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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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her verderben können. Niemand Hütte von ihr gesprochen, und alles wäre vielleicht
anders gekommen.

Ich weiß nicht, wer die Kunde von diesem Brief an den alten Mann heran¬
gebracht hat, der in seinem Bett wie ein Häuslein willenlosen Unglücks lag. Wie
er aber davon erfuhr, richtete er sich mit einem Schrei empor und krabbelte aus
seinen Decken heraus. Und als er erst wieder auf seinen Beinen stand, wollte er,
so wie er war, sogleich auf die Straße hinaus und seinen armen großen Jungen
suchen. Da er nicht zu halten war, nahm ich ihn an den Arm, und wir wanderten
in den Regen hinaus, der eben durch die nächtlichen Straßen Peitschte. Wir mußten
einen Wagen nehmen und hinausfahren, wollte" wir überhaupt noch an unser Ziel
gelangen. Im Wirtshaus wollte niemand etwas von einem Gaste, ans den unsre
Beschreibung Paßte, wissen, der arme Alte blieb aber bei seiner Behauptung, sein
Sohn müsse hier seinen Brief geschrieben haben, und er läge wohl nun schon auf
demi Grunde. Niemals würde er seinem Vater so etwas geschrieben haben, wenn
es ihm nicht Ernst gewesen wäre. So liefen wir alle am Ufer hin und her. Der
Regen strömte auf uns nieder, und finstre Nacht lag ans dem Wasser. Wir mußten
endlich unser Suchen aufgeben.

Am andern Morgen, als ich ausstand, war Leopold schon wieder unterwegs.
Da ich meinen eignen Geschäften nachgehn mußte und ihm auch wenig helfen konnte,
so überließ ich es ihm, seinem Schicksal allein entgegen zu gehn. Ein dankbares
Gefühl durchströmte mich bei aller Bedrücktheit und Seelenunruhe: daß Marthchen
jetzt fern war, und daß ich ihr nicht vor ihr klares Ange zu kommen brauchte.
Sie würde mitleidig in dies Unglück hineingeschaut und helfend die Hand aus¬
gestreckt haben, aber ihr Blick würde auch das Zittern entdeckt haben, das durch
mein eignes Wesen lief, die stille Angst, die noch nicht ausgesprochen, uoch nicht
einmal ausgedacht, nur als eine dumpfe, dunkle Ahnung mir lähmend in den
Gliedern lag.

Mit aller Gewalt warf ich mich auf die Arbeit, sie sollte wieder einmal helfen.
Ich möchte den kennen, der den Rock getragen hat, an dem ich damals genäht habe.
Ob ihm von all der Angst und den schweren Gedanken, die in das schwarze Tuch
mit vernäht wurden, nicht angst und bange geworden ist? Über Mittag ging ich
nicht nach Hause und Abends erst in ein Wirtshaus. Die Arzneimittel, deren Kraft
ich früher hatte kennen lernen, und in denen ich meine Mannhaftigkeit schon manches¬
mal wiedergefunden hatte, mußten wieder heran, eins nach dem andern. Warum
auch nicht? Will man sich einmal betäuben, so ist die Methode gleichgiltig.

Am Abend in der Dämmerung kam Heinemann, der von der Geschichte Wind
bekommen hatte, zu mir heraufgeschlichen. Er ging auf leisen Sohlen, öffnete die
Tür erst handbreit und zögerte einen Augenblick, ehe er seine Gestalt zu mir hinein-
schob. Als er seine Neugierde befriedigt hatte, schüttelte er den Kopf und erklärte
das Ganze für eine verdammt dumme Affäre. Die Alte müßte Prügel haben, und
die Laurette ebenfalls. Im übrigen müsse man der Entwicklung mit Ruhe entgegen¬
sehen. Es werde so schlimm nicht werden, denn weder die Leopold noch Laurette
seien heurige Helfen, sondern gerissene Weiber. Sie würden sich schon heraus¬
zulügen wissen. Und daß der junge Leopold ins Wasser gegangen wäre, sei ein
ganz unsinniger Gedanke. Solche hübschen, rundlichen, behäbigen Leute hüteten sich
vor einem nassen Bad. Im übrigen wäre anch an ihm nicht viel verloren, und
es wäre vielleicht das beste, er hätte sich beiseite gemacht.

So sprach er mit aller Ruhe. Er mochte aber wohl seinen eignen Worten
nicht getraut haben, denn wie sich später herausstellte, war er uoch in dieser Nacht
auf Reisen gegangen.

Spät in der Nacht kehrte Leopold heim. Der Leichnam seines Sohnes war
gefunden worden. Als die Leute ihn aus Land zogen, hatten sie mit Verwunderung
in das freundliche kindliche Antlitz eines großen Knaben geschaut, und voll Erbarmen
hatte man ihn sanft auf den Nasen gelegt. Mit welchem betrübten Herzen er auch
in die Fluten gegangen war, so lag es doch nun wie ein friedliches Lächeln über


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her verderben können. Niemand Hütte von ihr gesprochen, und alles wäre vielleicht
anders gekommen.

Ich weiß nicht, wer die Kunde von diesem Brief an den alten Mann heran¬
gebracht hat, der in seinem Bett wie ein Häuslein willenlosen Unglücks lag. Wie
er aber davon erfuhr, richtete er sich mit einem Schrei empor und krabbelte aus
seinen Decken heraus. Und als er erst wieder auf seinen Beinen stand, wollte er,
so wie er war, sogleich auf die Straße hinaus und seinen armen großen Jungen
suchen. Da er nicht zu halten war, nahm ich ihn an den Arm, und wir wanderten
in den Regen hinaus, der eben durch die nächtlichen Straßen Peitschte. Wir mußten
einen Wagen nehmen und hinausfahren, wollte« wir überhaupt noch an unser Ziel
gelangen. Im Wirtshaus wollte niemand etwas von einem Gaste, ans den unsre
Beschreibung Paßte, wissen, der arme Alte blieb aber bei seiner Behauptung, sein
Sohn müsse hier seinen Brief geschrieben haben, und er läge wohl nun schon auf
demi Grunde. Niemals würde er seinem Vater so etwas geschrieben haben, wenn
es ihm nicht Ernst gewesen wäre. So liefen wir alle am Ufer hin und her. Der
Regen strömte auf uns nieder, und finstre Nacht lag ans dem Wasser. Wir mußten
endlich unser Suchen aufgeben.

Am andern Morgen, als ich ausstand, war Leopold schon wieder unterwegs.
Da ich meinen eignen Geschäften nachgehn mußte und ihm auch wenig helfen konnte,
so überließ ich es ihm, seinem Schicksal allein entgegen zu gehn. Ein dankbares
Gefühl durchströmte mich bei aller Bedrücktheit und Seelenunruhe: daß Marthchen
jetzt fern war, und daß ich ihr nicht vor ihr klares Ange zu kommen brauchte.
Sie würde mitleidig in dies Unglück hineingeschaut und helfend die Hand aus¬
gestreckt haben, aber ihr Blick würde auch das Zittern entdeckt haben, das durch
mein eignes Wesen lief, die stille Angst, die noch nicht ausgesprochen, uoch nicht
einmal ausgedacht, nur als eine dumpfe, dunkle Ahnung mir lähmend in den
Gliedern lag.

Mit aller Gewalt warf ich mich auf die Arbeit, sie sollte wieder einmal helfen.
Ich möchte den kennen, der den Rock getragen hat, an dem ich damals genäht habe.
Ob ihm von all der Angst und den schweren Gedanken, die in das schwarze Tuch
mit vernäht wurden, nicht angst und bange geworden ist? Über Mittag ging ich
nicht nach Hause und Abends erst in ein Wirtshaus. Die Arzneimittel, deren Kraft
ich früher hatte kennen lernen, und in denen ich meine Mannhaftigkeit schon manches¬
mal wiedergefunden hatte, mußten wieder heran, eins nach dem andern. Warum
auch nicht? Will man sich einmal betäuben, so ist die Methode gleichgiltig.

Am Abend in der Dämmerung kam Heinemann, der von der Geschichte Wind
bekommen hatte, zu mir heraufgeschlichen. Er ging auf leisen Sohlen, öffnete die
Tür erst handbreit und zögerte einen Augenblick, ehe er seine Gestalt zu mir hinein-
schob. Als er seine Neugierde befriedigt hatte, schüttelte er den Kopf und erklärte
das Ganze für eine verdammt dumme Affäre. Die Alte müßte Prügel haben, und
die Laurette ebenfalls. Im übrigen müsse man der Entwicklung mit Ruhe entgegen¬
sehen. Es werde so schlimm nicht werden, denn weder die Leopold noch Laurette
seien heurige Helfen, sondern gerissene Weiber. Sie würden sich schon heraus¬
zulügen wissen. Und daß der junge Leopold ins Wasser gegangen wäre, sei ein
ganz unsinniger Gedanke. Solche hübschen, rundlichen, behäbigen Leute hüteten sich
vor einem nassen Bad. Im übrigen wäre anch an ihm nicht viel verloren, und
es wäre vielleicht das beste, er hätte sich beiseite gemacht.

So sprach er mit aller Ruhe. Er mochte aber wohl seinen eignen Worten
nicht getraut haben, denn wie sich später herausstellte, war er uoch in dieser Nacht
auf Reisen gegangen.

Spät in der Nacht kehrte Leopold heim. Der Leichnam seines Sohnes war
gefunden worden. Als die Leute ihn aus Land zogen, hatten sie mit Verwunderung
in das freundliche kindliche Antlitz eines großen Knaben geschaut, und voll Erbarmen
hatte man ihn sanft auf den Nasen gelegt. Mit welchem betrübten Herzen er auch
in die Fluten gegangen war, so lag es doch nun wie ein friedliches Lächeln über


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[0536] Zwei Lecken her verderben können. Niemand Hütte von ihr gesprochen, und alles wäre vielleicht anders gekommen. Ich weiß nicht, wer die Kunde von diesem Brief an den alten Mann heran¬ gebracht hat, der in seinem Bett wie ein Häuslein willenlosen Unglücks lag. Wie er aber davon erfuhr, richtete er sich mit einem Schrei empor und krabbelte aus seinen Decken heraus. Und als er erst wieder auf seinen Beinen stand, wollte er, so wie er war, sogleich auf die Straße hinaus und seinen armen großen Jungen suchen. Da er nicht zu halten war, nahm ich ihn an den Arm, und wir wanderten in den Regen hinaus, der eben durch die nächtlichen Straßen Peitschte. Wir mußten einen Wagen nehmen und hinausfahren, wollte« wir überhaupt noch an unser Ziel gelangen. Im Wirtshaus wollte niemand etwas von einem Gaste, ans den unsre Beschreibung Paßte, wissen, der arme Alte blieb aber bei seiner Behauptung, sein Sohn müsse hier seinen Brief geschrieben haben, und er läge wohl nun schon auf demi Grunde. Niemals würde er seinem Vater so etwas geschrieben haben, wenn es ihm nicht Ernst gewesen wäre. So liefen wir alle am Ufer hin und her. Der Regen strömte auf uns nieder, und finstre Nacht lag ans dem Wasser. Wir mußten endlich unser Suchen aufgeben. Am andern Morgen, als ich ausstand, war Leopold schon wieder unterwegs. Da ich meinen eignen Geschäften nachgehn mußte und ihm auch wenig helfen konnte, so überließ ich es ihm, seinem Schicksal allein entgegen zu gehn. Ein dankbares Gefühl durchströmte mich bei aller Bedrücktheit und Seelenunruhe: daß Marthchen jetzt fern war, und daß ich ihr nicht vor ihr klares Ange zu kommen brauchte. Sie würde mitleidig in dies Unglück hineingeschaut und helfend die Hand aus¬ gestreckt haben, aber ihr Blick würde auch das Zittern entdeckt haben, das durch mein eignes Wesen lief, die stille Angst, die noch nicht ausgesprochen, uoch nicht einmal ausgedacht, nur als eine dumpfe, dunkle Ahnung mir lähmend in den Gliedern lag. Mit aller Gewalt warf ich mich auf die Arbeit, sie sollte wieder einmal helfen. Ich möchte den kennen, der den Rock getragen hat, an dem ich damals genäht habe. Ob ihm von all der Angst und den schweren Gedanken, die in das schwarze Tuch mit vernäht wurden, nicht angst und bange geworden ist? Über Mittag ging ich nicht nach Hause und Abends erst in ein Wirtshaus. Die Arzneimittel, deren Kraft ich früher hatte kennen lernen, und in denen ich meine Mannhaftigkeit schon manches¬ mal wiedergefunden hatte, mußten wieder heran, eins nach dem andern. Warum auch nicht? Will man sich einmal betäuben, so ist die Methode gleichgiltig. Am Abend in der Dämmerung kam Heinemann, der von der Geschichte Wind bekommen hatte, zu mir heraufgeschlichen. Er ging auf leisen Sohlen, öffnete die Tür erst handbreit und zögerte einen Augenblick, ehe er seine Gestalt zu mir hinein- schob. Als er seine Neugierde befriedigt hatte, schüttelte er den Kopf und erklärte das Ganze für eine verdammt dumme Affäre. Die Alte müßte Prügel haben, und die Laurette ebenfalls. Im übrigen müsse man der Entwicklung mit Ruhe entgegen¬ sehen. Es werde so schlimm nicht werden, denn weder die Leopold noch Laurette seien heurige Helfen, sondern gerissene Weiber. Sie würden sich schon heraus¬ zulügen wissen. Und daß der junge Leopold ins Wasser gegangen wäre, sei ein ganz unsinniger Gedanke. Solche hübschen, rundlichen, behäbigen Leute hüteten sich vor einem nassen Bad. Im übrigen wäre anch an ihm nicht viel verloren, und es wäre vielleicht das beste, er hätte sich beiseite gemacht. So sprach er mit aller Ruhe. Er mochte aber wohl seinen eignen Worten nicht getraut haben, denn wie sich später herausstellte, war er uoch in dieser Nacht auf Reisen gegangen. Spät in der Nacht kehrte Leopold heim. Der Leichnam seines Sohnes war gefunden worden. Als die Leute ihn aus Land zogen, hatten sie mit Verwunderung in das freundliche kindliche Antlitz eines großen Knaben geschaut, und voll Erbarmen hatte man ihn sanft auf den Nasen gelegt. Mit welchem betrübten Herzen er auch in die Fluten gegangen war, so lag es doch nun wie ein friedliches Lächeln über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/536>, abgerufen am 01.07.2024.