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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die mittelitalieiiische Liga ^859/^360

und wirkte nachteilig nur insofern, als es um einer bundesstaatlichen Verfassung
niemals teilnehmen konnte und doch seine "historische Stellung" in Deutschland
nicht aufgeben wollte. Endlich bestand in Deutschland schon eine rein deutsche
Großmacht, an die sich das mittel- und kleinstaatliche Deutschland nur anzu¬
gliedern brauchte; in Italien war der einzige Staat, der eine nationalitalienische
Politik verfolgen konnte, Piemont, ein Mittelstaat, und nur mit fremder Hilfe
imstande, diese ihrem Ziele zuzuführen. Aber aus so vielen Nachteilen ergaben
sich für die Italiener wiederum auch manche Vorteile. Ihre Ziele standen ihnen
von Anfang an klarer vor Augen als den Deutschen, und sie waren mannigfaltiger,
zwangen also zu stärkster Anspannung mannigfaltiger Kräfte: Befreiung von der
Fremdherrschaft, Anschluß an Piemont, Herstellung des Konstitutionalismus.
Die Deutschen sahen in Österreich kaum einen fremden Staat, sie widerstrebten
vielfach aufs heftigste dem Anschluß an Preußen, und konstitutionelle Verfassungen
hatten sie längst. Verhängnisvoll wirkte dabei besonders der Verfassungskonflikt
in Preußen, der die deutschen Liberalen an Preußen irre machte, während Pie^
mont gerade durch seiue liberale Verfassung und Politik die Sympathien und
das Vertraue" der Italiener gewann. Daß die liberale Partei in Preußen selbst
diesen Konflikt verschuldete, indem sie in doktrinärer Rechthaberei der Krone das
versagte, was diese für ihre deutsche Politik brauchte, das wollte sie nicht sehen,
und gerade darin zeigte sie eine bedauerliche politische Unreife im Vergleich mit
den Italienern. Aus alledem ergab sich ein ganz verschiedner Gang und ein
ganz verschiednes Ergebnis der deutschen und der italienischen Bewegung. In
Italien gingen kriegerische Unternehmungen und eine mächtige Volkserhebung
nebeneinander her und arbeiteten einander in die Hände; in Deutschland mußte
Preußen der im Grnnde partikularistischen öffentlichen Meinung die Grundlagen
seiner Einheit mit Waffengewalt aufzwingen. Es mag dahingestellt bleiben, ob
eine eutschlosscuere und klarere Haltung der Liberalen den Bürgerkrieg von 1866
hätte verhindern können, indem sie ihre Regierungen zur Annahme des preu
ßischen Bundesreformeutwurfs drängten; das aber wird man nicht bestreiten
können, daß ein fester Entschluß der süddeutschen Staaten, sich sofort nach der
Entscheidung von 1866 dem preußischen Bundesstaate anzuschließen, seine Voll¬
endung beschleunigt und die französische Intervention abgewehrt hätte. Mit
einem Worte: in Deutschland lagen die Bedingungen für die Einigung an sich
incl günstiger als in Italien, aber an politischer Reife und an Klarheit des
Strebens waren die Italiener den Deutschen weit überlegen. Weil die Schwierig¬
keiten und die Übelstünde im Süden der Alpen weitaus stärker waren als im
Norden, wurde die Einheitsbewegung notwendig auch viel radikaler, sie führte
geradeswegs zum Einheitsstaat; weil in Deutschland die Dynastien sich immer
als deutsche gefühlt und für ihre Länder sehr viel mehr geleistet hatten als die
italienischen Fürsten, so war hier das Ergebnis der monarchische Bundesstaat.




Die mittelitalieiiische Liga ^859/^360

und wirkte nachteilig nur insofern, als es um einer bundesstaatlichen Verfassung
niemals teilnehmen konnte und doch seine „historische Stellung" in Deutschland
nicht aufgeben wollte. Endlich bestand in Deutschland schon eine rein deutsche
Großmacht, an die sich das mittel- und kleinstaatliche Deutschland nur anzu¬
gliedern brauchte; in Italien war der einzige Staat, der eine nationalitalienische
Politik verfolgen konnte, Piemont, ein Mittelstaat, und nur mit fremder Hilfe
imstande, diese ihrem Ziele zuzuführen. Aber aus so vielen Nachteilen ergaben
sich für die Italiener wiederum auch manche Vorteile. Ihre Ziele standen ihnen
von Anfang an klarer vor Augen als den Deutschen, und sie waren mannigfaltiger,
zwangen also zu stärkster Anspannung mannigfaltiger Kräfte: Befreiung von der
Fremdherrschaft, Anschluß an Piemont, Herstellung des Konstitutionalismus.
Die Deutschen sahen in Österreich kaum einen fremden Staat, sie widerstrebten
vielfach aufs heftigste dem Anschluß an Preußen, und konstitutionelle Verfassungen
hatten sie längst. Verhängnisvoll wirkte dabei besonders der Verfassungskonflikt
in Preußen, der die deutschen Liberalen an Preußen irre machte, während Pie^
mont gerade durch seiue liberale Verfassung und Politik die Sympathien und
das Vertraue» der Italiener gewann. Daß die liberale Partei in Preußen selbst
diesen Konflikt verschuldete, indem sie in doktrinärer Rechthaberei der Krone das
versagte, was diese für ihre deutsche Politik brauchte, das wollte sie nicht sehen,
und gerade darin zeigte sie eine bedauerliche politische Unreife im Vergleich mit
den Italienern. Aus alledem ergab sich ein ganz verschiedner Gang und ein
ganz verschiednes Ergebnis der deutschen und der italienischen Bewegung. In
Italien gingen kriegerische Unternehmungen und eine mächtige Volkserhebung
nebeneinander her und arbeiteten einander in die Hände; in Deutschland mußte
Preußen der im Grnnde partikularistischen öffentlichen Meinung die Grundlagen
seiner Einheit mit Waffengewalt aufzwingen. Es mag dahingestellt bleiben, ob
eine eutschlosscuere und klarere Haltung der Liberalen den Bürgerkrieg von 1866
hätte verhindern können, indem sie ihre Regierungen zur Annahme des preu
ßischen Bundesreformeutwurfs drängten; das aber wird man nicht bestreiten
können, daß ein fester Entschluß der süddeutschen Staaten, sich sofort nach der
Entscheidung von 1866 dem preußischen Bundesstaate anzuschließen, seine Voll¬
endung beschleunigt und die französische Intervention abgewehrt hätte. Mit
einem Worte: in Deutschland lagen die Bedingungen für die Einigung an sich
incl günstiger als in Italien, aber an politischer Reife und an Klarheit des
Strebens waren die Italiener den Deutschen weit überlegen. Weil die Schwierig¬
keiten und die Übelstünde im Süden der Alpen weitaus stärker waren als im
Norden, wurde die Einheitsbewegung notwendig auch viel radikaler, sie führte
geradeswegs zum Einheitsstaat; weil in Deutschland die Dynastien sich immer
als deutsche gefühlt und für ihre Länder sehr viel mehr geleistet hatten als die
italienischen Fürsten, so war hier das Ergebnis der monarchische Bundesstaat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/629>, abgerufen am 25.08.2024.