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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Die Herrschaft auf dein Großen Bzean

Will. Da Deutschland an Rohprodukten wenig zu exportieren hat, so kann es
den Getreideimport nur mit der Ausfuhr von Erzeugnissen deutscher Arbeit be¬
zahlen. Dazu bedarf es gesicherter Absatzmärkte in den überseeischen Ländern
und kaufkräftiger Kolonien. Kaufkräftig werden aber nur solche Kolonien sein,
in denen Weiße in großer Zahl leben und sich ernähren können. Solche Ge¬
biete auf friedlichem Wege für Deutschland zu gewinnen oder nutzbar zu
machen, dürfte eine außerordentlich schwierige Aufgabe sein. Jedenfalls liegen
die Sorgen unsrer Reichsleitung von Jahr zu Jahr mehr auf diesem Gebiet
als auf dem unsrer Beziehungen zu unsern kontinentalen Nachbarn. Auch diese
Beziehungen müssen freilich gut sein, aber je mehr Rußland und Frankreich
von ihrer eignen kolonialen Ausdehnungspolitik ii? Anspruch genommen sind,
desto weniger werden sie geneigt sein, in Europa Kriege zu führen, bei denen
namentlich Frankreich seinen Kolonialbesitz zum Einsatz bringen würde. Anders
liegt schon die Sache mit England, das in der für Deutschland zwingenden
Notwendigkeit, sich in überseeischen Ländern auszudehnen, eine gefährliche Kon¬
kurrenz für seine überseeischen Interessen sieht. Auf die Möglichkeit, daß Gro߬
britannien sich eines Tages gezwungen sehen könnte, den deutschen Rivalen aus
dem Wege zu räumen, so lange dieser zur See noch überwiudbar ist, ist in
England in den letzten Jahren vielfach hingewiesen worden. Dazu kommt für
die Engländer das beängstigende Gefühl, das die wachsende wirtschaftliche,
Politische und seemächtliche Bedeutung Amerikas in ihnen hervorruft und sie zu
gesteigerten und beschleunigten Rüstungen zwingt.

Das Erscheinen einer neuen starken Macht auf dem Großen Ozean und
an seinen östlichen Gestaden ist somit für Deutschland eine neue zwingende
Mahnung, auf einen starken Schutz zugleich seiner überseeischen Beziehungen
wie auf einen möglichst unüberwindbaren Schutz der heimatlichen Küsten bedacht
zu sein. Das ehemals durchaus richtige Wort, daß große europäische Ent¬
scheidungen, an denen Deutschland unmittelbar interessiert sei, zwischen Metz
und Paris fallen würden, ist heute nur noch bedingt zutreffend. Nicht minder
ernste Entscheidungen in Existenzfragen können für uns aus den Wogen des
Atlantischen Ozeans fallen, mit Freunden zur Seite oder ohne solche, Ent¬
scheidungen, bei denen wir siegen müssen, wenn wir nicht untergehn wollen.
Diese Existenzfragen zwingen uns, eine starke heimische Schlachtflotte mit
möglichster Beschleunigung dienstbereit herzustellen, ohne daneben die Maßnahmen
Zu vernachlässigen, die zum Schutz unsrer überseeischen Gebiete und im Inter¬
esse der Würde und der Machtstellung des Reiches draußen nötig sind. Deutsch¬
land, sei wach!

Mit der Fertigstellung des Panamakanals werden die Weltinteressen ein
verändertes, aber darum nicht minder ernstes Antlitz zeigen. Möge sich die
deutsche Nation und ihre Vertretung mit diesen Gedanken so früh wie möglich
erfüllen, damit Deutschland dereinst ein verhängnisvolles "Zu spät" erspart
bleibe. Nicht weniger als für die Grenze bei Metz gilt auch für die Nordsee
d ^ er Ausspruch Moltkes: Bereit sein ist alles!




Die Herrschaft auf dein Großen Bzean

Will. Da Deutschland an Rohprodukten wenig zu exportieren hat, so kann es
den Getreideimport nur mit der Ausfuhr von Erzeugnissen deutscher Arbeit be¬
zahlen. Dazu bedarf es gesicherter Absatzmärkte in den überseeischen Ländern
und kaufkräftiger Kolonien. Kaufkräftig werden aber nur solche Kolonien sein,
in denen Weiße in großer Zahl leben und sich ernähren können. Solche Ge¬
biete auf friedlichem Wege für Deutschland zu gewinnen oder nutzbar zu
machen, dürfte eine außerordentlich schwierige Aufgabe sein. Jedenfalls liegen
die Sorgen unsrer Reichsleitung von Jahr zu Jahr mehr auf diesem Gebiet
als auf dem unsrer Beziehungen zu unsern kontinentalen Nachbarn. Auch diese
Beziehungen müssen freilich gut sein, aber je mehr Rußland und Frankreich
von ihrer eignen kolonialen Ausdehnungspolitik ii? Anspruch genommen sind,
desto weniger werden sie geneigt sein, in Europa Kriege zu führen, bei denen
namentlich Frankreich seinen Kolonialbesitz zum Einsatz bringen würde. Anders
liegt schon die Sache mit England, das in der für Deutschland zwingenden
Notwendigkeit, sich in überseeischen Ländern auszudehnen, eine gefährliche Kon¬
kurrenz für seine überseeischen Interessen sieht. Auf die Möglichkeit, daß Gro߬
britannien sich eines Tages gezwungen sehen könnte, den deutschen Rivalen aus
dem Wege zu räumen, so lange dieser zur See noch überwiudbar ist, ist in
England in den letzten Jahren vielfach hingewiesen worden. Dazu kommt für
die Engländer das beängstigende Gefühl, das die wachsende wirtschaftliche,
Politische und seemächtliche Bedeutung Amerikas in ihnen hervorruft und sie zu
gesteigerten und beschleunigten Rüstungen zwingt.

Das Erscheinen einer neuen starken Macht auf dem Großen Ozean und
an seinen östlichen Gestaden ist somit für Deutschland eine neue zwingende
Mahnung, auf einen starken Schutz zugleich seiner überseeischen Beziehungen
wie auf einen möglichst unüberwindbaren Schutz der heimatlichen Küsten bedacht
zu sein. Das ehemals durchaus richtige Wort, daß große europäische Ent¬
scheidungen, an denen Deutschland unmittelbar interessiert sei, zwischen Metz
und Paris fallen würden, ist heute nur noch bedingt zutreffend. Nicht minder
ernste Entscheidungen in Existenzfragen können für uns aus den Wogen des
Atlantischen Ozeans fallen, mit Freunden zur Seite oder ohne solche, Ent¬
scheidungen, bei denen wir siegen müssen, wenn wir nicht untergehn wollen.
Diese Existenzfragen zwingen uns, eine starke heimische Schlachtflotte mit
möglichster Beschleunigung dienstbereit herzustellen, ohne daneben die Maßnahmen
Zu vernachlässigen, die zum Schutz unsrer überseeischen Gebiete und im Inter¬
esse der Würde und der Machtstellung des Reiches draußen nötig sind. Deutsch¬
land, sei wach!

Mit der Fertigstellung des Panamakanals werden die Weltinteressen ein
verändertes, aber darum nicht minder ernstes Antlitz zeigen. Möge sich die
deutsche Nation und ihre Vertretung mit diesen Gedanken so früh wie möglich
erfüllen, damit Deutschland dereinst ein verhängnisvolles „Zu spät" erspart
bleibe. Nicht weniger als für die Grenze bei Metz gilt auch für die Nordsee
d ^ er Ausspruch Moltkes: Bereit sein ist alles!




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[0621] Die Herrschaft auf dein Großen Bzean Will. Da Deutschland an Rohprodukten wenig zu exportieren hat, so kann es den Getreideimport nur mit der Ausfuhr von Erzeugnissen deutscher Arbeit be¬ zahlen. Dazu bedarf es gesicherter Absatzmärkte in den überseeischen Ländern und kaufkräftiger Kolonien. Kaufkräftig werden aber nur solche Kolonien sein, in denen Weiße in großer Zahl leben und sich ernähren können. Solche Ge¬ biete auf friedlichem Wege für Deutschland zu gewinnen oder nutzbar zu machen, dürfte eine außerordentlich schwierige Aufgabe sein. Jedenfalls liegen die Sorgen unsrer Reichsleitung von Jahr zu Jahr mehr auf diesem Gebiet als auf dem unsrer Beziehungen zu unsern kontinentalen Nachbarn. Auch diese Beziehungen müssen freilich gut sein, aber je mehr Rußland und Frankreich von ihrer eignen kolonialen Ausdehnungspolitik ii? Anspruch genommen sind, desto weniger werden sie geneigt sein, in Europa Kriege zu führen, bei denen namentlich Frankreich seinen Kolonialbesitz zum Einsatz bringen würde. Anders liegt schon die Sache mit England, das in der für Deutschland zwingenden Notwendigkeit, sich in überseeischen Ländern auszudehnen, eine gefährliche Kon¬ kurrenz für seine überseeischen Interessen sieht. Auf die Möglichkeit, daß Gro߬ britannien sich eines Tages gezwungen sehen könnte, den deutschen Rivalen aus dem Wege zu räumen, so lange dieser zur See noch überwiudbar ist, ist in England in den letzten Jahren vielfach hingewiesen worden. Dazu kommt für die Engländer das beängstigende Gefühl, das die wachsende wirtschaftliche, Politische und seemächtliche Bedeutung Amerikas in ihnen hervorruft und sie zu gesteigerten und beschleunigten Rüstungen zwingt. Das Erscheinen einer neuen starken Macht auf dem Großen Ozean und an seinen östlichen Gestaden ist somit für Deutschland eine neue zwingende Mahnung, auf einen starken Schutz zugleich seiner überseeischen Beziehungen wie auf einen möglichst unüberwindbaren Schutz der heimatlichen Küsten bedacht zu sein. Das ehemals durchaus richtige Wort, daß große europäische Ent¬ scheidungen, an denen Deutschland unmittelbar interessiert sei, zwischen Metz und Paris fallen würden, ist heute nur noch bedingt zutreffend. Nicht minder ernste Entscheidungen in Existenzfragen können für uns aus den Wogen des Atlantischen Ozeans fallen, mit Freunden zur Seite oder ohne solche, Ent¬ scheidungen, bei denen wir siegen müssen, wenn wir nicht untergehn wollen. Diese Existenzfragen zwingen uns, eine starke heimische Schlachtflotte mit möglichster Beschleunigung dienstbereit herzustellen, ohne daneben die Maßnahmen Zu vernachlässigen, die zum Schutz unsrer überseeischen Gebiete und im Inter¬ esse der Würde und der Machtstellung des Reiches draußen nötig sind. Deutsch¬ land, sei wach! Mit der Fertigstellung des Panamakanals werden die Weltinteressen ein verändertes, aber darum nicht minder ernstes Antlitz zeigen. Möge sich die deutsche Nation und ihre Vertretung mit diesen Gedanken so früh wie möglich erfüllen, damit Deutschland dereinst ein verhängnisvolles „Zu spät" erspart bleibe. Nicht weniger als für die Grenze bei Metz gilt auch für die Nordsee d ^ er Ausspruch Moltkes: Bereit sein ist alles!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/621>, abgerufen am 01.07.2024.