wird, um wcssentwillen
sie ihnen als Vorbild dienen soll, hat sie aus dem, wie uns der Verfasser
des Artikels versichert, im Punkte der Frauenerziehung rückständigen deutschen
Vaterlande mitgebracht.

Man braucht, um der deutschen Frauenerzichuug gerecht zu werden, weder
zu behaupten, daß dabei keine Vervollkommnung weiter möglich wäre, noch
die andern Nationen mit ihren Bestrebungen und Erfolge" auf diesem Gebiet
gering zu achten. Was der Verfasser des Artikels hervorhebt, daß in allen
genannten Ländern neuerlich große Anstrengungen gemacht worden seien, die
Franencrziehung auf einen höhern Standpunkt zu heben, und daß damit auch
schöne Erfolge erzielt worden seien, braucht man nicht aus Widerspruchsgeist
zu leugnen: man muß es vielmehr ohne jeden Vorbehalt anerkennen. Aber
zwischen dieser Anerkennung fremden Verdienstes und der tadelnden Gering-


Ich setze voraus, daß der Verfasser des Artikels ein weitgereister Mann
ist, daß er Frankreich, England, Skandinavien und die Vereinigten Staaten
kennt. Was hat er da über die deutschen Frauen gehört, und wie bringt er
das, was er gehört, was er von den französischen, englischen, skandinavischen
und amerikanischen Frauen gesehen hat, in Übereinstimmung mit seiner Theorie,
daß der deutschen Frau die „erforderliche geistige Ausbildung" fehle, deren
sich jene Ausländerinnen erfreuen, und von der sie — so möchte man nach
seiner Beweisführung glauben — Gebrauch machen, um sich zu fördernden,
stützenden geistigen Genossinnen ihrer Söhne zu erheben? Für einen Ausbund
von Eleganz und weltlichem Geschmack hält man ja in jenen Ländern die
deutsche Frau nicht immer; man gibt ihr Schuld, daß sie dem großen Frauen¬
götzen, den man Toilette nennt, nicht genug und nicht genügend sachverständige
Opfer bringt. Wenn das richtig ist, und ich bin zu voreingenommen, als daß
ich es so ohne weiteres zugeben möchte — nicht jeder hat wie der Verfasser
des Artikels das nötige Zeug zum Kosmopoliten —, so wird auf der andern
Seite in den genannten Ländern der deutschen Frau unweigerlich und trotz
der oftmals gegen Deutschland gewandten Stimmung mit überströmender
Wärme das zugeschrieben, was sie zur Erziehung ihrer Söhne — von den
Töchtern ist, wie gesagt, hier ausnahmsweise nicht die Rede — tauglich machen
und befähigen muß: ruhiger häuslicher Sinn, tiefes, sich mehr im Grunde
ausbildendes als an die Oberfläche tretendes Gemüt, gediegue — der Ver¬
fasser des Artikels wird hier freundlich den scheinbar ganz direkt wider ihn
eingelegten Widerspruch verzeihen —, gediegne Bildung und eine zu keiner
Stunde ruhende oder nachlassende pflichteifrige Gewissenhaftigkeit, die das
deutsche Hans auch ohne die Beihilfe bedeutender Geldmittel und teuer bezahlter,
weil geradezu künstlerisch geschulter Dienstboten zu einem überaus erfreulichen,
gediegnen Heim macht. Haben die deutschen Gouvernanten, die man z. B. in
England in so vielen vermögenden und also in der Wahl einer Erzieherin
nicht beschränkten Familien antrifft, ihre Ausbildung in Frankreich, Dünemark
oder Amerika erhalten? Wenn die eine oder die andre ein paar Jahre in
der französischen Schweiz oder in Frankreich gelebt hat, so ist es um der Er¬
langung französischer Sprechfertigkeit willen geschehen. Den Fonds, das, wes¬
wegen ihr die Erziehung englischer Töchter anvertraut wird, um wcssentwillen
sie ihnen als Vorbild dienen soll, hat sie aus dem, wie uns der Verfasser
des Artikels versichert, im Punkte der Frauenerziehung rückständigen deutschen
Vaterlande mitgebracht.

Man braucht, um der deutschen Frauenerzichuug gerecht zu werden, weder
zu behaupten, daß dabei keine Vervollkommnung weiter möglich wäre, noch
die andern Nationen mit ihren Bestrebungen und Erfolge« auf diesem Gebiet
gering zu achten. Was der Verfasser des Artikels hervorhebt, daß in allen
genannten Ländern neuerlich große Anstrengungen gemacht worden seien, die
Franencrziehung auf einen höhern Standpunkt zu heben, und daß damit auch
schöne Erfolge erzielt worden seien, braucht man nicht aus Widerspruchsgeist
zu leugnen: man muß es vielmehr ohne jeden Vorbehalt anerkennen. Aber
zwischen dieser Anerkennung fremden Verdienstes und der tadelnden Gering-


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[0642] Ich setze voraus, daß der Verfasser des Artikels ein weitgereister Mann ist, daß er Frankreich, England, Skandinavien und die Vereinigten Staaten kennt. Was hat er da über die deutschen Frauen gehört, und wie bringt er das, was er gehört, was er von den französischen, englischen, skandinavischen und amerikanischen Frauen gesehen hat, in Übereinstimmung mit seiner Theorie, daß der deutschen Frau die „erforderliche geistige Ausbildung" fehle, deren sich jene Ausländerinnen erfreuen, und von der sie — so möchte man nach seiner Beweisführung glauben — Gebrauch machen, um sich zu fördernden, stützenden geistigen Genossinnen ihrer Söhne zu erheben? Für einen Ausbund von Eleganz und weltlichem Geschmack hält man ja in jenen Ländern die deutsche Frau nicht immer; man gibt ihr Schuld, daß sie dem großen Frauen¬ götzen, den man Toilette nennt, nicht genug und nicht genügend sachverständige Opfer bringt. Wenn das richtig ist, und ich bin zu voreingenommen, als daß ich es so ohne weiteres zugeben möchte — nicht jeder hat wie der Verfasser des Artikels das nötige Zeug zum Kosmopoliten —, so wird auf der andern Seite in den genannten Ländern der deutschen Frau unweigerlich und trotz der oftmals gegen Deutschland gewandten Stimmung mit überströmender Wärme das zugeschrieben, was sie zur Erziehung ihrer Söhne — von den Töchtern ist, wie gesagt, hier ausnahmsweise nicht die Rede — tauglich machen und befähigen muß: ruhiger häuslicher Sinn, tiefes, sich mehr im Grunde ausbildendes als an die Oberfläche tretendes Gemüt, gediegue — der Ver¬ fasser des Artikels wird hier freundlich den scheinbar ganz direkt wider ihn eingelegten Widerspruch verzeihen —, gediegne Bildung und eine zu keiner Stunde ruhende oder nachlassende pflichteifrige Gewissenhaftigkeit, die das deutsche Hans auch ohne die Beihilfe bedeutender Geldmittel und teuer bezahlter, weil geradezu künstlerisch geschulter Dienstboten zu einem überaus erfreulichen, gediegnen Heim macht. Haben die deutschen Gouvernanten, die man z. B. in England in so vielen vermögenden und also in der Wahl einer Erzieherin nicht beschränkten Familien antrifft, ihre Ausbildung in Frankreich, Dünemark oder Amerika erhalten? Wenn die eine oder die andre ein paar Jahre in der französischen Schweiz oder in Frankreich gelebt hat, so ist es um der Er¬ langung französischer Sprechfertigkeit willen geschehen. Den Fonds, das, wes¬ wegen ihr die Erziehung englischer Töchter anvertraut wird, um wcssentwillen sie ihnen als Vorbild dienen soll, hat sie aus dem, wie uns der Verfasser des Artikels versichert, im Punkte der Frauenerziehung rückständigen deutschen Vaterlande mitgebracht. Man braucht, um der deutschen Frauenerzichuug gerecht zu werden, weder zu behaupten, daß dabei keine Vervollkommnung weiter möglich wäre, noch die andern Nationen mit ihren Bestrebungen und Erfolge« auf diesem Gebiet gering zu achten. Was der Verfasser des Artikels hervorhebt, daß in allen genannten Ländern neuerlich große Anstrengungen gemacht worden seien, die Franencrziehung auf einen höhern Standpunkt zu heben, und daß damit auch schöne Erfolge erzielt worden seien, braucht man nicht aus Widerspruchsgeist zu leugnen: man muß es vielmehr ohne jeden Vorbehalt anerkennen. Aber zwischen dieser Anerkennung fremden Verdienstes und der tadelnden Gering-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/642>, abgerufen am 26.06.2024.