beschränkt bleiben muß. Auch nur im entferntesten an das Seelische zu denken, das ja bei den höhern Tieren an sich nicht ausgeschlossen ist. verbietet schon die kurze Lebensdauer der Arbeiterin, die bei den nicht überwinternden Sommer- bienen nur sechs Wochen betrügt. Dazu die durch den Trieb erzwungne ganz einseitige, einförmige Lebensweise und Tätigkeit, die alle Erfahrung ausschließt! Das geistige Leben braucht zu seiner Entfaltung Zeit, mannigfache Anregungen und Erfahrungen. Wer aber bei den geschlechtslosen Arbeitbienen die uner¬ meßliche Häufung gewisser Dispositionen durch Vererbung in langen Zeiträumen wirken lassen wollte, könnte mit dem drolligen Pakt Bruderschaft machen. Als man diesen fragte, wie es komme, daß er keine Kinder habe, antwortete er: D,e Kinderlosigkeit ist in meiner Familie erblich. Wir haben im zweiten Bande des Jahrgangs 1900 der Grenzboten kurz über die Forschungsergebnisse des Bienenzüchters Gerstung berichtet, der wirklich wissenschaftlich verfährt und da¬ durch zu einer Auffassung gelangt, die die einzelnen Wunder des Bicnenstaats sozusagen zu einer Wuudersymphonie zusammenschließt. Obwohl jede Biene für sich ein vollkommnes Tierindividuum lind mit den Genossen des Stocks nicht verwachsen ist, sich auch selbständig bewegt, sind doch alle Bienen eines Stocks zusammen nur ein einziger Organismus und können ein Tier genannt werden, weil die Zustände der einen Stockgenossen chemische und physiologische Verände¬ rungen in den andern hervorbringen, z. B. die Königin Drohneneier legen kann und 'muß, so oft die Brutbienen Drohnenfuttersaft produzieren, sodaß jedes Schicksal der einen seiner Glieder durch das ganze Kollektivindividuum hindurchwirkt.
Bölschc schließt: "Ich las einmal, die beiden schwersten Geschichtsprobleme seien die Biene und der Mensch. Das klang so, als wenn unsre Weisheit ein beiden ewig scheitern werde. Mir scheint, wir kommen dem einen auf die Spur und auch dem andern." O ja, wir kommen beiden auf die Spur, dank den Forschern darwinischer Richtung, nur nicht in ihrem Sinne. In der oben er¬ wähnten Anzeige des Buchs von Gerstung haben wir geschrieben: "Nachdem man den göttlichen Geist und den Menschengeist geleugnet und diesen zu einer Gehirnansschwitmng degradiert hatte, hat man sich genötigt gesehen, zuerst den Insekten, dann den Protisten, den Zellen, zuletzt den Atomen Geist zuzuschreiben, denn der Wille und die Intelligenz, die man im kleinsten wirksam findet, sind doch eben nichts andres als Geist. Und nachdem man die Zweckmäßigkeit des Weltalls für Einbildung, Pfaffengeschwätz und Fabel, alle Erscheinungen aber s"r das zufällige Ergebnis blind wirkender mechanischer Kräfte erklärt hatte, ist man allmählich auf dein Wege über "die durch Anpassung gewordne Zweck¬ mäßigkeit" und die "Zielstrebigkeit" zur Teleologie zurückgeführt worden. Die Einzelforschung hat in den Organismen eine so ungeheure Fülle der wunder¬ barsten, vordem nie geahnten Zweckmäßigkeiten, der Beweise einer alle mensch¬ liche Intelligenz übersteigenden Weisheit aufgedeckt, daß sich keiner mehr dem Bekenntnisse zu entziehn vermag: .Hier waltet planvoll schaffende göttliche Weis¬ heit! Gerstung zeigt, welch haarsträubender Unsinn es ist, mit Ludwig Büchner den Bienenstock als einen sozialdemokratischen Staat und die wunderbaren biologischen Vorgänge des Bienenlebens als Wirkungen einer bewußt und planvoll handelnden Bienenintelligenz aufzufassen, die. wenn sie vorhanden
Ein versuch darmimscher Geschichtsphilosophie
beschränkt bleiben muß. Auch nur im entferntesten an das Seelische zu denken, das ja bei den höhern Tieren an sich nicht ausgeschlossen ist. verbietet schon die kurze Lebensdauer der Arbeiterin, die bei den nicht überwinternden Sommer- bienen nur sechs Wochen betrügt. Dazu die durch den Trieb erzwungne ganz einseitige, einförmige Lebensweise und Tätigkeit, die alle Erfahrung ausschließt! Das geistige Leben braucht zu seiner Entfaltung Zeit, mannigfache Anregungen und Erfahrungen. Wer aber bei den geschlechtslosen Arbeitbienen die uner¬ meßliche Häufung gewisser Dispositionen durch Vererbung in langen Zeiträumen wirken lassen wollte, könnte mit dem drolligen Pakt Bruderschaft machen. Als man diesen fragte, wie es komme, daß er keine Kinder habe, antwortete er: D,e Kinderlosigkeit ist in meiner Familie erblich. Wir haben im zweiten Bande des Jahrgangs 1900 der Grenzboten kurz über die Forschungsergebnisse des Bienenzüchters Gerstung berichtet, der wirklich wissenschaftlich verfährt und da¬ durch zu einer Auffassung gelangt, die die einzelnen Wunder des Bicnenstaats sozusagen zu einer Wuudersymphonie zusammenschließt. Obwohl jede Biene für sich ein vollkommnes Tierindividuum lind mit den Genossen des Stocks nicht verwachsen ist, sich auch selbständig bewegt, sind doch alle Bienen eines Stocks zusammen nur ein einziger Organismus und können ein Tier genannt werden, weil die Zustände der einen Stockgenossen chemische und physiologische Verände¬ rungen in den andern hervorbringen, z. B. die Königin Drohneneier legen kann und 'muß, so oft die Brutbienen Drohnenfuttersaft produzieren, sodaß jedes Schicksal der einen seiner Glieder durch das ganze Kollektivindividuum hindurchwirkt.
Bölschc schließt: „Ich las einmal, die beiden schwersten Geschichtsprobleme seien die Biene und der Mensch. Das klang so, als wenn unsre Weisheit ein beiden ewig scheitern werde. Mir scheint, wir kommen dem einen auf die Spur und auch dem andern." O ja, wir kommen beiden auf die Spur, dank den Forschern darwinischer Richtung, nur nicht in ihrem Sinne. In der oben er¬ wähnten Anzeige des Buchs von Gerstung haben wir geschrieben: „Nachdem man den göttlichen Geist und den Menschengeist geleugnet und diesen zu einer Gehirnansschwitmng degradiert hatte, hat man sich genötigt gesehen, zuerst den Insekten, dann den Protisten, den Zellen, zuletzt den Atomen Geist zuzuschreiben, denn der Wille und die Intelligenz, die man im kleinsten wirksam findet, sind doch eben nichts andres als Geist. Und nachdem man die Zweckmäßigkeit des Weltalls für Einbildung, Pfaffengeschwätz und Fabel, alle Erscheinungen aber s»r das zufällige Ergebnis blind wirkender mechanischer Kräfte erklärt hatte, ist man allmählich auf dein Wege über »die durch Anpassung gewordne Zweck¬ mäßigkeit« und die »Zielstrebigkeit« zur Teleologie zurückgeführt worden. Die Einzelforschung hat in den Organismen eine so ungeheure Fülle der wunder¬ barsten, vordem nie geahnten Zweckmäßigkeiten, der Beweise einer alle mensch¬ liche Intelligenz übersteigenden Weisheit aufgedeckt, daß sich keiner mehr dem Bekenntnisse zu entziehn vermag: .Hier waltet planvoll schaffende göttliche Weis¬ heit! Gerstung zeigt, welch haarsträubender Unsinn es ist, mit Ludwig Büchner den Bienenstock als einen sozialdemokratischen Staat und die wunderbaren biologischen Vorgänge des Bienenlebens als Wirkungen einer bewußt und planvoll handelnden Bienenintelligenz aufzufassen, die. wenn sie vorhanden
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Ein versuch darmimscher Geschichtsphilosophie
beschränkt bleiben muß. Auch nur im entferntesten an das Seelische zu denken,
das ja bei den höhern Tieren an sich nicht ausgeschlossen ist. verbietet schon
die kurze Lebensdauer der Arbeiterin, die bei den nicht überwinternden Sommer-
bienen nur sechs Wochen betrügt. Dazu die durch den Trieb erzwungne ganz
einseitige, einförmige Lebensweise und Tätigkeit, die alle Erfahrung ausschließt!
Das geistige Leben braucht zu seiner Entfaltung Zeit, mannigfache Anregungen
und Erfahrungen. Wer aber bei den geschlechtslosen Arbeitbienen die uner¬
meßliche Häufung gewisser Dispositionen durch Vererbung in langen Zeiträumen
wirken lassen wollte, könnte mit dem drolligen Pakt Bruderschaft machen. Als
man diesen fragte, wie es komme, daß er keine Kinder habe, antwortete er: D,e
Kinderlosigkeit ist in meiner Familie erblich. Wir haben im zweiten Bande
des Jahrgangs 1900 der Grenzboten kurz über die Forschungsergebnisse des
Bienenzüchters Gerstung berichtet, der wirklich wissenschaftlich verfährt und da¬
durch zu einer Auffassung gelangt, die die einzelnen Wunder des Bicnenstaats
sozusagen zu einer Wuudersymphonie zusammenschließt. Obwohl jede Biene für
sich ein vollkommnes Tierindividuum lind mit den Genossen des Stocks nicht
verwachsen ist, sich auch selbständig bewegt, sind doch alle Bienen eines Stocks
zusammen nur ein einziger Organismus und können ein Tier genannt werden,
weil die Zustände der einen Stockgenossen chemische und physiologische Verände¬
rungen in den andern hervorbringen, z. B. die Königin Drohneneier legen kann und
'muß, so oft die Brutbienen Drohnenfuttersaft produzieren, sodaß jedes Schicksal
der einen seiner Glieder durch das ganze Kollektivindividuum hindurchwirkt.
Bölschc schließt: „Ich las einmal, die beiden schwersten Geschichtsprobleme
seien die Biene und der Mensch. Das klang so, als wenn unsre Weisheit ein
beiden ewig scheitern werde. Mir scheint, wir kommen dem einen auf die Spur
und auch dem andern." O ja, wir kommen beiden auf die Spur, dank den
Forschern darwinischer Richtung, nur nicht in ihrem Sinne. In der oben er¬
wähnten Anzeige des Buchs von Gerstung haben wir geschrieben: „Nachdem
man den göttlichen Geist und den Menschengeist geleugnet und diesen zu einer
Gehirnansschwitmng degradiert hatte, hat man sich genötigt gesehen, zuerst den
Insekten, dann den Protisten, den Zellen, zuletzt den Atomen Geist zuzuschreiben,
denn der Wille und die Intelligenz, die man im kleinsten wirksam findet, sind
doch eben nichts andres als Geist. Und nachdem man die Zweckmäßigkeit des
Weltalls für Einbildung, Pfaffengeschwätz und Fabel, alle Erscheinungen aber
s»r das zufällige Ergebnis blind wirkender mechanischer Kräfte erklärt hatte, ist
man allmählich auf dein Wege über »die durch Anpassung gewordne Zweck¬
mäßigkeit« und die »Zielstrebigkeit« zur Teleologie zurückgeführt worden. Die
Einzelforschung hat in den Organismen eine so ungeheure Fülle der wunder¬
barsten, vordem nie geahnten Zweckmäßigkeiten, der Beweise einer alle mensch¬
liche Intelligenz übersteigenden Weisheit aufgedeckt, daß sich keiner mehr dem
Bekenntnisse zu entziehn vermag: .Hier waltet planvoll schaffende göttliche Weis¬
heit! Gerstung zeigt, welch haarsträubender Unsinn es ist, mit Ludwig Büchner
den Bienenstock als einen sozialdemokratischen Staat und die wunderbaren
biologischen Vorgänge des Bienenlebens als Wirkungen einer bewußt und
planvoll handelnden Bienenintelligenz aufzufassen, die. wenn sie vorhanden
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/635>, abgerufen am 02.10.2024.
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