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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

sangbuch. Die Zelle lag im dritten Stockwerk, und wer an das Fensterchen heran¬
trat, konnte sich durch den Ausblick auf bunte Ackerstreifen, Wiesen und einen
Schatten von Wald erquicken. Was hatte ich jedoch da draußen noch zu suchen?
Von außen her kam kein Klang, der mich etwas anging. Die Lerche, die ihre
Lieder bis zu mir hätte hinauf tragen können, war verstummt oder saug anderswo.
Nebel schwebten über die Wiesen hin, schwebten über allem und jedem. Das wichtigste
war, daß ich meine Arbeit verstehn lernte und mich um andres, als was ich mit Händen
greifen konnte, nicht mehr bekümmerte. Man unterwies mich zuerst mit Geduld,
dann mit Ungeduld, mit freundlichem Wort und hartem Schelten, schüttelte deu Kopf
und rang die Hände. Vergebens, das hölzerne Bild rippelte und regte sich nicht.
Ging man von mir, so sanken die Arme nieder, als wäre jede Sehne gerissen, und
der Kopf fiel auf die Brust und legte sich endlich auf den Tisch.

Auch der alte Pastor war bemüht, seinen Trost an mich heran zu bringen.
Er war ein Mann mit weißem Haar, freundlichen Augen und einem stillen, be¬
scheidnen und fast weltlichen Wesen, sodaß er Wohl eine Stunde reden konnte, ohne
daß etwas Geistliches laut wurde. Besann mau sich aber nachher, was er gesagt
hatte, so glänzte es doch da und dort wie ein unscheinbares Sternchen in der
Abenddämmerung, aus dem, wenn sich nichts davor drängte, Wohl einmal ein Helles,
weithin scheinendes Licht werden konnte. Jedoch, er konnte auch deutlich werden.

Als er einmal wieder mit mir gesprochen hatte, unterbrach ich ihn aufgeregt
und sagte: Bemühen Sie sich doch nicht, Herr Pastor. Es hat wirklich keinen
Zweck. An mir ist nichts mehr, es ist alles aus, und ich möchte nicht gestört
werden.

Da hob er an: Als unser Heiland noch auf Erden wandelte, kam er einmal,
wie eine Legende erzählt, durch ein Dorf und sah vor einem Hause eiuen rändigen
Hund, halbblind, zerfressen von vielen Wunden, dazu auch, da er in seiner Häßlich¬
keit von niemand mehr etwas Freundliches erwartete, verbittert, sodaß er auch denen
die Zähne wies, die es noch gut mit ihm meinten. Als die Jünger das Tier
erblickten, wandten sie sich voll Schauder ab und gingen ihm weit aus dem Wege.
Der Herr aber in seiner Liebe zu allem, was unglücklich war, trat dicht heran und
ließ seine Augen in Erbarmen auf dem Jammerbild ruhen. Darauf rief er auch
den Petrus und die andern heran und sagte: Seht nur, was hat das Tier doch
für schöne Zahne!

Er schwieg, nahm seinen Hut und überließ es mir, die Nutzanwendung zu
machen. Ich verbeugte mich und folgte ihm mit deu Augen, bis sich die Tür
hinter ihm schloß. Dann geriet ich in Wut und versank endlich wieder in mein
dumpfes und dunkles Brüten.

Es war nun wohl offenbar, daß sich hier eine tiefe Wunde verblutete, und
so wurde beschlossen, mich in meinem Handwerk zu beschäftigen, vielleicht würde
mich das beruhige". Und siehe, wie ich nur die Nadel in der Hand hatte, fing
ich wie der Meister Leopold nach seinem schlimmen Tage wieder an, Stich an Stich
zu setzen und die grobe Flickarbeit mit aller Hurtigkeit, als wäre ein Tropfen
Maschinenöl in meine Gelenke gegossen worden, zu verrichten. Dieses Anzeichen
einer anhebenden Besserung wurde schnell ruchbar und schickte mir einen Beamten
nach dem andern über den Hals, sodaß ich den ganzen Tag Gesellschaft um mich
hatte, und wenn ich die erfreuten und neugierigen Gesichter sah, meinen konnte,
es gehöre der Anblick eines nahenden Schneiders zu den sieben Wundern der Welt.
Nach der ersten Freude, wieder an der gewohnten Arbeit zu sein, kehrte jedoch
die Betrübnis, von der ich zu Boden gedrückt worden war, zurück. Und so wäre
ich wohl wie eine Flamme, der es an Nahrung gebricht, allmählich ausgegangen,
und alle Not hätte ein Ende gehabt. Jedoch es war dafür gesorgt, daß sie nicht
auslöschen konnte.

Die Veränderung meiner Arbeit hatte in ein andres Leben hinüber gegriffen,
indem ein Gefangner, dessen Zelle gerade unter mir lag, mit mir hatte täuschen


Zwei Seelen

sangbuch. Die Zelle lag im dritten Stockwerk, und wer an das Fensterchen heran¬
trat, konnte sich durch den Ausblick auf bunte Ackerstreifen, Wiesen und einen
Schatten von Wald erquicken. Was hatte ich jedoch da draußen noch zu suchen?
Von außen her kam kein Klang, der mich etwas anging. Die Lerche, die ihre
Lieder bis zu mir hätte hinauf tragen können, war verstummt oder saug anderswo.
Nebel schwebten über die Wiesen hin, schwebten über allem und jedem. Das wichtigste
war, daß ich meine Arbeit verstehn lernte und mich um andres, als was ich mit Händen
greifen konnte, nicht mehr bekümmerte. Man unterwies mich zuerst mit Geduld,
dann mit Ungeduld, mit freundlichem Wort und hartem Schelten, schüttelte deu Kopf
und rang die Hände. Vergebens, das hölzerne Bild rippelte und regte sich nicht.
Ging man von mir, so sanken die Arme nieder, als wäre jede Sehne gerissen, und
der Kopf fiel auf die Brust und legte sich endlich auf den Tisch.

Auch der alte Pastor war bemüht, seinen Trost an mich heran zu bringen.
Er war ein Mann mit weißem Haar, freundlichen Augen und einem stillen, be¬
scheidnen und fast weltlichen Wesen, sodaß er Wohl eine Stunde reden konnte, ohne
daß etwas Geistliches laut wurde. Besann mau sich aber nachher, was er gesagt
hatte, so glänzte es doch da und dort wie ein unscheinbares Sternchen in der
Abenddämmerung, aus dem, wenn sich nichts davor drängte, Wohl einmal ein Helles,
weithin scheinendes Licht werden konnte. Jedoch, er konnte auch deutlich werden.

Als er einmal wieder mit mir gesprochen hatte, unterbrach ich ihn aufgeregt
und sagte: Bemühen Sie sich doch nicht, Herr Pastor. Es hat wirklich keinen
Zweck. An mir ist nichts mehr, es ist alles aus, und ich möchte nicht gestört
werden.

Da hob er an: Als unser Heiland noch auf Erden wandelte, kam er einmal,
wie eine Legende erzählt, durch ein Dorf und sah vor einem Hause eiuen rändigen
Hund, halbblind, zerfressen von vielen Wunden, dazu auch, da er in seiner Häßlich¬
keit von niemand mehr etwas Freundliches erwartete, verbittert, sodaß er auch denen
die Zähne wies, die es noch gut mit ihm meinten. Als die Jünger das Tier
erblickten, wandten sie sich voll Schauder ab und gingen ihm weit aus dem Wege.
Der Herr aber in seiner Liebe zu allem, was unglücklich war, trat dicht heran und
ließ seine Augen in Erbarmen auf dem Jammerbild ruhen. Darauf rief er auch
den Petrus und die andern heran und sagte: Seht nur, was hat das Tier doch
für schöne Zahne!

Er schwieg, nahm seinen Hut und überließ es mir, die Nutzanwendung zu
machen. Ich verbeugte mich und folgte ihm mit deu Augen, bis sich die Tür
hinter ihm schloß. Dann geriet ich in Wut und versank endlich wieder in mein
dumpfes und dunkles Brüten.

Es war nun wohl offenbar, daß sich hier eine tiefe Wunde verblutete, und
so wurde beschlossen, mich in meinem Handwerk zu beschäftigen, vielleicht würde
mich das beruhige«. Und siehe, wie ich nur die Nadel in der Hand hatte, fing
ich wie der Meister Leopold nach seinem schlimmen Tage wieder an, Stich an Stich
zu setzen und die grobe Flickarbeit mit aller Hurtigkeit, als wäre ein Tropfen
Maschinenöl in meine Gelenke gegossen worden, zu verrichten. Dieses Anzeichen
einer anhebenden Besserung wurde schnell ruchbar und schickte mir einen Beamten
nach dem andern über den Hals, sodaß ich den ganzen Tag Gesellschaft um mich
hatte, und wenn ich die erfreuten und neugierigen Gesichter sah, meinen konnte,
es gehöre der Anblick eines nahenden Schneiders zu den sieben Wundern der Welt.
Nach der ersten Freude, wieder an der gewohnten Arbeit zu sein, kehrte jedoch
die Betrübnis, von der ich zu Boden gedrückt worden war, zurück. Und so wäre
ich wohl wie eine Flamme, der es an Nahrung gebricht, allmählich ausgegangen,
und alle Not hätte ein Ende gehabt. Jedoch es war dafür gesorgt, daß sie nicht
auslöschen konnte.

Die Veränderung meiner Arbeit hatte in ein andres Leben hinüber gegriffen,
indem ein Gefangner, dessen Zelle gerade unter mir lag, mit mir hatte täuschen


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[0600] Zwei Seelen sangbuch. Die Zelle lag im dritten Stockwerk, und wer an das Fensterchen heran¬ trat, konnte sich durch den Ausblick auf bunte Ackerstreifen, Wiesen und einen Schatten von Wald erquicken. Was hatte ich jedoch da draußen noch zu suchen? Von außen her kam kein Klang, der mich etwas anging. Die Lerche, die ihre Lieder bis zu mir hätte hinauf tragen können, war verstummt oder saug anderswo. Nebel schwebten über die Wiesen hin, schwebten über allem und jedem. Das wichtigste war, daß ich meine Arbeit verstehn lernte und mich um andres, als was ich mit Händen greifen konnte, nicht mehr bekümmerte. Man unterwies mich zuerst mit Geduld, dann mit Ungeduld, mit freundlichem Wort und hartem Schelten, schüttelte deu Kopf und rang die Hände. Vergebens, das hölzerne Bild rippelte und regte sich nicht. Ging man von mir, so sanken die Arme nieder, als wäre jede Sehne gerissen, und der Kopf fiel auf die Brust und legte sich endlich auf den Tisch. Auch der alte Pastor war bemüht, seinen Trost an mich heran zu bringen. Er war ein Mann mit weißem Haar, freundlichen Augen und einem stillen, be¬ scheidnen und fast weltlichen Wesen, sodaß er Wohl eine Stunde reden konnte, ohne daß etwas Geistliches laut wurde. Besann mau sich aber nachher, was er gesagt hatte, so glänzte es doch da und dort wie ein unscheinbares Sternchen in der Abenddämmerung, aus dem, wenn sich nichts davor drängte, Wohl einmal ein Helles, weithin scheinendes Licht werden konnte. Jedoch, er konnte auch deutlich werden. Als er einmal wieder mit mir gesprochen hatte, unterbrach ich ihn aufgeregt und sagte: Bemühen Sie sich doch nicht, Herr Pastor. Es hat wirklich keinen Zweck. An mir ist nichts mehr, es ist alles aus, und ich möchte nicht gestört werden. Da hob er an: Als unser Heiland noch auf Erden wandelte, kam er einmal, wie eine Legende erzählt, durch ein Dorf und sah vor einem Hause eiuen rändigen Hund, halbblind, zerfressen von vielen Wunden, dazu auch, da er in seiner Häßlich¬ keit von niemand mehr etwas Freundliches erwartete, verbittert, sodaß er auch denen die Zähne wies, die es noch gut mit ihm meinten. Als die Jünger das Tier erblickten, wandten sie sich voll Schauder ab und gingen ihm weit aus dem Wege. Der Herr aber in seiner Liebe zu allem, was unglücklich war, trat dicht heran und ließ seine Augen in Erbarmen auf dem Jammerbild ruhen. Darauf rief er auch den Petrus und die andern heran und sagte: Seht nur, was hat das Tier doch für schöne Zahne! Er schwieg, nahm seinen Hut und überließ es mir, die Nutzanwendung zu machen. Ich verbeugte mich und folgte ihm mit deu Augen, bis sich die Tür hinter ihm schloß. Dann geriet ich in Wut und versank endlich wieder in mein dumpfes und dunkles Brüten. Es war nun wohl offenbar, daß sich hier eine tiefe Wunde verblutete, und so wurde beschlossen, mich in meinem Handwerk zu beschäftigen, vielleicht würde mich das beruhige«. Und siehe, wie ich nur die Nadel in der Hand hatte, fing ich wie der Meister Leopold nach seinem schlimmen Tage wieder an, Stich an Stich zu setzen und die grobe Flickarbeit mit aller Hurtigkeit, als wäre ein Tropfen Maschinenöl in meine Gelenke gegossen worden, zu verrichten. Dieses Anzeichen einer anhebenden Besserung wurde schnell ruchbar und schickte mir einen Beamten nach dem andern über den Hals, sodaß ich den ganzen Tag Gesellschaft um mich hatte, und wenn ich die erfreuten und neugierigen Gesichter sah, meinen konnte, es gehöre der Anblick eines nahenden Schneiders zu den sieben Wundern der Welt. Nach der ersten Freude, wieder an der gewohnten Arbeit zu sein, kehrte jedoch die Betrübnis, von der ich zu Boden gedrückt worden war, zurück. Und so wäre ich wohl wie eine Flamme, der es an Nahrung gebricht, allmählich ausgegangen, und alle Not hätte ein Ende gehabt. Jedoch es war dafür gesorgt, daß sie nicht auslöschen konnte. Die Veränderung meiner Arbeit hatte in ein andres Leben hinüber gegriffen, indem ein Gefangner, dessen Zelle gerade unter mir lag, mit mir hatte täuschen

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/600>, abgerufen am 29.06.2024.