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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Das galante Jahrhundert

gang zu einem heimlichen Raum, einer verborgnen Stiege und dienten als
bequemes Versteck bei so manchem intimen Liebesabenteuer. So war zu jener
Zeit ein drehbares Schränkchen im Hause der Frau von Popeliniere berüchtigt,
das den Durchganz ins Nebelthaus verdeckte, in dem der Kardinal Richelieu
(es war der Herzog, der Großneffe des Kardinals) wohnte, der damals schon
stark über die erste Jugend hinaus war."

Sehr drollig sind zwei Epigramme, die Neera auf Seite 12 und 13
zitiert. Sie sind zwar eigentlich beide bekannt, aber da man damit doch
vielleicht dem einen oder dem andern Leser etwas Neues oder doch Halbver¬
gessenes bieten konnte, so sollen sie hier Platz finden.

Jean Freron, ein Widersacher Voltaires, war ein maliziöser, boshafter
Genosse. Der Philosoph von Ferney schildert ihn sehr hübsch in folgenden

^ier Zeilen.

(Der Neißnersche Setzer verschwendet einen ^oosut eirecmtloxo an das orsvg.,
vermutlich um auf den Tod der Schlange einen des guten Witzes würdigen
Accent zu legen.)

Das andre Epigramm, das man beinahe ein Epitaph nennen könnte, ist
das auf deu Tod Ludwigs des Fünfzehnten gemachte:

Und solche vergnügliche Reime bringt das Buch viele.

Eine vom König Stanislaus Leszynski erzählte Anekdote, bei der es nicht
ohne Belehrung abgeht, und in die sich ein dem Tatbestand nicht entsprechendes
Imperfectum statt eines Präsens eingeschlichen hat, berichtet, der König habe
die Marquise von Ferte-Jmbauld (an andrer Stelle wird Jmbault gedruckt)
auf einen Jahrmarkt begleitet und dabei einige Bandendcheu, die sie für fünf¬
zehn Sous gekauft gehabt habe, zum Ergötzen des Publikums über seinem
Kopfe geschwungen und dazu gerufen: HuivM sous! Humus sous Je-s lÄvours
ein- NaäÄinö l^ U-uMisö! Neera halt es für nötig, erklärend erweise beizu¬
fügen, die Bänder seien solche gewesen, die die Franzosen ass ?av"urs ge¬
nannt hätten. Nein, holde Neera: sie nennen sie auch heutigentags noch so
und hüten sich wohl, das Wort mit dem großen F zu schreiben. Die Er¬
innerung daran, daß solche Bänder ursprünglich von weiblichen Händen aus¬
geteilte Gunstbezeigungen für geliebte Kavaliere und unternehmende Bauern¬
burschen waren, ist im Volke längst verwischt, und Männlein wie Weiblein
sprechen ohne lüsternes Schmunzeln von lÄvzurs blcmss oder rosss, die man
zur Verschönerung einer Toilette oder eines Maskencmzugs anzubringen be¬
schlossen hat.

Im Zusammenhange mit den Damen de Ternin, du Desfcmt und Para-
bere, den drei berüchtigtsten Sirenen der Soupers des Regenten, wird dessen
Mutter, die Pfalzgräfin, erwähnt, und es wird von ihren unübertrefflichen


Das galante Jahrhundert

gang zu einem heimlichen Raum, einer verborgnen Stiege und dienten als
bequemes Versteck bei so manchem intimen Liebesabenteuer. So war zu jener
Zeit ein drehbares Schränkchen im Hause der Frau von Popeliniere berüchtigt,
das den Durchganz ins Nebelthaus verdeckte, in dem der Kardinal Richelieu
(es war der Herzog, der Großneffe des Kardinals) wohnte, der damals schon
stark über die erste Jugend hinaus war."

Sehr drollig sind zwei Epigramme, die Neera auf Seite 12 und 13
zitiert. Sie sind zwar eigentlich beide bekannt, aber da man damit doch
vielleicht dem einen oder dem andern Leser etwas Neues oder doch Halbver¬
gessenes bieten konnte, so sollen sie hier Platz finden.

Jean Freron, ein Widersacher Voltaires, war ein maliziöser, boshafter
Genosse. Der Philosoph von Ferney schildert ihn sehr hübsch in folgenden

^ier Zeilen.

(Der Neißnersche Setzer verschwendet einen ^oosut eirecmtloxo an das orsvg.,
vermutlich um auf den Tod der Schlange einen des guten Witzes würdigen
Accent zu legen.)

Das andre Epigramm, das man beinahe ein Epitaph nennen könnte, ist
das auf deu Tod Ludwigs des Fünfzehnten gemachte:

Und solche vergnügliche Reime bringt das Buch viele.

Eine vom König Stanislaus Leszynski erzählte Anekdote, bei der es nicht
ohne Belehrung abgeht, und in die sich ein dem Tatbestand nicht entsprechendes
Imperfectum statt eines Präsens eingeschlichen hat, berichtet, der König habe
die Marquise von Ferte-Jmbauld (an andrer Stelle wird Jmbault gedruckt)
auf einen Jahrmarkt begleitet und dabei einige Bandendcheu, die sie für fünf¬
zehn Sous gekauft gehabt habe, zum Ergötzen des Publikums über seinem
Kopfe geschwungen und dazu gerufen: HuivM sous! Humus sous Je-s lÄvours
ein- NaäÄinö l^ U-uMisö! Neera halt es für nötig, erklärend erweise beizu¬
fügen, die Bänder seien solche gewesen, die die Franzosen ass ?av«urs ge¬
nannt hätten. Nein, holde Neera: sie nennen sie auch heutigentags noch so
und hüten sich wohl, das Wort mit dem großen F zu schreiben. Die Er¬
innerung daran, daß solche Bänder ursprünglich von weiblichen Händen aus¬
geteilte Gunstbezeigungen für geliebte Kavaliere und unternehmende Bauern¬
burschen waren, ist im Volke längst verwischt, und Männlein wie Weiblein
sprechen ohne lüsternes Schmunzeln von lÄvzurs blcmss oder rosss, die man
zur Verschönerung einer Toilette oder eines Maskencmzugs anzubringen be¬
schlossen hat.

Im Zusammenhange mit den Damen de Ternin, du Desfcmt und Para-
bere, den drei berüchtigtsten Sirenen der Soupers des Regenten, wird dessen
Mutter, die Pfalzgräfin, erwähnt, und es wird von ihren unübertrefflichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/581>, abgerufen am 22.07.2024.